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Der tote Hof.

Elsa war mitten auf der Brücke stehen geblieben.

»Ist das der Ort, wo ich übernachten soll?« fragte sie und deutete auf den Hof.

Sie war überzeugt, dort mußte es spuken.

Der Führer bejahte und sagte, wenn jetzt nur »die Randi« heute abend dageblieben sei. Denn sonst – –

Elsa sah ihn verständnislos an. Was meinte der Mann?

»Ja, denn sie sind auf der Alm, das kannst du dir denken.«

Auf der Alm! War dann der Hof unbewohnt, ausgenommen von Gespenstern? Was dann – was dann?

Der Mann fügte hinzu, als er gestern abend vorbeigekommen, sei Randi, die Frau dagewesen, um irgend etwas zu besorgen. Und er habe ihr, als sie am Fenster gestanden, zugerufen, sie solle den nächsten Tag über dableiben, denn am Abend würden Gäste ankommen. Aber man könne ja nicht wissen, ob sie es nicht falsch verstanden habe.

Und was dann? Was dann? Jetzt erst fühlte Elsa so recht, wie müde sie war – todmüde.

Ja – der Mann war sich durch seinen Haarschopf gefahren und hatte gesagt, sie könne ja mit ihm in seine Hütte kommen; diese liege auf dem Berge hinter dem Hof eine gute Meile aufwärts. Aber von dort könne sie freilich den Wagen nicht erreichen, der zu morgen in aller Frühe bestellt sei.

Noch eine norwegische Meile zu Fuß gehen! Und ihre Reisebeförderung verpassen! Nein, das war unmöglich. Da wollte sie sich lieber hier mitten auf der Brücke auf ihren Handkoffer setzen und den Mann bitten, bei ihr zu bleiben. Dann könnten sie beisammen sitzen und sich gegenseitig betrachten und sehen, wie sie sich während der Nacht die Zeit vertrieben. Gewissermaßen empfand sie die Aussicht, nicht in den Hof hineingehen zu müssen, als eine Erleichterung. Aber lustig würde das doch auch sicher nicht.

In diesem Augenblick rief der Führer, da sei die Randi.

Aus dem Hause trat eine einzelne Frauensperson und kam den Weg zum Flusse herab. Da angekommen, stellte sie sich auf einen Steinblock, bückte sich vor und füllte einen Eimer mit Wasser.

Die beiden Wanderer gingen über die Brücke und auf die Frau zu, die jetzt wieder vom Flusse zurückkam. Es war eine blonde Frau mit bedächtigen Bewegungen und hellen blaugrauen Augen, die einen eigenen, zögernden Blick hatten – als wüßten sie nichts von Eile.

Der Führer sagte, da komme er nun mit dem Gast, von dem er gesprochen habe, und die Frau begrüßte die Fremde, ohne Erstaunen oder Neugierde zu zeigen. Dann fügte der Mann hinzu, er gehe jetzt weiter – nach Hause.

Randi fragte, ob er nicht erst etwas essen wolle. Aber er erwiderte, seine Frau warte gewiß mit dem Abendbrot auf ihn, und wenn er auch erst um Mitternacht käme.

Damit ging er und war bald zwischen den Tannen verschwunden. Randi blieb ruhig stehen, bis sein letzter Schritt verhallt war. An solchen einsamen Orten, wo man so selten menschliche Laute hört, läßt man sich keinen entgehen.

Dann ergriff Randi den Handkoffer, den der Mann auf den Weg gestellt hatte, um ihn hineinzutragen. Und ihr Gast ging hinterher.

Sie bogen ums Haus und kamen auf einen großen, grasbewachsenen Hofplatz, wo Gebäude, Holzschuppen, Kuhstall und Vorratshaus unregelmäßig umhergestreut standen.

Der Hofplatz zog sich am Berg hinauf, der unmittelbar dahinter aufstieg.

Der Eingang zum Wohnhaus war auf der Hofseite. Eine äußere Treppe, die auf einem das Haus entlang laufenden Altan endigte, führte zum oberen Stockwerk.

Die beiden gingen die Treppe hinauf, die unter ihnen krachte, als ob sie meine, Geräusch bringe doch immer etwas Leben, und durch den Altan, dessen hölzernes Geländer schwarz von Alter und recht schön geschnitzt war.

Eine Tür führte in einen Saal, der die ganze Breite des Hauses einnahm und in der der Tür gegenüberliegenden Wand drei Fenster nach dem Wege hinaus hatte.

Eine Feuerstelle mit aufgeschichtetem dürrem Birkenlaub, ein langer Tisch, ein paar hochlehnige Stühle, einige Bänke, eine Anrichte mit einzelnen alten silbernen Gefäßen, war alles, was Elsa von der Einrichtung des Gemaches erfaßte, während sie Randi in eine zweite nicht viel kleinere Stube folgte, die auch zwei Fenster nach dem Wege hatte.

In diesem Raum standen vier Betten. Randi deutete auf eines neben dem einen Fenster und sagte, dies sei für den Gast gerichtet.

Ein runder Spiegel hing am Fenster, ein kleiner Waschtisch und ein Stuhl standen daneben.

»Wo schläfst du selbst?« fragte Elsa. »Hier – oder nebenan?«

Nein, das wäre doch merkwürdig! Man brauchte doch in dem Hause nichts in Unordnung zu bringen, weil man eine Nacht von der Alm herunterkomme. Nein, sie schlafe in einem kleinen Vorwerk hinter dem Hofe – da am Berg hinauf.

Hier schlafen – mit dem ganzen Hofplatz zwischen sich und dem einzigen Wesen, das sonst auf dem Hofe war! Nein, darauf würde sich Elsa nicht einlassen. Niemals!

»Warum soll ich dann hier Unordnung machen?« fragte sie. »Laß mich mit ins Vorwerk gehen!«

»Ach nein, da ist nur ein einziges Kämmerchen und ein Bett.« Randi strich glättend ein wenig über die Bettücher und die graue Felldecke, die darüber lag. Ganz deutlich wünschte sie zu zeigen, daß sie wisse, wie man einen Gast aufnehmen müsse.

Ob Elsa gleich schlafengehen wolle, fragte sie kurz nachher. Es sei wohl bald zehn Uhr. Oder vielleicht zuerst zu Abend essen?

Essen – nein, sie war nur müde. Und in ihrer Handtasche hatte sie ja leckeres Backwerk und feine belegte Brötchen von Inger Marie außer ihrer eigenen Reiseschokolade. Das war mehr als genug.

Aber als die Frau nach der Tür ging, änderte Elsa ihre Ansicht. Gewiß wollte sie essen – bis zum nächsten Morgen – um Randi bei sich zu behalten!

»Doch, ich möchte immerhin – – Was hast du für mich?«

Es sei Rauchfleisch da.

»Das ist ausgezeichnet. Und einen Pfannkuchen kannst du wohl auch backen!«

O ja, das könne sie schon. Aber vielleicht habe Elsa nichts dagegen, in dem kleinen Vorwerk zu essen! Denn dort sei der Herd.

Ja, natürlich wollte sie dorthin mitgehen. »Ich komme sogleich, will nur meinen Hut abnehmen und mir die Hände waschen.«

Als Elsa kurz nachher auf den großen, grünen Hofplatz trat, blieb sie stehen und atmete tief auf. Wie frisch und rein war die Luft! Aber nicht mild, sondern »scharf wie der Schmerz«. Die roten Wirtschaftsgebäude mit den Rasendächern sahen düster aus. Das Vorratshaus auf seinen vier hohen Steinstützen glich einem daherwandernden Ungetüm aus einem Hexenmärchen.

Ach – und nun kam sie herangeschlichen, jene feuchte, graue Dämmerung, die nicht richtige Nacht mit schützendem Dunkel, aber auch nicht heller Tag mit Sonne und Schatten – sondern ein todblasses Unding ist, das alles mit harten, scharfen Strichen zeichnet, so daß es nüchtern, jeglicher Stimmung beraubt und doch so rätselhaft unwirklich dasteht!

Elsa erinnerte sich an einen trüben Tag in der Schweiz. Auf einer Fußwanderung mit ihrem Vater lag plötzlich ein Haus am Wege. Sie wollten dort Rast machen, da sahen sie, daß es leer und verlassen war; mit schwarzen Scheiben, ohne Vorhänge, ohne Gesichter dahinter starrte es sie an.

Später hörten sie, daß vor Zeiten die Einwohner dieses Hauses ermordet worden seien, zuletzt auch noch ein armes junges Ding, das sich im Keller versteckt hatte.

Der Hof hier erinnerte an jenen Ort, besonders in der fahlen Beleuchtung … Ach Unsinn, die nordischen Nächte waren ja gerade idyllisch!

Sie eilte über den Hofplatz, und das kleine Vorwerk war leicht zu finden. In Randis Bratpfanne prasselte das Fett, und ein bläulicher Dunst drang durch die offene Tür heraus.

In dem kleinen Raum stand außer dem Herd nur ein großes Bett, ein kleiner Tisch und eine Bank. Und dann hing von der Decke herunter eine »Schaukel«, eine jener altmodischen Wiegen, die die Mutter, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, ab und zu anstoßen konnte und sie damit in schaukelnde Bewegung versetzte. Wie ein kleiner Sarg kam diese Schaukel Elsa vor. Wie sonderbar doch alles hier an den Tod erinnerte!

Geräucherten Speck, nein, den konnte sie nicht essen. Aber dem Pfannkuchen sprach sie zu, und Fladenbrot knapperte sie auch dazu. In einer kleinen Schale standen Walderdbeeren zum Nachtisch.

»Woher hast du die Erdbeeren?« fragte Elsa.

Hier dicht hinter dem Hause seien Erdbeerhügel; Elsa könne morgen früh, ehe sie abfahre, mit hinaufgehen und sich welche für unterwegs pflücken, versetzte Randi.

Kurz nachher sagte Elsa: »Hier spukt es wohl?«

»Ach nein, das glaube ich nicht,« meinte Randi.

»Ich dachte, weil der Hof so uralt aussieht. Der liegt wohl schon seit der Erschaffung der Welt hier?«

Darauf erwiderte Randi nichts. Die Erschaffung der Welt – das war eine ernste Sache, mit der man nicht spaßte.

»Ist hier einmal jemand ermordet worden?«

Vielleicht, es sei möglich, aber sie wisse es nicht, lautete Randis Antwort.

»Aber es ist doch sehr einsam hier. Hast du nie Angst?«

Ach nein, man vertraue auf den lieben Gott.

»Na, die Unterhaltung in die Länge zu ziehen, wenn die Antworten so kurz sind, scheint ja vergebliche Liebesmühe zu sein,« dachte Elsa.

»Aber Mäuse und Ratten habt ihr doch! O schrecklich!« sagte sie laut.

Nein, nein, ob Elsa nicht wisse, daß in dieser Gegend niemals Ratten zu sehen seien?

Niemals Mäuse und Ratten! Hier war es ja fast beneidenswert, trotz Ermordungen und Gespenster!

Sie nippte von den Erdbeeren in der Schale, schmeckte aber kaum ihre waldduftende Süßigkeit vor lauter Kopfzerbrechen, was sie nun noch fragen könnte. Warum alle von hier auf der Alm seien – die dummen Menschen! – wo doch sonst die meisten unten blieben und nur einzelne hinaufzögen? Ach nein, was konnte das Fragen nützen – deshalb kamen sie doch nicht herunter! Vielleicht war es bei diesen einsamen, hochgelegenen Höfen, wo nur das Vieh und das Weideland zu besorgen war, immer so, daß man in der Sommerzeit das ganze Geschäft höher hinauf verlegte. Was wußte sie davon?

So fragte sie Randi nur, ob sie gerne auf der Alm sei.

»O ja!« Es war, als flammte hinter den blaugrauen blassen Augen ein Licht auf. Und nicht nur jetzt, sagte Randi, wo viele droben seien, sondern auch schon als ganz junge Sennerin auf der Alm ihres Vaters, ganz allein mit nur noch einem Menschen!

»Warum bist du so gern da droben?«

Wie lächerlich, daß sie dasaß und solche Fragen stellte! Was ging es sie doch an, wo dieses Weib am liebsten war? Aber sie mußte das Gespräch verlängern.

Randi ließ sich reichlich Zeit, herauszufinden, was sie gefragt worden war. Dann sagte sie leise und etwas zögernd, dort droben auf der Alm, wo man so fern von allem sei – dort sei es so weit, so hell, so hell am Abend – und so einsam! Es sei »wie Wehmut«.

Wie Wehmut! Ach ja, dann war es da droben besser als hier unten! – »Hat sich hier nie jemand umgebracht?« fragte sie plötzlich.

Es kam ihr ja vor, als müßte man dieses tun können aus lauter Angst, hier sein zu müssen – obgleich ein Selbstmord ihr sonst als etwas unbegreiflich Mutiges vorschwebte.

Randi erinnerte sich nicht, von einem Selbstmord gehört zu haben. Denn die Aslaug, die die Schwester des Großvaters gewesen war, und von der er erzählen konnte, habe es damals doch nicht absichtlich getan – –

Daß er doch nicht hier saß, der gute alte Mann, der etwas erzählen konnte, das die Zeit vertrieb! Jetzt war Elsa fertig mit den Erdbeeren – und was nun?

»Aber Randi,« sagte sie, »du mußt doch auch die Geschichte von Aslaug gehört haben. Kannst du sie mir nicht erzählen?«

»Nein – das würde gar zu lange dauern.«

»Ach nein, denn ich bin doch zu müde zum Schlafen. Komm jetzt nur damit heraus!«

Daß Randi ebenfalls zu müde sein könnte, um noch aufzusitzen, das fiel Elsa nicht ein.

»Erzähl, erzähl!« und sie schlug mit ihrer schmalen Hand eifrig auf den Tisch.

Randi zögerte und sagte mit einer blassen Röte auf den Wangen, es sei sehr viel »Sonderbares« in der Geschichte, was man nur »widerwillig« erzählen könne. Sie wollte offenbar nur ungern daran gehen, aber ebenso ungern gegen ihren Gast ungefällig sein.

Denn dieses fremde Menschenkind in dem hellblauen Kleid mit dem langen rotseidenen Flor um den Hals hatte einen eigenen Eindruck auf Randi gemacht. Noch nie hatte sie eine so schlanke Gestalt, so zarte Hände, so weiße Wangen und auch nicht solche Augen gesehen, deren Pupillen so groß, geradezu »verzehrend« groß werden konnten; selbst wenn sie ganz still dasaß, war sie ja noch wie ein daherjagendes Gewitter. Man mußte sie ansehen, immerfort ansehen – und an alles mögliche dabei denken. Ob das so war, wenn man sich verzaubert fühlte?

»Nun, darf ich die Geschichte hören? Ich muß sie erfahren.«

Elsa lehnte den Kopf gegen die rußige Wand und setzte sich zum Zuhören zurecht.

Noch immer zögerte Randi. Oder sie versuchte ihre Gedanken zu sammeln, lauschte vielleicht auf etwas in ihrem Innern – merkwürdig geistesabwesend sah sie aus – ja sie wischte gleichsam sich selbst aus, damit die Geschichte des Großvaters Platz bekommen konnte und ganz mit denselben Worten, ohne Hinzufügung oder Abschwächung wiedergegeben wurde. Dann begann sie …

Und bald war es nicht mehr, als ob ein Mensch die Geschichte erzählte. Nein, es war, als ob sich diese in der schweigenden Dämmerung selbst zwischen die beiden setzte und Bild um Bild vor deren Augen umwendete.

Elsa, die keine Phantasie hatte und sonst nur das zu sehen imstande war, was sie anfassen und befühlen konnte – sah nun alles ganz deutlich vor sich. Sie machte sich nicht klar, mit welchen Worten die Geschichte erzählt wurde, aber sie hatte sie »leibhaftig« vor sich.

Der ganze öde, lautlose Hof wurde bevölkert – –

Ach nein, öde und lautlos war es hier nicht zu der Zeit, wo der Großvater noch ein junger Bursch auf dem Hofe war!

Da herrschte hier viel Scherz und Lachen. Und Lachen, das ist wie Sonnenschein im Hause. Es bringt Licht in alle Stuben und erfüllt sie mit Leben.

Ingrid und Aslaug, diese beiden waren es, die lachten. Immer lachten sie.

So hießen die beiden älteren Schwestern des Burschen. Sie waren gar so hoch gewachsen, so kräftig und schön. Ihr lichtes Haar, das hell wie Gold schimmerte, trugen sie in einem Zopf geflochten, wie es in dieser Gegend Sitte ist, und dieser Zopf, mit rotseidenen Bändern durchflochten, hing ihnen, dick und breit wie ein Arm, lang, lang den Rücken hinunter.

Ingrid und Aslaug lachten, wenn sie einander nur ansahen, als wüßten sie etwas Lustiges und Vergnügliches, das sie, um sich daran zu erfreuen, nicht einmal zu nennen brauchten. Und wenn sie lachten, dann klang es wie ein Lied mit einem Kehrreim, in den alle mit einstimmen mußten. Vater und Mutter, die Mägde im Stall, der Knecht im Holzschuppen und der damalige Großvater in seinem Ofenwinkel, bis hinunter zum Nesthäkchen, dem kleinsten von den jüngeren Geschwistern, die auf dem Boden herumpurzelten – alle, alle stimmten glucksend in das Lachen mit ein. Nur Bruder Ola stand außerhalb. Er war fünf Jahre jünger als die jüngere von den beiden großen Schwestern und wußte gar nicht, warum sie lachten, ja, er hatte Angst, sie könnten über ihn lachen.

Sie neckten ihn aber auch beide ein wenig, weil er so wortkarg und scheu und nichts weiter als noch ein ganzer Junge war.

Ola ging sozusagen in einem großen Bogen um die Schwestern herum und wurde rot, wenn er sie nur ansah. Aber verstohlenerweise sah er sie doch oft an; sie waren so strahlend schön, eine wahre Augenweide!

Als er wohl vierzehn Jahre alt war, heiratete Ingrid, die ältere, den Sohn vom Nachbarhof, der ungefähr eine Meile unterhalb des väterlichen Besitztums lag.

Da der Schwiegervater Witwer war, wurde die junge Frau auch gleich die Herrin auf dem Hofe; sie hatte vom Morgen bis zum Abend alle Hände voll zu tun, und so blieb ihr wenig Zeit zu Besuchen in ihrer alten Heimat. Aber dann müsse Aslaug zu ihr hinunterkommen, sagte sie. Sonst vergehe ihr da unten das Lachen.

Und Aslaug kam – früh und spät kam sie.

Bisweilen übernachtete sie drunten, bisweilen kehrte sie am Abend heim, dann holte Ola sie ab, oder er ging ihr entgegen. Oder Per, der Knecht von drunten, ein großer, starker, blonder Mensch von einundzwanzig Jahren, begleitete sie. Wenn er dabei war, hörte Ola es schon von weitem. Denn Per sang immer. Er konnte so viele »seltsame« Lieder. Und Aslaug lachte dazu, daß es hoch droben im Gebirge widerhallte. Oder vielleicht war es die Waldnymphe, die mitlachte!

Aber wenn sie mit dem Bruder heimwärts wanderte, und er so versonnen und schüchtern und schweigsam neben ihr herging, sagte sie nur: »Wie dumm du bist!« und zuckte die Schultern.

Dann wurde Aslaug mit Knut vom Tannenhof, der weit droben im Norden lag, verlobt. Er war reich und hatte gesagt, er wolle die schönste Frau in ganz Norwegen haben, und nun bekam er sie auch. Natürlich, so einem gab man keinen Korb!

Im Sommer sollte Hochzeit gemacht werden. Und Aslaug sagte, sie müsse in den paar Monaten, die noch übrig seien, mehr von der Schwester haben als vorher. Denn sie beide, die bisher ganz mit einander verwachsen gewesen seien, würden ja nun gar so weit von einander getrennt.

Die Eltern ließen sie gehen, obgleich sie meinten, diese Besuche verschlängen doch recht viel Zeit, die besser angewendet werden könnte.

Eines Tages, als Aslaug wieder in den Nachbarhof gegangen war, kam Knut vom Tannenhof, um seine Braut zu besuchen. Seine Schwiegermutter setzte ihm Schaffleisch, Waffeln und dicke Milch vor, und als er sich's auf der Bank bequem gemacht hatte, sagte sie, nun solle Ola rasch gehen und Aslaug holen.

Da eilte denn der Junge davon.

Er war nicht vergnügt über den Auftrag. Es war ein weiter Weg, den er zweimal in der »Brathitze« machen sollte, und das wußte er auch im voraus, willkommen bei Ingrid war er nicht, wenn er die Schwester nach Hause holte.

Als er den weißen Hof auftauchen sah, ging er langsamer. Es herrschte eine brütende, einschläfernde Mittagshitze, ringsum war kein Laut zu vernehmen und kein Mensch zu sehen. Vielleicht schliefen alle.

Langsam kam er näher heran – da ertönte plötzlich helles Lachen vom Hause her. Aslaug war's, die lachte, das wußte Ola gleich – aber sie lachte anders als sonst. So hell, als sei sie froh, nur froh und denke nicht daran, jemand zu necken oder zu verspotten.

Ola konnte sich nicht entschließen, hineinzugehen und dieses Lachen zum Verstummen zu bringen. Aber er schlich sich zu einem kleinen Fenster hin, von dem man, wie er wußte, in den Saal hineinlugen konnte.

Aber an diesem Fenster stand er dann wie angewurzelt. Er fühlte, wie ihm die von dem Gange noch heiß auf der Stirne perlenden Schweißtropfen kalt über die Wangen herabliefen. Dann wurde er wieder glühend rot wie mit Blut übergossen.

Im Saal war Aslaug allein mit dem Hofknecht. Er saß am großen Tisch und sie dicht bei ihm. So hatte sie Ola nicht einmal je mit Knut sitzen sehen.

Auf dem Tisch standen Erdbeeren in einer Schale. Aslaug nahm eine davon und stopfte sie dem Burschen in den Mund. Er schnappte nach ihren Fingern und hielt sie mit den Lippen fest.

Sie lachte und sagte: »Gelt, du magst Erdbeeren?«

Jawohl, antwortete er, aber er möge doch die am liebsten, die er selbst pflücke – und er wollte ihren roten Mund küssen. Sie schüttelte den Kopf und bog ihn zur Seite – aber er ergriff ihre große blonde Flechte, zwang so ihren Kopf zurück und küßte sie einmal ums andere mitten auf die roten Lippen.

Und sie wurde nicht einmal böse darüber, sondern lachte ihn nur überaus freundlich an.

Mit einer plötzlichen Kraftanstrengung zog sich Ola von dem Guckfenster zurück. Dann sah er Ingrids Mann aufs Haus zukommen und ging mit diesem hinein.

Im Saal stand Aslaug an dem einen Fenster, der Knecht ging eben hinaus.

Kurz nachher wanderten Ola und Aslaug heimwärts. Er ging hinter ihr und starrte vor sich hin, und schämte sich bis ins Herz hinein über das, was er gesehen hatte. Und welche Last lag auf ihm! Es war, als sei ihm die ganze Welt aufgeladen worden.

Aslaug ging vor ihm her und sang leise vor sich hin. An einer Stelle schimmerten Erdbeeren am Wege. Sie blieb stehen, pflückte ein paar davon, reichte sie Ola und sagte: »Gelt, du magst Erdbeeren?«

Er schob ihre Hand weg, und eine dunkle Röte überzog sein Gesicht.

»Nein,« sagte er hart.

Sie zuckte die Achseln. »Wie dumm du bist!« versetzte sie. »Und mürrisch und langweilig und böse.«

Er ballte die Fäuste, hob aber den Kopf nicht. Hatte sie das Recht, ihm etwas vorzuwerfen – sie, so eine!

Als sie das elterliche Haus erreicht hatten, ging Ola nicht mit hinein. Nach dem, was er entdeckt hatte, konnte er nicht vor Knut hintreten und ihm in die Augen sehen.

Aber Aslaug ging hinein – sie! Ein wenig zögernd vielleicht und nicht so leichtfüßig, wie wenn sie auf den Nachbarhof lief.

Ola ging in den Holzschuppen, in den äußersten, dunkelsten Winkel. Da saß er und grübelte nach – mit einer Last der Verantwortung auf sich, so schwer wie die ganze Welt!

Was sollte er tun? – Lieber Gott im Himmel, was sollte er tun?

Mit Aslaug sprechen? Nein – er war allzu bange vor der großen blonden Schwester. Schon wenn sie ihm gegenüber ihr helles Lachen aufschlug, war ihm, als müsse er in die Erde versinken. Und sie würde lachen – das wußte er. Lachen, um sich zu wehren. Einen dummen Kerl würde sie ihn nennen, der nichts verstehe.

Mit seiner Mutter sprechen – die Schwester angeben? Nein, das konnte er nicht. Die Mutter war verschlossen, wie er auch, und nahm alles schwer. Sollte er ihr nun das auch noch aufladen? Ach nein, er mußte es wohl für sich behalten und allein tragen.

Jetzt rückte auch die Hochzeit heran. Dann war ja auch das vorbei, was nicht sein durfte.

Nur das brachte er der Mutter gegenüber am nächsten Tage heraus, daß Aslaug jetzt doch nicht so viel von Hause weg sein sollte. Und die Mutter antwortete: »Allerdings, ich habe es selbst schon gedacht.«

Dann war also Aslaug während der letzten Tage immer daheim – oder wenigstens fast immer. Aber da war es, als sieche das Lachen im Hause allmählich hin. Es gedieh da wohl nicht mehr, und so machte es sich auf und davon.

Der Bräutigam sollte am Hochzeitstage früh am Morgen eintreffen und der Hochzeitszug dann gleich zur Kirche aufbrechen. Denn es war ein sehr weiter Weg.

Am Abend vorher sollten alle zeitig zu Bett gehen – aber es war eben noch sehr viel zu tun. In der Küche brodelte und briet und dampfte es noch gewaltig. Auch mußten ringsum am Hause noch Tannenkränze aufgehängt, der Boden mit Grün bestreut werden, und eine ganze Ehrenpforte aus Birkenlaub am Hofeingang wartete noch des letzten Schmucks; Flaggen und rote Bänder sollten wehen.

Es wurde also doch recht spät, bis man auf dem Hof zur Ruhe kam.

Ola war einer der letzten, der sein Nachtlager aufsuchte. Er schlief mit mehreren von den kleinen Geschwistern auf dem Bodenraum. Zuerst lag er eine Weile mit offenen Augen da, niedergedrückt von seiner Bürde. Dann schlief er ein, schnellte aber fast sofort wieder in die Höhe.

Hatte sich im Hause jemand bewegt? Ach nein, nur das Schnarchen der Kinder war's gewesen; sie schliefen ganz fest.

Trotzdem stand Ola auf; es war sehr heiß in dieser Nacht, und er öffnete die Luke, die nach der Straße hinausging.

Da hörte er Schritte, die sich dem Hause näherten. Wer mochte um diese Zeit daherkommen? Es war wohl Mitternacht – eher später. Einer der morgigen Gäste? Nein, das war nicht wahrscheinlich.

Vielleicht aber kam gar niemand – vielleicht waren es keine Menschenfüße, die da draußen gingen! Nur das Böse der ganzen Welt, das auf das Haus anrückte.

Er steckte den Kopf zu dem Guckfenster hinaus und betrachtete aufmerksam den weißen schmalen Weg – ganz starr vor Spannung.

Dann tauchte die Gestalt eines Mannes auf – blieb einen Augenblick stehen – und schlich leise näher auf den Hof zu.

Ein Herumstreicher, der stehlen oder das Haus anstecken wollte. Dann müßte er, Ola, doch Lärm schlagen.

Doch in diesem Augenblick huschte jemand aus dem Hause heraus und zu dem Mann auf dem Weg drunten hin. Jemand mit einem blonden, lang herabhängenden Zopf.

Ach lieber Gott im Himmel – Aslaug!

Ja, jetzt erkannte Ola auch den Mann, obgleich die Nacht nicht mehr so taghell war wie zur Johanniszeit. Es war Per, der Knecht vom Nachbarhofe.

Er legte seine Arme um Aslaugs Hals, zog ihren Kopf an sich und strich ihr mit beiden Händen über den Nacken, den Rücken, die Arme – als wolle er sie von Kopf bis zu Fuß liebkosen – und küßte sie, küßte sie …

Dann richtete sie sich auf, und es war, als wolle sie wieder hineingehen. Aber er hielt sie an beiden Händen fest und redete mit ihr – wie jemand, der um sein Leben fleht.

Ola konnte die Worte nicht verstehen, aber er verstand sie doch deutlich: Der Bursche da unten bat Aslaug, ein Stück weit mit ihm auf den Hügel zu gehen – noch eine Weile bei ihm zu sein, zum letzten, letzten Mal.

Sie sagte nicht ja, sagte aber auch nicht nein. Da schlang Per seine Arme um sie und zog sie sachte mit sich fort. Sie ging wie eine Nachtwandlerin, den Kopf an seine Schulter geschmiegt.

Die beiden verschwanden zwischen den Tannen. Ola aber stand still und fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach.

Aslaug – er wollte der Schwester nachrufen, erschrak aber, und sein Hals war so trocken, daß er kein Wort herausbrachte.

Was nun – was nun? Ging sie nun ganz fort mit Per? Hatte er ein Pferd bei sich, das weiter unten angebunden stand, und jagten sie nun davon über Stock und Stein?

Oder nahmen sie nur Abschied voneinander? – einen solchen Abschied, wie man ihn nicht nehmen darf, wenn man sich einem andern versprochen hat?

Ola zitterte, seine Zähne schlugen aufeinander wie bei einem Schüttelfrost trotz der heißen Nacht, und er preßte krampfhaft die Hände zusammen. Dann ließ er den Kopf auf die Arme sinken und weinte bitterlich. Ach, wenn er doch wüßte, was er tun sollte!

Er fühlte sich so müde in seiner ratlosen Qual – ach, so hilflos müde – –

Plötzlich fuhr er auf. Hatte er geschlafen, waren wohl Stunden vergangen? Die Morgendämmerung hatte stark zugenommen. Der Morgen – ach lieber Gott, der Hochzeitmorgen brach bald an!

Nein, er mußte hinaus und nach ihr sehen! Daß er ihr nicht sofort nachgegangen war! Hatte er denn ganz den Verstand verloren?

Hastig kleidete er sich notdürftig an, huschte die Bodentreppe hinunter und zum Hause hinaus.

Er ging eine kleine Strecke den Weg hinunter, dann hügelaufwärts – da, wo die beiden verschwunden waren.

Vorsichtig wie eine Katze schlich er über das weiche Moos hin.

Da drangen Laute an sein Ohr, jemand weinte – und Ola fühlte seinen Herzschlag ganz oben im Hals.

Er machte noch einige Schritte – dann sah er die beiden zwischen den Tannen.

Aslaug war's, die weinte – ebenso laut, wie sie früher gelacht hatte. Mit gesenktem Kopf saß sie da. Per stand über sie gebeugt. Sie hatte ihr Gesicht in seinen Händen verborgen, drückte diese mit ihren beiden fest gegen ihr Gesicht und weinte – weinte –

Per preßte seine Lippen auf ihren gebeugten Nacken und flüsterte ihr immerfort zu … Einen Augenblick erhob sich seine Stimme ein wenig, so daß Ola hören konnte, was er sagte – –

Dem Jungen wurde glühend heiß zumute – nur fort, fort! ertönte es in ihm. Was hatte er hier zu tun – was hatte er jetzt noch hier zu tun?

In diesem Augenblick krachte der Zweig, den er ergriffen hatte, und er hörte, daß Aslaug bei dem Geräusch auffuhr. Eilig ließ sich Ola den Hügel hinuntergleiten, schlich sich ins Haus zurück und hinauf auf seinen Bodenraum.

Aber es dauerte noch eine gute Weile, bis er die andern drunten hörte und Aslaug leise hereinkam.

Ola hatte sich auf sein Bett geworfen und lag da mit großen offenen Augen, wie gequält vom bösen Gewissen.

Bei Sonnenaufgang brach ein heftiges Gewitter los. Das half ein wenig, es löste etwas von seiner erstickenden Angst, und es kühlte auch die Luft ab.

Alsdann fiel Ola in einen tiefen, festen Schlaf, und die Mutter mußte ihn einmal ums andere rütteln, bis er endlich erwachte.

Er zog seine Sonntagskleider an; der Kopf war ihm bleischwer, er konnte sich an nichts recht erinnern.

Ingrid und ihr Mann waren vor allen andern Gästen angekommen, und jetzt war Ingrid drinnen in der Schlafkammer, der Schwester beim Ankleiden zu helfen.

Der Hof war sehr belebt heute – auf dem Grasplatz wimmelte es von Pferden und Menschen. Man plauderte und lachte, der Bräutigam schwatzte am lautesten. Er war sehr glücklich – jawohl!

Als die Schwestern heraustraten, weinte Ingrid. Aslaug dagegen war ganz ruhig; aber ihr Gesicht unter der hohen Brautkrone war leichenblaß, und ihre Augen waren rot umrändert wie von vielem Weinen.

Ja ja, sagten alle, nun müsse Aslaug ja so weit fort von ihrer Kinderheimat und von der Schwester. Da sei es nicht verwunderlich, wenn sie betrübt sei.

Da tat die Schwester Ola plötzlich »furchtbar leid«, und er fühlte, er würde gerne sein Leben hingeben, um sie wieder lachen zu hören – selbst wenn sie über ihn lachen sollte.

Die Hochzeitgesellschaft versammelte sich, um nach der Kirche zu ziehen. Ola hielt sich abseits, sprach mit niemand, das Leben kam ihm wie eine schwere Last vor.

Jetzt saß die Braut im Sattel – wunderschön wie eine Königin geschmückt –. Ach, das Lachen war's, das für immer davon zog, das fühlte Ola wohl.

Er sah nicht, wie es zuging, aber plötzlich scheute das Pferd der Braut, gerade als es vom Hause in den Weg einbog.

Aber dann sah er, – was er nie wieder vergaß – wie es mit einem wilden Satz nach der Brücke sprang.

Mitten auf dieser glitt es aus, fiel, wälzte sich um –

Und Aslaug fiel in den Fluß – ohne einen Schrei auszustoßen.

Die Brautkrone fiel ihr vom Kopfe – und wurde auf einen Felsblock mitten im Wasser geschleudert.

Aslaug selbst aber wurde von dem schäumenden Gießbach mit fortgerissen.

In diesem Jahr, wo die Hitze allen Schnee von den Firnen geschmolzen hatte, war der Fluß außerordentlich reißend und jetzt nach dem Wolkenbruch in der Nacht noch mehr angeschwollen.

Ola hörte die andern rufen, schreien und durcheinander laufen – dann wurde ihm schwarz vor den Augen, und er verlor das Bewußtsein.

Einige von den Leuten waren auf die Felsen im Fluß gesprungen, andere die Ufer entlang gelaufen, um die Braut zu retten. Aber es war vergebliche Mühe.

Erst drunten beim Nachbarhofe, wo der Fluß eine Biegung macht, warf er sie zwischen die Steine am Ufer. – Goldig schimmerndes Haar und rotes Blut troffen in Strömen an ihr herab.

Der Knecht vom Hofe stand eben am Flusse, als sie herausgeschwemmt wurde – gerade vor seine Füße. Dieser Anblick kostete ihn den Verstand. Sie fanden ihn mit der Leiche auf dem Schoß, der Toten ein Lied singend.

Später kam er in die Irrenanstalt.

Und das Lachen, das mit Aslaug vom Hofe zog, kehrte nie wieder.

Ola wurde ein großer, erwachsener Mann, saß später als Vater und Großvater im Ofenwinkel – aber niemals hörte man ihn lachen.

Und es war, als ginge es allen andern auf dem Hofe gerade wie ihm. Sie konnten nie so recht von Herzen lachen – und auch nicht vom Herzen weg reden; mit den Jahren wurden alle sehr schweigsam und verschlossen.«

*

Randi bleibt eine Weile ganz still sitzen. Dann richtet sie ihre Augen auf ihren Gast und steht zugleich auf.

»Jetzt müssen wir schlafen gehen,« sagt sie bestimmt.

Elsa richtet sich auf. Hat sie geschlummert mit an die Wand gelehntem Kopf? Nein, doch wohl nicht. Aber was hat die Frau erzählt – und was hat sie sich selbst zusammengereimt?

Schlafen gehen? Ach, es bleibt ja nichts anderes übrig! Sie weiß nichts mehr zu sagen.

Indem sie aufsteht, stößt sie unversehens an die herabhängende Wiege, wodurch diese etwas in Gang gesetzt wird.

Elsa fährt zusammen. Liegt nicht ein kleines ungeborenes Kind darin und weint nach seiner Mutter?

Ach Unsinn – was ist das für ein dummer Gedanke!

Randi begleitet sie über den Hofplatz und fragt, um welche Zeit der Gast am Morgen geweckt sein wolle.

»Aber ich kann dich in meiner Schlafkammer wohl gar nicht hören, denn ich schließe ja die Tür des Saals nach dem Hofe ab,« erwidert Elsa.

Ach nein, die lasse sich gar nicht mehr schließen – habe überhaupt nie geschlossen werden können; das werde sie also wohl bleiben lassen.

»Aber die Tür zu meiner Stube?« fragt Elsa rasch.

Nein, auch diese könne man nicht schließen. Warum auch? Sie springe doch bisweilen von selbst auf. Aber sie brauche keine Angst zu haben, wenn sie Randis Klopfen morgen früh nicht höre, könne ja Randi zu ihr hineingehen, das sei höchst einfach.

Ja so einfach, daß jeder andere es auch tun kann!

»Dann kannst du um sechs Uhr kommen,« sagt Elsa ergeben. »Ich soll ja mit dir auf den Hügel, um –«

Ach nein, sie hat keine Lust mehr, Erdbeeren zu pflücken! Alles wird hier so düster. Aber die Nacht will sie so kurz wie möglich haben. »Ja, um sechs Uhr, spätestens,« sagt sie.

Randi wünscht ihr gute Nacht, geht aus der Stube hinaus, die Altantreppe hinunter, über den Hofplatz – und ist verschwunden. Nur noch Öde und Schweigen ringsum!


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