August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Halb- und Zwischen-Capitel.

Fütterungs-Station für Leser und Gelesene – dann trabt die Geschichte weiter.

Ob Herr Schnepselmann dies absichtlich vom Standpunkte seines Heirathsbureau's arrangirt, oder ob ein 30 dunkles Schicksal die Lose selbst so warf, daß Herkules auf beiden Seiten, wie eine Sardelle mit Butter, mit je einer Witwe eingefaßt war, wird bis zum jüngsten Gerichte nicht klar werden. Nächst diesen Heirathsfähigen um den Heirathsfähigen, folgten: Fabius Eisenmagen, der kleine, dicke, kurzathmige Gewürzkrämer, dessen kahles Oberhaupt glänzte wie ein reifer Kürbis in schöner Mondnacht. – Madame Athanasia, des Genannten Frau, von der man behauptet, sie habe ihrem Manne nie ins Gesicht gesehen, so lange war sie und so weit über ihn hinwegschauend. – Herr Steuerbeamter Bremser mit drei, sage drei, nicht eben erst aufgeblühten Töchtern, welche grimmige Blicke auf die Witwen und selbst gegen einander schossen, wenn sie nicht bemerkt wurden, stets aber lächelten und schalkhaft unter einander kicherten, so oft sie Jemand zufällig ansah. – Frau Nachbarin Schlurre, unerschöpflich in Aufzählung reizender Züge aus dem Leben der Höchstseligen und eigener Orakelsprüche, die sie schon vor einer Reihe von Jahren über alle mögliche Fälle des Lebens gethan. – Der Gemüsegärtner Dragge, ein Verwandter so entfernten Grades, daß drei Postpferde denselben nicht in 24 Stunden erreicht hätten, außerordentliche Wunder in der Vernichtung der Grünen-Zebra-Produkte verrichtend. Dragge, als durch Verwandtschaft vom Schmerze tiefer berührt, aß nie ohne zu sprechen und sprach nie ohne zu essen, was also ein fortwährendes Essen und Sprechen ergab. Dabei bestrebte er sich besonders, die Gabel auf den Tisch zu stemmen und seine Stimme durch den Bissen im Munde noch gröber und hohlklingender zu machen, als sie ohnedieß war. – Ferner war zugegen eine Dame, von der »Niemand wußte, woher sie kam und wer sie war«, und die in »dieses Thal der guten Hirten keineswegs Jedem eine 31 Gabe brachte«, sondern im Gegentheile einen überraschenden Handbeutel mit sich führte, der weder einen Boden, noch überhaupt sicher anzugebende Grenzen erlangt zu haben schien, in den die Confecte jedoch verschwanden, als wären sie von der Spitze des Aetna in den Abgrund des Kraters gefallen. Daß sie Schnepselmann's Großmutter gewesen sei, wäre eine kühne, nicht gerechtfertigte Hypothese; jedoch nickte und zwinkerte sie Jedem so vertrauensvoll zu, und schüttelte ihr Haupt so vielsagend und grotesk nach allerlei Personen, die sie ihr Lebtag nicht gesehen, daß ihre Anwesenheit als eine reiche Quelle des allgemeinen Herzenstrostes angesehen werden konnte. – Herr Robert Blase, Comptoirist von Rübe & Comp., war ebenfalls gegenwärtig, mit einer erstaunlichen Frisur und unübertrefflichen Westenknöpfen, von deren niederschmetternder Wirkung auf Damenherzen er so überzeugt war, daß er sich nicht bemühte ein Wort zu reden und siegesgewiß die Beine, wie ein schlafender Mops, von sich streckte, während er den Rücken fest an die Sessellehne stemmte. – Dann zuletzt, neben noch einigen unbedeutenden Personen, welche es keineswegs an gutem Willen fehlen ließen, um durch ein gutes Beispiel den Leidtragenden zu beweisen, wie rasch alles Irdische verschwindet – zuletzt noch war vorhanden: Herr Dolfin Emmerich Fliege, Chokolademacher, bekannt, ja berühmt als Redner, nebst Gemahlin, ebenfalls entfernt verwandt, wie etwa Kamtschatka von Hindostan. Herr Fliege saß am unteren Ende des Tisches, quasi der Hauptperson gegenüber, als Reversstück, Gegengewicht und zweiter Deckel, in dem das Gesellschaftsbuch eingeklappt war.

Dieser Chokolademacher war eine so merkwürdige Person, daß wir nicht anders können, als ihn besonders 32 betrachten. – Präsident eines Vorstadt-Bürgervereins aus den Jahren der Vereine, hatte er zur Zeit den Grundsatz angenommen, daß Alles nach Grundsatz gehen müsse; und er ereiferte sich ungemein, wenn er betrachtete, wie lau die Welt in Allem, besonders in Rücksicht auf Grundsätze geworden. Lang, hager, mit einer Stimme begabt, welche der Wind täuschend nachzuahmen pflegte, wenn er Nachts durch eine enge Dachrinne strich, war seine Leidenschaft »reden«, »gewichtvoll«, »bedeutsam reden«! Und da er bemüht war, sich ein tiefernstes, »gesetztes« Ansehen zu geben, ließ er zu diesem Zwecke seiner hagern Person die Kleider so weit und schlotternd machen, daß man oft versucht war zu denken: in dem ganzen Kleidermagazine stecke wirklich nur eine Fliege, oder der Eigenthümer habe heute nur seinen Ausklopfstock in den Frack und die Beinkleider geschoben, den wahren leibhaften Chocolademacher aber zu Hause gelassen, bis auf Weiteres. Seine Frau schwur aber bei allen Nachbarinen hoch und theuer, ein gewisser »Motzenes«, (was von sehr berühmten Gelehrten, nach jahrelangen tiefen Forschungen, für Demosthenes enthüllt wurde) ein steinalter Grieche, sie wisse nicht genau ob ein unirter oder nicht unirter, aber sehr berühmt, habe in seinem Leben nicht die Hälfte so gute »Vulksreden« gehalten, als ihr Mann.

Einer der Grundsätze des Herrn Fliege war es auch heute, zu manifestiren, daß die Welt in Punkto Trauer viel zu leichtsinnig und grundsatzlos geworden. Er meinte, es sei Alles zu oberflächlich, zu wenig »demonstrativ«, und um seine eigenen Grundsätze gleich praktisch zu entfalten, war er schwarz vom Kopf bis zu den Füßen. Eine schwarze Hemdbrust streckte die schwarzen Jabotfalten äußerst demonstrativ aus der schwarzen Weste in die Luft hinaus 33 und ein schwarzes Halstuch war um den nicht weniger schwarzen Vatermörder gebunden, der schauerlich betrübt zu den Wolken emporstarrte. Schwarze lange Manschetten baumelten um seine schwarzen Handschuhe, und wenn er sein Taschentuch herauszog, um es bei dem leisesten demonstrativen Husten würdevoll vor dem Mund zu halten, erschreckte es durch seine Pech-Kohl-Raben-Schwärze alle Anwesenden. Seine Frau hätte nicht minder einem wohl ausgestatteten Raben den Rang ablaufen können; und wenn Allah, nach Mohameds Ausspruche, die schwärzeste Ameise in der schwärzesten Nacht auf dem schwärzesten Marmor entdecken kann, so sollte ihm dies vielleicht doch auf dem Chocolademacher sammt Gemalin schwieriger geworden sein!

Herkules hatte anfänglich keinen Appetit, saß still und war überhaupt von diesem neuen Kapitel seines Lebens ganz verwirrt. Aus der größten Einsamkeit, aus der gewohnten Ordnung seines Lebens in solche ungeahnte Ereignisse und eine solche Zahl von Personen hineinzukommen, war wirklich keine Kleinigkeit für ihn! Nachdem die Witwe rechter Hand aber mehrmals tief aus dem Innersten ihres Busens geseufzt und rasch die Augen auf den Teller bei der leisesten Vermuthung geheftet hatte, daß Herkules sie ansehen werde, was aber keineswegs geschah, entdeckte sie nun plötzlich, daß sie »wirklich« die allersaftigste und beste Schnitte des kalten Huhnes auf ihr Teller bekommen, und meinte, dieselbe müsse einem erschöpften Herrn, wie Herr Schwach, wahrhaft wohlthun! Die Witwe linker Hand schoß einen Blitz aus ihren Augen auf die Wittwe rechter Hand, und meinte rasch: kaltes Huhn thue einer angegriffenen Seele nicht gut; jedoch wisse sie, ein Stückchen Mandelkuchen, wie dieses auserlesene Stück, müsse das Gemüth des Herrn Schwach 34 aufrichten – sie kenne das aus Erfahrung bei ihrem Seligen, der wirklich eine sehr, sehr zarte Seele besaß. Dabei legte sie ihm den Mandelkuchen von links auf den Teller, von rechts langte das kalte Huhn an, und wenn im selben Augenblicke Gedanken Thaten gewesen wären, hätte sich rechts und links von Herkules der Boden sofort geöffnet und zwei untröstliche Witwen, nach deren gegenseitigem Wunsche, in seinen tiefsten Abgrund hinabgeschlungen!

Herkules dankte verlegen und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er Beides annahm und von jedem ein Stückchen hinabwürgte.

Das war ein Signal zu erneuertem Kampfe.

Die Witwe rechts ergriff eine Weinflasche und schenkte ihm zart das Glas voll, mit der entschiedensten Meinung: dies sei das rechte Mittel für ein bedrängtes Herz!

Die Witwe links war sofort gefaßt und schenkte ihm den mächtigsten Schoppen mit Wasser voll, tröpfelte einigen Citronensaft hinein und that zierlich Zucker dazu, dabei hoch und theuer versichernd, wenn Herkules sich selbst schätze und sich selbst bei Gesundheit erhalten wolle, (wenn er sich nicht selbst berücksichtigen wolle, seinetwegen, so möge er es doch wegen anderer Personen thun, die ihm nicht schlecht wollten um keinen, keinen Preis der Welt!) so möge er nichts als Wasser trinken, denn ihr seliger Chirurgus bei der leichten Reiterei, habe nie etwas anderes als Wasser getrunken und sei überhaupt ein Mann gewesen, desgleichen, sie wolle nicht behaupten es gerade Keinen, aber wirklich sehr, sehr Wenige (hiebei blickte sie bedeutungsvoll seitwärts nach Herkules) gebe!

In dieser Verlegenheit setzte der Gewürzkrämer zu rechter Zeit sein gewichtiges Wort ein und meinte: »Nur 35 Wein, nur Wein mein bester Herr Schwach! Sehen Sie mich an; ich bin nicht mehr jung und trinke zeitlebens Wein, und befinde mich wohl!« Um diese gediegene Meinung zu illustriren, setzte er sofort sein Weinglas an und trank es bis auf den letzten Tropfen leer. Der Steuerbeamte drückte sofort seine Meinung glänzend aus, indem er ebenfalls ein Glas leerte. Die älteste Tochter mit einem Ueberfluß an gekräuselten Locken und sehr geraden, hervorstehenden Halssehnen, sagte mit einer schalkhaften Kinderstimme: »Aber Papa!« Die jüngere flüsterte sofort: »Aber Papa!« und die allerjüngste (nicht zu verwechseln mit einer jungen) kicherte hierauf so schalkhaft und schüttelte das Lockenköpfchen so naiv, daß man sich fast überzeugt halten mußte, sie sehe zum erstenmale in ihrem Leben einen Menschen trinken und finde das außerordentlich spaßhaft!

Die Wasserwitwe sah sich total geschlagen, und mit einem Blicke, der eine erstaunliche Menge von Weiß unter ihrem Augapfel entwickelte, suchte sie an der Zimmerdecke den Seligen von der leichten Reiterei, ohne ihn aber daselbst zu finden.

Die Weinwitwe errichtete in ihrem Herzen sofort eine Batterie mit schwerem Geschütz. Ihr zu sagen was gut sei, meinte sie, wäre wirklich sehr vom Ueberflusse, und die bedeutende Schnupftabakdosenfabrik, sowie der berühmte Eigenthümer der privilegirten Schnupftabaksdosenmasse, ihr Höchstseliger, beständen alle beide heute noch, wohl und sicher, wenn es auf sie angekommen wäre; und ihr Höchstseliger hätte wirklich nicht die Hälfte so lange gelebt, wenn sie nicht gewesen wäre; aber . . . . . !

Hier fiel die leichte Reiterei, um nicht ganz aus dem Felde geschlagen zu werden, wieder ein, mit einem fest auf 36 ein Stück Kalbsbraten gerichteten Blicke und halber Stimme. »Die Männer seien alle . . . . so schlimm . . . so . . . schlimm . . . .«

In ähnlicher Weise ging das Gespräch und der Kampf fort. Es muß, zum höchsten Bedauern der andern Partei, gesagt werden: was das Mundwerk betraf, siegte die Dosenfabrik glänzend. Die leichte Reiterei wußte sich abermals nicht zu helfen. Da griff sie plötzlich wieder zu den entdeckten guten Bissen. Anderseits entdeckte man sofort ebenfalls welche; und von den Zufuhren von rechts und links häufte sich Herkules' Teller derart, daß er wirklich der berühmte Halbgott hätte sein müssen, um alle diese »besten Bissen« aufzuarbeiten.

Als aber der Gemüsegärtner von unten heraus, mit hohlem Basse, über die Weiber zu sprechen anfing, die »alle des Teufels sind« (dabei lachte er, daß der Bissen in seiner Wange in Gefahr war, wie ein Champagnerstöpsel knallend davon zu fliegen) da war es in den obern Regionen »aus«, oder »rein alle!«

Madame Mutzenberg (Dosenfabrik) meinte: was sie betreffe, müsse sie sagen, obwohl sie keine, durchaus keine Lust habe sich wieder zu verheirathen; so war ihr Ehestand doch so süß, und habe sie ihr Höchstseliger (sie solle es zwar nicht sagen, aber da die Wahrheit doch heraus muß und die ganze Nachbarschaft es weiß, so sage sie es doch) sie nie anders als meinen Zuckerengel, sein Goldkind und seine brillantene Glückseligkeit genannt!

Madame Bockbein (leichte Reiterei) seufzte tief auf, legte die Hand auf die Brust, bewegte das Haupt mehrmals nach rechts und links, wie eine Gipsfigur, deren Kopf auf Draht wackelt, und sagte sehr sentimental, mit einem 37 Blicke nach derselben Decke, wo sie vorhin den Höchstseligen vergeblich gesucht: »O das menschliche Herz, das arme schwache Weiberherz!« – Hierauf schüttelte sie wieder so nachdrücklich, daß der rührende Eindruck sicherlich selbst auf einem gebrannten Ziegelsteine zurückgeblieben wäre, wenn einer in ihrer Nähe vorräthig gewesen wäre.

Die drei steuer-, aber sonst nicht einnehmenden Töchter schlugen verschämt die Blicke zur Erde, oder sahen gelegentlich auf, als wollten sie den Papa fragen, wovon den eigentlich die Rede sei, und ob man das Ding zu kaufen bekomme, oder ob derlei in Persien wachse?

Herkules ward von der verwitweten Mutzenberg gefragt, ob er auch wirklich so alle, alle Weiber hasse; und als er höflichst darauf »o nein« erwiderte, neigte sie sich so bedeutungsvoll lächelnd nach seiner Seite, wie ein Eichhörnchen nach einer frischgeschälten Nuß.

Die Bockbein ward sofort melancholisch über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; und als die Mutzenberg sich noch mehr neigte, ward ihr bei der wiederholten »unsichern Zukunft« so heiß, daß sie ihr Haubenband öffnete (eine geöffnete Haube läßt sehr schwärmerisch), und in einem Nu darauf lag sie in einer kleinen Ohnmacht, mit der offenen Haube an Herkules' Brust und in seinen Armen.

Mutzenberg hätte sämmtliche zurückgebliebene Dosen ihres Höchstseligen um die Priorität dieses Schwindels gegeben und war im Begriffe, sofort von der anderen Seite in Ohnmacht zu fallen, als ihr jedoch plötzlich ein anderer Gedanke kam. Sie sprang auf, ergriff eine Wasserflasche und wollte die Hingeschwundene retten. Da warf diese glücklicherweise einen schmachtenden Blick von Schwach's stützendem Arm nach dessen Kinnspitze, erblickte zugleich das 38 Rettungswerk, und in einem Nu war sie zu vollem Bewußtsein gelangt und wieder aufgesprungen.

Die ganze Skala der Steuereinnehmung war indeß sofort zum Sukkurs herbeigesprungen und benützte die Gelegenheit sich bei der Genesenen, an der Seite des betrübten Erben, bemerkbar zu machen, obwohl dieselbe bereits schon wiederhergestellt war. Die Jüngste umarmte Bocksbergs und drückte mit ausgezeichnet vollbrachter Verschämtheit einen Kuß auf deren Stirne, die Mittlere arrangirte ihr das Halstuch, und die Aelteste fand es am besten den letzten und übrigen Weg zu wählen, zu seufzen und zu lispeln: »Arme Frau!«

Schnepselmann war ebenfalls sofort auf seinem Platze, und eine Flasche Lebensessenz mangelte nie seiner Brusttasche. Nachdem er einige Tropfen gegeben und die erstaunliche Wirkung an der nun ganz genesenen Bockbein der geehrten Gesellschaft erklärlich gemacht hatte, erzählte er noch mehrere Fälle, z. B., wie ein todtgeborenes Kind, nachdem man nur die Flasche an seine Seite gelegt, sofort von der Duftung durch den Stöpsel lebendig wurde und bis heute mit merkwürdigem Appetit lebt; wie ein in der Wüste Sahara Verschmachtender sich 14 Tage bloß mit 25 Tropfen erhielt u. s. f.

Die Mutzenberg raste in ihrem Innern, daß Bockbein so viel Aufmerksamkeit auf sich zog und von Herkules sehr theilnehmend angesehen wurde; sie schwur sich hoch und theuer, keine Andere solle ihr je im Leben mit einer Ohnmacht zuvor kommen, und begann verwirrt zu werden.

Nun hielt es Schnepselmann für gemessen mit den ernsteren Dingen hervorzutreten! 39

* * *

Es thue ihm leid, sagte Schnepselmann, die so fröhlich und vergnügt beisammen sitzende Gesellschaft wieder an den Ernst des Lebens erinnern zu müssen, und an den herzzerschmetternden Fall, der sie Alle, Alle getroffen, er nehme Keinen aus! Denn wer hätte die Selige nur einmal gesehen und bewahrte ihr nicht ein unaussprechliches Andenken? Aber sein unschätzbarer und inniger Freund (hier schüttelte er Herkules die Hand, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte er ihn sofort öffentlich umarmt), sein unschätzbarer und inniger Freund (wiederholte er) habe nach einer Berathung mit ihm beschlossen, den letzten Willen der Höchstseligen öffentlich zum Vorschein zu bringen und mitzutheilen, damit sich alle Verwandte und Bekannte, gute Freunde und Theilnehmer, ja ganz Europa, ja die ganze Welt (und er habe diese nicht zu fürchten in seiner Sonnenklarheit!) überzeugen mögen, daß er nicht mit dem Kleinsten hinter dem Berge halte, oder etwa Jemanden benachtheilige!

Daß Hugo Schnepselmann hauptsächlich wissen wolle, wie es in gewissen Punkten stehe, und daß er bis zur größten Selbstberuhigung Kenntniß von Barschaften, sämmtlichen Hinterlassenschaften, &c. zu haben wünsche, verschwieg er.

Daß sein edler Freund, fuhr er fort, ihm das Arrangement des Ganzen überlassen habe, zeige von einem Vertrauen, das ihn, Schnepselmann, höchst rühre (hier wischte er die Augen mit einem großartigen Sacktuche), abgesehen davon, daß es ihm in den Augen der geehrten Gesellschaft ja ebenfalls ganz Europa's und der ganzen Welt, ein äußerst ehrenwerthes Zeugniß gebe, das man ihm nickt aus dem Herzen zu reißen im Stande sein werde, und sollte man ihn 40 viertheilen und seine Stücke auf den vier Zinnen der vier höchsten Stadtthürme je einzeln aufstecken! (»Wird nicht geschehen, wird nicht geschehen!« warf ihm trostvoll der Gewürzkrämer ein.) Diesem ehrenden Vertrauen zufolge habe er, nachdem sich in Kisten und Kasten nichts Testamentähnliches gefunden, beschlossen, einen gewissen Fußschemel nicht aus den Augen zu lassen, da demselben die Höchstselige in den letzten Augenblicken ihres liebenswürdigen Daseins eine Theilnahme und Aufmerksamkeit zugewendet, die Keinem, der eine so große Hochachtung vor der Höchstseligen hege wie er, und nebstdem eine sohin gebende Freundschaft für ihren geehrten Nachkommen, dessen Namen er preisend nennen werde, und wenn sämmtliche Mächte der Welt mit Waffen gerüstet gegen ihn aufständen um es zu verhindern (»Niemals! Niemals!« rief wieder der Gewürzkrämer und stürzte ein Glas zur Bekräftigung in sich hinein. Schnepselmann focht mit seinem spitzigen Ellenbogen so in der Luft, als rückten die Armeen bereits an, und müsse er sie sofort in die Wolken zurückdrängen) die Keinem, sage er, haben entgehen können!«

Hier winkte er nun seiner Gemahlin, die inmitten der Arrieregarde der am Schmause Gesättigten saß. In einem Augenblicke ward von ihr der alte schäbige Fußschemel zum Vorschein gebracht.

Hier sei nun der Fußschemel, fuhr Schnepselmann fort, und er müsse die geehrte Gesellschaft um Verzeihung bitten, für die That: einen Schemel, der nur zu Füssen gehöre, auf eine Tafel zu bringen. Aber er bitte zu gleicher Zeit zu bedenken, daß der Schemel von der Höchstseligen käme und schon dies ihm jene Liebenswürdigkeit beigebe, die ihm sonst mangeln würde. Ferner sei zu beachten, 41 daß der Schemel einmal zu dieser Gelegenheit ein unentbehrliches Stück sei!

Nach diesen Worten zog Schnepselmann aus der Brusttasche, mit Einem Schwunge, ein furchtbar langes Vorschneidemesser, dessen frischer Schliff so grausam glänzte, daß die drei Töchter auf einmal »Ach!« ausstießen, die Bockbein in Ohnmacht zu schwinden geneigt war, und die Mutzenberg die Arme ausstreckte, als wolle sie den hinterlassenen Erben schützen, daß man ihn nicht sofort zerlege.

Schnepselmann lächelte, schwang das Messer wie einen Perpendikel hin und her, zum Zeichen, daß man nicht bange zu sein brauche, und fuhr fort:

»Mit diesem Instrumente werde ich gleich, vor den Augen aller Anwesenden, den Inhalt des nun hier befindlichen Fußschemels zum Vorschein bringen. Da sich außen durchaus nichts Merkwürdiges befindet, bin ich nach reiflichem Nachdenken zum Schlusse gekommen, daß, da außen nichts ist, möglicherweise etwas innen sein könnte!«

Mit einem barbarischen Schnitte durchfuhr er das Leder in der Mitte, wie ein geübter Chirurg sich etwa bei einer kühnen Operation benimmt, fuhr sofort das Leder auch über kreuz durch, griff mit aufgeschürzten Händen hinein und brachte – ein Bündel Kuhhare zum Vorschein, deren lang gefesselter Staub die Gelegenheit benützte, sofort in einer Wolke aufzuschweben und sich den Nasen der sämmtlichen Anwesenden angelegentlichst zu empfehlen.

Die Gäste männlichen und weiblichen Geschlechts, besonders der Gemüsegärtner und der Chocolademacher, als Legatehoffende Anverwandte, streckten die Hälse zur doppelten Länge und hefteten stiere Blicke auf die Kuhhare. 42

»Hier«, rief Schnepselmann, jedes Wort wie ein Lizitator mit besonderem Nachdrucke belegend – »hier . . . . ist . . . . (er tastete mit den Fingern in den Kuhharen sorgfältig herum) ist . . . . (die Gesellschaft hielt den Athem an) . . . . nichts!« (Hörbares Athemschnaufen und ein wüthender Blick vom Chocolademacher).

Noch einmal griff Schnepselmann hinein, noch einmal Kuhhare und Staub; – wiederholt Staub mit Kuhharen; – tieferes Tasten und Greifen; – der letzte Staub mit den letzten Kuhharen; – ein plötzliches »Ha!« von Hugo Schnepselmann, ein kleiner Gegenstand blitzte in seiner Hand: »hier ist«, rief er triumphirend, »ein . . . . ein Schlüssel!«

»Ohhhh!« entfuhr es Mehreren aus der Gesellschaft, und Herkules besah erstaunt den Schlüssel, von dessen Existenz er keine Ahnung gehabt hatte.

»Kennen Sie den Schlüssel?« fragte der Redner sofort.

Herkules verneinte mit einem Kopfschütteln. Die ganze Gesellschaft schwieg und wartete neugierig gespannt. Selbst Schnepselmann war eine Weile verblüfft, legte nachdenkend den Finger an die lange Nase und heftete einen solchen Blick auf den Schlüssel, als wollte er ihm sagen: Du bist kein Thalerschein, kein Statspapier, keine Instruktion, Du bist ein Schlüssel, heraus mit der Sprache, wo gehörst Du hin, wo bist Du her? – Als aber der Schlüssel mit eiserner Hartnäckigkeit sich weigerte nur den geringsten Ton, geschweige denn eine vollständig genügende Aufklärung von sich zu geben, und nicht einmal in den Bart brummte, zuckte es plötzlich aus Schnepselmann's Mienen und Augen. »Ja!« rief er aus, drückte den Finger fest an die Nase und schnellte ihn wieder weg, als wäre er daselbst auf einen 43 Stachel gestoßen, »Ja! ein Schlüssel gehört zu einem Schloß, ein Schloß gehört zu einem Schlüssel und . . . . (hier sah er, daß sein glänzender Gedanke sich verfinsterte) und ein Schloß muß irgendwo sein . . . aber . . . aber wo?«

Wieder stumme Pause.

»Haben Sie, hochgeehrtester Freund« (hier sprach er Herkules wieder an) »in den letzten Tagen, oder jemals ein Behältniß gefunden, das Sie nicht öffnen gekonnt (Verdacht gegen Herkules tauchte in ihm auf), ein Möbel das Ihnen geheimnißvoll geschienen; haben Sie nie von einem verborgenen Fache, Mauerschranke, Schmuckkästchen, &c. gehört?«

»Niemals, niemals,« entgegnete Herkules.

»Ha!« stieß wieder Schnepselmann aus. »Meine Herren und Damen! Ich muß Sie benachrichtigen, daß ich, aus Hochachtung für die Hingeschiedene, es für meine Pflicht hielt, einen Liebling dem Leichenzuge in einem eigenen Wagen beiwohnen und nachfahren zu lassen. Meine geliebte Gemalin Rosalie wird so gut sein das liebenswürdige Geschöpf, das ich so hoch achte wie ein Trauerpferd bei einem Leichenzuge, aus dem Wagen zu holen . . . . es ist dies, es ist dies . . . . ein Pudel!« Und hier schwang er das blitzende Messer so furchtbar, daß die Bockbein, welche durch ihren Seligen etwas von der Anatomie wußte, aufschrie: »Oh, Oh! Sie werden doch keinen Pudel vor uns aufschneiden!?« Und schon zog sie an den Haubenbändern, um wiederholt nach Herkules' Seite in Ohnmacht zu fallen.

Ein auf der höchsten Spitze einer Weiberstimme schwebender Schrei, erschreckte jedoch plötzlich die Gesellschaft, und die Mutzenberg, von der er kam, war eben im Begriff ebenfalls nach Herkules' Brust in Ohnmacht zu fallen. Aber 44 Schnepselmann, rasch wie ein Blitz, warf das Messer vor sich auf den Tisch, fing die Mutzenberg in den Armen auf und brachte ihr sofort die Lebensessenz an die Nase.

Die Chirurgie triumphirte mit einem durchborenden Blicke, und die Dosenfabrik konnte sich in stiller Wuth nicht enthalten, sogleich beim Erwachen und Aufrichten, den Retter in den Arm zu kneipen, so daß er sofort Gebrauch von seinem Elefantenknochenmarkpflaster hätte machen können und wochenlang später einen blauen Fleck an der Stelle mit sich trug.

Nachdem Alles rasch wieder in Ordnung gebracht war und sämmtliche männliche Individuen, weibliche nicht viel weniger, sich durch ein Glas gestärkt hatten, begann Schnepselmann auf seinem vorigen Platze, nach einigem Husten und Räuspern abermals: »Ein Pudel, meine Verehrtesten, war mein letztes Wort (und als er die Bockbein wieder schwach werden sah, setzte er sofort mit einer Raschheit hinzu, als könnte er einen Fehler nicht schnell genug wieder gut machen), d. h. kein Pudel, das heißt überhaupt kein lebendes Wesen, (die Damengesichter erheiterten sich) es ist nur die Erscheinung eines solchen, es ist dies ein ausgestopfter, wirklich ungewöhnlich liebenswürdiger Pudel!«

Nun kam der Pudel bereits, von Rosalie getragen und mit einem ungeheueren schwarzen Flor geschmückt, zur Thüre herein. Als sie denselben vor ihren Gemal auf den Tisch setzte, und gar als dieser Gemal, bereits bekannt mit einer Druckfeder an dem Gestelle, diese berührte, und der Pudel, süß-selig von einem getrockneten Ohre bis zum andern lächelnd, sich herumzudrehen begann, war des Betrachens und Staunens kein Ende!

»Welch ein liebenswürdiges Thierchen!« rief Bockbein 45 aus und streichelte seinen alten, zottigen, staubigen Pelz. Die Mutzenberg streichelte ebenfalls. »Das gute Gesicht! Wie ein Vögelchen!« – Da warf die Bockbein rasch wieder einen vernichtenden Blick auf sie, und faßte, wie sie überhaupt an Gedankenraschheit ihrer Gegnerin überlegen war, ein Messer, schnitt dem Pudel eine Locke ab und barg dieselbe mit großer Sorgfalt und Zartheit in ein zierliches Medaillon. – Dosenfabrik geschlagen!

»Caro!« rief eine Nachbarin den seligen Pudel an, den sie im Leben wohl gekannt, aber seit mehr als einem Dezennium nicht mehr gesehen haben mochte. Dies brachte Einige zum Lachen und unterbrach einen Augenblick den feierlichen Ernst der Versammlung. Die Nachbarin hinderte dies jedoch nicht, sofort von merkwürdigen Abenteuern zwischen ihr und Caro zu beginnen.

Schnepselmann fuhr aber hinter dem Pudel, der gelassen fortdrehte, mit lauter Stimme in seiner Rede weiter: »Dieses liebenswürdige Thier hatte sich, wie ich schon erwähnte, einer merkwürdigen Aufmerksamkeit von der Höchstseligen zu erfreuen, und es leitet mich nun, da sonst keine wesentlichen Papiere, oder . . .oder . . . . (Gelder wollte er sagen, ersetzte aber sofort:) sonstige Dinge zum Vorschein kamen, auf den Gedanken, daß es vielleicht Seltsamkeiten enthalten möge. – Erlauben Sie mir, meine Herrschaften, daß ich ihn vor Ihrer Aller Augen prüfe!« – Als Schnepselmann ihn nun an allen Seiten besah, hielten es die Steuereinnehmerischen für Wirkung machend, die Blicke verschämt nach den Tellern zu senken, oder sich, liebenswürdig lächelnd, gegenseitig die Locken zu ordnen.

Schnepselmann suchte und fand außen nichts Besonderes. Schon schwang er das blitzende Schneidewerkzeug, 46 als ihm rasch ein Gedanke kam. Er legte das Messer nieder, hob die Ohrlappen des Pudels in die Höhe und sah hinein. Dann, mit einigem Zögern, und rings auf die Damen gerichtetem Blicke, berührte er die Fahnenspitze. »Nicht doch!« übereilte sich die jüngste Aemtliche und brachte ein lautes Lachen hervor. Die älteste der Schwestern suchte einen schicklichen Ort zu einem wenigstens leisen Anfalle von Ohnmacht. – Entschlossen griff nun Schnepselmann nach dem im Leben so Beweglichen, jetzt so Starren, und guckte unter das angewachsene, verlängerte Ende hin. Der Gemüsegärtner erschütterte die Tafel durch ein »Hohoho!« welches Lachen seinen ganzen Körper in sulzartige Bewegung versetzte und von einem rasch erfolgenden Husten, durch einen eben falsch verschluckten Bissen verursacht, gefolgt wurde.

»Ernsthaft! gemessen! Würde!« rief der schwarze Chocolademacher von unten herauf mit Wucht.

Währenddem hatte Schnepselmann sorgfältiger geguckt. – »Ich hab's, ich hab's!« rief er triumphirend, faßte den Pudel bei Schopf und Ohren, und hob ihn mit einem Ruck in die Höhe. Das Postament blieb auf dem Tische, eine eiserne Spitze aus seinem Mittelpunkte, gleich einem Blitzableiter emporstreckend. Der nun von der Achse gelöste Pudel schwebte in Schnepselmann's Händen. Dieser warf ihn nun rasch auf Bauch und Nase vor sich hin, hob ihm mit einer Hand den Perpendikel entschieden in die Höhe, steckte ihm den Schlüssel gerade aus in eine daselbst befindliche kleine Oeffnung . . . . . ein Schloß knarrte, und ein Deckel, welcher den Pudel scheinbar befestigte, sprang auf.

Ein allgemeines »Ah!« – Selbst Herkules konnte sich nicht enthalten neugierig hinzusehen und drückte gespannte 47 Erwartung in seinen Zügen aus. Der neue Columbus schürzte sofort wieder die Aermel auf und fuhr entschieden von unten in das Innere, dem Pudel nach der Höhle aufwärts.

Als ob er in eine Aschenpfanne gegriffen und daselbst unvermuthet mit den Fingern Gluth entdeckt hätte, fuhr Schnepselmann rasch mit der Hand wieder zurück – und in derselben schwang er ein Bündel von Papier.

Noch größeres »Ah!« – Der Chocolademacher rief, sich selbst vergessend, »Genial!« und beschloß rasch im Innern, dem Manne, von seinem nun kommenden Legate, etwas zufließen zu lassen.

Das Bündel erwies sich als mit mehreren Siegeln gesiegelt, und sehr höflich legte der mit stolzstrahlenden Blicken umhersehende Agent dasselbe der Hauptperson vor. Herkules bedeutete, halb verwirrt, halb vertrauensvoll, dem Entdecker es selbst zu öffnen. Mit genialem Schnitte löste dieser wieder die Schnüre, knisternd krabbelte er die Siegel ab, und andere Papierhüllen kamen zum Vorschein. Noch Papier und noch Siegel und noch Schnüre. – Noch Schnüre und wiederholt Siegel und Papier. – Zur Abwechslung abermals Papier, Schnüre und Siegel. – Die Gesellschaft schien auf eine betrübende Enttäuschung schon gefaßt zu sein. – Endlich nahmen Schnüre und Siegellack ein Ende, und blos Papier blieb noch zurück. Dies entfernt – und mit einem Gespensterblicke las Hugo, aus einer Aufschrift in Krähenfüßen – 60,000!

»Sechzigtausend!« rief es wie aus Einer Kehle von der ganzen Gesellschaft. »Bravo!« rief unbesonnen der legatgierige Gemüsegärtner. Schickliche Gelegenheit zur Ohnmacht war auf keiner Seite vorhanden. 48

Herkules starrte erst darein, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sah dann bald Schnepselmann, bald den Hund, bald einen Anwesenden nach dem andern an, und hatte den Ausdruck, als wollte er, aus seinem urdeutschen Gemüthe heraus, sagen: »um Gotteswillen lasset mich los, da geht es nicht mit richtigen Dingen zu; oder hättet ihr es gelassen wo es war und mich nicht so verlegen gemacht!«

Schnepselmann, mit feurigen Blicken, durchblätterte die Papiere. Die Werthsumme war richtig in Staatspapieren; aber kein Sterbenswörtchen sonst war dabei geschrieben. – »Kein Testament, keine besondere Verfügung, nichts, nichts!« rief er aus. »Ich gratulire, Herr einziger, ausschließlicher, unwiderruflicher Universalerbe! . . . und Freund!« setzte er rasch hinzu.

Der Chocolademacher ward nun noch schwarz an der einzigen Stelle wo er es bisher nicht war, im Gesichte, und sank mehr als er sich lehnte, von Aufregung erschöpft, an die Rücklehne seines Sessels zurück. Der Gemüsegärtner starrte einen Augenblick wild vor sich hin. Dann ergriff er die Gabel und spießte ein gewaltiges Stück Kalbfleisch aus der Schüssel hervor.

»Sechzig Tausend!« rief Rübe & Compagnies Mann mit den vernichtenden Westenknöpfen aus; das einzige Wort, das er während der ganzen Tafel gesprochen, und zog die Mopsbeine an sich.

Die räthselhafte Dame mit dem erstaunlichen Handbeutel, murmelte, den Kopf schüttelnd, »60,000!« und schob ein Stück Eßware nach dem andern in diesen unausfüllbaren Schlund, als zähle sie die Stücke, die bereits hinabgegleitet. Die Nachbarin wälzte eine Lawine von Erlebnissen mit der Seligen auf sie. Witwe Bockbein und detto Mutzenberg 49 arbeiteten innerlich wie Dampfmaschinen mit verdoppelten Kräften. Nun war beiderseits wirklicher Schwindel im Anzuge, aber zum Vorschein keineswegs rathsam. Höchst merkwürdig waren die Gedanken die sie durchkreuzten, und es ist jammerschade, daß beide Damen keine Memoiren überhaupt und besonders über diesen nicht unwichtigen Moment hinterlassen haben.

Schnepselmann fühlte wie ein Gott! Er hätte aus sich selbst herausspringen und seine eigene Haut umarmen mögen. Er fuhr bald mit dieser, bald mit jener Hand durch seine dünnen Hare und spießte sie nach allen erdenklichen Seiten. Bald wollte er, in kreisendem Gedankenwirbel, das Messer in den Mund stecken und daraus trinken; bald griff er, statt zur Schüssel, nach dem Pudel, um sich ein Stück davon zum essen zu nehmen. Dann schenkte er in ein Glas so lange ein, bis die halbe Flasche auf den Tisch rann und er erst zuletzt bemerkte, daß das Glas seinem Nachbar gehöre. Dann sagte er zur Mutzenberg, anstatt zu seiner Frau, »Du, liebes Weib!« – Dann griff er nach den Werthpapieren, statt nach seinem Schnupftuche, um sich die Nase zu wischen. Hierauf tunkte er ein Stück saure Rindszunge, statt des Kuchens, in den Wein und wollte ihn in die Brusttasche schieben, an Stelle des Mundes. Endlich verging ihm fast alles Essen und Trinken, Hören und Sehen, und er ließ sich erschöpft in einen Stuhl sinken.

Die beiden rastlosen Damen bemächtigten sich sofort seiner und überboten sich in zarten Aufmerksamkeiten gegen den »guten, guten Herrn Schnepselmann!«

Große Geister fühlen jedoch die Verantwortlichkeit, welche sie auf ihre Schulter geladen, und was sie dem Wohle der Welt schuldig sind. Einen Augenblick rastete 50 Schnepselmann, dann erhob er sich neugestärkt zum weitern Feldzuge und abschließenden Siege nebst Siegesfeste. Die Gesellschaft in ihren Theilen staunte verblüfft, flüsterte heimlich, war enttäuscht, überrascht, verwirrt. Ihre Aufmerksamkeit wieder nach einem Ziele zu lenken, war das Werk eines Augenblickes, seiten Schnepselmann's. Er ergriff ein Glas, brachte in wohlgesetzten Reden Gesundheiten aus, ließ die Höchstselige leben, den Pudel, die Verwandten, seinen intimen Freund den Erben, die liebenswürdigen Damen, die diesen Kreis verschönen (die Eigenthümerin des Beutels nickte stark mit dem Kopfe nach ihm hinauf), die Vergangenheit und Zukunft, Alles was die Anwesenden lieben (ohne zarten Gefühlen nahe treten zu wollen), die Glückselige, welche vielleicht noch nicht geboren sei, oder vielleicht unter den Anwesenden, vielleicht auch in Australien oder sonst wo sich befinde, aber den einzelnstehenden, gefeierten Freund beglücken möge, wie er es wünsche! – »Wir auch! Wir auch!« riefen mehrere Damen und nippten merkwürdig rasch an den Gläsern.

Es regnete Bravo's, Händeklatschen und noch mehr regnete es in die Kehle hinab. Hier war wahrhafter Platzregen. Der Steuereinnehmer verstieg sich zur geistreichsten Höhe und brachte auf Schnepselmann ein »Hoch!« aus, in das die Töchter so dünn und scharf einfielen, daß einige ober ihnen sumsende Fliegen sofort, in zwei Hälften geschnitten, aus der Luft auf den Tisch herabstürzten. Der Komptoirist unterstützte zugleich, höchst galant, ihr Hoch, und die ganze Gesellschaft (den Chocolademacher nebst Gemalin will man nicht gehört haben), konnte in Hochs für Schnepselmann kein Ende finden.

Nun fand es der Gewürzkrämer für angemessen, sein 51 Rednertalent glänzen zu lassen. Er stand auf, und von hier ab war es wirklich Verläumdung, wenn man behauptete, er habe nie seiner Frau oder seine Frau nie ihm in's Gesicht gesehen. Denn sowie er aufrecht stand und sie neben ihm saß, befanden sich Beider Nasenspitzen auf gleicher Höhe des Niveaus.

»Fritze, Du wirst Dich verkühlen!« sagte seine Frau rasch, welche keine schmeichelhafte Meinung von dem Rednertalente ihres Mannes zu haben schien, und mit einer Hand zeigte sie nach einem sehr entfernten offenen Fenster, während sie mit der andern ihn hinten am Frackschoße niederzuziehen suchte, was ihr, zur allgemeinen Zufriedenheit, gelang.

War es der Grimm, der im schwarzen Chocolademacher wüthete und den er in der Vernichtung des die Erbschaftskosten erhöhenden Weines auslies, oder war es Selbstanfeuerung zur Rede, daß er viel mehr trank seit der Gewißheit, es sei weder Testament noch Klausel vorhanden – genug, jetzt fühlte er den großen Moment gekommen, wo seine Grundsätze entwickelt werden mußten, wo es durchaus nothwendig war, daß er eine wichtige »Demonstration« in würdenvollen Worten, zum Staunen aller Anwesenden, loslasse!

Die weiten Kleider arangirten sich, als er sich erhob, neuerdings in mächtige Falten, wie die des Pierrot in der Pantomime, nur mit dem Unterschiede der schwarzen und weißen Farbe. Fliege reckte sich, streckte eine Hand von sich, daß sein Frackärmel aussah, wie eine weite schwarze Ofenröhre, in der ein Besenstiel stecken geblieben, und begann, etwas wackelnd: »Meine Herren . . . (Pause) meine Damen (abermals Pause und hier hustete er würdevoll) da . . . . . . 52 jedoch . . . . nicht nur . . . . das heißt . . . . obwohl . . . . doch warum . . . . denn allerdings . . . . Wenn . . . . den Grundsatz wohlverstanden . . . . daß . . . . wobei jedoch zu bemerken . . . . sondern auch . . . . in dem Falle nicht zu verkennen . . . . wodurch . . . . im Einzelnen betrachtet . . . . daß . . . .«

Schnepselmann erkannte hier nun das Befinden seines Mannes und fiel mit einem »Vivat!« ein. Die Gewürzkrämerin lachte »demonstrativ«, daß sich der Chocolademacher unterfangen gewollt, ihren Mann zu überbieten. Fortwährendes Vivat und Gläserklirren erstickte den Rest jeder Rede. Jedoch konnte sich der Chocolademacher nicht enthalten, durch den Lärm hindurchzurufen: »Sie haben mich verstanden . . . . ich habe gesprochen!« Als er sich hierauf niedersetzte, strich er so scharf das Stuhlende, daß er, wenn seine Gemalin den »Motzenes« nicht unterstützt hätte, auf den Boden gekommen wäre.

Die Gesellschaft entfernte sich nun, die Kinder kamen Jedem unter die Beine, und Hüte und Tücher wurden verwechselt. Die Witwen, die Töchter, nahmen bedeutungsvollen Abschied.

Die Nachbarin verschob ihre Sagen auf Weiteres, die Beuteldame verschwand spurlos, der Gemüsepfleger ging geradeaus, unbekümmert seiner Wege, die Steuereinnehmer gingen mit verächtlichen Blicken an allen Weibern vorüber, der Thüre zu, Rübe's Comptoirgenie stand stumm, aber mit schmachtendem Blicke und einer mächtigen brennenden Cigarre am grünen Zebrathore, und er sah den drei Grazien so lange nach, bis sie ihm ganz entschwanden, dann stürzte er, den Kopf voraus wie ein Jagdhund im Winde, einem Kaffeehause zu, um brühwarm daselbst von den ungeheuern 53 Eroberungen zu erzählen, die er gemacht, den Rendezvous die er erhalten, und nächst seinen wunderbaren Westenknöpfen noch eine Rosaschleife zu zeigen, die er eben von einer sehr liebenswürdigen Dame erhalten, welche Schleife aber den Silbergroschen, den sie ihm an Kosten einst verursachte, bereits oftmals bei solchen Gelegenheiten redlich verdient hatte.

Die Mutzenberg versicherte ihren Begleitern auf dem Nachhausewege, daß sie durchaus nicht ans Heirathen denke, aber die Bockbein sich auffallend, auffallend benommen habe; und wenn es ihr, der Mutzenberg, darum zu thun gewesen wäre, hätte sie, mit einem einzigen zärtlichen Blick auf Herrn Schwach, jene »Kreatur« vernichtet, was ihr aber aus Mitleiden nicht eingefallen sei!

Die Bockbein versicherte ihrer Nachbarin, daß sie durchaus nicht ans Heirathen denke; aber die Mutzenberg habe sich auffallend benommen; und hätte sie, Bockbein, irgend welche Absichten auf den ledigen Herrn Schwach gehabt, so hätte ein freundliches Lächeln ihrerseits nach ihm, alle »Kreaturen«, welche Mutzenberg heißen, rein von der Erde hinweggefegt, als wären sie nie auf der Welt vorhanden gewesen, was sie aber aus Mitleiden nicht habe thun wollen!

Der Chocolademacher, zu Hause angelangt, schopfbeutelte seinen Lehrjungen, der eben sehr ruhig Cacao in einem Mörser stieß, ohne daß derselbe bis heute weiß, warum, aber doch derart »demonstrativ«, daß die Zähne wackelten. Dabei äußerte Fliege den Grundsatz: daß jenes Volk nicht werth sei, daß man sich in Trauer, ja noch dazu in Kosten für eigens angefertigte Trauervatermörder und Schnupftücher setze. – 54

»Aber gezeigt hast Du ihnen, daß Du reden kannst, Motzenes!« sagte seine Frau.



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