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Zweiter Teil. Kasperles Streiche

Kasperle als Bäckerlehrling

Als Kasperle noch in Torburg lebte, bekam es eines schönen Tages Langeweile. Es klagte dem Kasperlemann, der gerade zu Hause war, sein Leid. Der meinte: »Kaspere nur, da vergeht deine Langeweile.«

Doch gerade dazu hatte Kasperle keine Lust. Es redete davon, es wollte jetzt etwas lernen, ein Handwerk ergreifen, ein ehrsamer Bürger werden und heiraten, am liebsten das Marlenchen. Das dachte es sich wunderschön.

»Aus einem Kasperle wird seiner Lebtag kein Handwerksmeister«, sagte der Kasperlemann. »Schuster, bleib bei deinen Leisten.«

»Schuster will ich gar nicht werden.« Kasperle rief es stolz und blähte sich dazu auf wie ein Fröschlein. Hach, es wußte schon, was es werden wollte.

Da sah es der Kasperlemann von oben bis unten an und sagte spöttisch: »Du willst wohl Zuckerbäcker werden, schaust gerade so aus.«

Wie kann einer einem nur das von der Nase ablesen. Gerade hatte nämlich Kasperle tatsächlich gedacht, ich werde Zuckerbäcker, da kann ich den ganzen Tag Küchlein essen. »Hach!« machte Kasperle und sperrte den Mund vor Erstaunen ganz weit auf.

»Potz Blitz!« rief der Kasperlemann, »da gehen ja zehn Pfannküchlein auf einmal hinein.«

Bei Nennung der zehn Pfannküchlein lief dem Kasperle das Wasser im Mund zusammen, und es hatte es auf einmal sehr eilig mit dem Zuckerbäckerwerden. Es schrie: »Du hast recht geraten, ich werde Zuckerbäcker, aber einer, der die schönsten Torten im ganzen Lande bäckt!«

»Ei, Kasperle, nimm den Mund nicht gar zu voll, du mußt ja erst lernen, und du hältst es nicht drei Tage als Lehrling aus.«

»Wetten, daß –« schrie Kasperle und streckte dem Kasperlemann die Hand hin.

»Jawohl«, sagte der, »wenn du drei Tage aushältst, bekommst du von mir zehn Pfannküchlein, sonst –«

»Bekommst du einen Nasenstüber!« schrie Kasperle frech.

Schwapp, da hatte Kasperle eine Ohrfeige weg, daß es gleich hintenüber fiel.

»Sonst«, redete der Kasperlemann ruhig weiter, »mußt du einen ganzen Nachmittag in meiner Bude kaspern.«

»Abgemacht, ich kriege zehn Pfannküchlein.«

»Erst drei Tage Lehrzeit aushalten«, spottete der Kasperlemann.

Die beiden stritten sich eine Weile hin und her, aber Kasperle hatte den größten Mund und schrie so, daß der Kasperlemann zuletzt still schwieg und sich seinen Teil dachte.

Erster Lehrtag

Am nächsten Morgen ließ sich Kasperle von Frau Liebetraut, seiner mütterlichen Freundin, eine weiße Schürze geben, band ein blaues Halstuch um, setzte eine alte Gartenmütze auf und meinte, nun sehe es aus wie ein Bäckerlehrjunge. Es sagten zwar alle, denen es sein Vorhaben mitteilte, Meister Hummel, der einzige Zuckerbäcker von Torburg, würde es gar nicht als Lehrling annehmen, ein Kasperle tauge nicht zum Zuckerbäcker. Aber Kasperle war mutig, es fand einen Ausweg. Es sagte, es würde sich Michel nennen; dann würde es niemand erkennen mit seiner weißen Schürze, dem blauen Halstuch und der alten Gartenmütze. Es war ganz unmöglich, daß jemand denken könnte, es sei Kasperle. Also gekleidet ging es zu Meister Hummel und sagte sich unterwegs ein Sprüchlein vor, das es dem Meister vortragen wollte: es sei ein armes Waisenbüble und wolle ein recht tüchtiger Zuckerbäcker werden.

Als es den Laden betrat, saß die Meisterin hinter dem Ladentisch. Sie rief gleich: »Na, Kasperle, willst du wieder Pfannküchlein holen?«

»Ja«, antwortete Kasperle verdutzt.

»Wieviel?«

»Zehn.« Doch während die Meisterin die Küchlein in eine Tüte zählte, fiel es Kasperle ein, daß es ja Michel wäre, und es schrie: »Ich bin nicht Kasperle!«

Die Meisterin lachte: »So, wer bist du denn, du siehst doch gerade wie Kasperle aus?«

»Ich heiße Michel und will Bäckerlehrjunge werden«, rief Kasperle und langte nach der Tüte mit den Pfannküchlein. Aber die Meisterin gab sie ihm nicht, die fragte erst vorsichtig, ob es auch Geld hätte. Da mußte Kasperle bekennen, daß es keinen Pfennig sein eigen nannte.

Inzwischen war der Meister in den Laden getreten, der sagte streng: »Kasperle, ohne Geld gibt es keine Küchlein.«

»Ich bin nicht Kasperle!« rief der kleine Strick, ärgerlich darüber, daß ihn auch der Meister gleich erkannte.

»Potztausend, wer bist du denn?« Der Meister lachte.

»Michel, der Lehrjunge.«

Nun mischte sich die Meisterin ein und erzählte, daß Kasperle bei ihnen Lehrjunge werden wollte.

Dem Meister war an dem Tage gerade sein Lehrjunge davongelaufen, und er wollte lieber Kasperle nehmen als gar niemand haben. Er fing also an, mit Kasperle zu verhandeln, und bald waren sich die beiden einig. Kasperle sollte erst einmal für drei Tage zur Probe bei Meister Hummel bleiben. Hatten dann beide noch Lust, sollte Kasperle drei Jahre lernen. Kasperle konnte gleich bleiben, und weil die Meisterin das Mittagessen kochen wollte und der Meister in der Backstube zu tun hatte, mußte Kasperle in der Ladenstube bleiben und aufpassen, ob jemand in den Laden kam. Es war dies nicht klug von der Meisterin. Sie hätte wissen müssen, daß man Kasperle nicht mit den Küchlein allein läßt.

Kasperle fing auch gleich zu schmausen an. Es versuchte jeden Kuchen und wollte gerade mit dem Finger in eine Cremetorte rutschen, als eine Nachbarin den Laden betrat. Kasperle machte vor Schreck über den unerwarteten Besuch sein allerschlimmstes Teufelsgesicht, und die Frau, die dachte, es wäre ein Einbrecher, fing furchtbar zu schreien an.

Als die Meisterin das Geschrei hörte, kam sie eiligst angelaufen. Kasperle wäre es beinahe schlecht gegangen, denn die Meisterin war eine handfeste Frau, die schon mit einem Kasperle fertig wurde, aber der kleine Schelm erkannte die Gefahr rechtzeitig, er entwischte schnell und kletterte auf den großen Schrank, der hinter dem Ladentisch stand. Oben angelangt, schnitt er sein häßlichstes Räubergesicht, und die gute Nachbarin erschrak wieder so sehr, daß sie laut schreiend auf die Gasse stürzte und dort brüllte, beim Bäcker Hummel säße der Teufel auf dem Schrank.

Potz Wetter, den wollten alle sehen, und im Laden stauten sich die Menschen. Die Meisterin, die wohl sah, daß alle aus Neugier kamen, fragte jedes schelmisch: »Was wollen die Herrschaften, der Kuchen ist ganz frisch, wollen Sie Apfelkuchen, Streußelkuchen oder Pfannküchlein?«

Da schämten sich die Leute über ihre Neugier und es verlangten auch manche Kuchen, die gar keinen hatten kaufen wollen. Während die Meisterin die Küchlein hurtig einpackte, ein Paket nach dem andern, tat sie so, als sähe sie nichts von dem Kasperle. Sie drehte sich nicht einmal nach ihm um, und die Leute sagten zueinander: »Sie weiß es gar nicht, daß der Teufel in ihrem Laden sitzt.«

Das hörte die Meisterin, und weil sie eine Schelmin war, sagte sie heiter: »Mir tut er nichts, er wartet hier auf jemand, der über andere üble Nachrede führt. Wer das tut, mag sich schon in acht nehmen.«

Wutsch! huschten einige aus dem Laden, das waren also solche, die kein reines Gewissen hatten und die gern über ihre lieben Nächsten klatschten. Kasperle merkte die Schelmerei, und gerade wollte es anfangen, noch schlimmere Gesichter zu schneiden, als ein Büblein den Laden betrat. Auf der Gasse war ein großes Geschrei: beim Bäckermeister Hummel wäre der Teufel. Den wollte das Büblein sehen. Es fürchtete sich gar nicht und drängte sich keck vor. Es wollte den Teufel ganz genau sehen. Eine Frau warnte: »Nicht so vorwitzig, sonst nimmt er dich mit.«

Aber das Büblein brach in ein schallendes Gelächter aus. »Der holt mich nicht«, rief es, »das ist ja Kasperle!«

Als Kasperle dies hörte, erschrak es so, daß es das Gleichgewicht verlor und der Meisterin auf den Kopf fiel.

Na, ein Kasperle auf den Kopf zu bekommen, ist nicht gerade angenehm. Die dicke Meisterin wäre beinahe umgefallen. Sie schwankte ein wenig hin und her, blieb aber stehen und das Kasperle rutschte auf den Boden. Dort lag es, und weil ihm himmelangst wurde vor den vielen Menschen, die es neugierig betrachteten und davon redeten, ob es wirklich das berühmte Kasperle oder doch etwa ein Teufel sei, verdrehte Kasperle fürchterlich seine Augen. »Es stirbt, Kasperle stirbt!« schrie das Büblein klagend.

»Ich stirbse nicht«, versicherte Kasperle, dem das Büblein in seiner Angst leid tat, und machte gleich ein ganz freundliches Gesicht.

Da erkannten es alle. Sie lachten und riefen: »Ach, es ist wirklich Kasperle. Was will denn der Strick hier bei Ihnen im Laden, Frau Meisterin?«

Die Frau lachte. »Es will Zuckerbäcker werden«, erzählte sie.

Zuckerbäcker, das Kasperle! Lachen rauschte durch den Laden.

Am lautesten lachte das Büblein. Das lief flugs auf die Gasse und brüllte es dort laut hinaus: »Kasperle will Zuckerbäcker werden!«

Da kamen von allen Seiten die Buben und Mädels an und staunten in den Laden hinein, in dem Kasperle allen Leuten die wunderbare Geschichte erzählte, daß es, um seine Freundin Marlenchen heiraten zu können, ein Handwerk lernen wolle.

»Daraus wird doch nichts, du lernst nie aus!« riefen die Frauen.

»Drei Tage halt ich schon aus«, sagte Kasperle treuherzig, und erzählte in seiner Sorglosigkeit, was es mit dem alten Kasperlemann vereinbart hatte.

»Einen Lehrjungen, der nur drei Tage bei mir bleiben will, kann ich nicht brauchen!« rief der Meister.

Kasperle sah erst ganz verdattert drein, dann aber, als der Meister ernsthaft sagte, es solle machen, daß es fortkäme, fing es fürchterlich an zu weinen, denn es wollte doch seine Wette nicht verlieren. Man soll nicht denken, daß es dem Kasperle allein um die Pfannküchlein ging, es war ihm auch um die Ehre zu tun, es wollte nicht immer der Verlierer sein. Die Kinder draußen hörten Kasperle so bitter weinen, und erschrocken drängten sie in den Laden, denn sie dachten, Kasperle geschähe ein Leid. Auf einmal war der Laden überfüllt, die Kinder stießen, schubsten und pufften sich, denn alle wollten sie vorn stehen und Kasperle sehen. Die Erwachsenen hatten ihre liebe Not mit ihnen, und der Meister seinen besonderen Ärger. Die Kinder taten ja gerade, als täte er dem Kasperle was an. Er schalt, die Kinder sollten hinausgehen, sie hätten nichts im Laden zu suchen, kaufen würden sie doch nichts. Je mehr der Meister aber schalt, desto mitleidiger redeten die Kinder mit Kasperle, und um so mehr schrie der Schelm.

Es war ein Lärm zum Davonlaufen, und der Meister lief auch davon. Er sagte noch zu seiner Frau: »Mach’ was du willst.« Das sagte er immer, wenn er durch seine Heftigkeit etwas verpatzt hatte. Und seine Frau machte es richtig. Sie steckte erst mal Kasperle den letzten Teekuchen, den es noch im Laden gab, in den Mund, und bums war das Kasperle still. Dann sagte sie, der kleine Strick dürfe drei Tage als Lehrbube zur Probe bleiben, er müsse aber versprechen, recht artig zu sein.

»Ich versprech’s!« schrie Kasperle und turnte an einem Brotregal auf und ab. Dann stand das Kasperle mitten unter den Kindern und großen Leuten, und alle baten: »Kaspere ein bißchen!« Aber Kasperle gähnte und sagte, es wäre sehr müde.

»Dann geh in die Backstube und lege dich auf die Ofenbank, da ist es schön warm.« Die Meisterin machte selbst die Türe zur Backstube auf, und Kasperle spazierte ganz gehorsam hinein.

»Geht nach Hause«, sagte die Meisterin zu den Kindern.

Da – ein Stöhnen, Pusten und Ächzen, ein dumpfes Poltern, ein schwerer Fall, war aus der Backstube zu hören. Was war geschehen?

Kasperle hatte einen mit Mehl gefüllten Backtrog für ein warmes, weiches Bettchen gehalten, in das hatte es sich hineingelegt – und war im Mehl versunken. Bei dem Bemühen, wieder herauszukommen, war es mit dem ganzen Trog, der auf zwei Stühlen stand, umgefallen. Kasperle lag unter dem Trog und die Meisterin vergaß das Schelten und griff rasch zu, um den Kleinen zu befreien, denn sie hatte Angst, der kleine Schelm könnte ersticken.

Na, erstickt war das Kasperle noch nicht, es hustete, spuckte und jammerte aber ganz gewaltig, denn das Mehl war ihm in Mund und Nase gekommen und das ganze Kasperle sah aus wie mit Zucker bestreut. Na, das war eine Bescherung. Der Meister und die Gesellen hatten das Gepolter auch gehört. Sie kamen eilig angelaufen und sahen das Unheil, das Kasperle angerichtet hatte. – Der Meister konnte schon tüchtig schimpfen, aber der Altgeselle konnte es noch viel besser. Der wetterte so los, daß es dem Kasperle und allen Kindern himmelangst wurde. Kasperle vergaß sogar das Kaspern vor Schreck.

»Es muß Hiebe haben«, schrie der wütende Geselle.

»Ja, tüchtig«, fiel der zweite Geselle ein.

Der Meister holte aus einer Ecke einen Stock heraus und es wäre beinahe dem Kasperle ganz schlimm ergangen. Doch da war ein Büblein, das ein abgrundtiefes Mitleid mit dem Kasperle hatte, das stellte sich mutig vor den zornigen Meister hin und rief: »Tu dem Kasperle nichts, hau mich dafür!«

Das war weder dem Meister noch den Gesellen je vorgekommen, daß ein anderer des Kameraden Hiebe auf sich nehmen wollte, und der Meister ließ den Stock sinken, sah das Kasperle an und fragte: »Was nun?«

»Hau mich schon«, schluchzte Kasperle, »aber leg ein Brett unter.« Ja, Kasperle war mordsschlau. Da rasselte es auf einmal wie eine alte Wetterfahne, die sich im Winde dreht, der wütende Altgeselle fing an zu lachen, was er seit zehn Jahren nicht getan hatte, denn er war ein griesgrämiger Bursche. Wenn einer lacht, steckt das meist an. Zuerst lachten die Kinder, der Meister lachte und die Meisterin, der Zweitgeselle fiel ein, und alle Leute, die sich in die Backstube gedrängt hatten; zuletzt aber lachte Kasperle selbst, und es konnte es am besten. Es schüttelte sich wie eine Birke im Herbststurm und sperrte seinen Mund auf wie ein Briefkasten seine Bodenklappe, wenn der Briefträger zum Entleeren kommt. Da war von Durchwichsen keine Rede mehr, und das Büblein konnte beruhigt sein, Kasperle bekam an diesem Abend keine Hiebe mehr. Es durfte sogar ins Bett gehen, obgleich der Altgeselle sagte, eigentlich müßte der Lehrjunge auch in der Nacht helfen, denn damals hatten die Bäcker in der Nacht die Hauptarbeit. Aber Kasperle fiel vor Müdigkeit beinahe über seine eigene Nase. Die Meisterin hatte Mitleid mit ihm. Sie brachte Kasperle selbst in das Lehrjungenkämmerchen und dort durfte es sich ins Bett legen. »Schlaf gut, kleines Kasperle«, sagte die freundliche Frau und deckte den kleinen Schelm zu. – Heidi! schlief das Kasperle ein. Die Meisterin war noch nicht an der Türe, da schnarchte es schon, und die Frau dachte: Der kann es aber gut.

Zweiter Lehrtag

Kasperle wurde am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe recht unsanft geweckt. Der Altgeselle stand an seinem Bett und goß ihm ein Tröpflein kaltes Wasser auf seine große Nase. »Aufstehen!« schrie er dabei. »Du mußt Brötchen austragen.«

Kasperle wollte maulen, da kam es aber beim Altgesellen schlecht an. Der packte es am Kragen, hob es aus dem Bett, setzte es auf den Fußboden und drohte ihm, er würde es hinaustragen und unter die Pumpe setzen, wenn es sich nicht fix anziehen würde. Unter die Pumpe gesetzt zu werden, schien Kasperle nicht verlockend zu sein, es schlüpfte darum schnell in sein Höslein und hätte das Waschen vergessen, wenn der Altgeselle nicht ziemlich grob daran erinnert hätte. So kam denn Kasperle leidlich sauber in seine Höslein, und da sein Magen ordentlich knurrte, dachte es zuerst ans Frühstück, und weil Meister Hummel doch eigentlich ein Zuckerbäcker war, meinte es: Jetzt gibt es Kuchen.

Es gab aber weder Kuchen noch sonst etwas. Mit hungrigem Mäglein mußte Kasperle in die Morgenluft hinaus. Die Meisterin hatte ihm genau aufgeschrieben, wo es hingehen sollte, sie sagte: »Hier in der Paradiesgasse fängst du an und dann geht’s in der Reihenfolge weiter, wie es auf diesem Zettel steht.«

Nun, verstanden hatte Kasperle schon, aber lesen konnte es doch nicht. Zur Not brachte es ein paar gedruckte Wörter zusammen, alles andere hatte es schon längst wieder verlernt. Um das auf den Zettel Geschriebene herauszubuchstabieren, hätte es wohl ein Jahr gebraucht. Das sagte aber der kleine Dummkopf nicht. Er verließ sich auf sein gutes Glück und dachte, ich finde schon ein Büblein, das mir hilft. Aber auf der Gasse war so früh noch kein Büblein zu sehen, die lagen noch alle in den Betten und schliefen, und Kasperle mußte sich allein helfen. Das tat es auch, aber auf seine Art. Es lief einfach mit seinem Tragkorb von Haus zu Haus, und weil die Meisterin gesagt hatte, es solle nicht klingeln, um die Leute nicht aus dem Schlaf zu wecken, bumste es mit dem Fuß an die Haustüre. Und Kasperle konnte das Bumsen gut. Es dröhnte nur so durchs ganze Haus, und die Leute fuhren aus dem Schlaf empor, und einige guckten zum Fenster heraus und schimpften hinter Kasperle her. Das kümmerte sich gar nicht darum und lief weiter, legte vor jedes Haus so viele Tüten mit Brötchen als es Stockwerke hatte, mal große, mal kleine, gerade wie es kam, dann ging es ganz stolz in die Bäckerei zurück. Die Meisterin hatte zwar gesagt, es müßte durch die ganze Stadt laufen, und es dachte, ich muß es ihr sagen, daß das Gebäck dazu gar nicht gereicht hat.

Als es aber in den Laden trat, stand da ein Fremder, Der sprach mit der Meisterin und rief gleich, als Kasperle seine große Nase zur Türe hereinsteckte: »Da ist er, ja, der war es!«

Kasperle erkannte den alten Herrn wieder. Das war einer von denen, die so über sein Gebumse an den Türen geschimpft hatten.

»Was hast du denn für einen Unsinn gemacht, Kasperle?« fragte die Meisterin streng.

»Nichts«, erwiderte der kleine Schelm treuherzig, denn er meinte, das bißchen Bumsen könnte man doch nicht übelnehmen.

»So, nichts! Wer hat denn an die Haustür geklopft, wie ein Schmied auf den Amboß und wer hat denn bei uns drei falsche Tüten abgegeben, auf denen ganz andere Namen stehen? Ich will Mohnkringel und keine Brötchen.« Das ist schlimm, wenn einer Mohnkringel essen will und keine bekommt. Der alte Herr schalt denn auch wie eine Elster und ließ die Meisterin gar nicht zu Worte kommen.

Wie er noch mitten im Reden war, kam eine Frau in den Laden, die konnte das Schelten noch besser, denn die schalt gleich für drei Nachbarn mit. Zwei schickten die Brötchen wieder zurück – sie hätten gar keine bestellt – und der dritte hatte nur die Hälfte bekommen, die Frau selbst hatte nur Mohnkringel erhalten, und die konnte sie nicht vertragen.

»Wie dumm«, brummte der alte Herr.

Potz Blitz! nahm das die Frau übel. Sie zeterte los und der alte Herr blieb ihr auch keine Antwort schuldig, und während sich die beiden zankten, dachte Kasperle daran, auszureißen, denn es merkte nun, daß es an all dem Streiten schuld war.

Es kam aber nicht zur Türe hinaus. Durch diese drängten sich immer mehr Leute in den Laden, einige mit Tüten, andere ohne solche, aber alle schimpften sie. Die einen hatten falsches Gebäck bekommen, die anderen hatten gar nichts bestellt, am meisten aber beschwerten sie sich über das furchtbare Gebumse. Alle waren sie deshalb zu früh aufgestanden und waren schlechter Laune. Es kamen immer mehr Menschen und zuletzt kamen noch alle die, die weiter weg wohnten und überhaupt kein Gebäck mehr bekommen hatten.

Es war wieder einmal ein Höllenspektakel in der Bäckerei Hummel.

Der Meister hörte es natürlich in seiner Schlafstube, denn er hatte sich endlich zum Schlafen hingelegt. Er dachte: Was hat das verflixte Kasperle wohl wieder angerichtet? Er blieb aber vorläufig liegen, und das war ein Glück für Kasperle, denn der zornige Meister hätte gerade noch gefehlt. Es ging ihm ohnehin schlecht genug. Und der Meisterin ging es noch schlechter. Als es endlich herauskam, daß Kasperle überhaupt nicht lesen konnte, da sagten alle: »Wie kann man auch nur ein Kasperle als Lehrling einstellen, da können ja nur Dummheiten und Unsinn entstehen!« Das ging Kasperle über die Hutschnur. Das kränkte es in seiner Ehre. Es brüllte so laut es konnte, und es konnte sehr laut brüllen: »Ich bin nicht so dumm!«

»Halt den Schnabel!« befahl ein Mann und gab ihm einen Klapps auf den Mund. Der kannte aber das Kasperle schlecht, das ließ sich nicht so ohne weiteres auf den Mund schlagen. Es fing so fürchterlich an zu schreien, daß die Leute von der Gasse wieder in den Laden stürmten und fragten, was denn dem Kasperle geschehen sei. Die einen fragten, die anderen wollten erklären, Kasperle brüllte, die Meisterin weinte, und auf einmal tat sich die Türe auf und herein kam nun doch der Meister im buntgeblümten Schlafrock, den Stiefelknecht in der Hand und drohte, er würde alle weich wie Teig schlagen, wenn es nicht bald Ruhe gäbe.

Nun, zu einer Teigmasse wollte keines geschlagen werden, vor dem zornigen Meister hatten sie Angst, also rissen alle aus. Kasperle wollte auch ausreißen, wer es aber festhielt, war der alte Herr, der sich zuerst beklagt hatte. Der packte es am Kragen, hielt es hoch und sagte: »Das soll ein Bäckerlehrjunge sein, der kann ja nicht einmal lesen!«

»Doch«, schrie Kasperle beleidigt.

»Geschriebenes auch?«

Kasperle wurde verlegen. »Ich hab’s verlernt«, stammelte es.

»Ach je«, rief die Meisterin, »und ich hab ihm alles genau aufgeschrieben.« Da kam es denn heraus, daß das gute Kasperle den Zettel und die Aufschriften auf den Tüten gar nicht gelesen hatte, und die Meisterin sah ein, daß man ein Kasperle nicht so ohne weiteres Ausgänge machen lassen kann. Für das Gebumse aber bekam es von dem alten Herrn noch eine Ohrfeige. Damit war die Sache erledigt.

Der Meister knurrte und brummte noch ein bißchen, und der Altgeselle brummte noch viel mehr, aber die Meisterin wußte sie zu beruhigen. Es kamen noch viele Leute an diesem Vormittag zu Meister Hummel und beschwerten sich, am meisten aber über das Gebumse. Das hatte sie alle im Morgenschlaf gestört.

Ich muß Kasperle alles besser klarmachen, es hat es ja nicht böse gemeint, dachte die Meisterin. Aber was helfen die besten Absichten, wenn es sich um ein Kasperle handelt?

Der kleine Schelm saß inzwischen in der Backstube und stach kleine Kuchen mit einer Blechform aus. Wenn einer mißlang, aß er den Teig auf. Es mißlangen aber mit der Zeit so viele, daß der Altgeselle darauf aufmerksam wurde, und schließlich wurde Kasperle mit Schimpf und Schande aus der Backstube gejagt.

Zum Glück wurde bald zum Mittagessen gerufen, und Kasperle folgte dem Ruf sehr geschwind. Leider hatte es vergessen, sich die Hände zu waschen, denn mit Mehl- und Teigfingern kommt man nicht zu Tisch. Der Meister schickte Kasperle wieder hinaus, gerade als die Magd die verlockend duftende Bratwurst auftrug.

Als der kleine Wicht wieder kam, war die Bratwurst, die er so gerne aß, alle. Der Altgeselle steckte eben das letzte Stück in seinen Mund. Wupp! da war es drin, und Kasperle hatte das Nachsehen. Es wollte anfangen zu brüllen, aber da sagte der Meister: »Warte, ich hole den Stiefelknecht!«

Da war Kasperle wie auf den Mund geschlagen, denn mit diesem Herrn wollte es keine Bekanntschaft machen. Es schluckte traurig seinen Kartoffelbrei hinunter und fand das Lehrlingsleben gar nicht sehr erfreulich. Wenn nur erst die drei Tage herum wären, und es seine Wette gewonnen hätte.

Ebenso dachte die Meisterin. Sie hatte an diesem Tage gerade alle Hände voll zu tun und nun mußte sie noch auf Kasperle aufpassen. Beinahe hätte sie vergessen, der reichen Frau von Stipps die bestellten Butterhörnchen zu schicken. Sie wollte den Zweitgesellen schicken, aber der brummte, er hätte keine Zeit, Kasperle sollte gehen, wozu wäre es denn da.

Die Meisterin nahm sich also Kasperle vor, zeigte ihm das Haus, in dem die Frau von Stipps wohnte, ermahnte es, nicht zu bumsen, sondern fein vorsichtig zu klingeln, und dann ließ sie es gehen. Wenn es der Kleine nur richtig macht, dachte sie.

Nun, es ging, wie es eben einem Kasperle gehen kann.

Frau von Stipps stand am Fenster und war verdrießlich. Herr von Stipps lag nämlich im Bette und hatte Kopfschmerzen. Dann wollte er immer größte Ruhe im Hause haben, und gerade heute hatte sie ihr Kaffeekränzchen, und die Damen pflegten dabei viel zu schwatzen.

Wie Frau von Stipps so am Fenster stand und hinaussah, erblickte sie auf einmal Kasperle, das in einer weißen Schürze, mit einem weißverdeckten Korb am Arm daherkam, wie ein richtiger Bäckerjunge.

Aha, der bringt meine Butterhörnchen, dachte Frau von Stipps.

Aber jemine! Was machte denn der Junge?

Er schwenkte den Korb wie ein Uhrpendel hin und her und pardauz! lagen alle Butterhörnchen auf der Straße. Gerade in den Schmutz waren sie gefallen.

Jetzt wird der ungeschickte Junge zurückgehen und andere holen, dachte Frau von Stipps.

Aber Himmel, was tat der Bäckerjunge?

Frau von Stipps fiel beinahe in Ohnmacht, denn Kasperle, das unnütze Kasperle, wischte alle Butterhörnchen am – Hosenbödle ab und warf sie wieder in den Korb. Er bringt sie wirklich herauf!

Ja, Kasperle brachte sie schneller in die Wohnung, als Frau von Stipps geahnt hatte. Was wußte die, wie schnell ein Kasperle Treppen hinaufflitzen konnte. Eins, zwei, drei war es oben.

An der Tür war ein Klingelknopf, daran hing ein Zettel. Auf dem stand: »Bitte nicht klingeln, nur leise klopfen!«

Um den Zettel kümmerte sich Kasperle nicht. Es hätte ja auch nicht lesen können, was darauf stand. Bumsen sollte es nicht, also klingelte es, aber wie! Es drückte in einem fort auf den Knopf, daß die Klingel ununterbrochen läutete.

Drinnen hörten es alle, und als die Klingelei kein Ende nehmen wollte, sprang der gnädige Herr aus dem Bette, und es war gut, daß er schon seinen Schlafrock anhatte, sonst wäre er im Hemd an die Glastür gelaufen, so wütend war er. Kasperle machte gerade kein sehr kluges Gesicht und staunte sehr, als Herr von Stipps mit seiner Frau und dem Dienstmädchen angelaufen kam und rief: »Das ist der Junge, der heute früh so an die Tür gebumst hat!«

»Jawohl«, schrie seine Frau, »und der gerade drunten auf der Straße die Butterhörnchen an seinem Hosenbödle abgewischt hat!«

»Waaas hat er gemacht?« rief Herr von Stipps.

Die gnädige Frau erzählte nun, was sie vom Fenster aus beobachtet hatte, und Kasperle machte das treuherzigste und unschuldigste Gesicht von der Welt dazu und versicherte, als Frau von Stipps einmal Atem holte: »Sie sind wieder ganz sauber geworden!«

»Am Hosenbödle?« riefen Mann, Frau und Magd wie aus einem Munde.

»Na ja, ich wisch doch alles am Hosenbödle ab.« –

Kasperle wunderte sich sehr, daß die Frau und die Magd so entsetzte Gesichter machten, der Herr dagegen machte ein Gesicht, als kitzelte ihn etwas an der Nase, er schien eher zu wissen, was ein Hosenboden für ein Kasperle bedeutet.

Die beiden Frauen aber starrten das Kasperle an, als wäre es aus einem Zirkus entsprungen. Kasperle wußte vor Verlegenheit gar nicht, wo es hinsehen sollte. Es fing darum an, Gesichter zu schneiden, und da geschah ein Wunder: der Herr von Stipps vergaß seine Kopfschmerzen und seine schlechte Laune und lachte auf einmal schallend los.

Gleich lachte Kasperle mit, und wo zwei lachen, konnte die Magd Berta nicht still sein, sie mußte auch lachen.

Das Lachen nahm aber die Frau übel. Sie sagte streng: »Du mußt mir frische Hörnchen holen.«

»Ja«, rief Kasperle bereitwillig, »aber du mußt mir Geld geben.«

Mit Du war Frau von Stipps noch nie von einem Bäckerjungen angeredet worden.

Sie fand dies unerhört und fragte ungehalten: »Was bist du denn für ein frecher Junge?«

»Ich bin Kasperle.«

»Was, wer bist du?« rief der Herr von Stipps verwundert.

»Kasperle«, antwortete dies noch einmal.

»Wie kann denn ein Kasperle Bäckerjunge sein, das stimmt doch nicht.« Die gnädige Frau war sehr empört.

Aber Kasperle schrie beleidigt: »Das stimmt doch, da, mach mir das einmal nach!« und schwipp-schwapp schlenkerte es mit Armen und Beinen und schoß einen Purzelbaum über Frau von Stipps hinweg.

Es war nun ein bißchen viel verlangt, daß diese einen Purzelbaum schießen sollte. Sie tat es auch nicht.

Herr von Stipps aber lachte, als wäre er selbst ein Kasperle.

Als Kasperle das sah, kasperte es wie toll im Flur herum, und dem gnädigen Herrn wackelte der Bauch vor Lachen. Frau von Stipps sah ihren Mann gern lachen, denn er war sonst oft recht griesgrämig, sie tat das beste was sie tun konnte, sie lachte mit. Kasperle kasperte, und die drei lachten so lange, bis der kleine Schelm rief: »Ich habe Hunger!«

»Iß die Butterhörnchen auf, dann kannst du frische holen«, sagte Herr von Stipps, der dachte, Kasperle würde die in den Schmutz gefallenen Hörnchen sicher nicht essen. Da kannte er aber Kasperle schlecht, das störte der Schmutz kein bißchen. Eins, zwei, drei, schluck, schluck, weg waren die Hörnchen, und die drei Zuschauer staunten den Kleinen fassungslos an. So essen konnten sie nicht.

Dann bekam Kasperle Geld und mußte andere Hörnchen holen. Es kam damit auch glücklich über die Straße, kasperte drüben dem Herrn von Stipps noch etwas vor, und sauste dann seelenvergnügt wieder in die Bäckerei zurück.

Es hatte sich vorgenommen, kein Wörtlein von seinen Erlebnissen zu verraten, doch kaum war es im Laden und die Meisterin fragte, wo er denn so lange geblieben sei, da erzählte es flink alles.

Die gute Meisterin dachte, Kasperle macht doch wirklich nichts wie Dummheiten, was fange ich nur mit ihm an. Sie sagte: »Weißt du was, Kasperle, du gehst jetzt ins Bett, du wirst doch müde sein.«

Das ließ sich Kasperle nicht zweimal sagen. Es rannte rasch in sein Kämmerlein, kroch in sein Bett und schlief im Handumdrehen ein.

Dritter Lehrtag

Als Kasperle am dritten Tag munter wurde, hörte es gerade den Altgesellen sagen: »Gieß ihm nur Wasser über den Kopf!«

Flugs war Kasperle aus dem Bett. Es hatte genug von dem gestrigen Güßlein. Es schlüpfte auch leidlich flink in seinen Kittel und vergaß diesmal auch das Waschen nicht.

So stand denn das Kasperle bald fix und fertig vor dem Gesellen und erfuhr, daß es wieder Gebäck austragen müßte, der Zweitgeselle würde aber mitgehen und ihm immer die richtigen Häuser zeigen und was es jeweils abzugeben hätte. Aber den Korb tragen und die Treppen steigen, das schicke sich nicht für einen Zweitgesellen, meinte der.

»Aber nicht bumsen«, ermahnte es die Meisterin im Laden.

»Nicht bumsen, sonst –« drohte ihm der Meister noch vor der Türe.

»Ich werde ihm was bumsen«, versicherte der Geselle.

So wohl ausgerüstet mit guten Ermahnungen trat Kasperle seinen Weg zum Brötchenaustragen an. Es dachte, daß es sehr langweilig werden würde, so mit dem brummigen Gesellen zu gehen, nicht ein Späßlein würde es machen können.

Als die beiden aber auf die Gasse kamen, da wimmelte es von Buben. Alle waren heute frühe aufgestanden, um dem Kasperle zu helfen. Weil doch das arme Kasperle nicht lesen konnte, mußte man ihm doch helfen.

Erst wollte der Geselle schimpfen über die unnützen Buben, aber dann besann er sich, da dies ja eine gute Gelegenheit für ihn war, nach Hause zu gehen, und er sagte den Buben Bescheid, überließ ihnen das Kasperle und den Tragkorb und trollte sich. Kaum hatte er ihnen den Rücken gekehrt, da riß das Kasperle seinen Mund auf und fing an zu prahlen, was es gestern alles angestellt hätte.

Sie standen dabei vor dem Haus, in dem der erste Kunde wohnte. Sie machten einen Höllenlärm, und auf einmal sagte eine Stimme von oben herab: »Kasperle, lüge nicht, sonst komme ich mit dem Stock hinunter.«

Himmel erschrak das Kasperle. Es sah hinauf und oben schaute der Mann, der gestern seine Mohnkringel nicht bekommen hatte, zum Fenster heraus. Kasperle senkte die Nase. Das war peinlich.

Der Mann ermahnte nun die Buben, nicht so laut zu sein, sonst würde das Kasperle noch für ihre Hilfe vom Meister Hiebe kriegen. Das wollten sie natürlich alle nicht. Sie versprachen also, recht leise zu sein. Was nun Buben so leise nennen!

Es wachte mancher an diesem Morgen durch den Lärm zu früh auf und dachte ärgerlich, wenn die Buben schon so früh einen Schulausflug machen, brauchen sie doch nicht so zu lärmen, das ist ja schrecklich.

Da war ja gestern der Kasper noch still dagegen. Nur wenige sahen den Schelm mitten unter den lachenden, lärmenden Buben, und fast niemand merkte es, daß der Schelm die Ursache von dem Geschrei und Gelächter auf der Straße bildete, denn er war an diesem Morgen ganz besonders ausgelassen und trieb es besonders toll, so daß die Buben aus dem Lachen gar nicht mehr herauskamen. Kasperle nannte dies jedoch »leise sein«, weil es selbst nicht schrie, sondern nur insgeheim die Jungen zu noch immer lauterem Geschrei veranlaßte.

Trotz allem Unsinn, den die Schar trieb, gaben die Buben die Backware doch richtig ab. Sie taten es ganz höflich und manierlich, und so gerne Kasperle an den Haustüren gebumst hätte, ließ es dies doch sein. So zog der Buben-Schwarm durch die ganze Stadt, und gerade, als das letzte Gebäck abgegeben werden sollte, vergaß es Kasperle ganz und gar, daß es nicht bumsen sollte, und bumste recht kräftig an die Türe des kleinen einstöckigen Häuschens. Die tat sich auf, und wer kam heraus? – Der Ortspolizist.

Das war ein Schreck. Ehe Kasperle an das Ausreißen denken konnte, hatte es der Polizist am Kragen gepackt und fragte streng: »Wer hat jetzt gebumst?«

»Ich nicht, mein Bein war es!« schrie Kasperle.

»So, na, da werden wir das Bein abschneiden!«

So ernst meinte es der Mann zwar nicht, aber Kasperle nahm es sehr ernst. Es brüllte fürchterlich: »Nicht abschneiden, nicht abschneiden!«

»Brülle doch nicht so«, sagte der Polizist erschrocken.

Das hätte er nicht sagen dürfen. Kasperle dachte: Wenn ich recht brülle, läßt er mich los. Und »huhuhuhuhuhu« brüllte das Kasperle.

»Sei still, sonst kommst du ins Gefängnis«, rief der Polizist, und tat, als wäre er furchtbar böse. Dabei mußte er heimlich über das verängstigte Kasperle lachen.

Der Polizist hatte aber nicht mit den Buben gerechnet. Kaum merkten sie, daß es ihrem Freund anscheinend an den Kragen gehen sollte, da dachten sie auch: Brüllen ist sicher das Beste, und brüllten wie die Löwen. Dem Polizisten wurde es himmelangst. So ein Geschrei vor seiner Türe am frühen Morgen war recht unangenehm, schon wegen der Nachbarn.

Die Buben merkten das wohl, und weil sie Kasperle freihaben wollten, brüllten sie immer lauter.

Schon öffneten sich da und dort die Fenster, verschlafene Gesichter schauten heraus, und ärgerlich fragten die Leute, was denn in aller Welt passiert wäre.

»Da, hau ab!« rief der Polizist wütend, denn alle Buben konnte er doch nicht am Kragen nehmen, also mußte er Kasperle loslassen.

Das ließ sich das Ausreißen nicht zweimal sagen, und die Drohung, es solle sich aber in Zukunft in acht nehmen, ließ der kleine leichtsinnige Strick zu einem Ohr hineingehen, zum andern aber gleich wieder hinaus.

»Kasperle ist frei!« jauchzten die Buben so laut, daß sich noch mehr Fenster öffneten und noch mehr Stimmen schalten.

Der Lärm paßte gar nicht zu dem schönen Morgen, und der Polizist war froh, als die Schar von dannen zog. Er nahm sich aber vor, dem Kasperle bei seinem Meister eins auszuwischen. Er wußte ja nicht, daß es dessen letzter Lehrtag war.

Lachend und vergnügt kamen die Buben und Kasperle wieder in der Paradiesgasse an. Sie hatten durchaus kein schlechtes Gewissen, und sie waren arg verwundert, daß der Mann, der gestern keine Mohnkringeln bekommen hatte, dort stand, und ihnen entgegenrief: »Haltet ihr so euer Versprechen?«

Du lieber Himmel, was hatten sie denn versprochen? Kasperle war am meisten verwundert, das sagte ganz treuherzig: »Aber du hast doch deine Mohnkringel noch nachträglich bekommen.«

Ja, es war nicht so ganz leicht, einem Kasperle das Lärmen und Lustigsein zu verbieten, weil ein Kasperle gar nicht merkt, wenn es laut ist. Und Buben sind darin genau wie Kasperles.

Im Bäckerladen hatte man von dem lauten Wortwechsel auf der Gasse gar nichts gemerkt. Und als Kasperle in die Backstube trat, meinte der Altgeselle, es könne sicher weiter da bleiben, denn wenn ihm seine Freunde vorerst immer helfen könnten, würde es mit der Zeit allein Bescheid wissen.

Aber Kasperle hatte doch keine Lust, länger Lehrjunge zu sein, es sehnte sich heim zu Meister Severin und nach Marlenchen, sogar nach dem Kasperlemann sehnte es sich, und wäre froh gewesen, wenn der Tag schon zu Ende gewesen wäre. Aber es war noch früh am Morgen, und ein langer Lehrtag lag noch vor Kasperle.

Die Meisterin dachte zwar auch, wenn der Tag nur vorbei wäre, aber sie war eine praktische Frau und meinte, es müsse jemand etwas Nützliches tun, wenn es auch ein Kasperle sei. Deshalb sagte sie: »Kasperle, geh auf den Hof und setze das Brennholz auf!«

Kasperle ging recht langsam davon, und als es vor dem Holzhaufen stand, der gerade in der Sonne lag, dachte es, schlafen wäre eigentlich jetzt besser, wenn man so früh aufgestanden ist. Also legte es sich neben dem Holzhaufen ins Gras und schlief im Augenblick selig ein.

Die Meisterin aber hatte im Haus wieder viel zu tun, einmal aber fiel ihr doch das Kasperle ein, und sie ging hinaus, um nach ihm zu sehen.

Wer lag da im Grase? – Kasperle mit der großen Nase.

Heidi! wie flink war da die Meisterin bei ihm.

Kasperle fühlte sich auf einmal unsanft emporgezogen und auf seine Beine gestellt.

»Faulpelz, du!« tönte es ihm ins Ohr.

Da riß es seine Augen auf und machte ein so blitzdummes Gesicht, daß die Meisterin herzhaft lachen mußte.

Das Lachen brachte Kasperle zu sich. »Ich habe Hunger«, schrie es kläglich.

»Ja, hast du denn noch kein Frühstück gegessen?« fragte die Meisterin.

»Nä!« Kasperle kam sich selbst sehr bemitleidenswert vor und heulte gleich. »Ich stirbse vor Hunger!« jammerte es.

Die Meisterin lachte, nahm aber das Kasperle mit in die Küche. Dort setzte sie es vor einen gefüllten Brötchenkorb, stellte ihm eine Tasse Milch vor und sagte: »Nun iß dich satt!«

Und Kasperle begann zu essen. Kuchen wäre ihm ja lieber gewesen, aber frische Brötchen mit Butter schmeckten auch gut.

Nach einer Weile kam der Altgeselle, er wollte auch frühstücken.

Er schaute auf den Tisch, sah das Kasperle an und fragte etwas drohend: »Wo sind denn meine Brötchen und meine Butter?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Kasperle unschuldig.

»Geh, ruf mal die Meisterin.«

Das tat Kasperle, aber das Mitkommen vergaß es, denn auf einmal war es ihm etwas bänglich zumute, weil es alles allein aufgegessen hatte. Es ging auf den Hof und begann seufzend Holz aufzuschichten.

In der Küche stellte es sich inzwischen heraus, daß der kleine Vielfraß alles aufgegessen hatte.

Der Altgeselle rief nach Kasperle, aber das tat, als wäre es schwerhörig geworden.

Da nahm der Geselle einen Stock, drohte: »Na warte!« und ging auf den Hof.

Kasperle aber war auf seiner Hut, es sah den Gesellen kommen und ahnte, daß der nichts Gutes im Schilde führe.

Als der Geselle ganz dicht vor ihm stand und schon dachte: Nun kann es mir nicht mehr entgehen, wutsch! schoß das Kasperle einen Purzelbaum über den Altgesellen hinweg und rannte auf die Straße.

Dort schrie es jämmerlich: »Er will mich schlagen!«

Sein Geschrei lockte viele Kinder und Erwachsene herbei, und die meisten nahmen Partei für das schreiende Kasperle. Die Kinder jedenfalls alle, und der Schelm merkte das wohl.

Er schrie so jämmerlich und sah so unglücklich dabei aus, daß selbst der Meister, der wieder einmal mit dem Stiefelknecht daherkam, Mitleid mit ihm hatte und rief: »Kasperle, komm rein, bis heute abend tut dir niemand mehr etwas.«

Da ging Kasperle getrost in das Haus, denn zu dem Wort des Meisters hatte es Vertrauen.

Es tat ihm auch wirklich niemand etwas, des Meisters Wort galt im Hause.

Nun stand das Kasperle wieder auf dem Hofe und schichtete Holz, bis zum Mittagessen gerufen wurde. Diesmal beeilte sich Kasperle sehr, aber als es in die Stube kam, nahm der Altgeselle gerade wieder das letzte Stück Fleisch aus der Schüssel. Aber Kasperle machte sich nichts daraus, es war noch plumpsatt von den vielen Brötchen. Es saß daher so still und sittsam bei Tisch, daß der Meister wieder dachte, es könnte vielleicht doch ein ganz guter Lehrjunge aus ihm werden.

Aber ein Kasperle bleibt ein Kasperle.

Gerade als der Geselle den letzten Bissen Fleisch in den Mund stecken wollte, schnitt ihm Kasperle ein Teufelsgesicht. Da erschrak der Geselle so sehr, daß er sich fürchterlich verschluckte und ihm alle auf den Rücken klopfen mußten, bis der Bissen wieder aus der unrechten Kehle zum Vorschein kam. Er wollte nun das Kasperle verhauen, aber die Meisterin hinderte ihn daran. Sie meinte, es sei töricht, über ein Teufelsgesicht von einem Kasperle so zu erschrecken, denn ein Kasperle schneide eben Gesichter, das wäre seine Natur.

»Nachher«, sagte der Geselle und machte ein Gesicht dazu, als wäre er selbst ein bitterböses Kasperle geworden.

Da wußte das Kasperle, daß es sich vor dem Gesellen in acht nehmen mußte.

Es ging bedrückt wieder hinaus zum Holzaufschichten. Das tat es eine Weile, bis es der Meister in die Backstube rief. Die Gesellen schliefen und der Meister wollte sich auch schlafen legen. Er hatte aber gerade einen besonders guten Hefekuchen eingerührt und wartete darauf, daß der Teig gehen sollte. Er sagte darum zu Kasperle: »Wenn der Teig geht, rufst du mich, hörst du?«

»Ja«, antwortete Kasperle gehorsam.

So ganz klar war ihm die Geschichte aber nicht. Wie konnte ein Teig gehen, er hatte doch keine Beine.

»Aber nicht einschlafen«, mahnte der Meister noch.

»Nein.« Kasperle riß seine Augen gleich so weit auf, als dächte es nie ans Einschlafen.

Beruhigt ging der Meister und legte sich hin. Er schlief auch gleich ein.

Auf einmal wachte er auf. Er hatte von seinem Kuchen geträumt. Erstaunt sah er auf die Uhr. Hatte Kasperle ihn wirklich zwei Stunden schlafen lassen, ohne ihn zu wecken? Der dicke Meister sprang eilfertig wie ein Gummiball in die Höhe und rannte in die Backstube.

Und da – lag Kasperle ganz gemütlich unter der Backmulde und ließ sich den Teig, der schon so arg gegangen war, daß er aus der Mulde überlief, in den Mund tropfen.

»Warum hast du mir denn nicht gesagt, daß der Teig geht?« fuhr der Meister das Kasperle wütend an.

»Der geht doch noch nicht, der tropft nur.« Kasperle sah so dumm und unschuldig drein, daß der Zorn des Meisters davonlief wie eine Maus.

Der Kuchen war noch zu retten; er wurde gleich gebacken. Die Gesellen kamen zum Vorschein, der Tag neigte sich zu Ende, und Kasperles Lehrzeit war damit auch zu Ende.

Der Meister gab ihm einen Lehrbrief. Darin stand, daß es drei Tage Lehrling gewesen wäre und nichts wie Dummheiten gemacht hätte.

Weil Kasperle nicht lesen konnte, war es sehr stolz auf das Zeugnis und nahm Abschied von den Bäckersleuten, als ginge es nach Afrika.

»Sei vorsichtig«, mahnte die Meisterin.

Da sah der Schelm auf dem Flur draußen zwei stehen, die unbemerkt auf ihn warten wollten, und hopplahopp sprang Kasperle zum Fenster hinaus.

Die beiden Gesellen hatten das Nachsehen.

Draußen auf der Gasse aber lärmten die Kinder.

»Hurra, Kasperle ist wieder da, Kasperle hat ausgelernt, es ist beinahe ein Bäckermeister!«

Und dann ging Kasperle zum Kasperlemann, der mußte die Pfannküchlein bezahlen. Es half ihm alles nichts.

Kasperle hatte die Wette gewonnen.


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