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XI.

Gronski und Krzycki nahmen Dolhonskis Ankündigung für einen jener Witze, die ihm so oft einzufallen pflegten, er aber hielt sein Wort, denn am nächsten Tage erklärte er sich im vollen Ernst Frau Otocka, und nachdem er einen eben so ernsten Korb erhalten hatte, fuhr er nach Gorki und ließ sich daselbst für einige Zeit nieder.

Die jungen Damen und sogar Frau Krzycka amüsierten sich sehr darüber und ihre Neugier war in hohem Grade erregt, besonders als die Nachricht eintraf, daß der Landstreik in Gorki an dem Tage aufhörte, da Dolhonski eingetroffen war. Der Streik endete nach einigen Tagen auch in Rzenslewo, teils durch den Gang der Dinge, durch die in der Bauernnatur tief eingewurzelte Überzeugung, daß mit »der heiligen Erde« nicht zu scherzen sei, teils aber durch die Nachricht, die sich im Dorfe verbreitet hatte, daß jemand von irgend welchem Komitee kommen und die Angelegenheit austragen werde. So war es mit der Gutsdienerschaft. Was die Bauern und die Landwirte anbelangt, so widersetzten sich diese noch immer der Gründung einer Schule und entsagten nicht der Hoffnung, die herrschaftlichen Grundstücke ihr eigen zu nennen, aber sie erwarteten ebenfalls diesen »Jemand« mit Angst und Hoffnung, da sie sicher glaubten, nicht das Testament und das Gesetz, sondern diese unbekannte Macht werde alles entscheiden.

Unterdessen wurde es auf dem Lande etwas ruhiger und trotz der Zeitungsnachrichten, daß in der Städten der Trubel immer größer werde, war Krzycki überzeugt, und diese Überzeugung teilten auch die Gäste, daß in dieser Gegend der Sturm bereits vorbei sei.

Da der Doktor erklärt hatte, daß man mit der Abreise der Frau Krzycka noch bis zur ersten Besserung in ihrem Leiden warten müsse, beschloß Krzycki, die kurze Spanne Zeit bestens auszunützen, so lange die jungen Damen noch in Jastrzemb anwesend waren.

Die Reitpartien nahmen ihren Anfang und man veranstaltete sie jeden Morgen, so oft nur der Regen nicht störte.

Krzycki hatte sie besonders gern, weil Gronski, der etwas »lateinisch« ritt, seiner »Adoration« Gesellschaft leistete, und er stundenlang mit Fräulein Anney ungestört verweilen konnte.

Da sie beide ausgezeichnete Reiter waren, befanden sie sich stets an der Spitze – und verschwanden meist in der Entfernung. Oft fingen sie an zu galoppieren und berauschten sich an dem tollen Ritt, an der Luft, der Sonne und miteinander. Manchmal ritten sie langsam, gemessen, Steigbügel an Steigbügel, und dann verfielen sie auf Augenblicke in ein verlegenes, unsagbar wonniges Schweigen, das sie mit einem noch innigeren Bande verknüpfte, als es durch Gespräche geschehen konnte.

Krzycki umfaßte mit seinem Blick die Gestalt des goldhaarigen Mädchens, das zu Pferde die göttlichen Formen einer griechischen oder etruskischen Vase hatte, und weidete an ihr seine Augen; er hörte ihre Stimme und glaubte, dies sei eine vollkommenere Musik als Fräulein Maries Geigenspiel.

In den Momenten, wo er dem Mädchen aufs Pferd half und mit seiner Handfläche ihren Fuß stützte, mußte er mit ganzer Macht dagegen ankämpfen, an diese Füße nicht die Stirn und den Mund zu pressen. Und er dachte oft, wenn er sich je erkühnen sollte, so etwas zu tun, wurde er wünschen, in dieser Situation am längsten zu verweilen. Zu diesem weiblichen Wesen trieben ihn all seine Sinne, aber durch den Flug und die Kraft der Gefühle hörten seine Begierden auf, kriechenden Schlangen zu gleichen, sie verwandelten sich vielmehr in geflügelte Vögel, die imstande waren, sich bis zum Himmel emporzuschwingen.

Seine Liebe wurde mit jedem Tage dem Strudel ähnlicher, der alles in sich hineinzieht und es verschlingt. Es schien Krzycki, daß die Luft, die Sonne, die Felder, die Wiesen, die Wälder, der Vogelgesang, der Duft der Bäume und der Blumen und das abendliche Geigenspiel des Fräulein Marie nur Elemente dieser Liebe seien, die ihr angehörten, ihren Bestandteil bildeten und die ohne diese Liebe kleinlich und inhaltlos wären.

Dieser Strudel ergriff vor allem ihn selbst und tauchte ihn immer tiefer hinein mit einer Kraft, der er sich jeden Tag schwächer widersetzte, aus dem einfachen Grunde, weil dieser Abgrund ihm als der Abgrund des Glückes erschien.

Krzycki übergab nicht mehr Fräulein Anney irgend einem Engländer mit »hervorstehender Kinnbacke« oder einem »Schotten mit nackten Knien«, denn er würde sie nicht für ganz England oder Schottland hingeben. Er hörte auf, sich einzureden, daß sie nur ein Typus von einem Weibe sei, das er wohl lieben könne, sondern er gestand sich ehrlich zu, sie sei eine Person, in die er sich schon verliebt habe. Durch Liebe entstand in ihm ein klarer und starker Wille, darum dachte er mit der ganzen genauen Gefühlslogik, daß er dieses über alles teure und begehrte Wesen erobern, hinnehmen und fürs ganze Leben besitzen wolle.

Nur ein Weg führte dorthin – darum wollte er diesen mit der rücksichtslosen Bereitwilligkeit eines Menschen beschreiten, der glücklich werden will. Schon mehrmals schwebte auf seinen Lippen ein Geständnis, das er jedoch unterdrückte und von einem Tage zum anderen verschob, aus Furcht, die jedes liebende Herz empfindet, und dann aus Berechnung. Denn obwohl die Liebe blind ist, ist sie es dennoch nicht dort, wo es sich um ihren Vorteil handelt. Sie versteht es sogar, Vorteile und Hindernisse auf solch feiner Wage zu wiegen, daß sie in dieser Hinsicht vielleicht das vorsichtigste, das vorahnendste und durchtriebenste aller menschlichen Gefühle ist.

Krzycki bemerkte, daß zwischen seiner Mutter und Fräulein Anney eine gegenseitige Zuneigung im Entstehen begriffen war, die von seiten der Jugend, der Gesundheit und Kraft als freundschaftliche Bevormundung empfunden wird, und auf seiten der ältlichen und kränklichen Leute Dankbarkeit erzeugt.

Alle drei Damen waren um Frau Krzycka sehr besorgt, doch weder die Sorgfalt Frau Otockas noch jene des Fräulein Marie war so wachsam und so wirksam, wie Fräulein Anneys Aufmerksamkeiten.

Frau Krzycka erklärte ganz offen, daß selbst Wladislaw nicht mit solcher Geschicklichkeit den Lehnstuhl, an den sie die Schwäche hin und wieder fesselte, von einem Zimmer ins andere schieben könne, selbst er sei nicht imstande, alles so vorauszusehen und ihr so nach Wunsch zu machen wie diese lichthaarige »englische gute Fee«.

Und Krzycki kam es manchmal in den Sinn, daß die »gute Fee« dies alles gewiß aus Güte und herzlicher Freundschaft für die Mutter, aber auch darum tue, um sie für sich zu gewinnen. Und das Herz bebte ihm vor Wonne, daß ein Augenblick kommen könne, wo seine und der Mutter Wünsche sich darin, was er selbst am sehnlichsten im Leben erhoffte, vereinigen würden. Doch befürchtete er durch ein verfrühtes Geständnis die Bande, die sich von selbst knüpften, zu zerreißen, und deshalb verschluckte er die Worte, die ihm manchmal wie Feuer auf den Lippen brannten.

Übrigens wurde bei ihnen alles zum Geständnis: Gespräche, Schweigen, Blicke. Krzycki wagte bisher nicht, ihr ausdrücklich zu sagen, daß er sie liebe, er wollte sich aber mit jedem Wort einen Weg bahnen, um dem ersehnten Augenblicke näher zu kommen. Mittlerweile geschah es oft, daß er den Atem verlor und nicht sprechen konnte oder was anderes sagte, als er sich vorgenommen hatte.

Einmal, als sie durch die üppige Wintersaat ritten, und als der Windhauch die Kornähren, den roten Mohn und die grauen Schafgräser zu ihnen herabbeugte, beabsichtigte er ihr zu sagen, daß ganz Jastrzemb sich zu ihren Füßen neige, aber er sagte ihr nur mit großem Herzklopfen und mit dumpfer, fremdartiger Stimme, das Getreide liege stellenweise auf der Erde. Darauf nannte er sich im stillen einen Idioten und härmte sich, weil er mutmaßte, auch sie sei sicherlich derselben Ansicht.

Es schien ihm, daß sie sich besser beherrschen könne und immer nur das sage, was sie wirklich sagen wolle. Als sie deshalb ein wenig aus Koketterie und ein wenig aus Gewohnheit seine Worte wie ein Echo wiederholte, und ihm zum Beispiel zur Antwort gab, »daß das Getreide sich stellenweise niederlege«, kamen ihm ihre Worte ungemein bedeutungsvoll vor und er sann stundenlang über deren Sinn nach.

Besonders in der Frühe hatte er Momente, wo seine Sinne sich beruhigten und er selbst ruhiger wurde, wo seine Worte nicht wie Soldaten auftraten, die nicht in Reih' und Glied, sondern nach Belieben marschierten. Manchmal lieferten das Thema zu diesen ruhigen Gesprächen äußerliche Veranlassungen, meistens aber die Sorge wegen des baldigen Auseinandergehens. Krzycki verschanzte sich dann hinter der Mutter und sagte in ihrem Namen dasjenige, was er im eigenen nicht zu sagen wagte.

»Ich stelle mir vor«, sagte er am nächsten Tage nach einem Besuche des Arztes, »wie die Mutter sich nach Ihnen dort sehnen wird.«

Und das Mädchen, dem es augenscheinlich in den Sinn kam, daß außer der Mutter auch der Sohn sich ganz besonders sehnen würde, schaute ihn ein wenig neckisch durch die nebligen Streifen ihrer eigentümlichen Augen an und erwiderte:

»Ich bin solch ein Zugvogel! Ihre Mutter wird mich bald vergessen haben.«

»Ach! ich versichere Sie, das nicht!« rief Krzycki.

Dann fügte er hinzu:

»Ich kenne meine Mutter. Sie hat sie ungemein liebgewonnen.«

»Es sind ja noch keine zehn Tage seit unserer Ankunft. Kann man jemand so schnell liebgewinnen?«

Darauf entgegnete Krzycki mit tiefer Überzeugung:

»Man kann! – Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß man kann.«

Es war so etwas Naives in der Art und im Tone dieser Antwort, daß Fräulein Anney sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Er aber bemerkte es und versetzte schnell, wie um sich zu rechtfertigen:

»Weiß man denn, woher das Lieben kommt. Manchmal hat man sogleich bei der ersten Begegnung das Gefühl, als ob man jemand gefunden hätte, den man schon lange suchte. Es gibt unerforschliche Kräfte, welche Menschen zueinander hinziehen, obgleich diese sich nie gesehen haben und voneinander weit entfernt leben.«

»Müssen solche Wesen sich immer einmal irgendwo treffen?«

»Nein«, erwiderte er, »ich denke, nicht immer. Aber dann sehnen sie sich immer und wissen nicht wonach, und empfinden ewig die Leere des Lebens.«

Und nun begann wie unwillkürlich durch seinen Mund die echte Poesie der Jugend und des Gefühls zu sprechen:

»Sie nannten sich einen Zugvogel«, sagte er, »die Liebe ist auch solch ein Vogel, nur kein Zugvogel, vielmehr ein zugeflogener Vogel … Er kommt plötzlich von weit her, von jenseits der Berge … jenseits der Meere zugeflogen, nistet sich im Herzen ein und beginnt ein Lied zu singen, daß der Mensch, der es hört, die Augen schließen und nie erwachen möchte.«

Bei diesen Worten erzitterte er vor Rührung. Eine Weile erfaßte ihn die Lust, vom Pferde herabzuspringen, mit den Armen die Füße des Mädchens zu umfassen und auszurufen: »Du bist diese Liebe, also fliege nicht fort, mein süßer Vogel!« Aber gleichzeitig bemächtigte sich seiner eine furchtbare Angst vor diesem Moment und vor der Nacht, die ihn umfangen würde, wenn seine Bitte vergeblich gewesen wäre.

Er nahm nur den Hut ab, wie um die heiße Stirn zu kühlen. Die lange Stille, die zwischen ihnen jetzt herrschte, unterbrach nur das Schnaufen der Pferde, die im Schritt gingen, und denen vom Gebisse unter dem Zaume weißer Schaum hervorquoll.

Daraufhin ließ sich Fräulein Anney mit einer ungewöhnlich gedämpften Stimme, die ein wenig wie eine Warnung klang, vernehmen:

»Ich höre, daß Herr Gronski und Marie sich uns nähern.«

»So ist es«, erwiderte Krzycki.

In der Tat nahte auch bald das zweite Paar heran – lustig und animiert. Fräulein Marie begann schon aus einiger Entfernung zu rufen:

»Herr Gronski erzählte mir wunderschöne Sachen von Rom. Bedauert es, meine Herrschaften, daß ihr es nicht gehört habt.«

»Mehr von der Umgebung Roms als von Rom selbst«, sagte Gronski.

»Ja. Ich war in Tivoli, im Castel Gandolfo, in Nemi …«

»Wundervoll! Ich werde jetzt Sophie so lange quälen, bis wir wirklich dorthin fahren und Herr Gronski mit uns.«

»Und nimmst du mich auch mit?« fragte Fräulein Anney.

»Gewiß. Wir reisen alle im Herbst oder im nächsten Frühling. – Haben Sie auch von einer Expedition gesprochen?«

Eine Weile hörte man keine Antwort.

»Nein«, entgegnete endlich Fräulein Anney, »wir sprachen über Zugvögel.«

»Jetzt ist es ja Frühling, und die Vögel fliegen nicht fort.«

»Und dennoch bereiten sich die Damen zum Fortfliegen vor«, erwiderte seufzend Krzycki.

»Es ist wahr, aber nur deshalb, weil die Tante fortfährt. Doch auch sie« (hierbei zeigte sie mit der Spitzrute auf Fräulein Anney) »redet uns zu, daß wir alle drei dorthin fahren möchten, wohin der Arzt die Tante schicken wird.«

Hierauf wandte sie sich an Krzycki:

»Sie können gar nicht glauben, wie gut sie ist, und wie die Tante sie liebgewonnen hat.«

»Ich sollte nicht glauben – ich?« rief Krzycki eifrig.

Fräulein Anney, die ihn vorher befragt hatte, ob man jemand so schnell liebgewinnen könnte, wurde sehr verwirrt, und indem sie die Zügel losließ, begann sie mit beiden Händen sich den Hut zu richten, um auf solche Art das flammende Gesicht zu verbergen.

Krzycki hatte den Himmel im Herzen, Fräulein Marie aber schaute einige Zeit mit ihren klaren Augen abwechselnd sie und ihn an, denn auch für sie blieb es kein Geheimnis mehr, daß Krzycki bis über die Ohren verliebt sei – und es amüsierte sie ungemein und erweckte in hohem Grade ihre Neugier.


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