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Die Akademie, deren Mechaniker, Musiker, Humanisten, Naturforscher, Nationalökonomen, kurz deren ordentliche und ein außerordentlicher Akademiker.
»Mein verehrtester Herr Schwach!« sagte Schnepselmann, als er dem Genannten wieder gegenüberstand. »Zweierlei Dinge thun Ihnen noth. Erstens müssen Sie diese Wohnung und dieses Stadtviertel verlassen, denn abgesehen davon, daß beide Ihrer nicht mehr würdig sind, gehen die ungeheuerlichsten Gerüchte über das Kolossale Ihrer Erbschaft hier herum und steigern sich, zu Ihrer Beunruhigung, von Tag zu Tag. – Oh!« rief Schnepselmann aus, »wer war nur Derjenige, der so voreilig geschwätzt!« Und dabei warf er Blicke in die Luft, als suche er den Unbekannten. »Zweitens«, fuhr er fort, »als Mann feiner Welt, thun Ihnen würdige Zerstreuungen noth, Bekanntschaften, welche hoch ehren, indem sie zugleich unterhalten. Um dies zu erreichen, um Sie gleich heute auf das Niveau einer höheren, geistvolleren Gesellschaft zu heben und Sie zu vergnügen, habe ich beschlossen Sie in die ›Akademie‹ einzuführen.«
»In die Akademie?« rief Herkules erstaunt. 100
Stellen Sie sich nicht die fürstliche Akademie der bezopften und besoldeten Professoren vor, diese langweilige Versammlung von noch langweiligeren Gesellen, die nichts zu thun wissen, als Orden und Gehalte anzunehmen. Die Akademie von der ich spreche, das ist die wahre, einzige und unläugbare Akademie, Versammlung von geistvollen Männern, das wahre Depot, Magazin und Musterlager von Genies! Glauben Sie mir, wenn man den geringsten dieser genialen Köpfe auf eine Geistwage legen würde – die besoldeten und besternten Professoren würden dagegen in die Höhe schnellen, wie ein Strohhalm. Was sage ich wie ein ganzer Strohhalm – wie ein halber, wie ein viertel, achtel, sechzehntel Strohhalm gegen einen Heubund! – Da ist die wahre Akademie, die wahre Genialität; und wenn der Neid auch stets die Anerkennung versagen wird, die Akademie ist deßwegen kein geringfügigeres Institut.
»Was Sie sagen!«
»Ganz wie ich Ihnen sage. Und wenn auch ich ausgenommen bin, natürlich nur als äußeres Mitglied; so verdankt meine Wenigkeit dies bloß der Eigenschaft als Amateur, als Kunstanhänger, Beförderer. Denn meine Stellung bringt es mit sich, mit allerlei Menschen zu thun haben zu müssen, und es ist für Unsereins nichts so angenehm und in höherer, so wie in gewöhnlicher Beziehung nutzbringend, als mit Genies Bekanntschaft zu schließen, sie zu befördern! – Sie wissen sicherlich von geringfügigen Männern, welche unbekannten Talenten ihr Wohlwollen und ihre Unterstützung verliehen, später aber in der Stellung, und wo dies nicht, wenigstens in der Geschichte der Kultur, mit ihren Namen, vor den Augen aller Welt prangten! So bestrebe auch ich mich, einerseits schon aus angeborener Neigung und Liebe 101 zu schönen Künsten und Wissenschaften, sowie deren Trägern und Repräsentanten, anderseits aber aus einem geschäftlichen Gesichtspunkte, an die einzelnen jungen Männer der Akademie mich anzuschließen. Denn, wer weiß, was sich ereignet, was aus den jungen Leuten noch wird! Und Schnepselmann, Einer der Wenigen, der sie würdigt, gelangt dann mit ihnen, von Verborgenheit und Unbekanntheit, plötzlich auf die Höhe, ja an die Spitze des Jahrhunderts!«
Bei diesem großartigen Schlusse hätten die herumgewirbelten und zerzausten Hare sicherlich geseufzt, oder um Erbarmen gefleht, wenn sie nur den geringsten Ausdruck besessen hätten.
»Da ist Bretzel der Mechaniker, von dem ich Ihnen eine kleine Probe des Talentes bereits vorzulegen die Ehre hatte; sie ist aber wirklich Kleinigkeit gegen die zahlreichen andern Projekte seines Genies. – Da ist Pufski der Geograph und Psicholog. Da ist Winsele der Musiker, Nasius der Naturforscher, Flappe der Maler, Schnuff der Nationalökonom, &c. &c. Männer deren Namen ich nur mit großer Würdigung ausspreche. Und besäßen sie Geld oder Glück, was Beides Eins ist heutzutage; Andere, die ihre Plätze in Gallerien, Bühnen. Akademien &c. einnehmen, würden herabfallen, wie Ziegel von den Dächern, wenn ein fegender Wind geht, oder wie der Nebel wenn's heiter wird!«
»Ah, es ist eben acht Uhr,« setzte er rasch seine Rede fort, indem er seinen Taschen-Zeitmesser zu Rathe zog; »es ist gerade die rechte Zeit. Kommen Sie, ich führe Sie ein in unsere große Akademie. Es bedarf keiner Umstände, meine Anmeldung genügt. – Sie werden einsehen, daß jede Stadt eines Gegengewichts gegen die Aufgeblasenheit und Hohlheit der besoldeten und besternten Akademie bedarf. 102 Wir haben das Unserige nicht unterlassen, um hier ein solches zu schaffen. Und ich versichere, das Gewicht ist schwer, sehr schwer! Und da wir auch die Unterhaltung, die geistige Belebung mit einbegriffen, so wie den Zutritt aller auf dem Speisezettel verzeichneten Erfrischung nicht versagt haben, so werden Sie sich sehr vergnügen!« –
Der »blaue Löffel« hatte neben seinem weltberühmten Schilde eine Lampe brennen, welche auf einer Seite roth, auf der andern grün, auf der dritten gelb und auf der vierten eingeschlagen war, und sie wackelte im Luftzuge mit ihren Farben so hin und her, daß man aus der Ferne, in dem feuchten Nebel der Nacht, einen verrückten Kometen zu erblicken glaubte. Ueber dem Hofe, der Küche vorbei, aus der es zischte, brodelte, Kohlen und brenzligen Bratendampf herauswirbelte, gelangte man zu einer Thüre, ober welcher eine halbblinde, rothäugige, zwinkernde Oellampe hing. Hier war die Pforte zu den heiligen Hallen der Akademie.
Ohne Umstände traten unsere beiden Gäste ein und befanden sich in einem langen, an den Wänden in Kopf- und Sitzhöhe sehr schmierigen Zimmer, mit sehr gewöhnlichen alten Tischen und Stühlen, und einer Anzahl von sehr rauchenden, sehr trinkenden, sehr nackthalsigen, sehr halstuchbezipfelten und sehr ungenirten Gästen.
»Ah Schnepselmann!« tönte es von mehreren Plätzen.
»Guten Abend meine Herren Akademiker!« sagte Schnepselmann in dem würdevollsten und gemessensten Tone.
»Guten Abend altes Haus!« rief eine Baßstimme, die zugleich eine wahrhaft akademische Kunst im Rauchwolkenblasen entwickelte. »Was bringt Ihr da?« fuhr baßdonnernd der Raucher fort, indem er seine Pfeifenspitze in die Gegend streckte, wo Schwach noch verwundert und zögernd stand. 103
»Meine Herren, meine hochverehrten Herren Akademiker!« nahm Schnepselmann gewichtig das Wort: »Ich habe die Ehre, Ihnen sämmtlich hier aufzuführen meinen Freund, Herrn Herkules Schwach, meinen Freund! Ein Amateur, ein Kunstverständiger, ein Wissenschaftsliebhaber, ein Geist erster Klasse, ein liebenswürdiges Gesellschaftstalent, kurz mein Freund!«
»Oh! – Ah! – Ha! – Bravo!« tönte es von allen Seiten, und merkwürdige Augen und merkwürdige Gesichter stierten aus dem Tabaksdampfe nach dem Präsentirten, während er, bescheiden abwehrend, sich stumm verbeugte.
»Smollis!« schrie die Baßstimme, »bringt's aus, ich steig vor, steigt nach! – Ausgehalten – eins, zwei, drei – schwupp!« Und wie auf Kommando hoben sich sämmtliche Biergläser, neigten sich an die gelehrten Mäuler, und bei dem Rufe »schwupp« stürzten die sämmtlichen vorhandenen Flüssigkeiten in ungeahnte Gründe, auf Nimmerwiedersehen!
Schwach stand verblüfft, überrascht von dieser akademischen Bierkunst und wußte noch nicht was er sagen solle.
»Nagelprobe!« schrie die Baßstimme.
Die Gläser wurden umgekehrt, mit dem Boden zur Höhe, und siehe, nicht ein Tropfen war darin geblieben.
»Bravo!« Baßstimme; »bravo!« Chorus; und sämmtliche hohle Gläser klappten auf den Tisch nieder, wie eben so viele Schmiedehämmer.
»Sehr geehrt, sehr geehrt!« nahm Schnepselmann das Wort, indem er verständigend nach Schwach blickte und ihm zugleich zuflüsterte: »Sie sind mit bedeutender Akklamation, nach alter biederer Sitte, aufgenommen.« Dann fuhr er laut wieder fort: »Mein hochgeschätzter Freund findet sich sehr 104 geehrt, und ich spreche seine innersten, geheimsten Gedanken aus, wenn ich in seinem Namen für diesen glänzenden Empfang den tiefgefühltesten Dank ausspreche. Er findet sich sehr geschmeichelt, wie er mir eben zuflüsterte, und beauftragt mich, als den vollkommen Eingeweihten in die ehrwürdigen Gebräuche der genialen Akademie, sofort das Doppelte der üblichen Schoppen zu poniren.«
Herkules, der vor Verwirrung nicht recht hörte und vor Tabaksdampf nichts sah, verbeugte sich, und ein Kellner, der aus Fischbein schien, schnellte sogleich hinweg und schnellte wieder mit einer unermeßlichen Anzahl von Biergläsern zurück.
»Bier her, Bier her,
Oder ich fall um!«
tönte es indeß in der berühmten reizenden Melodie, und dieses geistreiche Lied war von der Baßstimme gesungen.
»Fideles Haus!« rief eine andere Stimme und schwenkte das Glas in kühnem Schwunge vom Kinne aufwärts nach Herkules' Nase und dann, in sinkendem Bogen, nach dem eigenen Munde zurück. Das war eine sehr hohe Ehre!
»Sehr sozial, sehr kommunal!« sagte ein soziales-kommunistisches Genie mit heiserer halbtönender Stimme, mit blassem, langem Gesichte, eigroßen Augen und schwarzen langen Haren, indem es Schwach die langen Knöchel hinhielt und dessen Hand damit drückte.
Freund Bretzel war sofort an der beiden Neueingetretenen Seite, als sie Platz genommen hatten. Er war eine kleine, blasse Figur, von oben bis unten, was nicht viel sagen wollte, zugeknöpft, mit dichten struppigen Haren, was seinem oberen Theile ein Aussehen gab, als wäre er ein von der Zeit gebleichter und durch Umstände belebter 105 Mohrenkopf von irgend einem Tabaksladen. Die schielenden Blicke ließen es immer in Ungewißheit, ob, wenn er scheinbar nach der Wand sah, er das Gesicht des Angeredeten betrachtete, oder ob er die Wand musterte, wenn er Einem in's Gesicht sah.
Schnepselmann sprach sofort von dem elektrischen Stiefelputzer.
»Das ist nichts,« sagte Bretzel, mit den Händen fechtend; »ich habe eine neue Idee, eine Lokomotive ohne Dampf, ohne Elektrizität, ohne Verbrauch von irgend welchen Materialien, auf einem äußerst einfachen Prinzipe beruhend. Es ist erstaunlich, überraschend«, sprudelte er in näselnder Stimme hervor, »daß kein Mechaniker bisher auf dieses einfache Prinzip verfallen!«
»Hört! Hört!« rief ein naher Akademiker.
»Silentium!« brüllte der Baß, im gewöhnlichen Leben studiumsbeflissener Mediziner, der heute den akademischen Präsidentenstuhl außergewöhnlich eingenommen zu haben schien, und klopfte die Asche aus der Pfeife, welcher praktische Zweck zugleich die Präsidentenglocke ersetzte.
»Herr Mechaniker Bretzel, der geehrte Meister und Erfinder, nimmt das Wort!« rief Schnepselmann, indem er sich lebhaft durch die Hare fuhr. Denn nichts erregte so sehr seine Neugierde und Gespanntheit, nichts interressirte ihn so sehr, nichts hielt er so wichtig für das Jahrhundert und so gewinnbringend für ihn selbst, als Mechanik, von der er nicht das Geringste verstand. Aber gerade dieses Geheimnißvolle, dieser Wunderglaube, den er für jede Maschine mitbrachte, reizten seine Neugierde und Gespanntheit; und es gibt noch heute viele Leute, denen es ebenso, oder mit einer Menge anderer Gegenstände nicht besser geht. 106
»Vorgefahren Bretzel, schnapp auf!« rief der Präsident, demnach ein »Bursche von rechtem Schrot und Korn.«
Bretzel stand auf, legte einen Fuß hinter sich auf seinen Sessel, zu gleicher Höhe mit dem Sitzorgane, stellte sich auf den einen übrigen Fuß wie ein krähender Hahn, blickte zum Fenster linker Wand hinaus, agirte lebhaft nach rechts in die Gesellschaft hinein, und erklärte seine Lokomotive. Die neue Mechanik bestand in einer Anwendung der Uhrwerke. »Denn,« sagte der Erfinder, »kann man schwache Uhrfedern erzeugen, so kann man auch starke; kann man auch starke, so kann man auch sehr starke erzeugen; und kann man sehr starke erzeugen, so genügen eine, zwei, drei, im strengsten Falle viere im Innern einer Lokomotive, um einmal aufgezogen, nicht mit dem Train eher abzulaufen, als bis zur gehörigen Station!«
»Oh! Oh! Bravo! Genial!« tönte es aus der Gesellschaft.
»Ich setze aber den Fall,« fuhr Bretzel fort, »die Federn würden die Kraft allein nicht haben, die Lokomotive zu bewegen, was mir sehr unwahrscheinlich ist; so könnte das noch einfachere Sistem der Pendeluhren angewendet werden. Aus dem Bauch einer Lokomotive vier, fünf bis sechs Pendel herabhängend; jeder, wegen der Schwungkraft, mit einer tüchtigen Kugel am Ende versehen; links und rechts die Gewichte; nöthigenfalls die Mitte zwischen den beiden Schienen zu einem fortlaufenden Graben ausgehölt, damit die schweren Gewichte noch länger hinabhängen können; – – und die Sache müßte unzweifelhaft gehen!«
»Ah! Erstaunlich! merkwürdig! Ah! Ah! Ei! Wie einfach! Genial! Das muß gehen! Ohne Zweifel!« tönte 107 es aus der Gesellschaft. Schnepselmann fuhr sich sehr bewegt mit ausgespreizten Fingern durch die Hare.
Ermuthigt von dem außerordentlichen Beifalle, erhob Bretzel die Stimme zu einem sehr vernehmlichen energischen Kindertrompeten: »Gehen wir noch weiter meine Herren, meine Kollegen und Gönner! Erheben wir das Prinzip auf seine Höhe. Sie wissen, was eine Federkraft ist, Sie wissen was eine kleine Feder für erstaunliche Wirkung hervorbringt; nun nehmen wir eine aufgerollte Feder von fünf, von zehn, von mehr noch Ellen, ja Klaftern im Durchmesser, gespannt über ein ganzes Thal, von einer Dampfmaschine täglich einmal aufgezogen, und dann eine Kette an den Train gebunden, welche mit dieser anziehenden Feder in Verbindung steht – und der ganze Zug müßte rollen, daß es ein Hochgenuß wäre!« »Bravo!« riefen einige enthusiastische Stimmen. Bretzel fuhr aber eifrig erklärend fort: »Natürlich geschähe das mit einer ungeheueren Ersparniß an Kohlen, Holz, Personale, Maschinen, Eisen, &c. &c. – Wendet man mir aber ein, eine solche Idee würde zu viel Raum einnehmen und wegen der ungeheueren Spannkraft zu gefahrbringend sein; gut, ich lasse mich auf kleinere Federn für jede Station ein; aber dann müßte es gehen, müßte!« rief er energisch.
»Natürlich! Gewiß! Unzweifelhaft! Sicherlich!« mehrere Stimmen.
»Betrübend ist es aber,« sagte Bretzel in sinkender Stimme, indem er aus dem Fenster linker Hand in der Stockfinsterniß außerordentliche Gegenstände zu schauen schien, »daß ich, wie meist alle Erfinder und Entdecker, nicht in der Lage bin mein Projekt nur probeweise auszuführen; und keine Regierung wird sich verstehen, mißleitet von ihren 108 besoldeten mechanischen Pfuschern und Plattköpfen, mir die Hand zu bieten.«
»Schafsköpfe!« brüllte der Präsidentenbaß. »Sie haben gehört meine Herren, von dem genialen Projekte unseres Freundes Bretzel, und es ist tief zu bedauern, daß wir nicht in der Lage sind, das Kapital zur Probe aufzubringen. Aber das können wir thun in dem Bewußtsein, dem Zeitgeiste erkennend vorauszueilen und Bürger eines künftigen Jahrhunderts zu sein, daß wir jene feigen Blindschleichen, jene nur sich selbst kennenden und beobachtenden Söldlinge der mißbrauchten Wissenschaft, jene . . . ..«
»Schleicher! Dummköpfe! Zöpfe! Alte Esel!« riefen verschiedene Stimmen aus der Gesellschaft.
»Pereat, schlage ich vor!« durchbrüllte plötzlich der Baß das Gewirre.
»Pereat!« rief ein starkes, vielstimmiges Echo, und eine entschiedene Katzenmusik wurde sofort beweglich, indem ein Johlen, Stampfen, Heulen, Schnupfen, Schneuzen, Pfeifen, Scharren, Pochen, Spucken, Miauen, Bellen und Krächzen losging, dessen Durcheinander höchst romantisch war, am meisten aber für Schwach, der derlei nie erlebt, gehört und gesehen hatte.
Eine Viertelstunde nach dieser geisterschöpfenden Thätigkeit, tönte es blos fortwährend: Bier, Kalbsbraten, Sauerkohl, Häringe, Zwetschken &c. &c., wie eben der Speisezettel lautete, hörte man nichts als Gläser und Teller klirren, und sah man nichts als Speisen und Dampfwolken.
Während dieser Zeit hatten sich die Gruppen »wild« zusammengethan und summsten wirre durcheinander. Schwach hörte nie geahnte mechanische, soziale, musikalische, 109 dramaturgische und andere Grundsätze. – Da klopfte plötzlich der Präsident wieder die Pfeife an der Tischkante aus.
»Attention! Angespannt!« brüllte mit Würde der Präsident, als wären die Ausdrücke so natürlich und in der ganzen deutschen Welt so unzweifelhaft gebräuchlich, als die Ausdrücke »Brod« für Brod und »Wasser« für Wasser.
Die Gesellschaft gerieth in ein ruhestiftendes Husten, Räuspern, Rücken und Plätzeordnen, welches gewöhnlich noch für einige Minuten den frühern Lärm verstärkt. Dann folgte endlich immer mehr und mehr Ruhe.
»Sie wissen, meine geehrten Herren Anwesenden, auf dem heutigen Programme der Akademie steht ›dramatische Produktion auf der Klarinette,‹ von unserem geehrten Mitgliede Winsele, Musikus, Kompositeur und vorzüglichen Klarinettisten.«
»Bravo Winsele!« tönte eine Winkelstimme; mehrere vereinzelte Bravo's erfolgten, und Winsele erhob sich, an einem gelben gelöcherten Instrumente mit Klappen putzend und sich verneigend. Schmale Lippen, Stiefelbürstenfrisur, eine spitze Nase und ein spitzes Kinn zeichneten ihn aus. Die Nase kam sehr in Verdacht zeitweise es auf die Klappen abgesehen zu haben und nach der obersten zu zielen. Als er die Stimmung seines Instruments probirte, zuckten schon bei jedem Athemzuge die vordersten Borsten seiner Stiefelbürstenfrisur und taktirten später unaufhörlich bei der Produktion mit.
An seine Seite erhob sich ein Jüngling mit sehr viel weißem Kragen und sehr wenigen Bartspuren. Wie sich später erwies, sein Begleiter auf dem Piano und jetzt sein Sprecher. »Geehrte Herren Kollegen! rief dieser mit überschnappender Stimme und sehr oskentativer Würde. 110 »Meister Winsele behauptet bescheiden kein Redner zu sein und hat mich aufgefordert, für ihn das Wort zu nehmen, welches ich hiemit thue. Es ist ein allgemeines, altes und verrottetes Vorurtheil, daß die Musik keine im Leben vorhandenen Zustände, sondern nur Gefühle ausdrücken könne. Dieses alte, verrottete, nichtswürdige Vorurtheil, von den alten bezopften Kritikern und sogenannten Meistern, welche nur Meister heißen, weil sie das Wenige, Unvollständige eingebüffelt, was sie von ihrer tiefstehenden Jugendzeit überkommen haben, dieses alte Vorurtheil wird Meister Winsele, der geniale zeitgeistige Kompositeur, heute glänzend durch ein großes Tonwerk widerlegen! – Es ist ferner eine alberne Behauptung dieser sogenannten »alten Meister«, die, weil sie selbst nichts können, behaupten wollen, die ganze Welt, das kommende Geschlecht, die neu auftauchenden, jüngern, genialen Kräfte der Gegenwart und Zukunft könnten auch nichts – daß kein einzelnes Instrument im Stande sei, alles Gewünschte auszudrücken. Vorzüglich sprechen sie der Klarinette diese Fähigkeit der umfassendsten, unumschränktesten, hoch- und tiefgreifendsten Tonmalerei ab. – Beiden diesen unverschämten Lügen, vorgebracht aus Unwissenheit, Stümperei und absichtlicher Erniedrigung der nachkommenden genialen Kräfte, die ganz neue Bahnen in der Kunst zu brechen im Stande sind und es auch werden – beiden diesen Lügen wird unser Meister Winsele sein ausmalendes Tonwerk »Struwelpeter und Barbarossa« entgegensetzen, einzig und allein auf der Klarinette vorgetragen!
»Struwelpeter und Barbarossa« ist der dramatische Vorwurf, ohne Worte, ohne Text, ohne Melodie überhaupt; denn Melodie, Arie, Lied &c., sind nur ein altes Vorurtheil, eine bezopfte Gewohnheit, und die wahre Musik 111 der Zukunft braucht diese elenden Krücken einer talentlosen Zeit nicht. – Tonmalerei! Das ist das Wahre! – »Struwelpeter und Barbarossa!« Der Erstere, meine Freunde und Akademiker, ist Ihnen zur Genüge bekannt. Die geniale Verbindung dieses populären deutschen Charakters mit dem historisch deutschen, nicht minder volksthümlichen Kaiser Barbarossa und der nationalen Sage, ist eine Originalidee unseres geehrten Freundes Winsele, der den Vorwurf selbst verfaßt hat. Struwelpeter will sich keine Nägel und Hare schneiden lassen, ebenso wenig waschen; erstes Tonstück. – Der getreue Eckart warnt ihn und macht ihn weiter mit den Gefahren des Venusberges bekannt, vor dem er sich, wenn er etwa im Gegentheile eitel würde, zu hüten habe; zweites Tonstück. – Die schöne Melusina, halb Weib, halb Fischschwanz, reitet auf der mithischen Hirschkuh Genoveva's die Straße entlang und sucht von Struwelpeter in dem Reize seiner Urwüchsigkeit drei Küsse zu erhalten, um sich vom Zauber zu erlösen; drittes Tonstück. – Struwelpeter verachtet aber die Venusin und die Melusina, und letztere stürzt sich, verzweifelt über seine Sprödigkeit, von dem Lorlei in den Rhein; viertes Tonstück. – Nun gräbt sich aber Struwelpeter, kühn im deutschen Bewußtsein, mit seinen Nägeln in den Kiffhäuser, weckt den Kaiser und dessen Reisige, im Einverständnisse mit dem großen Raben, welcher als holde Prinzessin entzaubert wird, erlöst, ungekämmt, Deutschland, und mit der elektrischen Morgenröthe der Freiheit schließt das Ganze!«
»Bravo! Genial! Ausgezeichnet! Geistreich!«
»Wol werden Sie bemerken,« fuhr der Rednerjüngling fort, »daß hier wenig Rücksicht auf Zeit, chronologische Folge und auf Reinheit der Sage genommen ist. Aber gerade 112 diese geniale Verbindung von deutschen Volkssagen und Volkscharakteren, gerade diese unbeschränkte Mengung von Roman und Historie, von Sage und Geschichte, beide echt deutsch, ursprünglich, volksthümlich, mit dem Bewußtsein der deutschen Nation innig verwachsen, dazu das Misteriös-National-Germanische, verleihen dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz und geben ihm den Anspruch, ein geniales, neu epochemachendes Tonwerk zu sein! – Und dies alles wird auf der verachteten, verschmähten Klarinette ausgedrückt von Meister Winsele, und meine Wenigkeit wird die Ehre haben, nur hin und wieder die nöthigen Akkompagnements auf dem Klaviere auszuführen. Ich mache Sie auf einen Hochgenuß aufmerksam, anwesende Akademiker, und lade Sie zum tieferen Verständnisse und zur sorgfältigen Auffassung des groß gedachten Tongemäldes ein!«
Vorsorgendes Husten, Räuspern, Bier- und Speisenrufen, Winsele schaudert bereits auf der gelben Klarinette einige Läufe ab, sein Begleiter zwickt einige Töne aus dem spindelbeinigen, mageren, näselnden Klavierkasten, und es geht los. –
Struwelpeter schneidet sich keine Nägel, wascht sich nicht, Nikolaus will ihn ins Tintenfaß stecken, die Hare wachsen ihm furchtbar lang, alles dies wird tonlich dargestellt, zur Bewunderung der ganzen Versammlung. Der Fischschwanz der Melusina, der Lorleifelsen, die Venusgeister, Barbarossa, die Hirschkuh, das Aufgraben des Berges, des Kaisers Bart, das nationale Bewußtsein, alles dies wogt auf und ab in den schnarrenden, kreischenden, monotonen Tönen der Klarinette, bei Vermeidung aller Melodie. Es bricht eine Klappe und Einige harren auf die eigene Erlösung – vergebens! Winsele's Nase bedroht die Klarinette, seine Borsten taktiren 113 und seine Lungen arbeiten! Endlich, nach Verlauf fast einer Stunde, als Herkules dem Verzweifeln nahe war, Schnepselmann ihm aber erklärte: wenn sie Beide auch nicht das rechte Verständniß des Tonstückes besäßen, weil sie zu wenig Kenner und eingeweiht in die Tonkunst seien, so sei sicherlich nichts destoweniger Winsele's Komposition ein geniales Werk, das der Zukunft angehöre und werde alles bisher Gehörte überbieten, wenn es nur einmal vor die große Oeffentlichkeit und vor wahrhaft unparteiische Kunstrichter komme – nach einer Stunde war die Gefahr glücklich überstanden.
Mit einem ungeheueren Morgenroth-Kreischen und Tonzwicken endete das musikalische Gemälde, nachdem die Klarinette manchesmal in die schwindelnste Höhe, manchmal furchtbar in die finstersten Abgründe geblasen. Deutschland war befreit, Struwelpeter und Barbarossa verschwanden, die Gesellschaft war erlöst!
Klatschen, Bravo, Hurrah Winsele! – Akademiker, die geschlafen oder sich heimlich die Ohren mit Baumwolle verstopft hatten, klatschten aus Freude der Erlösung in die Hände. Winsele verneigte sich dankend, sein begeisterter Jünger vom mageren Klaviere schüttelte ihm die Hand, und sie verlangten Beide, vergnügt, eine so große Anzahl von eß- und trinkbaren Artikeln, daß man einsehen mußte, das misteriöse Bewußtsein und die nationale Genieheit – seien außerordentlich erschöpfende Dinge!
Abermals Vorwalten des Magens vor dem Geiste und Unterdrücken der schlechten Speisen und Getränke des »blauen Löffels« in die Verdauungsbehältnisse der Gesellschaft. Abermals »wilde Gruppen« und wildes Geschwätze. Endlich klopft der Präsident wieder mit der Pfeife, sein 114 schwarzer Knebelbart bürstet, im Auf- und Niederwogen beim Sprechen, den nackten Hals, und er kündigt einen neuen Vortrag des Akademikers Gelseboom an, bekannt durch seine Auswanderungsbestrebungen und humanitären Zivilisationsanstrengungen.
»Bravo Gelseboom, ein Hoch für Gelseboom!« ruft eine Stimme; »hoch!« tönen sehr viele, heben die Biergläser und leeren sie meist ganz. Da Herkules in seiner Nähe einen mittelgroßen jungen Mann mit großen Vatermördern, rückgekämmten Haren und mit Augengläsern sich erheben sah, setzte auch er höflichkeitshalber das Glas an, und Schnepselmann wackelte dem angekündigten Sprecher aufmunternd die Hand entgegen.
»Mei – ne Her – ren,« begann Gelseboom in breiter behäbiger Manier, welche mit Wahrscheinlichkeit davon stammte, daß er in seiner akademischen Laufbahn sich früher für die Theologie bestimmt hatte, die ihn auch auf Humanismus, Zivilisation und Mission geleitet haben mochte. »Mei – ne Her – ren! Sie haben sicher schon von einem gewissen Humboldt gehört – vielleicht sind Ihnen die Namen Cook, Lapeirouse, Diaz, Vasko de Gama &c., auch nicht unbekannt. Diese Männer haben uns stets neue Theile der Welt aufgesucht und bekannt gemacht. In diesen neuen Theilen der Welt hat man auch neue Theile der großen Gesammtheit und Familie, genannt Menschen, Menschheit, gefunden. Ob sie auch heute noch ihre Weiber oder Feinde gelegentlich gebraten aufzehren und sich gegenseitig die Kopfhäute ablösen, oder die Nasen aufschlitzen, oder die Ohren sieden, so bleiben sie doch nicht minder unsere Brüder!«
»Sehr wahr!« aus der Versammlung. 115
»Unsere Brüder; und sie würden wahrscheinlich, wie wir, Törtchen und Kalbsbraten verzehren, wenn sie auf der Höhe der Kultur ständen, die dazu nothwendig ist. – Nun ist es aber unsere Gewissenspflicht, sie auf den Gipfelpunkt unseres zivilisirten europäischen Seins zu führen; und wenn wir sie nicht gleich auf den höchsten Punkt bringen können, so müssen wir uns natürlich begnügen, sie nur auf die erste Stufe empor zu heben. Wende man mir nicht ein, wir haben zuhause noch Wohlthat, Erziehung, Pflege genug zu besorgen; das ist eine elende Ausflucht! Verwaiste Kinder annehmen, Verwahrloste erziehen, Hungerige speisen und Kranke pflegen, das können wir alle Tage hier, jeden Augenblick, so oft es uns beliebt und einfällt; aber Chinesen, Potokuden, Sioux, Kaffern, Koromandler, Tschipewahis und Petschenegen, können wir nicht alle Tage zivilisiren, dazu braucht es lange Reisen, Nachdenken, Kopf, Vereinigung, Anstrengung, Aufopferung!«
»Sehr gut! Braaavo!«
»Es hat mich sehr, sehr viel Nachdenken und nächtliche Anstrengungen gekostet, meine Herren Akademiker, ein Mittel ausfindig zu machen, das quasi als Prinzip, als allgemeiner Grundsatz für die Humanisirung und Zivilisation aller Wilden, ohne Unterschied, gelten könnte. Denn Menschen sind sie einmal, menschliche Naturen sind ihnen zugefallen, menschlichen Gefühlen sind sie zugänglich, und darum muß es auch Einen menschlichen Punkt bei Allen geben, der gefunden, gleich dem Archimedischen, jene ganze Welt der Wildheit aus den Angeln heben und sie in die sonnenlichte Bahn europäischer Zivilisation bringen müßte! (Staunen) Was nützt mir, wenn ich die Petschenegen herumbekomme, jedoch dabei die Kaffern hartnäckig der Bildung 116 widerstreben? Daher ein einheitliches Prinzip! Worin steckt eben dies Prinzip? Steckt es darin, daß man ihren Hauptgewohnheiten für den Augenblick schroff entgegen trete und sie durch Drohungen und Gewalt abhalte, alte, ja ihnen geheiligte Gewohnheiten, wie etwa hie und da das Menschenfressen, fortzuüben? Nein, darin besteht es nicht! Es besteht in dem umgekehrten Sistem, gerade bei dem Unscheinbaren, Kleinen, Geringfügigen, Unbedeutenden, Nichtssagenden anzufangen, Größeres bei Seite zu lassen und sie nach und nach in das Netz europäischer Wohlfahrt und Brüderlichkeit zu verschlingen. Sie kennen die Geschichte des Eies des Kolumbus; jede geistige Sache hat eine solche Eispitze, und ich habe sie gedrückt, gefunden, zum Aufstellen benützt! Wissen Sie (hier erhob er bedeutend die Stimme) was meine Zivilisationsmittel sind?«
Bei dieser bedeutungsvollen Frage wendete er bewußt die Augengläser nach den Gesichtern aller Anwesenden. Auch Herkules sah er an und dieser schien betrübt darüber, es ihm nicht sagen zu können. Schnepselmann schüttelte entschieden verneinend den Kopf.
»Nun,« unterbrach der Redner diese wichtige, würdegebende Pause, »nun, ich will es Ihnen sagen! – Servietten und Vatermörder, sind die Zivilisationsmittel – zwei sehr geringfügig scheinende Dinge!«
Sehr erstauntes Murmeln in der Gesellschaft.
»Servietten und Vatermörder!« rief der Redner triumfirend, »sie sind hier das Ei des Kolumbus, und ich will es Ihnen, meine Herren Akademiker, näher erklären! – Vor Allem haben wir für eine gehörige Anzahl Servietten zu sorgen; denn wenn die Petschenegen, oder Blackfoots, oder Botokuden noch ihre Weiber oder Feinde 117 gelegentlich aufäßen, so thäte das vorläufig nichts, wenn sie sich nur bei der Malzeit den Mund mit der Serviette wischten! – Ja wenn sie gemüthlich über einen gebratenen Weiberrücken oder Feindeskopf sitzen und Servietten in der Hand haben, so werden sie, aus kindischer Vorliebe für diesen neuen Gegenstand, sich fleißig die Finger reinigen und den Mund wischen. Sind sie einmal an den Fingern gereinigt, werden sie den Arm, den Fuß, die Brust, den ganzen Körper reinigen wollen, und sind sie erst einmal gereinigt, so fordert sie diese erste Stufe der Zivilisation zu weiterem Vorschreiten auf. Sie finden demnach Vergnügen an der Serviette, sie bedecken gelegentlich einen Theil des Körpers damit, sie finden Geschmack an Bedeckung, Kleidern, wir geben ihnen Röcke und Stiefel, und stecken sie einmal in den Röcken und Stiefeln – dann adjeu Menschenfresserei, Wildheit, Barbarei, und die europäische Kultur hat Eingang – die Serviette hat sie besiegt!«
»Oh! Ah! Ha! Ei! Sieh doch! Sehr gut! Bravo! Geistreich! Genial!« Ausrufe der Gesellschaft.
»Ebenso ist es mit den Vatermördern! Einige Wilde haben von Natur aus eine Vorliebe für den Schmuck. Diesen versagt man ihnen für den Augenblick, um sie noch begieriger zu machen. Dann aber theilt man unter sie die Halskrägen, genannt Vatermörder, aus. Jeder Wilde, männlich oder weiblich, bindet einen um, sie fühlen eine hohe Würde – was, wie Sie wissen, meine Herren Akademiker, überhaupt eine misteriöse Eigenschaft dieser Halsbekleidung ist – sie sehen den zierlichen Reiz dieser europäischen Sitte, sie werden begierig die Brust, nach der Brust die Schenkel, nach den Schenkeln den ganzen Leib zu bedecken und zu 118 schmücken in unserer Sitte – und – sie sind gerettet! gerettet für die Zivilisation durch – die Vatermörder!«
»Erstaunlich! Groß! Gediegen!« abermalige Ausrufe.
»Man kann nur alle zwanzig Jahre einmal vielleicht, eine Mission mit den merkwürdigsten Artikeln versehen, tief nach Asien, Afrika oder den Südseeinseln senden, denn das kostet erstaunliche Summen, und jeder Stamm verlangt, nach der Meinung der bisherigen Sendboten der Zivilisation, diesen Zöpfen und Allongeperücken der Kultur, eine andere Behandlungsweise. Aber mein Sistem ist mit jedem Tage ausführbar, meine Missionen kosten so geringes Geld, sind ein einfaches allgemeines Zentralgesetz für alle Wilde, eine uniforme Auflösung des Barbarenzustandes, ein einheitliches, rasches, unfehlbares Hineindrängen des unglücklichen Restes der Menschheit in die Bahn europäischen Glückes und europäischer sittlicher Zufriedenheit!«
»Sehr gut! Bravo! Ausgezeichnet! Vortrefflich!«
»Darum, meine Herren – Vatermörder und Servietten vor Allem, das Andere findet sich! Und da ich sehe, daß Sie einstimmig meiner Meinung sind, kündige ich für das nächstemal die Statuten des »Vatermörder- und Servietten-Missionsvereines in alle unbekannte Weltgegenden« an und widme meinen bei dieser wichtigen Gelegenheit umgethanen Vatermörder dem heiligen Zwecke. Es ist somit der Grundstein zu dem Dom der Milde und wahren Frömmigkeit gelegt, und da eine Dame aus den höchsten Kreisen sicherlich das Protektorat übernehmen wird, so werden die großartigsten Erfolge nicht ausbleiben!«
»Bravo! Sehr gut! Hoch für Gelseboom! Ein Vivat für die Zukunft der Wilden! Gedeihen den Vatermördern!«
Hierauf verkündete der Präsident, daß leider folgende 119 zwei angekündigte Vorträge von Akademikern heute entfallen, jedoch für das nächstemal zugesichert bleiben, und zwar:
»Verbot der Zahnstocher, wegen wachsenden Forstfrevels und steigendem Mangel an Brenn- und Flottenholz,« von Botaniker Nasius.
»Die Bank und die Kanarienvögel – oder nationalökonomischer Beweis, daß die Kanarienvögelchen und die von ihnen verzehrten Hanfkörner, so wie Milchsemmelstückchen, den Feldbau wesentlich beeinträchtigen, die Brodfrucht vermindern, den steigenden Pauperismus mit verschulden, den Realitätenwerth, die Hipothekenbank und die internationalen Handelsverträge gründlich erschweren.« Nationalökonom Schnuff.
In Ermanglung dieser Vorträge gab ein zukünftiger Hofopernsänger eine Produktion des geistreichen
»Schnapp auf und schnapp nieder,
Trink aus und trink wieder!«
nach vielseitiger Aufforderung seines geselligen Talentes, zum Besten und mußte das Lied: »Hoho! vivat, hoho!« von früher rühmlichst bekannt, auch heute wiederholen. Schwach war sehr gemüthvoll angeregt und enthusiasmirte die ihm nächstsitzenden Charaktere durch sein außerordentliches Talent im Anbieten und unermüdlichen Vorsetzen von Gratisgetränken. – Die Gesellschaft war in sehr guter Laune und Schnepselmann fragte Schwach, ob er nicht jetzt einsehe, was ein anderes Leben und hauptsächlich in gebildeter, wenn auch sehr lebhafter Gesellschaft sei? Hierauf würde Schwach sicher eine genügende Antwort gegeben haben, wenn eben der Präsident nicht die Pfeife ausgeklopft und dadurch die allgemeine Aufmerksamkeit auf seine Würde gezogen hätte. Er meldete in einfachen aber gediegenen Worten, das Auftreten 120 eines Gastes an, der, vermuthlich um wirkliches Mitglied ersten Grades der Akademie zu werden, eine Produktion seines Talentes zum Besten geben werde. Er sei heute zum erstenmale erschienen, aber schon durch seinen Namen, wie auch von manch anderer Seite dringend empfohlen und heiße Ernst Aster.
»Bravo Aster!« tönten einige Stimmen, ohne in ihrem Leben etwas von ihm gehört zu haben, deren ganzer Beruf in der Akademie jedoch das Bravoschreien schien und die diesen Zweck zur allgemeinsten und eigensten Beruhigung erfüllten.
Ernst Aster erhob sich.
Er hatte bisher ruhig und in sich gekehrt, dem Treiben fremd, oder es still beschauend, an einem Ende der Tafel gesessen. Er war eine magere, ärmlich, aber sorgfältig rein gekleidete, erschrecklich bleiche Figur, in jüngeren Mannesjahren. Ueber seine, trotz der Jugend gebleichten Wangen flog zeitweise eine Röthe, welche unheimlich mit der Gluth dunkler Augen übereinstimmte, über denen eine denkende Stirne sich wölbte, um die reiches, glänzend braunes Haar sich lockte. Diese Augen glühten wie schwarze Sterne durch den Dampf der Tabakswolken. So scharf, so ernst und fest zugleich blickte er in die Gesellschaft hinein, die schmalen, festgedrängten Lippen waren von so eigenthümlichen Fältchen umzuckt, daß diese Gestalt einen seltsamen Eindruck bei jedem Beschauer zurücklassen und ihn in dieser Gesellschaft umsomehr auffordern mußte zu denken: was will, wer ist dieser sonderbare Mann?
Er blickte, wie er so stand, eine Minute fest und mit einer Art lodernden Feuers in den Augen, jedoch stumm, in die Gesellschaft, welche durch diese Ruhe fast peinlich erregt 121 wurde. Dann begann Aster mit etwas hohler, doch den angeborenen Klang nicht verleugnender, warmer Stimme:
Sie war verwaist, jung, reizend und hieß Adele.
Sie war verwaist. Ein geheimnißvolles Dunkel umwob die ersten Augenblicke ihres Daseins; sie wußte nicht wo der Busen auf der Erde athmete, oder im kühlen Grunde unten schlummerte, an dem sie sich zuerst geborgen; sie wußte nicht, wer sie lallen, wer sie das süße Wort Mutter, Vater, sprechen gelehrt.
Ihr Pfleger war ein armer Mann und hatte selbst Kinder. Aber als er das kleine liebe Mädchen einst ganz verlassen sah, dessen erste Wohlthäterin und Erzieherin gestorben war – da meinte er: hat der Herr für so viele der Meinen gesorgt, wird er auch dies Eine kleine Würmlein nicht verlassen! Und er hob die Kleine in seine Arme, küßte sie und brachte das blonde Köpfchen, an seine Brust gelehnt, nach Hause.
Adele ward größer, ihr Pflegevater älter, seine Familie zahlreicher und sein Gehalt im Bureau des Kaufherrn nicht höher. Sie mußte den Armen, anstatt nun ihn zu pflegen, wie sie sehnlichst gewünscht, in seinen alten Tagen verlassen, von ihm scheiden und ihr Brod in fremder Leute Dienst erwerben.
O! hätte sie nur gewollt; o hätte sie die Reize der Unschuld hingegeben, mit diesen blauen Augen gelächelt jenem alten, elenden Kaufherrn; hätte sie aus ihren Lippen nur ein einziges »Ja« gelispelt; – die ganzen Schätze seines Lebens, die er erkargt, erschlichen, in hunderten Nächten zusammengescharrt, in tausenden von Tagen 122 zusammengewuchert, er hätte sie ihr zu Füßen gelegt und jubelnd sie als seine Retterin, in einem unerklärlichen Wahne, gepriesen!
Sie aber war fest; sie haßte den Elenden, der ein Weib besaß, der das Leben und die Menschen selbst verachtet hatte, dies Alles nur um seines Geldes willen! – Aber sie liebte auch. Nicht schon vorher, ehe ihr der verworfene Antrag wurde und jenes alte krüppelhafte Gespenst vor ihr winselte. Da war sie noch rein, ungeküßt wie eine Blüthe vom Sonnenstrahle des Morgens, da sie erst aus der grünen Hülle sich entfaltet!
Doch sie sah Ernst, wie er täglich vor dem Hause, in dem sie lebte, vorbeiging, und ein unerklärliches Etwas in den Blicken Beider zog sie gegenseitig unwiderstehlich an. Sie liebten sich, bevor sie sich kannten. Und als sie miteinander gesprochen hatten, da schmolzen die Seelen in einander wie zwei Flammen, wie zwei Strahlen eines Lichtes, wie zwei Wellen eines Meeres, unauflöslich, untrennbar verbunden für immer!
Und er war ein junger, heißblütiger Schwärmer. – Schwärmer? O Gott! sind Jene Schwärmer, welche ein deutsches Vaterland lieben, welche seine Größe wollen, deren schönster Seelentraum die Einigkeit der Stämme, das süße Bruderband des Vaterlandsbewußtseins? – Sind Jene Schwärmer, die nichts Höheres, Heiligeres kennen, als den Boden der ihnen seit mehr als einem Jahrtausend zugewiesen, den ihre Väter mit ihrem heiligsten Blute gedüngt und den sie, die Söhne, nun bewahren wollen, stark und frei, stark und frei nach Innen, stark und frei nach Außen? –
O Gott, sind Jene Schwärmer?« fuhr der Lesende fort und strich sich mit der Hand über die gefaltete Stirne, wie um sie zu glätten. »Doch dies führt vom Ziele ab,« 123 las er gelassen aus dem Manuskripte weiter. »Ernst war ein junger Schriftsteller und seine Zeit hatte ihn bewegt, das Fühlen seines Jahrhunderts ihn erregt, und er lebte mit dem Geiste desselben, jede Faser seines Herzens zuckte für das Wohl, für Heim und Heimatsbrüder!
So arm Ernst war, so gering sein Einkommen, das er in seinem Berufe erwarb; so wenig Adele auch mit der Thätigkeit zarter weiblicher Hände erringen konnte – sie verlobten sich doch in der Hoffnung auf bessere Zeiten.
In einem kleinen, trauten Kreise von Freunden nannten sie sich zum erstenmale Braut und Bräutigam und stürzten sich in die Arme, vergaßen diese Erde und tauschten den Himmel ein, in einem einzigen, einzigen, seelenverschmelzenden Kusse! Dann blieben sie in traulicher Geselligkeit, und die arme, kleine, blondäugige Adele sah Jedem so warm, so kindlich ins Gesicht, daß die Herzen aufthauten. Man sprach auch von Zukunft, vom Glücke, von der Heimat und dem Volke.
Und der Dichter riß sich empor in der Wonne seines Glückes und sang ein deutsches Lied, von den Vätern, von der Freiheit, von der Zukunft, von der Einheit und Allem, was das Leben des Lebens werth macht, daß ihm die Brust selbst bebte, seine Zuhörer mitjubelten und mitweinten – und draußen vor den Fenstern Fremde horchten.
Die Fremden, die gehorcht hatten, waren von der Vehme, die selbst den Tag nicht scheut, sie waren Verleumder, Ohrenbläser, elende Denunzianten. Sie wollten von Umtrieben gehört, von wildem Kampfe vernommen haben. Und der Bräutigam wurde endlich von der Seite seiner süßen, süßen Braut, von den theueren Freunden, aus dem Hochgenusse seines Lebens genommen, zwischen zwei 124 bewaffneten Männern abgeführt und in's – Gefängniß geschlossen – unter Anklage des Hochverrathes!
Furchtbare Stunde! – Wie stark ist ein Menschenherz, wenn es in solchen Momenten nicht bricht und welche dämonische, welche engelhafte Macht ist es, die das glühende Haupt abhält an den kalten steinernen Wänden sich zu zerschellen? – Jahre des Kerkers konnten vor ihm liegen – Ernst bewahrte seine Verzweiflung und sein Leben.
Arme, arme Adele! Sie wußte den geliebten Bräutigam im Kerker, sie wußte, daß er Noth und Elend darin litt. Und wie ihm helfen? Ihrer zarten Hände Arbeit reichte ja kaum aus, um sie selbst zu erhalten! Es war eine schreckliche Lage nach Innen und Außen, ein Kampf der Seele, die gemartert, ein Kampf des Leibes, der nahe dem Erliegen war.
Doch wer kehrte wieder zu ihr, lachend, grinsend, seine Arme breitend? Der Kapitalmensch! Und neuerdings bot er seine Schätze, bot er seine – haha seine Liebe! Er wollte Ernst durch Macht und Mittel befreien, er wollte sie auf Rosen betten, nur möge sie sich sein, des Elenden, einziges Eigenthum nennen!
Adele blieb ein Engel.
Und sie darbte und arbeitete die Nächte hindurch, färbte die weißen Augenlider roth und die blühenden Wangen blaß und bleich, und kam vor's Kerkergitter und reichte lächelnd Gaben dem armen Gefangenen. –
Er war ein armer, armer Mann! Hatte ihm nicht die Einsamkeit das Hirn fiebern, hatte ihm nicht die Kerkerluft die geistigen Kräfte überreizt gemacht? In seinen rastlosen Tagen, in seinen schlummerlosen Nächten hatte er sie der Untreue gezeiht, schoßen die grausigen Gespenster der Verführung vor ihm in die Höhe, grinsten, hohnlachten aus dem 125 Dunkel hervor, ihm ins Gesicht, und die Dämone schlugen ein Gelächter auf, riefen gellend: Betrogener! Genarrter! Leichtgläubiger! – Es war ihm, als ob es von den Kerkerwänden tausendstimmig zurück in sein Ohr hallte: Betrogen! Betrogen!
Noch ward er nicht wahnsinnig. Noch brach nur der stille Grimm seines verwirrten Geistes und Herzens gegen die Arme los, die kam und ihm ihre Gaben reichen wollte. Sie sah so frisch, sie lächelte so freudig, die blauen Augen lugten so verführerisch, jugendlich – o Gott – sie mußte gesündigt haben! Woher die Gaben, woher die Frische, dieses heitere Lächeln, diese unerschöpften Blicke?
Der Unselige! Er ahnte nicht, wie ihr das Herz im Innern brach, wie der eiserne Wille in diesem schwachen Geschöpfe es stärkte, wie Adele die blauen Augen mit dem Quellwasser wusch, wie sie lächelte, während die Thränen ihr reichlich im Innern tropften.
Und sie kam seltener, um dem Armen weniger Verdacht einzuflößen; sie brach sich von dem Glücke des Sehens, das selbst in dem Anschauen seiner gesunkenen Gestalt lag, ab, und sendete was sie in den kummervollen Nächten erwarb, heimlich, als von einem treuen Freunde gespendet. Aber des Stolzen Wahn ließ ihn auch dies zurückweisen, und die Schergen des Kerkers behielten es selbst, nahmen in seinem Namen lachend die eigene Zeche an.
Adele's Ausbleiben bestärkte den Unglücklichen – und sein Elend war unermeßlich!
Sie aber hatte die Richter erweicht, überzeugt, den elenden Hauptankläger entlarvt – es war der Kaufherr – Gerechtigkeit siegte! Der Schurke und Verläumder wurde wol entlassen, als ein patriotischer Bürger, dessen lebhaftes 126 Gefühl und treues Denken für Fürst und Vaterland ihn irre geführt; aber auch der arme Gefangene ward frei; und er schöpfte in seinen Busen wieder einmal den vollen Athem aus dem freien Luftzuge der göttlichen Natur!
Er brauchte wenig zu sehen und zu hören, der arme gemarterte Ernst, er lag bald weinend zu ihren Füßen und bat um Verzeihen! Sie aber senkte das blonde Haupt herab nach ihrem Schoße, wo Ernst das seine gelegt, und küßte dies, dann brach sie zusammen; denn sie war erschöpft, sie hatte Monate lang den größten Theil der Nächte gearbeitet für ihn, gedarbt für ihn, gelitten durch ihn, und war betrogen um das blutig Errungene, das sie dem Geliebten zugedacht.
Sie lag fiebernd zu Bette. Die blauen Augen starrten in den Raum und kannten Ernst nicht mehr. Er sollte, er mußte für sie sorgen, er, der eben die eigenen geistigen Kräfte vom nahen Wahnsinne gerettet, der gebrochen an Geist und Körper war.
Er suchte das Beste hervor, was er früher geschrieben. Kam er zur Bühne – mein Herr, hieß es, Sie sind kompromittirt – das Hof-Institut kann doch keine Arbeit eines Feindes aufnehmen! – Er ging zu Privatbühnen. Der tägliche Hanswurst war in seinem Stücke nicht beschäftigt, dieser mußte der Bühne das Geld herausschlagen, das er ihr kostete und noch viel mehr, der Dichter wurde abgewiesen. – Adele litt. – Er eilte mit einem Romane zum Buchhändler. Herr, das bedarf Ueberlegung, hieß es, kommen Sie morgen, übermorgen, nächste Woche, in einem Monate, in zweien, wir müssen das proben, durchlesen, kritisiren lassen.
Er ging wieder, Adele darbte wieder im Kranksein. 127
Er versuchte Alles; Alles schlug fehl. Die Zeit war ernst, mit schweren Tagen kämpfend und hatte für den Luxus der Kunst keinen Sinn. Und wenn ihm auch hie und da der Erwerb einer Kleinigkeit gelang, sie währte von heute bis morgen – die Noth begann stets von Neuem.
Und er mußte meist an ihrem Bette wachen. Denn wenn sie das Auge manchmal aufschlug und, wieder zum Bewußtsein gelangt, nicht in das seine blicken konnte, so war sie kränker, leidender.
Doch Hilfe mußte er haben. – Der Chef einer wandernden Gasthaustruppe, mit dem ihn der Zufall zusammenführte, bot ihm einige Geldstücke für eine neue Farçe an. Ernst – eine Wirthshausfarçe, eine Farçe, und jetzt? – Doch – kühne Träume fahret hin! – Er schrieb und stoppelte und drängte sich selbst, und die Gulden waren verdient.
Aber sie waren rasch wieder zu Ende. – Was nun? Betteln, stehlen? – Trauriges, trauriges Los! Der Freie wünschte sich den elenden Kerker zurück; – schrecklich für Den, der weiß was es heißt: gefangen sein!
Und der rettende Gasthauskomödiant griff wieder in sein Schicksal ein. »Mein Gefährte ist mir untreu geworden, kommen Sie zu mir, spielen Sie mit mir!«
Ernst, der Dichter Ernst, der Stolz seiner Freunde, das junge Talent in den besten der Blätter sonst prangend, dessen Jugend voll der herrlichsten Träume von Größe und Bedeutung für das Vaterland, der frei und rein von aller Niedrigkeit bisher, verachtend den Pöbel, welcher das Gemeine schätzt und das Edle meidet, verwerfend die Rohheit die sich dem Gespötte, dem Gelächter des Stumpfsinnes und 128 der Niedrigkeit willig hingibt – Ernst im Wirthshause »Komödie« spielend?
Und er riß sich blutend los vom Bette der Geliebten und ging in die Lappenkammer des erbärmlichen Komödianten.
Es war eine recht lustige Farçe, recht lustige; er sollte den Drolligsten darin spielen und die Leute recht lachen machen. Er studirte daran, Ernst führte sich die niedrigen Worte zum Gedächtnisse, er mußte sie am Abend zur Erlustigung vorbringen.
Und er schminkte sich, zog die bunten Lappen an, und die Harfe klimperte recht lustig. Der bemalte Lachbruder trat auf die bretterne beleuchtete Tribune und sollte seine Spässe machen.
Aber zu Hause lag eine Braut mit aufgelösten Haren und sehnte sich eben, in ihrer Krankheit, um ihn. Sie bangte um die Hülfe, um seine Hand für die erkaltende ihre, sie starb vielleicht – o Gott! – und die Sinne verwirrten sich dem Lustigmacher als er das dachte. Und wie er eben recht zum Lachen grinsen wollte, rann ihm eine Thräne über die Backen, seine Worte waren ein krauses Durcheinander, und er wußte nicht was er sagen solle.
Aber das Publikum schrie: er ist besoffen! herab mit ihm, dem elenden Kerl, er ist besoffen! – Sie warfen ihn mit Speiseresten und schleuderten ihre Tellerreste nach ihm, und einige rohe Betrunkene streckten die Hand nach ihm aus, oder ließen ihre Stöcke auf seinen Kopf und Rücken fallen und fällten ihn zu Boden! – –
Da lag er, da lag er blutend,« wiederholte der Lesende stockend, und Thränen perlten ihm selbst über die Wangen – »da . . .« wollte er fortfahren, doch er stockte.
»Weiter, weiter!« riefen einige Stimmen neugierig. 129
Doch Ernst warf, mit einer entschlossenen Wendung, die Blätter des Manuskriptes zu, strich von der bleichen Stirne die braunen Locken zurück, über die Wangen flog die unheimliche Röthe, und zwischen den fest geschlossenen Lippen murmelte er, aber vernehmlich:
»Das Weitere wird folgen. Ich weiß noch nicht, stürzt sich Ernst aus Verzweiflung in den Strom, oder vergiftet er sich, oder flieht er, um Adele allein zu lassen und an seinen Tod glaubend – das Weitere wird erst erfolgen.«
Hiebei sank er erschöpft in seinen Stuhl zurück, die Gesellschaft sah sich beängstigt an, der Vorleser hatte einen unheimlichen Eindruck gemacht. Einen Augenblick folgte Stille, dann heftiges Murmeln. Die Einen wollten wissen, ob Adele gesund sei und was mit ihr geworden, die Andern wie es dem Kaufherrn ergangen, ob der Vorleser den Herrn Ernst gekannt, ob er wirklich gelebt? und so weiter.
Der Leser aber heftete nur die schwarzglühenden Augen in die Menge, athmete erschöpft und schüttelte abwehrend das Haupt. Er murmelte, als Antwort auf alle Fragen, nur zwischen den halb geschlossenen Lippen: »Das Weitere wird sich finden, wird erst folgen!« –
Es war schon spät, der Präsident löste die Versammlung auf, und Jeder ging seiner Wege.
Schnepselmann und Schwach, nachdem sie mit der ganzen Welt rasch Hand geschüttelt, und Letzterer die nicht kleine akademische Rechnung berichtigt hatte, gingen eine Strecke schweigend nebeneinander. Der letzte Vortragende hatte auch auf sie einen sonderbaren Eindruck gemacht.
»Nun, was sagen Sie zur Akademie?« frug Schnepselmann. 130
»Sonderbar, aber interessant!«
»Ganz richtig; sonderbar, aber interessant und voller Genie!«