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XIV.

Um Maries Schmerzenslager standen Frau Krzycka, Frau Otocka und Hanka; im Hintergrunde hielten sich Gronski, Wladislaw und Dr. Szremski auf, ferner ein noch hinzugezogener Chirurg und dessen Assistent. Durch eine glücklich verlaufene Operation war die Kugel entfernt.

Gleich nach der Operation war Marie erwacht, aber, noch halb betäubt, entschlummerte sie gleich wieder. Ihr schöner Kopf lag unbeweglich auf den Kissen, ihr sonst so rosiges Antlitz war wachsbleich und durchsichtig, als ob der Tod bereits eingetreten sei.

Im Zimmer herrschte tiefe Stille. – –

Frau Otocka war der Verzweiflung nahe, und in Gronkis Zügen, der sich erst jetzt seiner unermeßlichen Liebe für dieses holde Kind recht bewußt wurde, prägte sich eine tiefe Trauer aus, die die Brust zu sprengen drohte, aber nach außen zu zeigen sich scheute.

Man sah voll banger Erwartung auf Dr. Szremski, der von Zeit zu Zeit Maries Puls prüfte und selbst unsicher zu sein schien, ob dieser Schlaf nicht der letzte sein würde. Er winkte und legte die Finger an die Lippen, zum Zeichen, daß jeder sich ruhig verhalten möge.

Die Befürchtungen waren jedoch vorläufig unbegründet, denn nach einer Stunde etwa hoben sich Maries Lider, sie öffnete die Augen. Ihr Blick war anfangs stumpf und wie besinnungslos; aber langsam wich die Betäubung und es kehrte ihr das Bewußtsein all dessen, was sich ereignet hatte, wieder. Auf ihrem Gesicht malte sich Erstaunen und eine Rührung, wie sie ein Kind empfindet, das furchtbar, doch schuldlos bestraft wurde. Endlich verdunkelten sich ihre Augen und Tränen rollten über ihre Wangen.

»Wofür? … wofür?« flüsterten ihre bleichen Lippen.

Frau Otocka setzte sich zu ihr und legte die Hand in die ihrige. Gronski war fassungslos. Die Kranke fragte wieder mit verwundertem und wehmutsvollem Flüstern:

»Wofür? … wofür? …«

Gott allein konnte diese Frage beantworten.

Doch mittlerweile näherte sich der Arzt und warnte:

»Sie dürfen nicht sprechen, das schadet Ihnen.«

Sie verstummte also, doch der Ausdruck der Wehmut wich nicht aus ihren Zügen und die Tränen flossen weiter.

Die Schwester trocknete dieselben, indem sie dabei mit gedämpfter Stimme wiederholte:

»Marie, Marie, beruhige dich … du wirst genesen, du bist nicht gefährlich verwundet … nein, nein! der Arzt versichert …«

Marie sah zu ihr auf, wie um zu erraten, ob sie die Wahrheit spreche. Es schien jedoch, daß sie die Worte der Schwester mit Zuversicht erfüllten.

»So schwül …"

Szremski öffnete die Fenster; der Abendhimmel war sternhell und klar; ein erfrischender Lufthauch trug den Akazienduft hinein.

Die Verwundete lag einige Zeit ruhig, plötzlich aber begann sie wieder jemand mit dem Blick zu suchen und fragte:

»Ist Herr Gronski da?«

»Ich bin hier, mein Lieb, ich bin …«

»Sie … verlassen … mich … nicht? – nicht wahr?«

Gronski schien es jetzt, daß tiefe Nacht ihn umgebe und daß er aus undurchdringlicher Finsternis mit einer fremden Stimme erwidere:

»Nein, nein!«

Entsetzen prägte sich in ihrem immer bleicher werdenden Antlitze aus:

»Ich will nicht sterben … ich fürchte mich …«

Und wieder flossen aus ihren Augen Tränen, wehe Tränen eines gekränkten Kinderherzens.

Der Eintritt des Priesters unterbrach den schrecklichen Augenblick. Es war derselbe alte Domherr, ein Verwandter der Krzyckis und Zbyltowskis, dem vorher Frau Krzycka gebeichtet hatte. Er trat näher, setzte sich an Maries Bett und neigte sich zu ihr mit freundlichem, zuversichtlichem Lächeln.

»Wie geht es dir, mein liebes Kind? Ach, die Niederträchtigen! … Doch Gott ist mächtiger als sie – und alles wird sich zum Guten wenden. Ich bin nur gekommen, um mich nach deinem Befinden zu erkundigen. Gott sei Dank, daß die Kugel schon herausgezogen wurde – jetzt braucht man nur Geduld, und du wirst geduldig sein – nicht wahr?«

Marie gab mit den Augen ein Zeichen der Zustimmung,

Der Greis aber fuhr fort mit frischerer und gleichsam froherer Stimme:

»Siehst du! – ich wußte es. Nun aber will ich dir sagen, daß es etwas gibt, das besser hilft, als alle Arzneien und Verbände. Und weißt du, was? – die Sakramente! O wie oft habe ich es schon erlebt, daß es Menschen, die nur um Haaresbreite vom Tod entfernt waren, nach der Beichte, der Kommunion und der letzten Ölung gleich besser ging, und daß sie hierauf ganz gesund wurden. Du aber hast es noch weit bis zum Tode, allein wenn es christliche Pflicht ist, die der Seele und dem Körper hilft, muß man sie erfüllen. Nicht wahr, mein Kind? …«

Marie nickte.

Die Anwesenden verließen nun das Zimmer und kehrten erst beim Klang des Glöckchens zurück, um Zeugen der Kommunion zu sein. Nachdem die Kranke dieselbe empfangen hatte, lag sie einige Zeit mit geschlossenen Augen und in stillem Frieden; dann kam der Moment der letzten Ölung.

Auch die ganze Dienerschaft erschien jetzt im Zimmer, und mit unterdrücktem Schluchzen hörten alle das vor dieser Zeremonie übliche Gebet an:

»Herr Jesus Christus, der du durch deinen Apostel, den heiligen Jakob, sagtest: ›Ist jemand krank unter euch so rufe er die Priester der Kirche zu sich, und die sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Wir flehen dich an, Herr Gott, unser Erlöser, durch die Gnade deines Heiligen Geistes erbarme dich dieses Kranken; heile seine Wunden, erlasse ihm die Sünden und entferne von ihm alle seelische und körperliche Pein, und in deiner Barmherzigkeit gib ihm seine volle Gesundheit zurück, damit er, durch deine Gnade dem Leben wiedergewonnen, von neuem gute Taten vollbringen könne – o du, der du Gott bist, lebst und herrschest mit dem Vater und dem Heiligen Geist, durch alle Ewigkeit – Amen!«

 

Der Priester schien zu eilen. Rasch nahm er das zwischen zwei Kerzen unter dem Kruzifix stehende Gefäß und, indem er sich der Kranken näherte, flüsterte er das zweite durch den Ritus vorgeschriebene kurze Gebet, und gleichzeitig nahm er die heilige Salbung vor. Er berührte also vorerst die Lider des Mädchens, indem er sprach:

»Durch diese heilige Salbung und seine mildreichste Barmherzigkeit vergebe dir der Herr alle Sünden, die du dir durch den Gesichtssinn zuschulden kommen ließest« – dann salbte er ihre Ohren, um die Sünden zu tilgen, die sie mit dem Gehör begangen hatte, hierauf die Lippen, dann die zwei weißen, liliengleichen Hände, die heute eben zugunsten der Armen spielen sollten; dann segnete er sie im ganzen vom Kopf bis zu den Füßen – die von allen Flecken bereits reine und wirklich schon so engelgleiche und makellose, die weiße Lilie des Feldes.

So verfloß eine halbe Stunde. Den Anwesenden schien es, als ob die Kranke wieder einschlafen würde. Doch unverhofft öffnete sie die Augen und rief mit einer stärkeren, wie freudigen Stimme:

»Wie viel Brot! … wie viel Brot! …«

Mit diesen Worten schlummerte sie sanft hinüber in eine bessere Welt.

 

Es war bereits tiefe Nacht, als ein junger Mensch an der Haustür pochte und den Portier fragte, ob das Fräulein noch lebe; als er hörte, sie sei schon gestorben, entfernte er sich schweigend.

Eine Stunde später krachte auf dem Dachboden eines Hauses an der Weichsel ein Schuß und erfüllte die plötzlich aus dem Schlaf geweckten Hausbewohner mit Entsetzen. Die Leute aus den Nachbarstuben liefen der Unglücksstelle zu; man sprengte die von innen geschlossene Tür, doch alle Hilfe erwies sich als nutzlos. Auf dem Bett lag mit durchschossener Brust der Leichnam des Studenten.

Seine düstere Seele flog bereits der Finsternis entgegen.


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