Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Die Matronen

O ihr alten Frauen von Upolu und Sawaii! – Ihr Schatzhalterinnen und weisheitsschwangeren Sybillen! –

Wenn die Frühe graut, seid ihr die ersten auf dem Plan. Ihr erfüllt keinen tätigen Zweck im Leben mehr; aber ihr seid da, als Ecksteine im Rahmen des Ganzen; unvermeidlich und nicht wegzudenken, wie lebendiges Gewissen.

Feierlich und bescheiden hockt ihr auf den Matten, mit aufrecht getragenen Matronengesichtern. Eure Milch ist versiegt; doch zeigt eure Haut noch keine Schrumpfung an den rundlichen Gelenken. Wie in einer Hülle von schwerem kaffebraunem Kautschuk, der sich anfühlt wie Sammet und matt von Öl glänzt, stecken eure seinen Knochen, zärtlich eingebettet und verwahrt in dem dauerhaften Fett, das ihr mit Taro und Brotfrucht, lebenslänglich genossen, an euch erzeugt.

Nur im höchsten Alter schrumpft ihr zusammen; dann wittern tausend spinnwebfeine Fältchen über eure edlen Stirnen; dann bleibt euer Lächeln erstarrt an den Lippen hängen; dann gilben eure Zähne, und fremde Geräusche erwachen in euren Ohren unter den eisgrauen Strähnen.

Ja, beim ersten Blick ins Grab werdet ihr eitel, und man findet euch besorgt um eure Erscheinung; ihr zieht die Leinentücher bis unters Kinn und dreht die Augen mit trüber tastender Scham nach dem Gast. Und dennoch bleibt alles würdig an euch, bis ihr wieder in die Erde 40 dieser Inseln zurücksinkt; in die saugende Erde, mit der ihr euch vermählt und mit der ihr verwachsen wart wie die Brotfrucht mit dem Schatten ihrer Äste.

 

Schon in der fahlsten, in der ersten Frühe taucht ihr unter den Mückennetzen hervor wie schlaflose Geister.

Denn der Schlaf ist in eurem Alter zu einem ganz leichten Schleier geworden, einer kurzen Lähmung gleichsam nur des Sprechvermögens: irgendwann, um Mitternacht herum, bei der Beleuchtung der einzigen LampeMan läßt zur Nachtzeit stets eine Lampe brennen; dieser Brauch diente ursprünglich dazu, um böse Geister fernznhalten., die die weite Zuckerrohrwölbung der Hütte erhellt, schlägt er euch vorübergehend in Bann. Dann wickelt ihr euch zusammen, umhüllt euch bis zur Stirn hinauf, ja bis zur letzten Strähne eurer graphitschwarzen, graudurchschossenen Schöpfe und bettet eure Köpfe auf das Bambus-SchlafrohrWerden als Kissen benutz; teils der Kühle halber, teils um die Frisur zu schonen; ähnlich wie in Japan..

Euer Einschlafen ist so, wie wenn einer allmählich, von einem seltsamen Gedanken überwältigt, vergeblich zu grübeln habe, kurze Stunden hindurch . . . Dann auf einmal – die Sonne ist noch kaum geahnt – hebt ihr das Haupt und nehmt den alten Schwatzfaden von gestern wieder auf.

So schlaft ihr, und so erwacht ihr.

Wenn noch all die Jugend in der Hütte schnarcht, treibt ihr euer geisterhaftes Wesen zwischen den weißen, durchscheinenden Riesenwürfeln, den Netzen, die die Hütte erfüllen bis dahinauf, wo der kleine Lampenschimmer vom geheimnisvollen Dunkel des Dachraumes aufgetrunken wird.

Ihr orakelt mit leisen Zischelstimmen, ohne Faden, ohne Ziel; ihr sitzt einander gegenüber wie unkörperliche Schatten, und es klingt so, als versenktet ihr euch in die tiefsten Probleme des Seins, von denen des Windes Sausen unablässig tönt; Geheimnisse, die im Rascheln der Palmenwedel zur Nachtzeit wohnen.

Dabei hängen euch die Suluis würdevoll aus den Lippen, genährt vom trägen Atem eurer mürben Lungen; sie glühen 41 durch das Morgendunkel wie rote Punkte, und ihr Aroma füllt die taufeuchte Luft.

Zwischendurch, in regelmäßigen Pausen, spritzt ihr euren Speichel durch die Spalte zwischen Zeige- und Mittelfinger, mit denen ihr die Lippen wie eine Geschützöffnung zusammenpreßt, und ihr trefft immer den Lavakies, immer die schmalen Räume zwischen den Matten, soweit entfernt davon ihr auch sitzen mögt . . .

 

Ja, ihr zischelnden und hüstelnden Matronen von Samoa – eure Gespräche während des Zwielichtes haben etwas Ursprung- und Wesenloses; sie sind ein Geräusch, das so ewig und so voll sachtabklingender Ruhe ist, wie das Zischen und Verlöschen der Gischtblasen auf den Korallenbänken zur Zeit der Ebbe.

Selbst wenn ihr ganz allein seid, findet ihr nur kargen Schlaf nach dem ersten Traumschrei der Hähne; dann sprecht ihr mit den Geistern derer, die in der Nacht geschäftig sind und die in euren Herzen unzählige Tode starben noch jahrelang nach dem Tod, dessen schreiende und brüsteschlagende Zeuginnen ihr wart.

Ihr habt Zeit.

Wie lange noch?

Wehrt ihr ab? – Lauscht ihr?

Ihr schließt die Augen; ihr hockt stumm und gerade.

Doch euch zeitlich entlegen, im Schoße der Ungeborenen, regt sich und ächzt ein kleines Schemen; euer Kindeskind –: der Halbblütige; ein Wesen ohne Heimat und Bestimmung; es wird sich mehren wie der palmenzerstörende Käfer und eure Gräber besudeln.

Kennt ihr es schon? . . . 42


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