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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Waverley hatte sowohl durch sein Wesen wie durch sein Benehmen, hauptsächlich aber durch seine reichgespickte Börse, dem Wirte gewaltig imponiert, so daß dieser nicht den Mut fand, ein Gespräch anzufangen. Uebrigens wurden seine Gedanken auch durch mancherlei Vermutungen und Pläne beschäftigt, die mit seiner dermaligen Reise in engem Zusammenhange standen. Die beiden Reiter setzten also ihren Weg schweigend fort, bis endlich der Gastwirt herausfand, daß seinem Gaul ein Hufeisen abhanden gekommen war.

»Ein Schaden, den Euer Gnaden tragen müssen, wenns auch nicht besonders vorgesehen worden ist in unsern Abmachungen für die Reise, daß Ihr für solche Fälle aufzukommen habt,« sagte der Wirt.

»Ihr wollt damit sagen, daß ich den Hufschmied bezahlen soll? ... Na, auch darauf solls mir nicht ankommen,« erwiderte Waverley, »aber wo werden wir einen finden?«

Vergnügt darüber, daß es keiner weitern Auseinandersetzungen bedurfte, bezeichnete Ebenezer Cruikshanks ein Dorf in der Nähe als den Sitz solches für den Reitersmann wichtigen Handwerksmannes, und ohne zu zaudern, wurde der Weg dorthin genommen. Das Dorf wurde bald erreicht, und das Haus des Schmieds war gleichfalls schnell gefunden. Es war zugleich Schenke, hatte zwei Gestocke und blickte mit einem grauen Schieferdache stolz über die umliegenden Strohhütten. In der am Wohnhause angebauten Werkstatt war aber von Sonntagsruhe nichts zu verspüren, da dröhnte der Ambos und schallte der Hammer und fauchte der Blasebalg, die ganze Schmiede Vulkans schien in Alarm. Der Meister Johann Grimmig war mit seinen Gesellen tüchtig beim Werke, allerhand alte Waffen, Musketen, Pistolen und Schwerter zu reparieren, zu schleifen, zu schärfen, zu polieren e.c. Es sah aus, als sei ein Arsenal in der Einrichtung begriffen.

Und Leute über Leute standen in der Schmiede und andre kamen, andre gingen, und ein flüchtiger Blick auf die in der einzigen Straße zusammenstehende Bewohnerschaft zeigte, daß eine ungewöhnliche Nachricht die Gemüter von ganz Cairnvreckan in Aufruhr gebracht haben mußte.

»Da gibts was Neues, das muß ich ausspüren!« sagte der Wirt und schob sein schmales Gesicht mitten in den Menschenhaufen hinein.

Waverley dagegen stieg ab und gab sein Pferd einem Jungen, der müßig stand und gaffte. Er war eben im Begriffe, sich an einen Dörfler mit einer Frage zu wenden, als Namen an sein Ohr schlugen, die ihn solcher Mühe überhoben. »Lochiel«, »Clanronald«, »Glengary« und andre solcher Häuptlingsnamen aus dem Hochlande, unter denen auch »Vich-Ian-Vohr« laut wurde, lehrten ihn, daß ein Einfall der Hochschotten ins Unterland entweder befürchtet wurde oder schon stattgefunden hatte.

Ehe sich Waverley näher befragen konnte, drängte sich ein starkes, wuchtiges Weib, anscheinend eine Vierzigerin, mit schmutzigem Gesicht und rußigen Kleidern, ein Kind hoch in den Armen haltend, vor und schrie, ohne auf das Weinen des Kindes zu achten:

»Karl ist mein Schatz, mein herztausiger Schatz, Karl, Karl ist mein Schatz, Der junge Schewaliehrl«

»Hört Ihrs, was über Euch kommen wird, Ihr erbärmliches Whig-Gelichter? ... Hört Ihr was kommen und Euch die Mäuler gründlich stopfen wird?«

Keiner weiß, was kommen soll,
Doch jeder weiß, was frommen soll.
Kommen wird das ganze Heer,
Und Karl an der Spitze, Mit der Schottenmütze!
Was wollt Ihr nun wohl noch mehr?
Ha, was wollt Ihr, was wollt Ihr noch mehr?

Der Schmied von Cairnvreckan erkannte sein Weib in der rasenden Bacchantin und maß sie mit grimmigen Blicken. Ein paar Dorfältesten traten zwischen die beiden.

»Ruhe, Weib!« sagte der eine, »ist das die Zeit danach, Eure Lieder zu trällern? ist das der Tag danach, solchen Lärm zu schlagen? Wo das Land Zeugnis ablegen soll gegen Papst- und Bischoftum? gegen Independentismus und Antinomismus und Erastianismus und was sonst noch für Irrtum und Irrtümer es in der Kirche geben mag?«

»Das kommt von Eurer Whiggerei!« heulte das Weib wieder, »und von Eurer Proselyterei, Ihr kahlohrigen Schandbuben! Was? Ihr meint, die Burschen mit dem Kilt scheren sich um Eure Synoden und Presbyterien, um Eure Armsünderzellen und Bußstühle? ... Rache über das rußige Fratzengesicht! Da haben noch weit ehrbarere Weibsen drauf gesessen, auf Eurem Bußschemel, als manche, die mit solchem Lumpenkerl von Whig ins Land hinein kommt!«

In Furcht, die Rasende möchte noch weiteres aus ihrer persönlichen Sachkenntnis zum besten geben wollen, fuhr jetzt Meister Grimmig mit seiner Hausherrnwürde ins Feld.

»Geh heim, Du versoffnes Biest,« schrie er, »und setz den Haferbrei ans Feuer!«

»Und Du alter Narr Du,« erwiderte die liebwerte Ehegesponsin, deren Zorn sich jetzt von dem Publikum hinweg und in das gewohnte Bett hinein lenkte. ... »Du stehst und hämmerst Schießprügel für die Schufte, da doch keiner auf einen Hochländer anschlagen wird, statt daß Du Brot für Deine Kinder schaffst? statt daß Du dem hübschen jungen Herrn hier das Roß beschlägst? dem jungen Herrn da, der grade aus dem Norden herunter kommt? ... Der ist doch keiner von Euren Georgs-Schuften! Da leg ich doch gleich die Hand in Dein Feuer, Du Esel!«

Aller Augen wandten sich jetzt auf Waverley, der diesen Anlaß wahrnahm, zu dem Schmied heranzutreten und ihn um schnellen Beschlag des einen Rosses zu bitten, denn er hatte genug gehört, um den Wunsch zu fühlen, so schnell wie möglich aus einem Nest herauszugelangen, das ihm gefährlich werden konnte. Der Schmied sah ihn verdrießlich an, ohne sich an das Gezeter seines Weibes zu kehren.

»Hörst du denn nicht,« geiferte sie, »was der junge hübsche Herr zu Dir spricht, Du versoffner Faulpelz?«

»Wie heißt Ihr denn?« fragte jetzt Grimmig den Junker von Waverley, nicht mehr bloß verdrießlich, sondern argwöhnisch.

»Wie ich heiße? Was geht Euch das an?« rief Waverley; »seid zufrieden, Freund, daß ich Euch Arbeit bringe, die auf der Stelle bezahlt wird!«

Wenns den Schmied auch nichts angeht,« nahm ein Pächter das Wort,»so. gehts doch am Ende den Staat was an? he? und ich meine fast, wir lassen Euch nicht früher wegreisen, als bis der Laird herzugeholt ist und seine Meinung gesagt hat!«

»Das möcht Euch wohl bitter bekommen,« versetzte Waverley, »sofern Ihr keine behördliche Vollmacht aufweisen könnt.«

Darob entstand eine Pause, und in dem Haufen traten Gruppen zusammen, um zu flüstern und zu zischeln. ... »Sekretär Murray, wer weiß ... oder Lord Lewis Gordon? hm, hm, am Ende gar der Schewaliehr selber?« ... das waren die Vermutungen, die schnell unter ihnen die Runde machten, Von denen besonders die letzte am willkommensten war, denn auf den Kopf des unter dem Namen »Chevalier« gemeinten jungen Prätendenten Karl Stuart war eine Prämie von 30 000 Pfund Sterling ausgesetzt worden. Waverley versuchte freundlich mit ihnen auseinanderzukommen, aber seine freiwillige Bundsgenossin, die Schmiedsfrau, fing wieder an zu schimpfen und zu wettern indem sie seine Partei nahm.

»Was? einen Herrn wollt Ihr aufhalten, der doch sicher ein Freund des Prinzen ist?« denn sie hatte sich, wenn auch in anderm Sinne, inzwischen gleichfalls zu der Meinung bekannt, daß in dem jungen Herrn irgend »ein großes Tier« stecken müsse, »na, das will ich Euch mal sagen, laßts Euch bloß einfallen, die Hand an ihn zu legen!« und sie spreizte die langen, derben Finger aus, die mit Krallen besetzt waren, um die sie ein Adler oder Geier hätte beneiden können, »wers probiert, dem kratz ich die Augen aus!«

»Geht in Eure Stube, Mütterchen,« sagte der Pächter wieder, her auffällig nach Schnaps und Tabak roch, »gescheiter, wärs schon, Ihr wartetet Eures Mannes Kinder ab, statt daß Ihr uns hier mit Eurem Geschrei das Gehör verderbt!«

»Dem seine Kinder?« rief höhnisch die Vettel; »na, ich wüßt nicht, daß er der Vater wär!« und sie maß den Schmied mit einem Blicke der hämischsten Verachtung.

»Ach, wärst Du erst krepiert, Du Tropf,
Und deckte der Rasen Deinen Leib und Kopf,
Dann trüge ich schnell meine Witwenschaft
Zu 'nem Hochlandsjungen voll Saft und Kraft!
Tralala, trala, tralirum la!

So sang die Schmiedsfrau laut und keck, und bei dem jungen Volk weckte das Lied Spott und Hohn und Lachen ... kein Wunder also, daß dem Schmied die Galle überlief.

»Der Teufel soll mir ins Genick fahren, wenn ich nicht gleich dem Aas mit meinem roten Eisen in den Rachen fahre!« schrie er wild vor Zorn und riß die glühende Eisenstange aus dem Schmiedefeuer. Hätte nicht ein Teil der versammelten Dorfbewohnerschaft sich ihm in den Arm geworfen, so hätte er auch sicher seine Drohung ausgeführt. Aber inzwischen gelang es dem Pächter, das Lästermaul ins Wohnhaus hinein zu schaffen.

Waverley sann in seiner Bedrängnis darauf, die Verwirrung zu einem Rückzuge zu benützen, aber er sah sein Pferd nirgends mehr. In einigem Abstande bemerkte er nun seinen Begleiter Ebenezer, der mit beiden Pferden sich aus dem Gedränge hinwegbegeben hatte. Sobald er inne wurde, welche Wendung die Sache nehmen könnte, hatte er keine Ohren mehr für Waverleys Rufe, ihm sein Pferd zu bringen, sondern rief:

»Nichts da! seid Ihr einer von denen, die mit Kirche und König in Fehde liegen, so müßt Ihr, wenn Ihr daraufhin angehalten werdet, rechtlichen Leuten im Lande aufkommen für den Schaden, den Eure Treubrüchigkeit über sie bringt. Ich behalte also Pferd und Mantelsack als Pfand für den Verlust, den ich für mein morgiges Tagewerk erleide.«

Waverley, also von allen Seiten bedrängt, von dem Gesindel um ihn her bald rechts, bald links gestoßen, jeden Augenblick noch roherer Gewalt gewärtig, zog kurz entschlossen sein Taschenpistol und drohte jeden niederzuschießen, der es wagen sollte, Hand an ihn zu legen, wie anderseits dem Gastwirte Ebenezer, wenn er sich einfallen ließe, noch einen Schritt weiter zu reiten.

Ein Weiser hat einmal gesagt, daß ein einziger Mann mit einem Pistol an die hundert Unbewaffnete in die Flucht jagen könne, weil keiner von den hundert wisse, ob er nicht derjenige sein könne, den die Kugel träfe, und so würde wohl auch hier die aufsässige Dorfbewohnerschaft sich still verlaufen und der Gastwirt Ebenezer Cruikshanks klein beigegeben haben, wäre es dem Schmied in seinem wilden Zorn nicht beigekommen, den Grimm, den sein Eheweib in ihm angefacht hatte, an dem fremden Junker zu kühlen. Wie rasend stürzte er auf Waverley mit seinem rotglühenden Eisen ein, und ließ demselben kaum Zeit, das Pistol zu heben und loszuknallen.

Es war ein Akt der Notwehr, daß Waverley das Pistol auf den Schmied abfeuerte, aber er stand doch, als er den Schmied zusammenbrechen sah, wie entsetzt da, und hatte nicht mehr die Geistesgegenwart, seinen Säbel zu ziehen oder das andre Pistol zu laden.

Der Volkshaufe fiel über ihn her und hätte ihn ohne Zweifel schwer gemißhandelt, wenn nicht gar gelyncht, aber in diesem Augenblick teilte sich die Menge vor einer ehrwürdigen Erscheinung mit wallendem weißem Haare, die auf den Schauplatz trat. Es war der Dorfpfarrer Mr. Morton, der bei hoch und niedrig, arm und reich gleich hoch geschätzt war, weil er nie bloß den trocknen Buchstaben gepredigt, sondern seine frommen Lehren auch immer, sobald sich ihm Gelegenheit bot, werktätig bewahrheitet hatte.

Vielleicht lag es an dieser Harmonie, in die er seinen Glauben und sein praktisches Amt zeit seines Lebens zu setzen beflissen war, daß niemand sich im Grunde genommen recht darüber klar zu werden wußte, ob er der einen oder der andern Kirche, die sich um die Herrschaft im Lande stritten, angehörig sei. Sein Andenken gilt noch im Dorfe Cairnvreckan als eine Art Abschnitt für die Zeitrechnung, so daß man heute noch hören kann, um etwas, das sich vor sechzig Jahren zugetragen hat, zu bezeichnen, »es war zur Zeit, da unser guter Pfarrer Morton lebte«.

Dieser ehrwürdige Herr war durch den Knall des Schusses und durch das wachsende Getöse um die Schmiede herum aus seiner Ruhe aufgeschreckt worden. Er leitete sofort die Verhaftung Waverleys in die Wege, wendete aber jede Gewalttätigkeit von ihm ab, was um so schwerer für ihn und um so wichtiger für Waverley war, als sich jetzt die rasende Frau, die den Mann noch eben so geschimpft und verwünscht hatte, jammernd und wehklagend über ihn stürzte und sich wie wahnsinnig die Haare raufte.

Die erste Entdeckung, als man den Schmied von der Erde aufhob, war, daß er noch lebte, und die nächste, die darauf folgte, und die sich bei der ärztlichen Untersuchung herausstellte, daß er wahrscheinlich ebenso lange leben würde, wie wenn er in seinem ganzen Leben niemals einen Pistolenschuß hätte knallen hören. Der einem Haar aber wäre es ihm ans Leben gegangen, denn die Kugel hatte seinen Kopf gestreift und ihm auf ein paar Augenblicke die Besinnung geraubt.

Racheschnaubend stand er auf und schrie nach Waverley, beziehungsweise dem Fremden, für den er das Pferd hatte beschlagen sollen, und nur mit vieler Mühe gelang es dem Geistlichen, ihn zu beruhigen, recht aber erst dann, als ihm gesagt wurde, daß Edward vor den Friedensrichter geführt werde und dort sein Urteil abwarten müsse.

Hiermit waren auch alle übrigen Anwesenden einverstanden, sogar Frau Grimmig, die sich langsam wieder aus ihrem ohnmachtähnlichen Zustande emporhalf und schließlich bloß noch Dank gegen den Herrn Pastor winselte, »der immer ein viel besserer Herr Pastor gewesen sei, als ihn das Dorf verdient hätte, und der weit eher als mancher andre einen Bischofsrock verdiente.«

Da auf diese Weise die ganze Lärmszene beigelegt war, blieb nur noch übrig, Waverley zum Friedensrichter auf das Schloß von Cairnbreckan zu schaffen, das etwa eine halbe Stunde vom Wurfe entfernt war. Und das geschah denn auch unter dem Geleit der ganzen Dorfbewohnerschaft, von der sich bloß diejenigen fern hielten, die gichtbrüchig und bettlägerig waren.

Schluß des ersten Bandes.


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