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IV.

Was jedoch Dolhonski über den Mangel an jedweder obrigkeitlichen Gewalt geäußert hatte, zeigte sich als nicht ganz richtig, denn nach Ablauf einer Woche gab auch die Behörde ein Lebenszeichen von sich. Eine stattliche bewaffnete Macht von Gendarmen und Polizisten rückte heran. Selbstverständlich warteten Krzyckis Attentäter nicht eine ganze Woche auf die Ankunft der militärischen Hilfe in Jastrzemb, da sie augenscheinlich auch in anderen Gegenden des Bezirkes Geschäfte hatten.

Es erwiesen sich deshalb die Jastrzember und Rzenslewoer Wälder als ganz leer. Dafür aber arretierte man in Jastrzemb selbst einige Leute, darunter die zwei Waldhüter, den Kutscher, welcher während des Überfalls verwundet wurde, und alle Arbeiter aus dem Sägewerk. Im Herrschaftshause untersuchte man sehr gründlich die Pässe, schrieb Protokolle und verhörte peinlich die Hausherren und die Gäste, die Damen inbegriffen.

Aus diesen Verhören und Untersuchungen ging klar hervor, daß die Behörde nicht deswegen kam, weil der Besitzer von Jastrzemb überfallen war, sondern um eines gefährlichen Revolutionärs, eines gewissen Laskowicz, habhaft zu werden, der nach den sorgfältig von der Polizei gesammelten Informationen sich in Jastrzemb im Einverständnisse mit den Inwohnern verborgen halten sollte.

Die Erklärung Krzyckis, daß er seinerzeit den Paß dieses Laskowicz der Polizei übersandt habe und daß Laskowicz, als er die Stadt verließ, denselben mitnehmen mußte, wie auch die Versicherung aller Anwesenden, daß Laskowicz sich in Jastrzemb nicht aufhalte, fanden keinen Glauben. Die Behörde war zu erfahren und gut beschlagen, um solchen Unsinn zu glauben und darin etwas anderes als »Illegalität und Mangel an Aufrichtigkeit« zu sehen.

Man revidierte denn auch aufs genaueste das ganze Haus, vom Boden bis zum Keller. Man beklopfte die Wände, um sich zu überzeugen, ob keine Verstecke sich darin befänden. Man suchte unter der Damenwäsche und Garderobe, unter den Teppichen, in Schubläden und unter den Schachteln mit Fenacitin-Pastillen, die Gronski mit sich zu führen pflegte, endlich in allen Wirtschaftsgebäuden, in den Krippen, in der Milchstube, in dem Teerfaß und sogar in den Bienenstöcken, deren Bewohnerinnen, offenbar von der allgemein in Jastrzemb herrschenden Illegalität angesteckt, gegen diese Revision in einer sowohl illegalen als empfindlichen Weise opponierten.

Da aber die Haussuchung trotz aller Genauigkeit, mit der sie geführt wurde, nicht das geringste Resultat ergab, konfiszierte man im Herrschaftshause gegen zweihundert Bände verschiedener Werke, Wirtschaftsregister, die ganze Privatkorrespondenz der Gutsbesitzer und deren Gäste, Elfenbeinmarken vom Kartenspiel, eine mir einem Napoleon gezierte Tischglocke, einen Rasierapparat, ein Barometer, und trotz der Lizenz, die Krzycki besaß, auch alle Jagdwaffen, endlich auch das Schießgewehr, das mit einem Stöpsel zu laden und Eigentum des kleinen Stas war.

Sogar Krzycki würde ohne Zweifel als Komplize von Laskowicz arretiert worden sein, wenn nicht die Ankunft des Doktors, der den an der Basedowschen Krankheit leidenden Hauptmann behandelte, dies verhindert hätte; besonders wirkte aber auch eine Depesche, die der aufs äußerste aufgeregte Dolhonski vor der Absendung dem Hauptmann vorwies. Das Telegramm war an einen sehr einflußreichen General gerichtet, der Dolhonskis Partner im Klub beim »Bridge« war, und enthielt eine Beschwerde über die brutale Willkür bei der Haussuchung.

Das dämpfte den Feuereifer des Hauptmanns und seiner Untergebenen beträchtlich, die früher bei der Revision der Pässe wirklich bemerkt hatten, daß Dolhonski ein Klubmitglied sei. Auf diese Weise blieb Wladislaw auf freiem Fuße, nur mit der Beigabe der Polizeiaufsicht, und der kleine Stas erhielt seine mit dem Stöpsel schießende Flinte zurück. Die Waffen gab jedoch der Hauptmann nicht heraus, weil er einen ausdrücklichen Befehl hatte, alle, selbst Jagdgewehre, in der ganzen Gegend zu konfiszieren.

» Doux pays! Doux pays!« rief Dolhonski nach dem Abzug der Polizei. »Nur Banditen besitzen jetzt Revolver. Darum reiche ich meine Demission als Kommandierender der Jastrzember Land- und Seemacht ein. Nun sind wir auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.«

»Die Herrschaften sollten morgen nach Warschau fahren«, rief der Doktor; »hier ist es nicht zum Spaßen.«

»Fahren wir also nach Warschau«, wiederholte Dolhonski, »und treten wir dort ohne Zeitverlust zu den Expropriatoren und Sozialrevolutionären über, weil ich der Ansicht bin, daß das die einzige Versicherungsgesellschaft ist, die wirklich assekuriert.«

»Vor Unfällen«, bemerkte Krzycki, »und versichern, kann man sich bei meinem persönlichen Freund und ›Teilhaber‹ Laskowicz.«

Darauf erwiderte Dolhonski:

»Dieser Teilhaber gab dir sogar auf deine Rechnung schon einen Vorschuß. Zukünftig wirst du gewiß noch etwas dazu bekommen.«

Gronski dachte auch an den Brief, den Marie von Laskowicz erhalten hatte, von dem von den Jastrzember Herren nur er allein etwas wußte, und an den persönlichen Haß, den der Mediziner auf Krzycki geworfen hatte. Möglich war es schon, daß Laskowicz in Wladislaw den Nebenbuhler und Prätendenten auf Maries Hand sah; und da noch dazu Krzycki die Wühlarbeit des Laskowicz in Rzenslewo verhindert hatte, konnte er wirklich seiner Feindseligkeit aus persönlichen und aus Parteirücksichten freien Lauf lassen. Laskowicz war vielleicht an und für sich ein in seiner Weise ehrlicher Mensch, aber die »Ethik der Partei« war in ihrem Verhältnis zur veralteten Moral revolutionär und erlaubte solche Sachen.

Vorläufig war jedoch keine Zeit, hierüber nachzudenken; Gronski machte daher nach einer Weile eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»Ob Laskowicz darin seine Finger tauchte oder nicht, das wird sich vielleicht später zeigen. Jetzt muß man an etwas anderes denken. Ich erkläre kategorisch, daß ich morgen früh meine Damen von hier fortführen werde, aber angenehm wäre es mir, wenn ganz Jastrzemb meinem Beispiel folgen würde.«

Dann wandte er sich an Szremski:

»Kann Wladislaw morgen fahren?«

»Er? Sogar bis nach England«, erwiderte der Arzt.

Gronski und Dolhonski lächelten bei diesen Worten, und Wladislaw errötete wie ein Schulknabe, und sagte:

»Das muß man den Damen verkünden.«

»Morgen also ist allgemeiner Auszug«, fügte Gronski hinzu.

Und er begab sich zu den Damen, welche die Nachricht von diesem Entschluß mit einem Gefühl sichtlicher Erleichterung vernahmen. Die beiden Schwestern beschlossen, Frau Krzycka in ihr Warschauer Heim mitzunehmen, doch diese wies dies Anerbieten zurück, da sie mit dem Sohne zusammen wohnen wollte, und gab ihre Zustimmung dazu erst dann, als Gronski erklärte, Wladislaw zu sich nehmen zu wollen und beteuerte, daß es ihm weder an Pflege noch an Bequemlichkeit mangeln solle. Fräulein Anney, deren Wohnung Tür an Tür mit derjenigen der Frau Otocka lag, wollte die jüngeren Mitglieder der Familie Krzycki und deren Lehrerin bei sich aufnehmen. Aber diese Angelegenheit verschob man bis zur Ankunft in Warschau. Derweilen durfte Krzycki aufstehen, damit er nicht, kaum aus dem Bette, sogleich die Reise unternehmen müßte.

Gegend Abend versammelte sich die ganze Gesellschaft auf der Veranda. Es fehlte nur Dolhonski, der nach Gorek hinübergefahren war, da er beschlossen hatte, der Frau Wlocka und dem Fräulein Kajetana zu raten, auch nach der Stadt überzusiedeln.

Wladislaw war nach dem starken Blutverlust und vom längeren Liegen blaß und abgezehrt, aber dadurch bekam sein Gesicht einen noch mehr durchgeistigten Ausdruck und erschien wirklich ungewöhnlich schön; die anwesenden Damen behandelten den Patienten mit außerordentlicher Zärtlichkeit. Er war derjenige, dem das Mitgefühl aller zuströmte, und deshalb versicherte er der Mutter, trotzdem es ihm ab und zu vor den Augen flimmerte, es gehe ihm ganz gut; und tatsächlich atmete er mit Wonne die frische Luft des Abends ein. Von Zeit zu Zeit erfaßte ihn eine gelinde Schläfrigkeit. Dann schloß er die Lider, und das Gespräch verstummte – doch als er die Augen wieder öffnete, sah er den auf sich gehefteten Blick der Mutter und drei von der untergehenden Sonne beleuchtete Frauenantlitze, die ihm engelgleich vorkamen.

Liebe und Freundschaft umgab ihn, es war ihm darum wirklich wohl. Sein Herz schwelgte in Dankbarkeit und Leid zugleich, weil diese guten Jastrzember Tage zur Neige gingen. Im Grunde der Seele hoffte er, Jastrzemb nicht auf lange verlassen zu müssen und nahm sich vor, bald zurückzukehren, und zwar mit jener Bestimmtheit, mit welcher Menschen ihr Glück herbeisehnen.

Die Zeiten waren aber jetzt so wunderlich und unsicher, und was alles konnte sich noch ereignen! Er ängstigte sich unwillkürlich und war besorgt darüber, was die Zukunft dem Lande bringen würde und was in einem oder zwei Jahren mit Jastrzemb geschehen könnte, das ihm jetzt wirklich so lieb war; denn hier öffnete sich ihm die Tür, hinter der er die ganze Helle seines zukünftigen Glückes sah. Und die Liebe braucht ja ein Nest, gerade so wie der Vogel. Krzycki war es ganz unfaßbar, daß er oder sein goldhaariges Mädchen wo anders als in Jastrzemb existieren könnten. Dafür aber schlug ihm das Herz doppelt hoch, als er bei ihrem Anblicke seinen Träumen freien Lauf ließ und sich vorstellte, daß sie binnen Jahresfrist oder noch früher als Hausfrau und seine Gattin auf dieser Veranda sitzen würde. In Gedanken wandte er sich an sie und fragte mit den Augen und mit der Seele. »Ahnst und errätst du meine Wünsche?«

Doch Fräulein Anney, vielleicht durch die Anwesenheit so vieler Leute geniert, antwortete nicht das geringste auf seine Blicke, saß nur wie in Gedanken versunken und schaute den Schwalben nach, die hoch über den Baumwipfeln oder über dem Teiche hinschwebten.

Als Krzycki seine Goldhaarige jetzt anschaute, war er erstaunt über den eigentümlichen Gegensatz zwischen ihrer wohlgeformten Gestalt, ihren starken Armen und der gewölbten Brust im Vergleich zu ihrem kleinen Mädchenantlitz; er sah darin einen neuen Zauber und einen Reiz, der seine Liebe zu einem peinigenden Begehren werden ließ – einem schmerzähnlichen und einem den Atem hemmenden Begehren.

Mittlerweile war die Sonne schon ziemlich tief herabgesunken und tauchte in flammender Röte unter. Das frischgemähte Gras strömte einen starken Duft aus, und die ganze Atmosphäre wurde, je mehr der Abend herannahte, erfrischender, denn die Erlen, die den Teich umrahmten, sandten von Zeit zu Zeit einen kühlen Hauch, ob schon der so zart war, daß kaum die Blätter der Bäume bewegt wurden.

Die Schwalben zogen immer höhere Kreise über der rötlich schimmernden Teichoberfläche; auf der hohen Pappel, deren Wipfel abgehauen war, klapperte ein Storch, der den Kopf einmal senkte, dann ihn wieder nach rückwärts neigte, wie wenn er die untergehende Sonne begrüßen oder eine Abendandacht verrichten wollte.

»Ich werde zum Abschied von Jastrzemb etwas spielen«, rief plötzlich Fräulein Marie.

»Ach! du liebes Wesen«, erwiderte Gronski, »soll ich vielleicht das Pult mit den Noten holen?«

»Nein! Ich werde auswendig spielen.«

Darauf übergab sie Fräulein Anney das Album mit den Jastrzember Ansichten und lief selbst hinauf, um bald mit ihrer Geige zurückzukommen. Eine Weile hielt sie dieselbe an den Arm gestützt, und die Augen erhebend dachte sie nach; ihre Wahl fiel auf Schumanns »Ich grolle nicht«. Die tönenden Klänge erfüllten bald die Stille des Gartens. Sie begannen zu singen, zu träumen, sich zu sehnen und zu weinen, sich einzuwiegen und sich dann zu beruhigen – und dasselbe tat auch die Menschenseele. Die Traurigkeit wurde noch trauriger, die Sehnsucht sehnsüchtiger, die Liebe tiefer und inniger.

Und die »kleine Göttin« spielte noch immer – weiß in ihrem Musselinkleide – ruhig mit sinnenden Augen, die in die unendliche Ferne schweiften, und keusch, wie wenn sie durch die eigene Musik und das eigene Spiel in den Himmel erhoben wären.

Gronski schien es, als ob er eine mystische Lilie vor sich habe, und er widmete ihr in Gedanken eine Litanei, in der jedes Wort eine Verehrung war, ein Dank dafür, daß sie durch ihr Spiel eine von allen irdischen Schlacken freie Liebe in ihm erweckt habe.

Nach Beendigung des Spieles ließ Marie den Arm mit der Violine längs ihres Kleides niedersinken. Niemand dankte ihr, niemand sprach ein Wort, weil alle noch der Melodie lauschten, deren Echo in ihren Seelen weiterspielte. Unwillkürlich trat Frau Otocka in Gronskis Nähe, als ob die gemeinsame Bewunderung des geliebten Mädchens sie einander näher bringen müsse.

In Frau Krzyckas Augen erglänzten Tränen, verursacht durch den Zauber der Töne, die Erinnerungen erweckten an vergangene Tage, an gegenwärtige Leiden, und neue Sorgen um den Sohn und die unsichere Zukunft.

Fräulein Anney saß sinnend da und hielt zwischen den Knien das Album, das ihr während Maries Spiel aus den Händen glitt, und durch die offene Tür, im Innern des dämmerigen Salons sah man eine unsichere weibliche Gestalt, die augenscheinlich auch der Musik gelauscht hatte.

Ein stärkerer Hauch, der von den Erlen herüberwehte, erweckte alle wie aus einem Halbschlaf. Frau Krzycka wandte sich an ihren Sohn:

»Vom Teiche, kommt Kühle; vielleicht möchtest du ins Zimmer gehen?«

»Nein«, erwiderte er, »ich fühle mich so wohl, wie schon lange nicht mehr.«

Und er begann ihr zu versichern, daß er keinen Schüttelfrost habe, und berief sich auf den Arzt, der, durch die Musik berauscht, nicht sogleich wußte, um was es sich handelte.

»Kann Wladislaw noch länger hier bleiben?« fragte Frau Krzycka.

»Ja, er kann, er kann, nur wenn die Sonne untergeht, soll er sich warm einhüllen.«

Daraufhin schaute er auf die Uhr und sagte:

»Für mich ist es höchste Zeit, fortzufahren, aber ich genieße so selten solche Abende, daß ich gar keine Lust zur Abreise habe, weiß Gott! gar keine!«

Und mit der Handfläche rieb er seine von der Arbeit müde Stirn. Frau Krzycka und Wladislaw erklärten ihm darauf, daß sie ihn auf keinen Fall vor dem Nachtessen fortlassen würden. Szremski blickte ein zweites Mal auf die Uhr; bevor er aber antworten konnte, erschien auf der Veranda dieselbe weibliche Gestalt, die vorher der Musik im Innern des Zimmers gelauscht hatte – doch diesmal mit zwei Plaids auf dem Arm.

»Bist du es, Paulinchen?« sagte Fräulein Anney, »ach, wie bist du sorgsam.«

Und Paulinchen begann Wladislaw mit den Plaids zu umhüllen. Mit einem bedeckte sie ihm die Arme, mit dem anderen die Füße, wobei sie niederkniete und sich so vorbeugte, daß ihre Brust eine Weile Wladislaws Knie berührte.

»Ich danke, Fräulein, ich danke!« erwiderte er, ein wenig verwirrt.

Sie schaute ihm flüchtig in die Augen und ging wortlos ab.

»Aber ich beraube Sie Ihrer Plaids«, meinte Wladislaw, sich an Fräulein Anney wendend.

»Schadet nichts, ich bin warm angezogen. Geben Sie nur acht, daß der verwundete Arm gut bedeckt wird.«

Und sich ihm nähernd, befestigte sie leicht und sorgfältig den Zipfel des Plaids zwischen der Sessellehne und seinem Arm.

»Tue ich Ihnen nicht weh?« fragte sie.

»Nein, nein; wie soll ich Ihnen danken?«

Und er schaute sie mit solch verliebten Augen an, daß es Frau Krzycka zum erstenmal in den Sinn kam, in diesem Blicke könne etwas mehr als nur Dankbarkeit enthalten sein. Ihr Herz krampfte sich bei diesem Gedanken vor Leid und Unruhe zusammen; sie mußte das zarte Gesicht von Frau Otocka wieder und wieder ansehen. Eine Verbindung ihres Sohnes mit dieser jungen lieblichen Witwe war stets ihr Ideal gewesen, und nun sollte dieses ganze, von ihr so liebevoll aufgeführte Gebäude in sich zusammen sinken! Zwar hatte sie Fräulein Anney von ganzem Herzen liebgewonnen, und sie hatte ihr eigentlich nichts anderes vorzuwerfen, als daß in ihren Adern ausländisches Blut floß, aber dennoch fühlte sie von Stund an eine Art Aversion gegen sie; sie beschloß, nicht nur die beiden jungen Leute scharf im Auge zu behalten, sondern wollte auch mit Gronski über die Angelegenheit sprechen.

Der Rest des Abends erfüllte sie jedoch wieder mit Zuversicht; als die Gesellschaft sich in den Salon zurückzog, kam es ihr fast vor, daß ihre Vermutungen auf Täuschung beruhten. Und wirklich endigte dieser Tag für Wladislaw und Fräulein Anney nicht so heiter und schön, wie es der Sonnenuntergang zu prophezeien schien. Ein kühlerer Hauch wehte jetzt zwischen den beiden, und Frau Krzycka konnte doch nicht wissen, daß die Ursache davon ihres Sohnes Eifersucht sei. Denn Fräulein Anney unterhielt sich nach der Rückkehr ins Zimmer mit dem Doktor so angelegentlich, daß es Wladislaw reizte. Er bemerkte, daß sie nicht nur sehr lebhaft, sondern auch viel zu freundlich sprach; aus dem strahlenden Gesicht des Doktors ersah er auch, daß das Gespräch ihm sehr angenehm war, und das gab ihm einen Stich ins Herz. – Was Fräulein Anney sprach, konnte er nicht hören, es schien ihm aber, daß sie dringend um etwas bat.

Szremski konnte jedoch nicht leise sprechen, daher erwischte der lauschende Krzycki von Zeit zu Zeit abgerissene Sätze: »Ich hatte die Absicht erst in einer Woche.« – »Ha!« – »Wer könnte Ihnen widerstehen!« – »Wenn dem so ist, so ist es so!« – »Englands Eroberungssucht ist ja bekannt!« – »Schon gut.« …

Wladislaw plante, Fräulein Anney möglichst kühl zu fragen, was England jetzt wieder erobere, und ob die Zeitungen darüber schrieben, aber als nach beendigtem Gespräche sie und Szremski sich zu den übrigen gesellten, änderte er seine Absicht und beschloß mit der ganzen Würde eines beleidigten Studenten, der nicht nur dem geliebten Wesen, sondern auch sich selbst weh tut, sich mit dem Mantel der Gleichgültigkeit zu bedecken.

Mit diesem Hintergedanken wandte er sich an Frau Otocka und begann mit ungewöhnlichem Interesse sie über die Wirtschaft in Zalesie auszufragen, und bat um die Erlaubnis, dieselbe besichtigen zu dürfen; und als sie erwiderte, es würde sie ungemein freuen, dankte er so innig, daß dies geradezu seine Mutter berauschte.

Fräulein Anney versuchte ein paarmal, sich am Gespräche zu beteiligen, als sie jedoch seine gleichgültigen Antworten vernahm, wandte sie sich verwundert und ein wenig beleidigt mehr nach Gronski hin.

Nach dem Abendbrot erklärte Szremski, er müsse nun fahren. Eine Weile sprach er noch mit Gronski, dann verabschiedete er sich von den Damen, indem er wiederholte: »Bis morgen, auf dem Bahnhofe!« Er riet auch Krzycki, sich sogleich niederzulegen, damit er vor der Reise gut ausruhe.

Nachdem Gronski den Doktor zum Wagen geführt hatte, begleitete er auch Wladislaw, und als sie unter vier Augen waren und er seine Miene sah, erriet er leicht den Zusammenhang und sagte:

»Weshalb bist du heute so steif?«

Und Krzycki antwortete ein wenig gereizt:

»Ich fühle mich noch krank, doch sonst bin ich ganz wie gewöhnlich.«

Gronski jedoch zuckte die Achseln:

»Das sind gewöhnliche Mißverständnisse zwischen Liebenden – doch du bist vor allem ein rechtes Kind und hast ihr weh getan! Und weißt du warum? Weil sie Szremski bat, dich bis Warschau zu begleiten.«

Wladislaw zuckte zusammen, allein er wollte sich noch nicht versöhnen lassen.

»Ich fühle mich gar nicht krank und brauche seine Hilfe nicht.«

Darauf Gronski:

»Dir und deiner Logik wünsche ich gute Nacht.«

Und er ging.

Krzycki aber, als man ihn ausgekleidet und ins Bett gelegt hatte, fühlte Tränen in den Augen und bat flehentlich um Verzeihung … sein Kopfkissen.


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