Heinrich Seidel
Kinkerlitzchen
Heinrich Seidel

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Der Spargeltaback, Nicotiana Asparagus.

Als ich neulich meinen Freund Silberpfennig zu einer Maibowle einlud, sagte er: »Thut mir leid, ablehnen zu müssen, aber um die Zigarrenzeit gehe ich überhaupt nicht aus – diese Sache kann man den Leuten nicht überlassen.«

»Zigarrenzeit?« fragte ich verwundert.

»Was, Sie wissen nicht?« erwiderte er, »nun da wollen wir doch gleich mal in den Garten gehen.«

Mein Freund Silberpfennig ist ein Sonderling. Er hat einundzwanzig Jahre seines Lebens in der Fremde zugebracht und zwar in einem jener wenig bekannten Länder Südamerikas, die im Westen von dem mächtigen Gebirge der Anden begrenzt werden. Er ist von dort mit einem ziemlichen Vermögen zurückgekehrt und hat sich in Steglitz auf einem Grundstück, das rings von einer Mauer in doppelter Manneshöhe umgeben ist, eine höchst sonderbare Villa erbaut, die nach der Strasse zu weder Thür noch Fenster zeigt, sondern nur als ein besonders erhöhter Theil der Mauer erscheint, so dass kein Unberufener auch nur den kleinsten Blick in das innerhalb befindliche kleine Paradies zu werfen vermag. Diese Villa macht darum in ihrer starren Abgeschlossenheit von der Aussenwelt den Eindruck eines Menschen, der im Theater sitzend der Bühne den Rücken kehrt; allein inwendig ist alles sehr herrlich und schön, denn Silberpfennig ist ein grosser Gartenkünstler und unter seinen Händen gedeihen die seltensten Pflanzen zu ungeahnter Pracht.

»Da wollen wir doch gleich mal in den Garten gehn!« sagte er also, nahm seinen echten Panamahut, der an Ort und Stelle dreihundert Dollars gekostet hatte, vom Nagel und forderte mich durch eine Handbewegung auf, ihm zu folgen.

Er führte mich in den Küchengarten an einen Ort, den ich bis jetzt immer für eine Spargelplantage gehalten hatte, denn genau wie bei einer solchen waren die Beete eingerichtet. Jedoch bei meiner jetzigen Aufmerksamkeit auf die Sache fiel mir auf, dass nicht auf den einzelnen Pfählen an den Enden der Beete »Connover colossal« oder »d'Argenteuil« stand, oder wie sonst Spargelsorten benannt werden, sondern eigentümlicher Weise folgende Inschriften: Conchas (Maduro) – Londres (Colorado) – Regalia (Colorado claro) und Aehnliches.

Ich sah jetzt, dass Silberpfennig einen merkwürdig construirten, auf verschiedene Längen verstellbaren Spargelstecher in der Hand trug. Damit kratzte er auf einem der Beete einen spitzen bräunlichen Keim frei, der soeben die Erde ein wenig gehoben hatte, und stach ihn heraus. Es war eine richtige Zigarre von Londres-Format, aber weich und feucht, als wäre sie soeben gewickelt.

»Die ersten von der diesjährigen Ernte,« sagte er, »sind schon recht gut rauchbar, der vierundachtziger ist von vorzüglicher Qualität.«

Damit führte er mich in einen Trockenschuppen, woselbst auf Drahtgeflecht eine grosse Anzahl von Zigarren in allen Formaten ausgebreitet lag, und überreichte mir eine zur Prüfung.

Sie schmeckte vorzüglich und war von einem köstlichen Aroma. Ihr verdienstvoller Züchter stand mit sichtbarem Stolze da und sah wohlbehaglich zu, wie ich den balsamischen Rauch durch die Nasenlöcher blies. »Würde im Handel an dreihundert Mark kosten!« meinte er.

»Aber, lieber Silberpfennig,« rief ich, »das ist ja eine wunderbare Pflanze, wie kommen Sie dazu?«

»Wächst dort in Südamerika wild,« erwiderte er. »Die Indianer suchen sich im Frühjahr die Sprossen, trocknen und rauchen sie. Scheusslicher Kneller, nur für Wilde geniessbar. Als ich ihn zum ersten Mal aus Noth rauchte, murrte ich wider den Schöpfer und zweifelte an der himmlischen Vorsehung. Aber ich habe die Pflanze in Kultur genommen und nach jahrelanger Mühe diese Resultate erreicht. Mein höchster Stolz! Siebenzehn verschiedene Sorten habe ich bis jetzt gezüchtet. Meine Regalia nimmt es mit jeder echten Havanna auf.«

»Lieber Freund,« rief ich, »diese Pflanze bedeutet ja ein Vermögen. Ihr Anbau im Grossen würde eine Quelle des Reichthums für Dich und des Wohlstandes für unser Vaterland werden!«

»Ich habe genug,« sagte er kalt, »und brauche nicht mehr. Das Gefühl, der einzige Besitzer dieser Pflanze und des Geheimnisses ihrer Kultur zu sein, ist mir mehr werth als alle Reichthümer.«

Ja, da kam die Sonderlingsnatur meines Freundes wieder zum Vorschein. Vergebens verschwendete ich Bitten und Vorstellungen und meine ganze Ueberredungskunst; er blieb unerbittlich. Als ich ihn zum dritten Mal deswegen bestürmte, wurde er ungemüthlich.

Nun habe ich nur noch eine Hoffnung, und das ist Bismarck, den Silberpfennig wie einen Gott verehrt. Was der ihm räth, das thut er.

Morgen will ich an ihn schreiben.


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