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XIII.

Der Tag des Konzertes kam heran. Auf dem Sofa im Ankleidezimmer der Schwestern lag schon Maries Abendkleid, weiß wie Schnee, leicht wie Schaum, durchscheinend wie Nebel; die Veilchen, die den einzigen Schmuck Maries bildeten sollten, verbreiteten einen zarten Duft. Vorher hatte Frau Otocka mit Gronski lange Beratungen über dies Kleid gepflogen, weil sie beide innig wünschten, die geliebte kleine »Gottheit« möchte nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen entzücken. – Unterdessen huschte diese kleine »Gottheit« in allen Zimmern umher, indem sie bald nach der Geige griff, um die schwierigeren Passagen zu wiederholen, bald sich an der Bonbonschachtel zu schaffen machte, die Gronski geschickt hatte, oder mit der Schwester scherzte, um die Furcht vor dem ersten öffentlichen Auftreten durch Plaudern zu vertreiben. Diese Furcht bemächtigte sich auch der Frau Otocka, die sich nur durch den Gedanken tröstete, daß Marie beim Betreten des Podiums zwar zittern, doch mit dem Momente, wo sie zu spielen anfinge, bald alles andere vergessen würde. Sie wußte auch, daß der geliebten Geigerin herrliche Ovationen und zahlreiche Blumenkörbe harrten, die das »Komitee für Hungrige«, sowie Bekannte vorbereitet hatten.

Trotz der inneren Unruhe waren die Schwestern von großer Zuversicht beseelt, denn das Konzert schien sehr stark besucht zu werden durch die zahlreichen Fremden, die anläßlich der Wettrennen sich eingefunden hatten, und die Einnahmen waren bereits jetzt außerordentlich hohe.

Marie fand dabei ein Mittel gegen ihre Angst. »Wenn ich denke«, sagte sie zur Schwester, »daß so viel Augen auf mich schauen, könnte ich fast sterben vor Furcht; wenn ich mich dann aber erinnere, daß es sich nicht um mich, sondern um die Armen handelt, höre ich auf mich zu fürchten; ich will mir daher auf die Weise helfen, daß ich beim Auftreten mir still wiederhole: ›für die Armen! für die Armen!‹ – und alles wird dann wie am Schnürchen gehen.«

Und während sie so sprach, bebte ihre Stimme vor Erregung, weil ihr junges Herz tief das Mißgeschick der Elenden und Brotlosen empfand und sie zugleich stolz und glücklich war, ihnen helfen zu können. Sie hatte sogar ein wenig Gewissensbisse wegen des neuen Kleides und der neuen Atlasschuhe, denn es fiel ihr ein, daß auch diese Ausgabe besser für Brot hätte angelegt werden können.

Mittag kam Hanka und lud beide Schwestern zum Frühstück ein. Gronski war ebenfalls eingeladen, mußte aber absagen, weil er zu dieser Zeit mit einigen Journalisten zusammentreffen sollte.

Marie hatte die Geige in der Absicht mitgenommen, nach dem Frühstück den ersten Teil des Konzertes nochmals durchzuspielen und schaute nun, während der Tisch gedeckt wurde, in Hankas Salon durchs offene Fenster auf die Straße.

Es war ein schöner, heller Tag. In der Nacht war ein ausgiebiger Regen gefallen, der den Staub entfernt, die Pflastersteine abgewaschen und den Rasen erfrischt hatte. Die Luft war frisch und würzig. Die zwei vor Hankas Fenstern lohenden Akazienbäume, die ringsumher das Trottoir mit schneeweißen Flocken übersät hatten, strömten einen starken berauschenden Duft aus, den Marie, die zarten Nasenflügel bewegend, mit Wonne einzog. Dann wandte sie sich nach dem Innern des Zimmers:

»Wie das duftet!« … sagte sie.

»Ja, es duftet, mein Kätzchen«, erwiderte Hanka, das Gespräch mit Frau Otocka unterbrechend, »ich habe die Fenster absichtlich deshalb öffnen lassen.«

Und beide Akazienbäume dufteten nicht nur, sie schienen auch zu singen, denn sie waren von einer großen Spatzenschar besetzt, so daß Blätter und Blüten von dem Zwitschern zu erbeben schienen.

Das Mädchen verfolgte eine Zeitlang mit vergnügtem Blick die kleinen beweglichen Vögel, dann aber lenkte etwas ganz anderes ihre Aufmerksamkeit ab, nämlich, auf dem Trottoir vor dem Hause, in der Mitte der Straße und auch auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig begannen sich Menschen anzusammeln, die eifrig die Fenster von Hankas Wohnung betrachteten.

Einige ärmlich gekleidete Leute sprachen mit dem vor Tür stehenden Hausmann, indem sie ihn augenscheinlich etwas fragten. Die Menschenmenge wurde immer zahlreicher und bildete bald mit den aus Neugier stehen bleibenden eine vielhundertköpfige Masse.

Marie trat vom Fenster zurück.

»Schaut«, rief sie, »was auf der Straße vorgeht. Ach! Ach! … vielleicht sind es meine Armen, die mir im voraus danken wollen? Was tue ich, wenn sie herkommen, was antworte ich ihnen? … Ich bringe kein Wort über die Lippen … Kommt doch, seht!«

Und mit diesen Worten zog sie die Schwester und Hanka ans Fenster. – Drei junge Köpfe bogen sich auf die Straße hinaus aber in demselben Augenblick geschah etwas Unbegreifliches. Ein zerlumpter halbwüchsiger Bursche zog einen Stein aus der Tasche und schleuderte ihn mit voller Kraft durchs offene Fenster hinein. Der Stein flog über Frau Otockas Kopf hinweg, prallte an der gegenüberliegenden Wand ab und fiel polternd auf dem Fußboden nieder. Hanka, Marie und Frau Otocka sprangen vom Fenster zurück und schauten sich mit entsetzten Blicken an.

Unterdessen tönte von der Straße her wüstes Geschrei – der Pöbel wälzte sich gegen die Haustür, auf der Treppe hörte man ein gewaltiges Stampfen – im Nu flog krachend die Tür auf und der Mob drang fluchend und schreiend in die Wohnung.

»Fort mit der Dirne! …« »heraus damit! …« »schlagt sie tot! …« brüllten heisere Stimmen.

»Um Gottes Willen! Menschen, was wollt ihr hier?« rief Hanka erbleichend.

»Hinaus mit der Dirne! … durchs Fenster! … auf die Straße! …« In einem Augenblick wurde der ältliche Diener, der den Damen zu Hilfe geeilt war, auf die Erde geworfen und mit Füßen getreten.

Die Bestie im Menschen war entfesselt. Durch ohrenbetäubendes Gejohle reizte das Gesindel sich selbst immer mehr auf. Weiber, halbwüchsige Burschen und allerlei Gelichter mit dem Verbrecherzeichen in den verkommenen Zügen zertrümmerten die Möbel, zerrissen Gardinen und Portieren und verwüsteten alles was ihnen unter die Hände kam. Schweiß- und Branntweindunst erfüllte das Zimmer. Die zerbrochenen Möbelstücke wurden von dem wütenden Pöbel aus dem Fenster geworfen, so daß sich auf der Straße ganze Scheiterhaufen zertrümmerter Einrichtungsgegenstände auftürmten. Selbst das Klavier wurde nicht verschont.

Endlich ergriff ein pockennarbiger Vagabund Maries Geige und schwenkte sie um den Kopf, um sie an der Wand zu zerschellen.

Marie aber sprang der geliebten Geige zu Hilfe und erfaßte seine Faust mit beiden Händen.

»Die gehört mir! die gehört mir! … ich soll für die Armen! …«

»Loslassen! …«

»Ich lasse nicht los! … die gehört mir! …«

»Laß los, du Luder! …«

»Die gehört mir doch! …«

Da fiel ein Schuß, und gleichzeitig ertönte Frau Otockas furchtbarer Schrei. Marie stand einen Augenblick mit erhobenen Armen und nach rückwärts gebeugtem Haupte, dann schwankte sie und fiel in Hankas Arme.

Durch den Schuß wurde das feige Gesindel ernüchtert; der Mord verursachte panischen Schrecken, so daß alles entsetzt auseinanderstob und in blinder Hast die Straße zu gewinnen suchte.


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