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Eines schönen Tages kamen die Brüder Bukojemski zu Fuß in Radom an. Ihre Röcke waren zerfetzt, ihre Stiefel durchlöchert, und sie hatten eine solche Leichenbittermiene, daß Pan Cypryanowicz – wäre er nicht von seinem Sohne auf ihren Besuch vorbereitet worden – sicherlich geglaubt hätte, sie brächten die Nachricht von dessen Tode. Sie warfen sich nun vor ihm auf die Knie und küßten ihm die Hände.
»Stach hat mir allerdings geschrieben, ihr würdet nicht eben in glänzendem Aufzug heimkehren, aber im Namen der göttlichen Barmherzigkeit, was ist euch nur zugestoßen?«
»Wir haben gesündigt, schwer gesündigt!« schrie Markus und schlug sich mit Wucht auf die Brust.
Die drei andern wiederholten im Chor: »Wir haben gesündigt, schwer gesündigt!«
»So sprecht! In welche Patsche seid ihr geraten? Und wie geht es Stach? Was ist denn geschehen, erzählt doch!«
»Stach befindet sich sehr wohl. Er und Taczewski glänzen wie zwei Sonnen.«
»Gott sei gelobt, und Dank für die gute Nachricht! Aber habt ihr keinen Hunger? Großer Gott! Es ist ja, als hätte ich vier Geister vor Augen.«
»Hunger haben wir nicht, denn wo wir einsprachen, fanden wir den Tisch gedeckt; aber unglücklich sind wir.«
»Setzt euch. Wollt ihr was zu trinken haben? Heißen Wein? Während er zurechtgemacht wird, berichtet nur über euer Mißgeschick. Von wannen kommt ihr?«
Diesmal ergriff Matthäus das Wort für seine Brüder. »Von Warschau,« sprach er, »o, das ist eine höllische Stadt, ein Sündenbabel.«
»Wieso?«
»Es ist der Sammelpunkt aller gewerbsmäßigen Spieler und aller Trunkenbolde des ganzen Königreichs.«
»Und weiter?«
»Einer dieser Schurken hat Lukas in einen Gasthof verschleppt – solche gibt es auf Schritt und Tritt – und fing mit ihm an Würfel zu spielen.«
»Und natürlich hat Lukas verloren.«
»Ja, der Beutelschneider hat ihm zuerst alles bis aufs letzte Geldstückchen abgenommen. Dann kamen wir an die Reihe. Wir waren wütend, wir wollten um jeden Preis unser Geld wiederhaben. Und der Gauner gewann uns nun eins unserer Pferde ab mitsamt Sattel und Pistolen. Ach, Pan, wir vermeinten, Lukas wolle ihm den Dolch ins Herz stoßen. Was sollten wir tun? Mußten wir unserm Bruder nicht zu Hilfe kommen? Da haben wir denn ein zweites Pferd verkauft, damit er die Reise nicht ganz allein zu Fuße zu machen brauchte.«
»Nun errate ich das übrige.«
»Ach ja, Pan, ach ja. Als wir nüchtern geworden waren, ergriff uns die Verzweiflung. Denkt doch nur! Zwei Pferde waren dahin! Da mußten wir uns zu trösten suchen.«
»Und so habt ihr denn Trost gesucht, so lange bis man euch auch noch das dritte und vierte Pferd abgenommen hatte?«
»Ihr habt es gesagt, Pan, bis zum vierten und letzten,« antworteten die zerknirschten Brüder. »Wir haben gesündigt, schwer gesündigt!«
»War damit wenigstens Eure Trübsal zu Ende?« fragte Cypryanowicz.
»Aber nein! Wir gerieten von neuem an jenen Halsabschneider – Poradzki hieß er. Nun begann er uns zu verhöhnen. ›So schert man Dummköpfe!‹ rief er. ›Aber da ihr stramme Kerle seid, werde ich euch als Diener aufnehmen. Morgen stoßen wir zu unserm Fähnlein‹. Lukas fing bitterlich an zu weinen, dann riß er den Säbel heraus und schlug den Schuft zu Boden. Sofort gab es ein Gedränge, denn der Hund hatte seine Verteidiger. Nun zogen wir andern drei auch blank, und es kam zur Schlägerei. Hei, da eilte auch schon die Wache herbei. Nun spielten sich die andern als Apostel der Brüderlichkeit auf. ›Ihr Herren,‹ riefen sie, ›die Freiheit wird beeinträchtigt. In unsern Personen wird die ganze Republik angegriffen. Schließen wir uns zusammen, vergessen wir unsern Hader und bieten wir den Häschern die Stirn!‹ So geschah es, und Donnerwetter ja! wir besorgten das Geschäft gründlich. Acht Mann von der Wache, drei davon tödlich verwundet, blieben auf dem Platze, die andern ergriffen schleunigst das Hasenpanier.«
Cypryanowicz hielt sich die Hände an die Stirn. Markus fuhr fort: »Gott beschützte sichtbarlich unsere Unschuld. Aber nun schrie die Menge um uns her: ›Das ist ein Staatsverbrechen! Hier unter den Augen des Königs geschieht dergleichen! Das verdient den Tod!‹ – Da erschraken wir und machten uns aus dem Staube. Stanislaus borgte uns die Pferde seiner Diener. Es war hohe Zeit. Denn auch so entkamen wir nur mit genauer Not. Bis Senkocin setzte man uns nach. Zum Glück kannte uns niemand beim Namen. Daher haben wir keine Verfolgung und keinen Prozeß zu befürchten.«
Ein langes Schweigen folgte auf diesen Bericht. Endlich fragte Herr Cypryanowicz weiter: »Und was ist aus Stanislaus' Pferden geworden?«
Zum dritten Mal wiederholten die Brüder ihre Litanei: »Wir haben gesündigt, Pan, wir haben schwer gesündigt!«
Inzwischen waren Becher voll heißen Weins aufgetragen worden. Die vier Brüder sogen den würzigen Duft mit Behagen ein. Die Anstrengung der langen Fußreise hatte sie arg mitgenommen. Allein das Schweigen und die kühle Zurückhaltung ihres Wirtes erfüllte sie mit Beklommenheit. Markus ergriff schließlich wieder das Wort: »Ihr fragt uns, was aus Stanislaus' Pferden geworden sei. Zwei sind schlapp geworden, denn wir sind in wilder Hast geritten. Wir haben sie, da sie nicht mehr laufen konnten, an Juden verkauft. Wir hatten ja auch nicht einen Heller mehr, denn wir mußten so plötzlich fliehen, daß Stach keine Zeit mehr fand, uns Geld mit auf den Weg zu geben. Nun saßen wir zu zweien auf. Da stellte sich ein Edelmann am Wege auf und stemmte die Fäuste auf die Hüften. ›Pest!‹ schrie er. ›Ritter aus Jerusalem!‹ Ihr könnt Euch denken. Pan, wie wir uns schämten, wie wütend wir waren. So gab es neue Schlägerei, neues Gemetzel. Zuletzt mußten wir, da derlei Händel sich immer wiederholten, die beiden Klepper auch noch verkaufen, um endlich Frieden zu haben. Wenn sich nun jemand wunderte, daß wir zu Fuße reisten, so antworteten wir, es geschähe, um ein Gelübde zu vollziehen. Verzeiht uns! Bleibt uns väterlich gesinnt! Ich glaube, es gibt keine bemitleidenswerteren Menschen auf der Welt!«
»Ja, so ist es, so ist es!« riefen Lukas und Matthäus.
Johannes, der älteste, gerührt von der Erinnerung an so viel Unglück und von dem Wein, der ihn wie Balsam durchdrang, hob die Arme gen Himmel. »Wir armen Waisenknaben, was bleibt uns auf dieser Welt? Nichts als die Bruderliebe!« Weinend umarmten sie einander, dann traten sie auf Cypryanowicz zu. Markus umfing zuerst dessen Knie.
»Vater!« rief er flehend. »Ihr unser einziger Beschützer! Tragt uns doch keinen Groll nach! Leiht uns noch einmal Geld, daß wir wieder Kriegsdienste tun können! So Gott uns hilft, geben wir es Euch zurück von der Beute, die wir dem Feinde abgewinnen werden. Und wenn Ihr uns auch Euern Beistand versagt, wir werden Euch dennoch dankbar sein, nur verzeiht uns in Gnaden unsere Missetaten! Verzeiht sie uns im Namen der innigen Freundschaft, die wir für Stanislaus hegen. Denn wißt, der müßte seine Frechheit mit dem Tode, büßen, der es wagen würde, auch nur den Finger gegen Stach zu erheben. Wir würden ihn mit unsern Säbeln zu Boden schlagen. Ist es nicht so, geliebte Brüder?«
»Ja, das sollte nur einmal jemand wagen!« riefen Matthäus, Lukas und Johannes einstimmig.
Pan Cypryanowicz blieb vor ihnen stehen. Eine Hand auf die Brust legend, begann er folgendermaßen: »Es ist mehr Kummer als Zorn, was ich jetzt empfinde. Wenn ich bedenke, unsre Republik zählt Tausende von Söhnen, deren Fehler und Missetaten den eurigen gleichen, ja sie vielleicht noch überbieten, dann schnürt sich mir das Herz zusammen, und ich frage mich: Wird unsere Republik unter solchen Umständen den Stürmen trotzen können, die sie von allen Seiten bedrohen? Ihr wendet Euch an meine Nachsicht. Ach, beim lebendigen Gott, nicht um meine Person handelt es sich hier, nicht um meine Pferde, noch um meine Börse. Etwas weit Kostbareres steht auf dem Spiele: das öffentliche Heil, die Zukunft unseres Landes. Daß ihr aber dies nicht einseht, daß ihr nicht im entferntesten daran denkt, und daß es solche Tunichtgute zu Tausenden gibt, das ist die schwere Not, das ist die bitterste Sorge und muß jeden braven Sohn dieses Vaterlandes mit Verzweiflung erfüllen.«
»Beim lebendigen Gott, Pan, inwiefern haben wir denn an dem geliebten Vaterland gesündigt?«
»Durch Eure Zügellosigkeit, durch Euer Saufen und Raufen, durch Eure Verhöhnung der Gesetze! O, ich weiß, derlei Verstöße nimmt man bei uns auf die leichte Achsel, man sieht eben nicht, daß dadurch die Grundmauern des prächtigen Gebäudes sich lockern, daß die Decke über unsern Häuptern einzustürzen droht. Ein Krieg ist im Nahen, und niemand weiß, ob die Heiden nicht mit all ihrer Macht wider uns sich wenden werden – und ihr, ihr christlichen Streiter, was tut ihr? Während die Trompete zum Kampfe ruft, denkt ihr nur an Trinken, Spielen und Raufen. Leichten Herzens metzelt ihr die Diener des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung nieder, die Hüter jener Bestimmungen, auf denen das innere Wohl des Staates, die Sicherheit der Bürger beruht. Und wer hat diese Bestimmungen getroffen? Wir, der Adel. Wer aber tritt sie mit Füßen? Wiederum wir, der Adel! Wie soll sich unser Land einen Weg zum Felde der Ehre bahnen, wenn Trunkenbolde die Stelle von Soldaten einnehmen?«
Der Greis hielt inne. Mit großen Schritten durchmaß er das Zimmer. Die Brüder folgten ihm mit dem Blick, erschrocken über seine heftigen Anklagen. Einen tiefen Seufzer ausstoßend, fuhr er also fort: »Ihr wart aufgerufen worden, den Ungläubigen zu züchtigen, und nun habt ihr christliches Blut vergossen. Ihr solltet das Vaterland verteidigen und habt euch vielmehr wie seine Feinde aufgeführt. Das aber ist klar, je größere Unordnung in einer Festung herrscht, um so weniger Widerstand kann sie leisten. Zum Glück hat diese Mutter ja auch noch brave Kinder – aber solche eures Schlages gibt es eine Legion, und da infolgedessen nicht Freiheit herrscht, sondern Zügellosigkeit, nicht Gehorsam, sondern Unbotmäßigkeit, nicht strenge Sitten, sondern Unzucht, nicht Vaterlandsliebe, sondern Selbstsucht, da Reichstage gesprengt werden, der Staatssäckel gebrandschatzt wird, persönliche Willkür sich breit macht und der Bürgerkrieg gleich einem wildgewordenen Pferde das Land zerstampft, da Trunkenbolde über sein Schicksal zu Rate sitzen und entscheiden, da die Untertanen geknechtet werden und an allen Ecken und Enden, von oben bis unten allem Recht Hohn geboten wird – deshalb blutet mir das Herz, und ich befürchte Gottes Zorn und ein Ende mit Schrecken.«
»O Herr Jesus, dann bleibt uns wohl nichts weiter übrig als uns aufzuhängen,« jammerte Lukas.
Jetzt schien Cypryanowicz nicht mehr zu den Bukojemski, sondern zu sich selbst zu sprechen. »Weit und breit in der ganzen Republik,« sagte er, »gibt es nichts als Trinkgelage und Festlichkeiten. Schon schreibt eine unsichtbare Hand an die Wände das unheildrohende Wort: Menetekel – upharsin. Wein fließt, doch bald werden auch Tränen und Blut fließen. Ich bin nicht der einzige, der dies sieht und voraussagt, aber vergebene Mühe ist es, einem Blinden ein Licht hinzustellen oder einem Tauben Lieder vorzusingen.«
Es trat Schweigen ein. Die vier Brüder warfen sich verlegene Blicke zu. Lukas murmelte: »Ich will platzen, wenn ich davon etwas verstehe!«
»Ich verstehe es auch nicht! – Und ich auch nicht!« setzten die andern hinzu.
»Denn wenn wir nicht zufällig ein wenig über den Durst getrunken hätten –«
»Still! wecke diese Erinnerungen gar nicht mehr auf.«
»Wir wollen nach Hause gehn.«
»Ja! Vorwärts denn!«
Markus tat einen Schritt und verneigte sich tief vor Cypryanowicz. »Unsere Ehrfurcht vor Euer Gnaden! Wir werden Eure Gastfreundschaft nicht mehr mißbrauchen.«
»Was wollt ihr denn beginnen?«
»Wieder in unsere Wälder ziehen. Gott wird uns zu Hilfe kommen . . .«
»Und auch ich werde Euch beistehen. Nur hat mich jetzt einmal der Schmerz übermannt. Ich mußte mir erst Erleichterung schaffen,« antwortete Herr Cypryanowicz. »Geht hinauf, ihr Herren, eure Kammer ist hergerichtet. Ruht euch aus. Morgen werde ich euch wissen lassen, wozu ich mich entschlossen habe.«
Eine Stunde später ließ sich der alte Herr zu Abt Wonowski fahren. Auch der Priester war betrübt, als er von den Ausschweifungen der Brüder hörte. Doch lachte er auch dazwischen. Er hatte ja selbst das Leben eines Soldaten geführt und erinnerte sich an mancherlei ähnliche Abenteuer, bei denen er selbst oder einer seiner Kameraden die Hauptrolle gespielt hatte. Dennoch konnte er es den Bukojemski nicht verzeihen, daß sie ihre Pferde vertrunken hatten.
»Ein Ritter ist kein Heiliger,« meinte er; »aber wenn er sein Pferd verspielt, verrät er seine Pflicht. Den Bukojemski werde ich es ins Gesicht sagen, daß ihnen vollauf nach Verdienst geschehen würde, wenn die Justiz sie um einen Kopf kürzer machte. Unter uns aber, Pan, es hätte mir leid um sie getan. Es sind im Grunde doch handfeste Kerle. Der Heide, der ihnen auf dem Schlachtfelde in die Hände fällt, hat nichts zu lachen. Was wollt Ihr nun mit ihnen machen?«
»Ich werde sie selbstverständlich nicht hilflos ihrem Elend überlassen! Aber wenn ich sie zu den Soldaten zurückschicke, wer bürgt mir dafür, daß sie nicht dieselben Streiche wieder treiben? Das beste wäre, ich brächte sie persönlich zum Regimentschef. Sind sie einmal eingestellt, müssen sie sich manierlich verhalten.«
»Das ist ein kluger, glücklicher Gedanke. Fahrt mit ihnen nach Krakau, Pan. Dort werden unsere Fähnlein sich versammeln. Vielleicht fügt es sich, daß ich mich mit Euch auf den Weg mache. Wir könnten dann unsere lieben Jungen umarmen und würden getröstet heimkehren.«
Herr Cypryanowicz lächelte verschmitzt. »Dann würdet Ihr allein zurückkehren,« sagte er.
»Und warum das?« fragte der Abt erstaunt.
»Weil ich selbst auch Kriegsdienste nehme.«
»Ihr – in Euerm Alter?«
»Ja und nein; denn ob man sich stellt, um die ganze Soldatenlaufbahn durchzumachen, oder ob man nur einen einzelnen Feldzug mitmachen will, das ist ein Unterschied. Ich bin nicht mehr jung, das ist wahr; aber es sind noch ältere Leute als ich dem Rufe der Kriegstrompete gefolgt. Ich habe meinen einzigen Sohn in den Dienst geschickt, auch das ist wahr; aber darf man die Opfer, die man dem Vaterlande darbringt, nach der Elle bemessen? Nein, so dachten schon meine Väter. Dem Vaterland den letzten Heller unserer Börse, den letzten Tropfen unseres Bluts! Und gibt es einen beneidenswerteren Tod als vor dem Feinde?« Cypryanowicz begeisterte sich bei seinen eigenen Worten. Er streckte die Hände gen Himmel: »Einmal muß man ja sterben!« rief er. »Und an der Seite des Sohnes zu sterben, auf dem Felde der Ehre – nicht auf dem Krankenbett, sondern von einer Kugel oder einem Säbelhiebe, nicht an einer Krankheit, sondern im Kampfe für Glauben und Vaterland – o ja, du mein Herrgott, laß mich also enden!«
»Gebe Gott fernerhin,« rief der Abt und drückte ihn an die Brust, »daß diese Republik viele solche Bürger hätte! Aber so brave findet man wenig und bravere schon gar nicht. Ja, es geziemt sich für einen Edelmann besser, auf dem Schlachtfelde zu sterben, als zwischen seinen Kissen. Unsere Vorfahren dachten nicht anders. Nur heutzutage ist's anders geworden. Vaterland und Glaube sind ein großer Altar, und der Mensch ist wie eine Myrrhe, dazu bestimmt, auf diesem Altar zu verbrennen. Auch Ihr seid kein Neuling in Kriegssachen, nicht wahr?«
Herr Cypryanowicz befühlte seine Brust. »Ich habe da,« sagte er, »von früher her ein paar Narben, die von Kugeln und Säbeln herrühren.«
»Auch ich marschierte wahrlich lieber in Reih und Glied mit, als daß ich die Beichten der frommen Seelen anhörte. Manches Bauernweib kommt und beichtet über die albernsten Kleinigkeiten, als wäre der Beichtstuhl nur dazu da, daß sie dort ihre Flöhe abschütteln. Wenn ein Mann gesündigt hat, dann hat er doch wenigstens was zu sagen. Und noch mehr ein Soldat! Ich erinnere mich noch der Zeit, wo ich Feldprediger war im Fähnlein des Herrn Modliszewski. Ach, das sind schöne Erinnerungen! Zwischen zwei Absolutionen fand sich immer Gelegenheit zu einem Säbelhieb oder einem Büchsenschuß. An guten Feldpredigern fehlt es im Heere. Aber ich kann ja nicht weg, so sehr auch mein Herz vor Sehnsucht pocht. Meine Parochie ist zu groß. Schwere mühsame Priesterarbeit. Und mein Hilfsgeistlicher ist etwas schwerfällig. Das Schlimmste aber ist ein Arkebusenschuß, den ich vor langer Zeit in einen gewissen Körperteil erhalten habe und der mir's noch heute unmöglich macht, länger als eine Stunde zu Pferde zu sitzen.«
»Ich würde mich glücklich schätzen, einen solchen Waffengefährten zu haben,« erwiderte Cypryanowicz, »aber ich begreife, daß Euer Amt Euch hier festhält, ganz abgesehen von dem Arkebusenschuß.«
»Wir werden sehen. Ich werde es mal mit meinem Wallach probieren und meine Kräfte erproben. Vielleicht geht es doch noch. Aber wem wollt Ihr, Pan, die Obhut über Eure Güter anvertrauen?«
»Ich habe einen Waldhüter, einen schlichten, ehrlichen und würdigen Mann. Der ist treu wie ein Heiliger.«
»Ich kenne ihn. Die wilden Tiere folgen ihm wie Hunde. Manche Leute halten ihn für einen Zauberer. Doch wißt Ihr wohl besser als jeder andere, was davon zu halten ist. Er ist aber jedenfalls nicht mehr jung und auch oft kränklich.«
»Ich könnte mich auch mit dem ehemaligen Verwalter des verstorbenen Pongowski verständigen. Martin Krepecki hat ihm schleunigst den Laufpaß gegeben, und der Mann hat mir seine Dienste angeboten. Vielleicht spreche ich noch heute mit ihm. Pongowski mochte ihn nicht leiden, denn er ließ sich nicht in die Suppe spucken, aber er schätzte seine Wachsamkeit und Rechtschaffenheit.«
»Und wie geht es denn in Belczonka?«
»Ich bin jetzt lange nicht mehr dort gewesen. Der Mann, von dem ich eben sprach – Wilczopolski heißt er – sagt natürlich nichts Gutes von dem Verhalten der neuen Herren. Ich muß ihn mal gehörig ausfragen, um den Dingen auf den Grund zu kommen.«
»Ich besuche die Waise morgen,« sagte der Abt, »und auf der Rückfahrt werde ich bei Euch Aufenthalt nehmen und den Bukojemski die Ohren langziehen. Ich werde ihnen Buße auferlegen, und meiner Treu, die Geißelhiebe, die ich mir selber zur Kasteiung erteile, sollen auf ihre Schultern fallen. Sie sollen sich gegenseitig je fünfzig aufzählen, das wird ihnen gut tun.«
»Das glaube ich auch. Nun auf morgen. Abgemacht!«
Mit diesen Worten zog Cypryanowicz die Schnallen des Wehrgehenks kürzer, damit der Säbel ihn nicht beim Einsteigen behindere, und trat die Rückfahrt nach Jedlinka an. Unterwegs stellte er Betrachtungen über den bevorstehenden Feldzug an und lächelte bei dem Gedanken, daß er an der Seite seines einzigen Sohnes gegen die Heiden kämpfen werde. Als er an Belczonka vorbeifuhr, begegneten ihm zwei Lastpferde und ein Bagagewagen, in welchem Wilczopolski saß. Cypryanowicz lud ihn ein, zu ihm hereinzusteigen.
»Also ist's Ernst?« fragte er. »Ihr verlaßt Euern Posten?«
»Ja, Pan, und hier ist all mein Gepäck,« sagte er und wies auf die Pferde, um anzudeuten, daß er, obwohl in dienender Stellung, doch nicht besitzlos sei. »Omnia mea mecum porto.«Alles Meinige führe ich mit mir.
»So war keine Verständigung mehr möglich? Hattet Ihr es so eilig, Belczonka zu verlassen?«
»Es mußte eben sein. Daher werde ich auch gern die Bedingungen annehmen, die Euer Gnaden mir stellen wird. Und solltet Ihr verreisen, wie Ihr erwähntet, so werde ich Euer Haus und Eure Felder getreu bewachen.«
Diese Sprache, die sich freihielt von jeder Schmeichelei, gefiel dem Greise.
»Eure Treue habe ich nie bezweifelt,« sagte er. »Adeliges Blut kann sich eben nie verleugnen. Aber ich fürchte, Ihr seid noch ein wenig unerfahren. In Jedlinka brauche ich einen Mann, der immer auf der Hut ist. Denn mein Besitz liegt fast ganz mitten zwischen Waldungen. Da fehlt es nicht an Wegelagerern, die manchmal auch ein Haus überfallen.«
»Ich wünsche Jedlinka keinen Ueberfall. Geschähe aber einer, so würde Euer Gnaden sich davon überzeugen können, daß es mir weder an Wachsamkeit noch an Mut fehlt.«
»Man sieht es Euch an, am Gesicht wie an der Gestalt,« sagte Cypryanowicz, und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Noch auf eine andere wichtige Frage muß ich zu sprechen kommen. Pan Pongowski ist inzwischen vor dem höchsten Richter erschienen. De mortuis nil nisi bene.Von den Toten nur Gutes! Aber wir wissen alle, er war sehr hart gegen seine Leute. Abt Wonowski hatte den Mut, ihn deshalb öffentlich zu tadeln und zur Menschlichkeit zurückzurufen. Daher rührte die Feindschaft zwischen beiden. Vielleicht – denn solche Beispiele wirken ansteckend – habt auch Ihr die Gewohnheit, die Leibeignen streng zu behandeln. Daß Ihr's also wißt, ich dulde bei mir derartige Uebergriffe nicht. Ich halte auf Zucht und Ordnung. Und selbstverständlich sollen Euch alle gehorchen, aber jede übergroße Strenge an den Knechten betrachte ich als eine Sünde wider den Herrn, vor dem wir alle gleich sind, und als ein Verbrechen am Vaterlande. Der Bauer ist kein Quarkkäse, und man soll ihn nicht allzusehr auspressen. Von Menschentränen mag ich nicht leben.«
Statt aller Antwort ergriff der junge Verwalter die Hand des Herrn Cypryanowicz und küßte sie.
»Ich sehe, wir verstehen uns,« setzte der Greis hinzu.
»Ja, ich verstehe Euch, gnädiger Herr, und ich möchte nur noch bemerken: mehr als hundertmal hätte ich am liebsten Herrn Pongowski zugerufen: ›Ich habe genug davon, bei Euch zu dienen, sucht Euch einen andern!‹ Mehr als hundertmal! Aber ich fand den Mut nicht dazu!«
»Nun, Ihr hättet doch auch anderswo Arbeit gefunden – es fehlt nicht daran.«
Wilczopolski wurde verlegen und stammelte: »Das schon – aber es kam eben so – ich konnte nicht – ich verschob es von Tag zu Tag – und dann – die Bedrückung, die Härte waren eigentlich auch nur scheinbar da . . .«
»Wie das?«
»Gewiß, die Arbeit, die verlangt wurde, überstieg oft das Maß der menschlichen Kräfte, und dagegen ließ sich nichts tun. Aber was die körperlichen Strafen anbelangt, da gab es statt Geißelhieben doch nur Strohdecken.«
»Und wäret Ihr so barmherzig gegen die armen Knechte?«
»Nicht ich persönlich. Doch ich gehorchte lieber der Stimme eines Engels als der eines Teufels.«
»Und wem gehörte diese Engelsstimme?«
»Fräulein Siëninska.«
»Also habt Ihr Euch mit ihr gegen den verstorbenen Herrn Pongowski verbündet?«
»Das muß ich zugeben, Pan.«
»Und hat er nie etwas gemerkt?«
»Doch, einmal. Ich habe, Ihr könnt es Euch wohl denken, Fräulein Siëninska nicht verraten. Der Verstorbene peitschte mich mit eigenen Händen. Denn ich erklärte ihm, wenn er mich von Dienern schlagen ließe, und wenn er mir nicht die Ehre eines Teppichs nach der Züchtigung vergönnte, worauf ja auch jeder Edelmann Anspruch erheben darf – so würde ich ihm das Haus überm Kopfe anstecken und ihm selbst eine Kugel durch den Schädel jagen. Und ich hätte Wort gehalten . . . hätte ich auch später mich zu den Räubern des Waldes gesellen müssen.«
»Es gefällt mir, daß Ihr so energisch seid.«
Der junge Mann setzte seine Mitteilungen fort. »Ja, Herr Pongowski hat uns das Leben unerträglich gemacht. Aber da war eben auf Belczonka dieser Engel, und man fand nicht das Herz, fortzugehen. Wo es ein Elend gab, wo Unglückliche waren, da zeigte sie sich mit mildernder, helfender Hand, da legte sie ein Wort der Fürbitte ein. Namentlich in der letzten Zeit konnte sie alles von Pongowski erreichen. Er wußte, daß sie den Armen Getreide aus dem Speicher verabreichte, daß sie ihnen Strohschütten gab, statt sie peitschen zu lassen, und daß sie ihnen wohl auch einen Tag Frondienst erließ – aber er tat so, als sähe er es nicht. Zuletzt schämte er sich vor ihr, und sie brauchte nichts mehr heimlich zu tun. Ja, sie war in Wahrheit ein guter Genius. Möchte der Himmel sie später dafür belohnen und ihr jetzt beistehen.«
»Bedarf sie des Beistands?«
»Ja, denn es steht schlimm mit ihr. Es kann einen jammern –«
»Großer Gott, was sagt Ihr da?«
»Die zwei Schwestern, denen man sie anvertraut hat, sind zwei Bestien. Der junge Krepecki ist noch freundlich zu ihr – aber ich weiß, weshalb. Möge er sich in acht nehmen, daß man ihn nicht wie einen Hund niederknallt!«
Die Nacht war hereingebrochen. Der Vollmond schien hell am Himmel, und in seinem Schein sah Cypryanowicz die Augen des jungen Verwalters wie die eines Wolfes blitzen.
»Was wißt Ihr?« fragte der Greis. »Verheimlicht mir nichts. Sagt mir alles.«
»Ich weiß, er hat mich nicht nur deshalb entlassen, weil ich ihm zu keck war oder, wie er es nannte, zu vorlaut, sondern vielmehr deshalb, weil ich wachsam war und ihn im Auge behielt und auf alles achtgab, was im Hause vorging. Doch Belczonka liegt nicht am Ende der Welt, und falls ein Unglück geschieht oder Gefahr im Verzuge ist . . .«
Er schwieg. Man hörte an der Straße nur die Fichten rauschen, die der Nachtwind schüttelte.