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Die Kirche und der Krieg

Und nun, wo in unserer Gesellschaft ist das Organ, das uns daran gemahnen würde, wie Lassalle sagte: »Das Schwert hat niemals recht«, und das mit ihm über die Tatsache sich entsetzt, daß »die Lüge eine europäische Macht ist«? In keinem früheren Krieg erreichten wir diesen höchsten Ton schneidenden Hohns: das Schließen der Börse und nicht der Kirche. Die Heiden waren logischer, sie schlossen den Tempel des Friedens, wenn sie das Schwert zogen. Wir gestalten unsere Friedenstempel sofort zu Kriegstempeln um und zeigen unsere Pfarrer als die streitsüchtigsten Charaktere der Gemeinde. Ich möchte behaupten, daß das Ärgernis, welches dadurch entsteht, tiefer und allgemeiner ist, als die Kirche denkt, besonders unter den arbeitenden Klassen, die fähig sind, entweder die Religion ernst zu nehmen oder aber sie abzulehnen und strenge zu beurteilen. Wenn ein Bischof beim ersten Schuß die Verehrung Christi verläßt, und seine Schar um den Altar von Mars versammelt, mag er patriotisch handeln, notgedrungen, männlich, rechtlich, doch das berechtigt ihn nicht zu behaupten, nichts sei anders geworden und Christ sei tatsächlich Mars. Ein ehrliches Vorgehen, das schließlich der Kirche am besten dienen würde, wäre, unsere Kirchen, die sich zum Christentum bekennen, zu schließen, sobald wir den Krieg erklären, und sie erst wieder zu öffnen, wenn der Friedensvertrag unterzeichnet ist. Für viele von uns wäre zweifellos die so auferlegte Entbehrung viel schlimmer, als die Entbehrung von kleiner Münze, von Pferden und Automobilen, von Schnellzügen und all den andern prosaischen Unzuträglichkeiten des Krieges. Doch wäre das schlimmer, als die Entbehrung an Glauben und der Schrecken der Seele, hervorgerufen vom Schauspiel der Völker, die zu ihrem gemeinsamen Vater beten, er möge ihnen helfen, sich gegenseitig niederzusäbeln, zu bajonettieren und mit ätzenden Sprengmitteln in die Luft zu blasen, wobei die Kirche diesen schauderhaften Widersinn organisiert, statt dagegen Protest zu erheben? Würde das mehr oder weniger Atheisten entstehen lassen? Atheismus ist nicht ein einfaches gleichförmiges Phänomen. Es gibt einen jugendlichen Atheismus, mit dem jeder fähige moderne Verstand einsetzt, einen Atheismus, der die Seele von Aberglauben und Furcht und Willfährigkeit und Unterwerfung und Heuchelei reinigt und dem Licht des Himmels Einlaß gewährt. Und dann gibt es den Atheismus der Verzweiflung und des Pessimismus. Den plötzlichen Schrei, den jetzt so viele von uns ausstoßen beim Anblick geblendeter verstümmelter Stumpfe, die einst gesunde prächtige liebenswerte Menschen waren, und der Priester, die den Krieg segnen, und der Zeitungen und Staatsmänner und dienstfreien alten Leute, die die jungen Leute in den Krieg hetzen: »Nun weiß ich, es gibt keinen Gott.« Was hat die Kirche in ihrer jetzigen Haltung dieser gebrochenen Hinnahme von Dunkel gegenüberzustellen, außer der seltsamen, doch schrecklichen Tatsache, daß es rohere Manschen gibt, auf welche schauerliches Unglück gerade entgegengesetzt wirkt, weil es ihnen als die Tat einer, in ihrer Bosheit so mächtigen Gewalt erscheint, daß es verehrt werden muß, um seiner Macht willen? Die Kirche möge sich vorsehen, wie sie für diese Galerie spielt. Wenn alle Kirchen Europas ihre Tore schließen würden, solange die Trommeln schlagen, würden sie als überaus mächtige Mahnung wirken, daß, wenn auch des Krieges Herrlichkeit eine ruhmvolle und alte Herrlichkeit ist, es nicht die letzte Herrlichkeit Gottes ist.

Doch, da ich wohl weiß, daß die Kirche nichts dergleichen tun wird, darf ich hier nicht schließen und manche Leser glauben machen, daß ich, wie manche sehr verehrte Freunde von mir, die Hoffnung hege, eine friedliche Zivilisation über den Trümmern der großen kirchlichen Einrichtungen aufzurichten, die noch nie fähig waren, die Wahrheit zu sagen, denn sie mußten zu den Armen sprechen, gemäß ihrer Unwissenheit und Leichtgläubigkeit, und zu den Reichen entsprechend ihrer Macht. Wenn ich lese, daß dem Heiligenbild des russischen Bauern eine religiöse Kraft innewohnt, die über den Materialismus von Helmholtz und Haeckel siegen wird, muß ich mich, so gut ich kann, zurückhalten vor der Behauptung eines modern erzogenen Europäers, der sagt, daß die irischen Bauern, die an die Bäume über ihren heiligen Quellen Lappen banden und die für Messen bezahlten, um das Verweilen ihrer toten Verwandten im Purgatorium abzukürzen, erleuchteter wären als ihr Landsmann Tyndall, der Lucretian Materialist, und muß mich fragen, ob der russische Bauer seine religiösen Ansichten nicht etwas beeinträchtigt finden wird durch sein Bündnis mit den Ländern eines Paul Bert und Combes, eines Darwin und Almroth Wright. Wenn wir über diesen Punkt halbwegs vernünftig sprechen wollen, müssen wir vor allem zugeben, daß die Schlachtlinien dieses Krieges quer über alle politischen und konfessionellen Linien Europas laufen, ausgenommen die Grenzlinie zwischen unserer sozialistischen Zukunft und unserer kommerziellen Vergangenheit. Das materialistische Frankreich, das metaphysische Deutschland, das begriffstutzige England, das byzantinische Rußland mögen, was immer für welche militärische Vereinbarungen treffen, das einzige was sie nicht fertig bringen können, ist ein Kreuzzug. Und alle Versuche, diesen Krieg für unsere Junker und unsere Tommies als etwas Höheres oder philosophisch oder politisch oder religiös Bedeutungsvolleres hinzustellen als einen ganz einfachen primitiven Kampf zwischen der Streitsucht, die niederschreit und der Streitsucht, die sich nicht niederschreien lassen will, sind dem Hohn der Geschichte preisgegeben. Wie weitreichend die Folgen des Krieges sein mögen, wir in England kämpfen, um den Preußen zu zeigen, daß wir weder uns noch unsere Nachbarn von ihnen treten lassen, soweit wir es verhindern können, und daß, wenn sie töricht genug sind, die Kampfestüchtigkeit als Probe der Zivilisation anzusehen, wir das Spiel ebenso zerstörerisch spielen können wie sie. Das ist einfach und ist die Wahrheit und weitaus der frischeste und einleuchtendste Grund zur Rekrutierung. Er erregt das Blut und steift den Rücken ebenso wirksam und schnell, wie Heuchelei und Cant und Humbug verbittern, verwirren und entmutigen. Doch das wird uns nicht weiterbringen als bis zum Ende des Kampfes. Wir können nicht ewig kämpfen, noch auch so sehr lange, was immer Lord Kitchener sagen mag. Und wenn der Kampf vorbei ist, wie immer er ausgeht, müssen die Parteien auf ihre bürgerliche Weisheit zurückgreifen und ihre politische Voraussicht für die Festsetzung der Bedingungen, zu welchen wir nachher für immer glücklich zusammen leben sollen. Die ausführbaren Bedingungen einer dauerhaften Völkervereinigung können nicht durch das Bajonett eingeführt werden, das nichts anderes vermag, als die zu zerhacken, die sich darauf verlassen. Sie sind, wie ich schon erklärt habe, zu finden, indem man unsere gegenwärtigen militaristischen Königreiche durch ein System von demokratischen Einheiten ersetzt, die durch Gemeinsamkeit von Sprache, Religion und Gebräuchen umgrenzt sind; gruppiert in Verbände von vereinigten Staaten, falls ihre Ausdehnung sie politisch ungelenk macht; und kriegsgegnerisch durch das Band des internationalen Sozialismus, in dessen Bereich allein die Interessengemeinschaft aller Arbeiter niemals verdunkelt werden kann.


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