August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Drittes Capitel.

Der rastlose Agent entwickelt seine Thätigkeit zu noch höherem Erstaunen – es erscheinen viele Leidtragende – und wir lernen eine sehr angenehme Gesellschaft kennen – es gehen überhaupt wichtige Dinge vor und werden wichtige Entdeckungen gemacht.

Wäre es überhaupt Sitte, »wahrhaft« verdienstvolle Männer in ihren großartigsten, der Menschheit wichtigsten Momenten aufzufassen und sie in Stein oder Erzguß, zum aufmunternden und erhebenden Beispiele, für die ganze Nachwelt zu verewigen – sicherlich, Hugo Schnepselmann wäre 26 in diesem Augenblick für kein künftiges Jahrhundert verloren gegangen! Die Marmorbrüche Carrara's hätten ihren herrlichsten Block mit Freuden geliefert, und jedes Erz wäre nicht nur in Feuer, sondern in Wonne geschmolzen, das Bildniß dieses edlen Mannes, mindestens in Lebensgröße, nebst gehörigen Attributen, dem allgemeinen Staunen hinzugeben! Jedoch, wie bei den meisten großen Männern, ward auch hier der Kunst kein Auftrag und der schwachen Menschheit keine Gelegenheit ihre starke Ehrfurcht zu bezeugen. In dieser Zeit, da er sich, mit einem einzigen Striche durch seine gesammten Hare, als Herrscher, Gebieter, Ordner, Gesetzgeber alles Todten und Lebendigen, alles Beweglichen und Unbeweglichen bei Schwach's erklärte – wie groß war er!

Wenn sich die Thüre hinter ihm schloß, indem er sich entfernte um eine Anordnung zu treffen, so ging sie in so kurzer Zeit, nach vollbrachter That, wieder vor ihm auf, daß Herkules ihn verwundert ansah und, trotz alles Schmerzes, an die Erzählung vom wunderbaren Hausgeiste aus seinen Kindeszeiten sich entsinnen mußte. Personen und Dinge kamen und gingen überhaupt, als wäre nie ein Herkules auf der Welt gewesen, am allerwenigsten in dieser Wohnung; und wenn er hin- und hergeschoben wurde, so that ihm dies unwillkührlich wohl, indem er dadurch zu dem Bewußtsein gelangte, daß er doch wahrhaftig noch vorhanden und nicht etwa selbst gestorben sei, wie er im Begriffe war, es sich einzubilden.

Als aber Schnepselmann mit einem ungeheueren Flor um den eigenen Arm, einem detto riesenmäßigen im linken Knopfloche erschien, und zwei mindestens gleiche, wenn nicht größere, an dem Leidtragenden befestigte, mit einer stummen 27 Sicherheit, als schmücke er ein Lämmlein zum Opferfeste; so war dieß ein historischer Moment, sicherlich der Uebertragung auf ein Freskobild vollkommen werth! Er that dies mit dem Ausdrucke, als ob hier eine Widerrede so wenig möglich wäre, wie bei dem Manne, der aus Stein gehauen an einer Straßenecke stand, im Falle demselben nämlich eine solche Ausschmückung zugemuthet würde.

Herkules schwieg und ließ Alles geschehen. Er betrachtete es als eine eben solche Nothwendigkeit, wie etwa Salz zur Suppe.

Rührend und merkwürdig war es nebstdem zu sehen, welche überraschende Zahl von Leidtragenden zu dem Leichenfeste herbeiströmte. Verwundert sah sich Herkules plötzlich in einer Mitte von Verwandten, nah- und weitschichtigen, von Bekannten, Theilnehmern, deren Dasein er in seinem Leben nicht geahnt; und lange, lange Jahre nachher blieb es ihm noch ein Räthsel, wie Hugo diese Alle zusammengebracht und woher er sie eigentlich genommen.

Doch dies Alles war nur Kleinigkeit! Man mußte Schnepselmann reden hören von den Vorzügen, den liebenswürdigen Eigenschaften der Höchstseligen, dem tiefbetrübenden Verluste, der durch ihr Ableben herbeigeführt sei, dem ewig unausfüllbaren Riß, der in seinem Herzen durch diese schreckliche Grausamkeit des Todes entstanden! – Wenn er später nicht in die Kosten ein neues Schnupftuch ansetzte, so war dieß lediglich Großmuth und edle Aufopferung von ihm; denn das seinige mußte von dem vielen Augenwischen, Hin- und Herpressen in der Hand, Vorhalten vor dem Munde, zuweilen vor dem ganzen Gesichte, unzweifelhaft durchgenützt worden sein!

Die Herbeigekommenen, einestheils nicht wissend, in 28 welchen Beziehungen er eigentlich zur Verstorbenen gestanden, hielten seinen Schmerz für so natürlich, und waren durch seinen Ausdruck desselben so betrübt, daß sie wahrhaft lange, leichenfeierliche Gesichter machten und dem Ganzen hiedurch zweckmäßigst den Anschein einer höchst betrübenden Trauer-Festlichkeit verliehen.

Zugleich wußte er bald Diesem, bald Jenem, kurze, geheimnißvoll unterbrochene und bedeutsame Worte von einem höchst merkwürdigen Testamente, Klauseln zu Gunsten von Verwandten, Legaten für höchst zu überraschende Personen zuzuflüstern, daß sämmtliche Anwesende gespannt auf das Ende warteten. Sie entfernten sich um so weniger früher, da Hugo Karten zum Trauerschmause im Gasthofe zum »grünen Zebra« austheilte, mit einer edlen Uneigennützigkeit und Freigebigkeit, die Jeden in Verwunderung zu setzen berechtigt waren. Keineswegs würden sie diesen Eindruck auch auf die Betrauerte selbst verfehlt haben. Wenn diese nur hätte aufstehen und ein Wort darein reden können!

Der betrübte Sohn ließ Alles geschehen. Es schien ihm, als müßte es so sein; und ohne Widerrede hatte er bereits einen Geldschein nach dem andern überliefert, als begreife er nur nicht, wie die Sache nicht noch weit mehr koste!

Mindestens eine Elle hinter ihm und seinem neuen Busenfreunde flatterten die Trauerflöre, als der Zug sich durch die Straße bewegte. Die des Weges fahrenden Kutscher hatten Noth, ihre Pferde vor dem Scheuwerden zu wahren, und das Leichengefolge verwickelte sich mit den schwarzen Flaggen so oft, daß mehrere Personen Mühe hatten auseinander zu kommen, oder aus einem Knoten befreit werden mußten, der jenem glich, welchen Gideon seinen 29 Füchsen aus ihren Schwänzen bereitete, als er sie in die Felder des Feindes jagte.

Daß ein Trauerschmaus zum Schlusse veranstaltet war, mußte als eine wahre rettende That anerkannt werden, wenn man Hugo Schnepselmann ansah, die Schmerzenserschöpfung, welche sich in seiner Haltung ausdrückte, oder wenn man gar erst die bedeutsamen Nasentöne vernahm, die er in's Schnupftuch blies, so oft die Posaune der voranschreitenden Musik ein jammervolles Grunzen ausstieß.

Das »grüne Zebra«, bisher unerhört in den Annalen Schwach's, und eine vollständige Nichtexistenz für seine ethnographisch statistische Kenntniß, prangte im großartigen Schmucke. Blumen, Kellner, Häringsalate, Schinken, Citronen, Flaschen und kleine vier- bis zehnjährige Jungfrauen, ebenfalls zum Gefolge aufgebracht und theilweise in Schnepselmann's eigenem schmeichelhaften Besitze als Vater, glänzten in vollester Schönheit.

Die Gesellschaft setzte sich um die große lange Tafel; und während sie von Hugo umkreist wird, wie von einem rastlosen Kometen, bald da bald dort mit Glanz auftauchend, hier eine Flasche, dort einen Teller reichend, hier ein heruntergefallenes Kind aufhebend, dort einem anderen die Nase wischend (Alles dieses unbeschadet des unausfüllbaren Risses in seinem Herzen), wollen wir die Gesellschaft näher und im Einzelnen betrachten.

 


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