Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Auf der Plattform des Dampfbahnwagens beisammenstehend, fuhren die fünf Maler hinaus, in sausender Eile, durch die alte Allee, wie durch eine gepuderte Welt; dann über die weite Ebene hin, aus welcher grau und fein die Silhouette der Stadt aufstieg, bis der Rauch der Lokomotive wirbelnd und in der kalten Luft zerflatternd das Bild verhüllte. Die Landhäuser lagen versteckt in Wildnissen von Schnee, die Umzäunungen flogen vorbei in quirlenden Reihen von blitzenden Stäben und schwer weißen Knöpfen; allmählich hörten die Gärten auf, Öde ringsum, verschneite Erdhaufen und Gruben, entfliehende Vögel, im Rauch verschwindend; dann tauchte, kaum sichtbar mit seinem Ring von weißen Gebäuden in der weißen Ferne, Nymphenburg auf.

Vor dem Schloß auf dem Kanal herrschte lautes Leben der Schlittschuhläufer; ein kreisendes Gewimmel dunkler Körper in all dem schneeschimmernden Grund. Hinten, in den weiten Gärten, die tiefste Stille.

Nach dem Treiben von München, aus dem sie kamen, nach den vorüberfliegenden Bildern der Fahrt, nach dem Menschenschwarm da draußen vor den Gittern, plötzlich alles Leben wie abgeschnitten. In völliger 178 Verlassenheit die ganze Natur. Wie versunken in tiefen Schlaf und träumend von vergangener Zeit.

Unhörbar schritten die Freunde dahin zwischen den verschneiten Statuen und Vasen, vorbei an den kunstvollen Gruppen der Wasserwerke, an den Schwänen, die stumm dahintrieben auf dem offengebliebenen grünen Wasser des einen Beckens, – hinaus in den winterlichen Park mit seinen märchenhaften Landschaftsbildern, wo über gefrorenen Bächen und Teichen in tausendfach wechselnden Formen Büsche und Bäume emporstiegen, beschneit und bereift wie Gebilde aus Kristall; wo verloren in weißen Einsamkeiten die weißen Zopf-Pavillons ruhten: die buschumzogene Pagodenburg, – tief drin im Walde unter alten Bäumen, am stillen Wasser, lauschig die Amalienburg.

Ein Hauch wie Nachklang längst verhallter Liebeslieder zog um diesen stummen Ort, selbst heute in seiner Winterruhe. Ein Hauch von jenem Liebessehnen, das die Seelen der längst dahingegangenen Herrscher erfüllt haben mußte, die sich fernab vom Schloß mit seiner prunkvollen Fürstenherrlichkeit, am kleinen See, in diesem abgeschiedenen Winkel des Waldes, das wonnig einsame Nest gebaut.

An Moralts Seite schritt Rolmers. Er hatte lässig seinen Arm eingehängt und erging sich in stummen Betrachtungen. Auch er liebte Nymphenburg 179 um des eigentümlichen Reizes seiner Stimmung willen. Es rief ihm, gleichwie Moralt, lebhafte Erinnerungen an Versailles wach; es hatte auch für ihn einen ähnlichen Zauber, wie das alte französische Schloß und dessen Park: die Verbindung malerischer Vorzüge der Natur mit der leisen Melancholie verfallender baulicher Pracht einer vergangenen Zeit.

Langsam wandelten sie durch die stillen Wege dahin. Vor der Amalienburg hielt Moralt den Freund zurück, um die Andern sich entfernen zu lassen. Er wollte sich ganz dem Eindruck hingeben.

Schneebedeckt, wie träumend, beugten die alten Bäume ihre weißen Häupter über den weißen, stummen, kleinen Palast. Und lautlos weitum schlief die ganze Natur in diesem grauen, brauenden Winternachmittag. – – –

War es ein Lied – war's Dichtung – war's ein Bild, was da in Moralts Seele werdend schwebte, dem Nebel gleich, der über den Tiefen wogte, ehe die Schöpfung ward?

Das war so ein Augenblick, in welchem ungeheuer, unerfüllbar, eine poetische Sehnsucht seinen ganzen Menschen erfaßte, – ein Bedürfnis, dem Unaussprechlichen, was er empfand, einen Ausdruck zu schaffen, dem Unaussprechlichen dieses Ortes, dieses Augenblicks, wo Vergangenheit und Gegenwart 180 vor ihm in Eins zusammenflossen: in ein leises Rauschen durch die Harfe der Poesie, in ein weiches, im Unbestimmten verlorenes Lied, nur der Seele des Künstlers vernehmlich in seinem wortlosen Sagen von Menschenvergänglichkeit und der unvergänglichen Zaubermacht dessen, was poetischer Sinn und Liebe geschaffen.

– Den Rest jenes Tages blieb er schweigsam und in sich verloren. Sein Inneres war erfüllt, ja übervoll von dem, woraus der künstlerische Geist den Keim zu künftigen Werken nimmt: vom heiligen Hauch der Inspiration.

Die Nachwirkung dieser Stunde ging auch durch seine ganze folgende Woche.

Es drängte etwas in ihm, was Gestalt haben wollte, und doch – wo hinaus?

Er suchte Befreiung in seiner Musik; doch das bloße Ausleben im Spiel war ihm nicht das Rechte.

»Wenn ich zu orchestrieren vermöchte,« sagte er sich, – »wenn ich das Können des Komponisten besäße, was schüfe ich jetzt! Rauschend groß und reich, dann weich verhallend in weiten Einsamkeiten und fern ersterbend wie in der Zeiten Raum, ein seliges Lied der Liebe, zieht es an mir vorbei, was jener Ort am See mir gesagt. Da – da – in schwanken, durchsichtigen Nebeln, nur der Künstlerhand harrend, die 181 nach ihm faßt, die es bannt in Formen, die es übersetzt in die Töne der Menschen! Aber so, die Hände gebunden, flüchtig vorübergehen zu sehen, was man festhalten möchte!« – – er wandte sich vom Flügel weg, unglücklich.

»Warum, o Gott, gabst du ebendemselben Menschen diese Gewalt der Empfindung, diese unbegrenzte Phantasie auf so verschiedenen Gebieten, wenn du ihm nicht gleichzeitig den Schicksalsgang und die Kraft verliehest, auch überall die Mittel zur Befreiung im Werk zu erwerben?«

Ein paar Blätter entstanden an jenem Abend, die er der Mappe einfügte, in welcher tagebuchartig von Zeit zu Zeit innere und äußere Erlebnisse ihre Aufzeichnung fanden. An seinem Bilde arbeitete er nun mit doppeltem Gestaltungsbedürfnis. Nicolo hatte sich soweit erholt, daß er wieder zu den Sitzungen kam; beseitigt war allerdings sein Husten noch nicht. Tag für Tag verstrich in ernster Arbeit. Doch so vollkommen Moralt sich auch seinem Schaffen hingab, es wollte ihn nicht befreien. Diese drängende Anregung, welche der Sonntag gebracht, war größer, stärker, als die Möglichkeit, sich zu genügen. Und so lebte er bis über Weihnachten hinaus abgeschlossen, in einem Zustand schmerzlicher Unzufriedenheit mit sich selbst, – in diesem verwendungslosen inneren Überreichtum. 182

 


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