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An diesem schönen Abend schöpfte Herr Cypryanowicz auf der Schwelle seines Hauses frische Luft. In seiner Gesellschaft waren der Abt Wonowski, der nach der Abendmesse herübergekommen war, und die Brüder Bukojemski, die zur Zeit in Jedlinka quartierten. Vor ihnen stand eine bauchige Korbflasche voll Met. Das Rauschen der umliegenden Wälder klang wie das Brausen eines stillen Meers. Sie lauschten schweigend auf dieses dem Ohre wohltuende Geräusch, während sie in langsamen Zügen das ambrafarbene Getränk schlürften. Am Himmel leuchtete der Halbmond.
»Dank Eurer Güte, Pan,« sagte Matthäus, »werden wir uns nun bald auf den Weg machen können. Ach ja, Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen. Und sündigen nicht auch die Heiligen selbst? Um wie viel leichter wir andern, wir unglücklichen Geschöpfe. Aber ich brauche nur einen Blick auf diese Mondsichel zu werfen, das Symbol der Ungläubigen, so juckt es mir in den Händen, als stächen mich die nächtlichen Insekten. Nun, so Gott will, werden wir bald dreinschlagen, daß es eine Lust sein soll!«
»Warum,« fragte Lukas, sich an den Priester wendend, »tragen die Türken einen Halbmond auf den Standarten?«
»Nun, beten nicht auch die Hunde den Halbmond an?« erwiderte dieser. »Heulen sie nicht ihre Gebete zum Monde empor?«
»Das schon. Aber die Türken . . .?«
»Sind Söhne von Hunden.«
»Meiner Treu, nun ist es mir klar,« rief der junge Mann bewundernd aus.
»Aber der Mond trägt daran keine Schuld,« bemerkte der Wirt. »Und es ist immer ein süßer Anblick, wenn er so im Frieden des Abends einen Silberschleier um den Wald spinnt. Ich träume gern in solchen heitern Nächten.«
»Die Seele fühlt sich dann wie auf Schwingen zu ihrem Schöpfer emporgehoben,« fuhr der Abt fort. »Gott hat ebensogut den Mond geschaffen wie die Sonne, und der Mond ist sogar eine seiner größten Wohltaten. Denn wenn auch die Sonne nicht wäre, wir hätten doch die Helle des Tages, aber wenn es keinen Mond gäbe – ach, liebe Freunde, wie oft würde man sich da das Genick brechen, ganz davon zu schweigen, daß die Finsternis alles teuflische Treiben begünstigt.«
Sie schwiegen ein Weilchen und ließen die Blicke über das gestirnte Firmament schweifen.
»Beachtet, ihr Herren,« setzte der Abt hinzu, indem er eine Prise genehmigte, »welch eine gütige Mutter die Vorsehung für uns ist; sie sorgt nicht nur für unsere Notdurft, sondern auch für unsere Freuden.«
Ein Wagengerassel, das durch die tiefe Stille der Nacht scholl, unterbrach ihr Gespräch.
»Gott führt uns einen Gast zu,« bemerkte Cypryanowicz. »Wer mag es wohl sein?«
»Vielleicht bringt uns jemand Nachricht von unsern Jungen,« sagte der Geistliche.
Sie waren aufgestanden. Ein zweiräderiger Wagen kam in rascher Fahrt.
»Ich sehe eine Frau auf dem Rücksitz,« verkündete Lukas Bukojemski.
»Wahrhaftig!«
Die Britschka fuhr um den halben Hof herum und machte vor der Veranda Halt. Herr Seraphin sah der Frau, auf die nun das Mondlicht fiel, ins Gesicht und erkannte sie.
»Fräulein Siëninska!« rief er.
Er half ihr aussteigen. Da brach sie auch schon in Schluchzen aus und sank in die Knie.
»Eine Waise fleht um Obdach und Hilfe!« stammelte sie.
Sie waren alle so erstaunt, daß sie ein Weilchen kein Wort sprechen konnten. Endlich hob Cypryanowicz das junge Mädchen auf und drückte sie ans Herz.
»Solange ich atmen kann, will ich Euch ein Vater sein, das schwöre ich,« rief er aus. »Aber was ist denn geschehen? Hat man Euch von Belczonka fortgejagt?«
»Martin hat mich geschlagen, ja er wollte noch Schlimmeres an mir tun,« antwortete sie leise.
»Jesus von Nazareth!« rief der Abt, »o du unser Heiland und Erlöser!«
Dabei fuhr er sich mit beiden Händen in das weiße Haar.
Die vier Brüder Bukojemski hatten Annettens Worte nicht verstanden und begriffen nun nicht, worum es sich handle. Sie sperrten den Mund auf und machten Glotzaugen. Der Anblick dieser schluchzenden, weinenden Frauensperson rührte sie, gutmütig wie sie waren; aber sie waren trotzdem eingedenk der Unbill, die dieselbe Frau ihrem Freunde Jakob zugefügt hatte, und erinnerten sich auch der Lehre des Abts, daß nämlich das Weib die Wurzel alles Uebels sei. Sie sahen einander verblüfft an. Vielleicht, dachten sie, würde doch noch einer von ihnen das richtige Wort finden. Schließlich stieß auch wirklich Markus die Worte hervor: »Handelt sich's um Krepecki – meiner Treu, was auch geschehen möge, er soll es mit uns zu tun bekommen!«
Er faßte an die linke Hüfte, und seinem Beispiel folgten die andern drei, indem sie mit den Schwertern rasselten.
Inzwischen übergab Cypryanowicz das junge Mädchen der Obhut seiner Wirtschafterin, der Frau Dzwonkowska, einer guten, biedern Person von unerschöpflicher Schwatzhaftigkeit. Er legte ihr ans Herz, daß Fräulein Siëninska als ein erlauchter Gast anzusehen und zu behandeln sei. Der Hausherr räumte dem jungen Mädchen sein eigenes Zimmer ein. Man gab ihr ein stärkendes Getränk, ließ Licht und Feuer machen und suchte auch Balsam und Salben für die Striemen und blauen Flecke hervor, die Annette an den Armen und im Gesicht aufwies. Dann bekam sie eine Weinsuppe und andere Leckerbissen, worauf man ihr riet, ins Bett zu gehen. Frau Dzwonkowska fiel es schwer, ohne eine Plauderstunde von ihr zu scheiden, doch tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß man am andern Tage nach Herzenslust mit ihr werde schwatzen können.
Aber Annette blieb an diesem Abend nicht allein, sie ließ vielmehr Abt Wonowski und Herrn Cypryanowicz zu sich bitten, denn es verlangte sie danach, ihr Herz zu erleichtern. Sie schloß sich mit den beiden Herren ein und gestand ihnen alles, auch daß sie ihren Vormund nur deshalb zu heiraten sich entschlossen habe, weil sie glaubte, Jakob liebe sie nicht mehr. Sie bekannte auch die Liebe, die sie zu dem Fernweilenden hegte, und wie sehr es sie geschmerzt hätte, von den Bukojemski zu hören, er trachte nach der Hand einer reichen Erbin. Sie berichtete ihnen endlich von dem entsetzlichen Leben unter ihren Peinigern, von der Bosheit der beiden Schwestern und der schrecklichen Werbung Martins und schilderte ausführlich den letzten Angriff, der sie zur Flucht bestimmte.
Bebend vor Entrüstung, hörten die alten Herren ihr zu. »Sie sollten nur versuchen, Euch mir zu entreißen!« rief Cypryanowicz. »Ich habe nur einen Sohn gehabt, Gott hat mir nun auch eine Tochter beschert.«
Der Abt überlegte. Ihn nahmen vor allem die Mitteilungen des Mädchens Wunder, die sich auf Jakob bezogen. »Hattet Ihr Kenntnis von dem Briefe, den Euer verstorbener Vormund an Jakob geschrieben kurz vor dessen Abreise?« fragte er.
»Ich habe ihn selbst gebeten, an Jakob zu schreiben.«
»Dann begreife ich das alles nicht, das muß ich zugeben. Was trieb Euch dazu?«
»Er sollte wieder zu mir kommen!«
»Wieder zu Euch kommen?« rief der Priester nicht ohne Verdruß. »Durch diesen Brief habt Ihr gerade den, den Ihr zu lieben behauptet, fortgejagt; dieser Brief ist dran schuld, daß er mit gebrochnem Herzen gegangen ist und an nichts gedacht hat, als diese Liebe aus seinem Herzen zu reißen, die Ihr mit Füßen getreten habt!«
Annettens Augenlider zitterten krampfhaft wie die Flügelchen eines verwundeten Vögleins. In bittender Gebärde faltete sie die Hände. »Mein Vormund hatte mir versichert,« flüsterte sie, »der Brief sei im Tone der Nachsicht und Liebe geschrieben. O heilige Jungfrau! was stand denn darin?«
»Verachtung, Hohn und Beleidigung – das war der Inhalt!«
Sie stieß einen herzzerreißenden Schrei des Schmerzes aus, der so echt und aufrichtig klang, daß der wackre Abt erbebte. Sanft zog er ihre Hände weg, die sie vors Gesicht geschlagen hatte. »So habt Ihr nichts gewußt?« fragte er.
»Ich hab' nichts gewußt – ich hab' nichts gewußt!«
»Und Ihr wünschtet, daß Jakob wiederkäme?«
»Ja!«
»Warum? Sprecht, beim lebendigen Gott!«
Aus den halbgeschlossenen Lidern Annettens rannen rasch und reichlich die Tränen hervor; ihr Antlitz überzog sich mit schamhafter Röte. Ihre Lippen atmeten mühsam, ihr Herz klopfte ungestüm. Endlich murmelte sie mit erlöschender Kraft: »Weil ich ihn liebe!«
»Was sagt Ihr da, meine Tochter?« rief der Priester. Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken; Freude und Mitleid erfüllten sein Herz. Zu seinem Erstaunen mußte er feststellen, daß in diesem Falle die Evastochter, die mulier insidiosa, nicht die Wurzel alles Uebels gewesen sei, daß sie vielmehr unschuldig zu sein scheine wie ein Opferlamm. »Mein Kind, mein liebes Kind!« rief er wiederholt. Er umarmte sie und drückte sie an die Brust.
Inzwischen hatten sich die Bukojemski mit ihren Gläsern und der Korbflasche voll Met im Eßzimmer niedergelassen. Gewissenhaft leerten sie den Inhalt des Gefäßes bis auf den letzten Tropfen, in der Hoffnung, zum Abendessen eine neue Ration zu bekommen, wenn der Hausherr und der Abt wieder bei ihnen wären. Die beiden Herren erschienen denn auch wieder, doch mit bestürzten Gesichtern und geröteten Augen. Pan Seraphin seufzte tief auf und murmelte dann: »Frau Dzwonkowska soll das arme Mädchen ins Bett bringen. Wahrlich, man traut seinen Ohren nicht. Ach, auch wir sind nicht ganz frei von Schuld; wir haben es an Wachsamkeit fehlen lassen. Die Krepecki aber haben sich für immer mit Schmach und Schande bedeckt. Ihr Verbrechen darf nicht unbestraft bleiben.«
»Das läßt sich hören!« rief Markus aus. »Wir werden mit dem Klotz Abrechnung halten. Die Waise tut mir leid, gewiß; ich meine aber auch, Gott hat sie dafür bestraft, daß sie so grausam zu Jakob gewesen ist.«
Der Abt fuhr zornig auf. »Ihr seid ein Esel!« rief er.
»Ei, wieso denn, mein Wohltäter?«
Mit raschen, abgerissenen Worten erzählte der Geistliche die Leidensgeschichte des jungen Mädchens. »Und sie ist unschuldig!« rief er aus, »ganz unschuldig!« Sein Bericht wurde durch Frau Dzwonkowska unterbrochen, die in die Stube hereinstürzte, wie eine Bombe in die Festung. Sie hatte einen solchen Schwall von Tränen geweint, daß ihr Gesicht aussah wie aus dem Wasser gezogen. Die Hände vorstreckend, schrie sie schon auf der Schwelle: »Ihr Herren, ihr Herren! wenn ihr noch an einen Gott glaubt, so züchtigt diese Hunde, diese Henkersknechte! Denkt doch nur, des Mädchens Schultern, die schönen Schultern, weiß wie eine Oblate, sind voll blauer Flecken und Striemen, o, die süße Taube, o, das duftende Blümlein, o, das unschuldige Schäfchen, wie haben sie es mißhandelt!«
Matthäus, der von den vier Brüdern am weichsten veranlagt war, konnte sich nicht bezwingen und brach in Schluchzen aus. Markus, Lukas und Johannes stimmten alsbald mit ein. Sie weinten so laut, daß die Diener herbeieilten und die Hunde laut zu heulen begannen. Aber als eine Viertelstunde später Wilczopolski, der neue Verwalter, von seinem täglichen Rundgang heimkehrte, traf er die vier Brüder schon in anderer Stimmung. Sie schäumten nun vor Kampfeslust.
»Blut!« schrie Lukas.
»Laßt uns den Schandbuben züchtigen!«
»Totschlagen wollen wir ihn!«
»Auf nach Belczonka!«
Sie stürzten nach der Tür. Aber der alte Cypryanowicz trat ihnen in den Weg. »Halt!« rief er ihnen zu. »Hier hat das Beil des Henkers zu walten, nicht aber der Säbel eines Edelmannes!«