Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Am nächsten Morgen war Moralt verreist. Als er zurückkam, hatte er im Hochland ein Häuschen für den ganzen Winter gemietet.

In aller Eile, und ohne daß die Freunde ein Wort davon erfuhren, wurde seine Wohnung geräumt.

Von Rolmers, Holleitner und den Nächsten nahm er Abschied unter dem Vorwand, daß ihm jetzt eine Zeit vollkommener Ungestörtheit für seine Arbeit nötig sei und er daher mehrere Wochen, vielleicht auch mehrere Monate in seiner Zurückgezogenheit bleiben werde. Keiner widersprach. Es kam ihnen selber richtig vor, daß er eine Weile ganz ruhig und allein zu sein trachtete, und sie ließen ihn ziehen mit dem schmerzlichen, aber nicht zu unterdrückenden Gefühl: daß diese Trennung im Augenblick die beste Lösung der Lage, ja das einzig Mögliche sei, wenn in aller Stille mit der Zeit wieder in Harmonie kommen sollte, was – Keiner wußte recht wieso – jetzt nicht mehr hatte stimmen wollen.

Wohl standen sie Alle im Bahnhof, als er davonfuhr, wohl war es ein warmes Händeschütteln, und Tino selber hatte für Jeden in der Erregung der 157 Abschiedsminuten einen freundlichen Blick, der von Herzen kam, als aber die Türe des Wagens zugeschlagen wurde und der Zug aus der dumpfen Halle hinausfuhr in den kühlen, grauen Herbstmorgen, da schüttelte ihn doch abermals, wie in jener Nacht auf der Plattform des Pferdebahnwagens, der befreiende Frost, welcher nervöse Menschen befällt, wenn sie einer großen Widerwärtigkeit entronnen sind.

Sausend, holpernd, klingend schoß der Zug durch die endlose Bahnhofstrecke zwischen den unzähligen Geleisen dahin und bog dann ab in die freie Ebene. Da war es auf einmal einsam und still.

Über den herbstlichen Wiesen, drauf die grauen Nebel brauten, erschien zuweilen ein kleiner, ferner Kirchturm, zog vorüber, hinter eine Erdwelle und verschwand. Dunkle Tannenwälder – struppige Lichtungen – Rehe, die neugierig nach dem sausenden Zuge schauten und dann ins Dickicht sprangen, – Äcker und Stoppelfelder, drüber die Hasen enteilten, – ein Dorf – eine Station. Immer mehr kam der trübe Sinn und das schwere Innere Moralts in eine wohlige Anregung. Je weiter man sich von München entfernte, desto ruhiger und leichter ward ihm um's Herz. Die Welt schien ihm doch noch ein wenig offen zu sein, selbst für ihn. Die frische Morgenluft strich herein und kühlte seine Stirn. Er war 158 allein im Wagen und konnte ungestört nach rechts und links aus den Fenstern sehen. Zuweilen wichen draußen die Nebelschichten auseinander, hoben sich, und in der Ferne ward auf Augenblicke ein Stück Gebirg in schwachen Umrissen sichtbar. Viertelstunde auf Viertelstunde verrann dem Reisenden so in der belebenden und beruhigenden Betrachtung der Länderei. In den Wiesen hinter einem alten, grauen Städtchen weidete eine große Schafherde; ein junger Schäfer in blauem Radmantel stand dabei, auf den hohen Stock gelehnt, den Hund zur Seite. Da zuckte es Moralt eine Sekunde wie Weh durch die Seele und ein Stück Vergangenheit flog in Blitzesschnelle Bild auf Bild vorbei: der blaue Radmantel – Nicolo – – ach! sein Bild – – seine verlorene Kunst – – Irene – –

Zwei Kinder auf dem Rasenbord grad' über der Bahn schrien Hurra, ihre roten Taschentüchlein schwenkend, – Männer, kräftige, malerische Gestalten, schaufelten Erde am Eisenbahndamm, – es pfiff – der Zug hielt an – wieder eine Station. Moralts Gedanken waren auf's Neue ganz vom Wechsel der Erscheinungen in Anspruch genommen.

Er frühstückte nach dreistündiger Fahrt mit einer Lust, wie er sie zum Essen lange nicht mehr gehabt. Das Gasthaus der kleinen Endstation stand 159 auf einem Hügel. Mit einem tiefen Aufatmen und doch mit einem leisen Gefühl von Fremdsein, mit der unsichern Erwartung des unbekannten Kommenden nach einem schnellen, schroffen Abbruch mit dem gewohnten Vergangenen, schaute er vom Fenster aus rückwärts, nach der Richtung, wo fern hinter Wäldern, dampfenden Mooren und mattblickenden Seen die Hauptstadt lag, die er verlassen. Dieses München, das sich abermals zu dem Winterleben bereitete, welches er nicht mehr zu genießen vermochte, diese Künstlerwelt, die weiter und weiter kämpfte, deren Atmosphäre ihn aber nicht mehr gefördert, deren Treiben ihn nicht mehr erfreut hatte.

Und draußen scharrten die Pferde, der Wagen harrte seiner; – vor ihm lag mit seinem stummen Frieden das Hochland. 160

 


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