August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Neuntes Capitel.

Wie die große Welt sich noch ferner mit Schwach beschäftigt – er gelangt mit Madame Trullemaier zu engeren Verhältnissen – Schnepselmann bringt weitere erstaunliche Gerüchte, Geschichten und Geheimnisse aus der großen Welt zu besonderer Beachtung.

Schwach stand vor dem Tische in seiner Wohnung, mit sehr wehmüthigem Gesichte und schüttelte bedenklich den Kopf, als er den Wust von Briefen und Papieren aller Formen und Gattungen sah, die vor ihm lagen.

Die Postboten, welche früher seine Thüre nicht kannten, suchten sie jetzt, besonders zum Aerger der Madame 147 Fiedler, mehrmals des Tages. Da lag ein rosenduftendes Briefchen mit Goldrand, welches ihn zum Rendezvous einlud, an der Ecke, Abends um acht Uhr – Zeichen eine Nelke in der Hand! Ein Familienvater beschwor ihn, sein neuntes Kind aus der Taufe zu heben. Eine schüchterne Jungfrau bat, ihre langersehnte Hochzeit durch ein Darlehen von dreihundert Thalern zu beschleunigen. Ein Unbekannter betheuerte ein ungeheuer rentables Geschäft für sich, seine sechs Kinder, Vater und Urgroßmutter zu etabliren, wenn Schwach ihm nur den einjährigen Zins voraus bezahle, was bei den ererbten vier Millionen doch nur eine Kleinigkeit sei. Ein kinderloser Baron bot sich an, ihn sofort zu adoptiren und den uralten, hochberühmten Adel auf ihn und seine Kinder zu vererben, wenn er die verschuldeten Güter frei machen, die letzte Stammhälterin, Fräulein Sidonia Fiorentina, 43 Jahre alt und sehr liebenswürdig, Schwester des letzten der Barone, zur ehelichen Gesponsin nehmen und noch hunderttausend Thaler bar – dem Herrn Schwager bezahlen wolle, was doch, in Berücksichtigung der Umstände, nur eine wirklich unbedeutende Kleinigkeit wäre! – Ein Kouvert, groß wie ein Kaffeebrett, enthielt Grundrisse, Häuserzeichnungen und Ziegelöfen-Konterfeis, Alles zu Spottpreisen, halb unter dem Werthe, zusammen um eine halbe Million, bei sofortiger Bezahlung losgeschlagen. Eine Baronesse * * * schrieb, daß sie ihren Witwenstand aufzugeben und ihn in die höhere Welt einzuführen bereit sei, wenn er ihr eine Equipage, ein Landhaus, eine Loge in der Oper und Dienerschaft besonders, halten wolle, nebst dem jährlichen Nadelgelde von 10.000 Thalern – was sie, trotzdem er der Erbe so unzählbarer kalifornischer Goldbarren sei, doch nur so billig auszuführen bereit 148 wäre, weil sie seine persönliche Liebenswürdigkeit (sie beobachte ihn heimlich) in Anspruch brächte. – Ein Winkeljuwelier schrieb: die Edelsteine, die er, eine Kassette voll, geerbt, möge er ja nicht verschleudern, sondern sich mit ihm verständigen, da er eben Kronen und Diademe für den schwarzen König von irgend einem unerhörten Mohrenlande und dessen Hofhalt zu verfertigen habe. – Es regnete Wohnungsvermiethungen, Dienstanbietungen, Vereinseinladungen, Subskriptionslisten, Adressen, und so weiter, und so weiter.

Schwach holte eben einen sehr, sehr kläglichen Seufzer aus der Tiefe seiner Brust und bedachte, ob es nicht besser wäre, die Erbschaft sofort unter diese Leute zu vertheilen – als es an der Thüre klopfte. Auf das »Herein!« erschien Schnepselmann und in seiner Begleitung war Madame Trullemaier. – Letztere entwickelte um ihr geehrtes Haupt einen solchen Ueberfluß von Krausen und Falten, daß sie zum stillen Bewundern und gerechten Staunen aufforderte. Und zwischen diesen Falten schoßen brennend rothe Bänder, sehr sinnreich vertheilt, ihre herzwärmenden Strahlen.

Die Dame, heute noch einmal so würdevoll und prächtig als sonst, knixte graziös, ihrer ganzen Breite nach, bei der Thüre, heftete sehr vielsagende Blicke auf Herkules, und schüttelte gravitätisch-lieblich ihr emporgehaltenes Haupt. Das Kinn mit der mächtigen Feuerschleife machte einen wahrhaft bewältigenden Eindruck.

Nachdem Schnepselmann rasch Hand geschüttelt und, wie üblich, sich des Befindens seines geehrten Freundes versichert hatte, wendete er sich rasch nach der Thüre, wo noch immer Madame Trullemaier in voller Breite knixend, aber unbeachtet sich befand, und sagte: »Also geehrter Herr Schwach, dies ist die wackere Frau, welche fortan Ihr Hauswesen 149 führen wird, und von der ich gesprochen, Madame Trulleberger

»–maier aufzuwarten, Maier!« replizirte diese.

Schnepselmann beachtete nur, daß er gefehlt habe und korrigirte sich rasch: »Huber« wollte ich sagen.«

»Maier, Maier!«

»Ganz richtig – also Madame . . . .«

»Nein, nein, Maier!«

»Jawohl; entschuldigen Sie, maier, Trullemaier! Daß ich doch immer in der Eile irre! – Sie sind aufgeführt!«

»Und ich hoffe,« sagte Schwach leutseligst, »daß Sie mit mir zufrieden sein werden.«

»O, ich auch« – nahm schnell Madame das Wort und knixte wieder. »Ich weiß, was die Haushaltung von einzelnen Herren bedarf; und was an mir liegt, soll gewiß nicht fehlen!« Dabei blickte sie scharf nach Schwach und schüttelte kokett den Kopf, so daß die große Schleife wie ein vom Erdbeben bewegter Berg wackelte. »Und was das Kochen betrifft – na, da ist Keine, die's mit mir aufnimmt! Wegen meiner Saucischen war ein Artilleriemajor in mir verliebt, wie ich Ihnen sage, verliebt! (Schleifewackeln). Und ein Gerichtsadjunkt wollte mich zweimal wegen meiner Sardellensauce heirathen. Er schwur, daß er es thäte, wenn er nicht schon verheirathet gewesen wäre. – Und in Ordnung wird Alles sein, Alles, bester Herr Schwach; die Wäsche und die Küche und die Meubels . . . .«

»Kurz, ich hoffe meine Liebe,« sagte Schwach gutmüthig, mit seinem gewöhnlichen warmen Tone, »daß, wenn wir Beide zufrieden sein werden, wir uns lange, lange, vielleicht nie, trennen werden!«

Wer da Madame Trullemaier gesehen hätte! Schon 150 wollte sie in Schluchzen ausbrechen und fragen wann die Trauung sei, als sie, zum Glücke, sich noch rechtzeitig faßte und kopfschüttelnd blos sagte: »Na, Sie sind ein guter Herr, das sehe ich schon Herr Schwach; und ich« – hier zupfte sie am Kleide – »werde Alles, Alles thun, was Sie nur wünschen!« – Und als sie nach einem scharfen Seitenblicke bemerkte, daß Herkules sein wohlwollendes Gesicht nicht verändert habe, entfaltete sie rasch ihre Pläne über Küche, Möbel, Haus, Hof, Stube, Herd, Kohlenkasten, und war schon daran, Alles »nach ihrem Kopfe« zu richten, denn jetzt müsse es hier aus einem »andern Tone« gehen, als ihr Schnepselmann äußerst störend sagte:

»Und nun, meine beste Trullehuber, haben Sie die Güte sich in das Hinterzimmer zurückzuziehen, rechts bei der Küche, welches fortan, bis zur baldigen Wohnungsveränderung, Ihnen gehört; da ich mit meinem verehrten Herrn Freunde noch Geschäfte abzumachen habe.«

Madame Trullemaier wackelte sehr bedenklich den Kopf, heftete jedoch bald wieder äußerst wohlwollende Blicke auf Herkules, knixte dann in voller Breite einigemal vor der Thüre auf und nieder, und verschwand endlich hinter dieselbe.

Schwach beklagte sich vorerst über die Fluth von Menschen und Schriftstücken, welche über ihn vernichtend hereinbräche.

»Da können Sie einmal nicht bleiben, das ist gewiß,« sagte Schnepselmann; »denn es zirkuliren in der That furchtbare Gerüchte in der Nachbarschaft! Man behauptet steif und fest, daß sämmtliche Dielen hier aufgerissen seien und die puren Goldplatten nach der Breite des ganzen Zimmers darunter gelegen haben. Man weiß es ganz 151 genau und hat es sogar mit eigenen Augen gesehen, daß der Strohsack, worauf die verehrte Geschiedene gelegen, statt mit Stroh, mit lauter Thalern, Louisdors und Dukaten gefüllt war und beim Ausleeren sechs Scheffel, gut gemessen, gab. – Man ist fest überzeugt, und es ist nicht der geringste Zweifel darüber vorhanden, daß sämmtliche Sessel mit Statsschuldverschreibungen gepolstert und die Augen eines ausgestopften Pudels zwei so große Diamanten waren, daß einer allein eine Million Werth hat, daß auch schon von englischen Lords das Doppelte geboten wurde, Sie aber dieselben nicht hergeben wollen, weil Sie sich steifen, besagte Million-Diamanten als Westenknöpfe zu tragen, indem Sie eine so kleine Summe nicht bedürfen! Eine große Schmalzbüchse soll oben blos Fett, ebenso wie der Aschenkasten oben nur Asche, unten aber nichts als Goldstangen enthalten haben; und solches Zeug mehr! Man macht Sie zum König vom Fabellande!«

»Es ist doch sonderbar, was die Leute für Gerüchte in Umlauf bringen!« sagte Herkules, wehmüthig lächelnd.

»O diese Welt voll erhitzter Fantasie!« rief Schnepselmann aus und fuhr sich durch die Hare. »Doch nur kurze Zeit noch und Sie beziehen, ferne von diesen Straßen, die treffliche Wohnung, die ich für Sie gefunden. – Nun aber sprechen wir von ernsten Dingen.«

Hier hustete er wichtig bevor er fortfuhr und machte eine vorbereitende Pause. Dann hob er ernst den Kopf und begann: »Ich habe mich betreffs des sehr wichtigen Gegenstandes Ihrer möglichen Abkunft sorgfältig umgesehen und erkundigt! – So kleinlich manchmal die Anfangsumstände scheinen mögen, von der Oberfläche gesehen, so wenig darf man trotzdem und überhaupt, gerade als schlauer, vorsichtiger 152 Praktiker, einen Anknüpfungspunkt außer Acht lassen, weil man nie voraus weiß, auf welche große, wichtige Resultate und Entdeckungen er später führen könne! Da ist zuerst eine Drahtseiltänzerin, der vor circa dreißig Jahren, in der Jahreszahl ist sie noch nicht genau, ein Mädchen gestohlen worden sein soll; doch ist das Mädchen wahrscheinlich ein Knabe gewesen (sie hat das noch nicht ganz enträthselt) und ist nur zum Vortheile der Gesellschaft und Produktionen als Mädchen ausgegeben worden. Ob das Kind ihr eigen gewesen, da sie damals unverehelicht, will sie ebenfalls bisher nicht bestimmt zugeben, und über die Abkunft desselben schwebt ein besonderes misteriöses Dunkel. – Da ist zweitens die Frau Lichtzieherin aus dem Reiß-Schleitz-Greiz'schen gebürtig, welche sich sehr gut entsinnt, vor etwas mehr als dreißig Jahren gehört zu haben, daß in der Nähe ihres Geburtsortes, auf dem Schlosse einer hohen, gräflichen Familie, eine Verwechslung bei der Geburt stattgefunden habe und ein Mädchen statt des rechtmäßigen Knaben und Erbhalters unterschoben worden sein solle. Sie ist bereit auf unsere Kosten in ihre lange nicht gesehene Heimath abzureisen und dort, gegen Entschädigung, so lange genauere Erkundigungen einzuholen, als es uns nur selbst beliebt. – Drittens habe ich entdeckt, eine alte Frau, welche Amme in einer Seitenlinie des mediatisirten Hauses Bommel-Bimmelsberg war und anderthalb Jahre den jüngsten Bommel-Bimmelsberg aus ihrem eigenen Busen gesäugt. Sie hatte die Gewohnheit, täglich zum Vortheile ihres sehr durstigen Pfleglings, eine Flasche Doppelbier zu trinken, und ist fest überzeugt, eines Tages nicht mehr getrunken zu haben, jedoch erst des andern Morgens mit starkem Kopfweh erwacht zu sein, worauf sie, angeblich »wegen übler Gewohnheit,« 153 schleunigst entfernt und nimmer des geliebten Bommel-Sprößlings ansichtig geworden, was doch sicherlich nur eine geheimnißvolle Geschichte, eine Kindesvertauschung oder Unterdrückung sein könne. Abgesehen davon, daß sie noch jetzt sehr gut eine Flasche Doppelbier zu vertragen im Stande ist, ohne die geringsten Kopfschmerzen und sonstige Beschwerden, wovon sie Beweise zu liefern jeden Augenblick bereit ist! – Ferner habe ich entdeckt, eine Hebamme, welche in ein berühmtes Bankiershaus vor circa einigen und dreißig Jahren gerufen wurde und die Banquiersfrau als zuverlässig mit Zwillingen begabt erklärte. Sie hielt hierauf die Nachtwachen und spielte mit den vorausbestellten Ammen in einem Nebenzimmer Trick-Track. – Als sie den letzten Trumpf ausspielt – hört sie einen Lärm, sie eilt in's Schlafzimmer der Dame, aber da steht die Schwester der Bankiersfrau und hält ein Kind in Händen. Das Kind war aber kein Zwilling, sondern ein einfaches Kind, und es ging also nicht mit rechten Dingen zu; daher . . . .«

»Aber ich bitte Sie, lieber Schnepselmann,« unterbrach ihn Schwach, »wie können Sie nur solchen Dingen Wichtigkeit beimessen, oder wo treiben Sie das überhaupt auf?«

»Sorgfalt, Sorgfalt! – Und Wichtigkeit? Ha!« hier fuhr er sich durch die Hare, »haben nicht noch geringfügigere Umstände auf die Entdeckung großer Dinge geleitet? Darin liegt eben der Scharfsinn, die Sorgfalt, die Größe und Stärke: aus dem Kleinen das Große zu schließen und es zu finden! – Oh die Welt ist reich an Beispielen . . .« Und hier wollte er die abenteuerlichsten, allbekanntesten Dinge aufzählen.

»Lassen wir das,« unterbrach Schwach. »Ich bin 154 keineswegs abgeneigt, ein' oder den andern Schritt zu thun, um mich mehr oder minder – und sollte es selbst zu meinem Nachtheile sein – meiner Mutter zu versichern, und ich bat Sie allerdings, auch in dieser Beziehung etwas zu thun; aber . . .«

»Gut, Gut,« nahm ihm Schnepselmann das Wort. »Sie hatten unlängst die Güte mir zu sagen, daß Sie sich zu erinnern glauben, von der Höchstseligen vernommen zu haben, daß Sie im Sommer auf dem Lande in der Nähe der Stadt, als Sommerpartei geboren wurden. Ich habe daran gedacht, den dortigen Herrn Pfarrer zu besuchen, wegen etwaiger näherer Erhebungen; und wenn Sie geneigt sind . . .«

»So wollen wir zusammen dem Pfarrer eine Visite abstatten?«

»Wir Beide, oder ich besorge das Geschäft allein!«

»Ich werde mir das Vergnügen machen, in Ihrer Begleitung. Und wenn es Ihnen beliebt, werden wir dahin fahren.«

»Gut, bestimmen Sie den Tag nach Belieben, meine Zeit ist ganz für Sie!« –



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