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Stets schafft der Wechsel Lust;
Zu viele Ruh' läßt rosten;
Die Trägheit engt die Brust,
Laßt uns den Wechsel kosten.
Altes Lied.
Früh am nächsten Morgen verließ ein schmucker Zug, dem jedoch die Trauergewänder, in welche die Hauptpersonen gehüllt waren, ein etwas düsteres Aussehen gaben, die wohlvertheidigte Veste Garde doloureuse, die kurz zuvor der Schauplatz so merkwürdiger Ereignisse gewesen war.
Eben begann die Sonne den schweren Thau aufzusaugen, der während der Nacht gefallen war, und den dünnen und grauen Nebel zu zerstreuen, der um Thürme und Zinnen schwebte, als Wilkin Flammock mit sechs Armbrustschützen zu Pferd und eben so vielen Lanzenknechten zu Fuß aus dem gothischen Thorwege hervortrat und die dröhnende Zugbrücke überschritt. Diesem Vortrabe folgten vier wohlberittene Diener des Haushalts, und nach ihnen kamen eben so viele Dienerinnen, alle in tiefer Trauer. Dann gewahrte man die junge Lady Eveline selbst. Sie nahm gerade den Mittelpunkt der kleinen Prozession ein, und ihre langen schwarzen Gewänder bildeten einen auffallenden Contrast mit der Farbe ihres milchweißen Zelters. Neben ihr, auf einem spanischen Zelter, dem Geschenke ihres zärtlichen Vaters, – der ihn um einen hohen Preis erkauft hatte, und, beiläufig bemerkt, sein halbes Vermögen hingegeben haben würde, um seiner Tochter zu willfahren, – saß die kindliche Gestalt der Rosa Flammock, die so viel jugendliche Schüchternheit in ihrem Benehmen, so viel Gefühl und Beurtheilungskraft in ihren Gedanken und Handlungen an den Tag legte. Nun folgte Dame Margery neben dem Vater Aldrovand, mit dem sie häufig Umgang pflog; denn Margery wollte sich ein wenig den Anschein der Frömmigkeit geben; und als Evelinens ehemalige Amme war ihr Einfluß in der Familie groß genug, um sie zu keiner unpassenden Gefährtin des Kaplans zu machen, wenn ihre Gebieterin ihre Anwesenheit nicht für ihre eigene Person in Anspruch nahm. Dann kam der alte Jäger Raoul, sein Weib und zwei oder drei andere Diener von Raymond Berengers Haushalt. Der Haushofmeister mit seiner goldenen Kette, seinem sammtnen Leibrock und weißen Stabe führte den Nachtrab an, den eine kleine Abtheilung Bogenschützen und vier Gewappnete schlossen. Die Krieger, und in der That der größte Theil des Gefolges, waren bloß dazu bestimmt, der jungen Lady bis auf eine geringe Entfernung von der Burg, – d. h. bis dahin, wo sich der Constabel von Chester befand – als Ehrengeleit zu dienen. Der Constabel hatte sich vorgenommen, Evelinen bis nach Gloucester, ihrem nunmehrigen Bestimmungsorte, mit einem Gefolge von dreißig Lanzen zu begleiten. Unter seinem Schutze war keine Gefahr zu befürchten, selbst wenn auch die große Niederlage, welche die Walliser unlängst erlitten hatten, nicht von selbst jeden Versuch dieser feindlichen Bergbewohner, die Sicherheit der Gränzen zu stören, auf einige Zeit lang unterdrückt hätte.
In Folge dieser Anordnung, welche den bewaffneten Begleitern Evelinens erlaubte, zur Beschützung der Burg und zur Wiederherstellung der Ordnung in der Umgegend zurückzukehren, erwartete der Constabel Evelinen in der Nähe der unheilvollen Brücke, an der Spitze der zu seiner Begleitung auserlesenen Reiterschaar. Die Partieen machten Halt, als ob sie sich gegenseitig begrüßen wollten; allein da der Constabel bemerkte, daß Eveline ihren Schleier dichter um sich herumzog, und er sich an den Verlust erinnerte, den sie erst kürzlich an diesem unglücksvollen Orte erlitten hatte, so war er so verständig, seine Begrüßung auf eine stumme Verbeugung zu beschränken, die so tief war, daß sein stattlicher Federbusch, denn er war jetzt in voller Rüstung, sich mit der fliegenden Mähne seines edlen Rosses vermengte. Wilkin Flammock fragte nun Evelinen, ob sie ihm noch irgend etwas zu befehlen habe.
»Nichts, guter Wilkin, außer daß du, wie immer, treu und wachsam sein sollst.«
»Das sind die Eigenschaften eines guten Kettenhundes,« sagte Flammock. »Ein gewisser roher Scharfsinn und eine feste Hand, statt eines scharfen Gebisses, ist Alles, worauf ich außerdem noch Anspruch machen kann. – Ich will mein Möglichstes thun. – Du Röschen, lebe wohl! Du gehst unter fremde Leute – vergiß die Eigenschaften nicht, die dir zu Hause Liebe erwarben. Die Heiligen mögen dich segnen. – Lebe wohl!«
Nach Wilkin näherte sich der Haushofmeister, um Abschied zu nehmen; allein fast wäre ihm dabei großes Unheil widerfahren. Es hatte Raouln, der von Natur eigensinnig und störrisch war, beliebt, ein altes arabisches Pferd zu besteigen, das man zur Zucht hielt, und das so mager und fast so lahm war, als er selbst, dabei aber ein teufelwildes Temperament hatte. Zwischen dem Reiter und dem Pferde herrschte ein beständiges Mißverständniß, das Raoul durch Flüche, unsanftes Zerren an dem Kapzaume und durch heftige Sporenstöße, Mahound aber (denn so war das Pferd getauft worden) durch Niederbücken, Bäumen und das eifrige Bemühen, sich des Reiters auf jede mögliche Weise zu entledigen, so wie durch wüthendes Ausschlagen gegen Jeden, der sich ihm näherte, zu erkennen gab. Viele von der Dienerschaft waren der Meinung, Raoul wähle dieses zügellose, störrische Thier, so oft er in Gesellschaft seines Weibes reise, damit in Folge der verschiedenen Stöße, Luftsprünge und anderer Ausschweifungen Mahounds, dessen Hufe mit Dame Gillians Rippen gelegentlich in Berührung kommen möchten. Und als nun der hochansehnliche Haushofmeister seinem Klepper die Sporen gab, um die Hand seiner jungen Gebieterin zu küssen und Abschied von ihr zu nehmen, so schien es den Umstehenden, als ob Raoul Zaum und Sporen vorsätzlich so handhabte, daß Mahound in demselben Augenblicke ausschlug, und einer seiner Hufe mit dem Schenkel des Haushofmeisters in Berührung kam. Er würde ihn wie ein vermodertes Schilfrohr zersplittert haben, wenn beide Theile einander um einige Spannen näher gewesen wären. Dennoch aber litt der Haushofmeister beträchtlichen Schaden, und diejenigen, welche das Grinsen auf Raouls essigsaurem Gesichte bemerkten, hegten wenig Zweifel, daß Mahounds Hufe gewisse Winke und manches verzogene Lächeln rächten, das, seit die Gesellschaft das Schloß verlassen hatte, zwischen dem mit der goldenen Kette geschmückten Beamten und der kokettischen Putzfrau gewechselt worden war.
Dieser Zwischenfall kürzte die unangenehme Feierlichkeit des Abschieds zwischen der Lady und ihren Untergebenen ab, und verminderte zu gleicher Zeit die Förmlichkeit ihres Zusammentreffens mit dem Constabel.
Nachdem Hugo von Lacy sechs seiner Gewappneten als Vortrab vorausgeschickt hatte, verweilte er noch so lange, bis der Haushofmeister in eine Sänfte gelegt war, und dann zog er mit seinen übrigen Begleitern in militärischer Ordnung ungefähr fünfzig Schritte hinter Evelinen und ihrem Gefolge her. Weislich enthielt er sich, ihr seine Gesellschaft aufzudrängen, während sie mit den Gebeten beschäftigt war, die ihr der Ort, an welchem sie zusammentrafen, eingeben mußte, und nahm sich vor, geduldig zu harren, bis die Beweglichkeit des jugendlichen Sinnes eine Zerstreuung von den trüben Gedanken, welche die Scene einflößte, verlangen würden.
Durch diese Politik geleitet, näherte sich der Constabel den Frauen nicht eher, als bis der vorgerückte Morgen es ihm zu einer Pflicht der Höflichkeit machte, ihnen zu erklären, daß sich in der Nähe ein angenehmer Ort zum Frühstücken befinde, und daß er daselbst einige Vorbereitungen zum Ausruhen und zur Erfrischung habe treffen lassen. Unmittelbar nachdem Lady Eveline zu erkennen gegeben hatte, daß sie dieses höfliche Anerbieten annehme, gewahrte sie den Ort, auf den hier angespielt wird. Er zeichnete sich durch eine alte Eiche aus, die ihre breiten Aeste weithin ausdehnte und den Reisenden an die zu Mamre erinnerte, unter der himmlische Wesen von der Gastfreundschaft des Patriarchen Gebrauch machten. Ueber zwei dieser ungeheuern, weithin sich ausstreckenden Arme lag ein Stück rosenfarbenen Taffets, als ein Baldachin ausgebreitet, welcher die Strahlen der bereits hochstehenden Morgensonne abhalten sollte. Seidene Kissen, mit andern, die mit Thierfellen bedeckt waren, untermischt, hatte man rings um ein Mahl geordnet, das ein normännischer Koch durch die Feinheit und Ueberlegenheit seiner Kunst von den rauhen Speisen der Sachsen und der ärmlichen Einfachheit der walliser Tische möglichst zu unterscheiden gesucht hatte. Eine Quelle, die in einiger Entfernung unter einem großen bemoosten Steine hervorquillte, erquickte das Ohr durch ihr Rieseln und den Gaumen durch ihren reinen Crystall. Zu gleicher Zeit bildete sie eine Cisterne zum Abkühlen einiger Flaschen Gaskogner- und Hippocras-Wein (Würzwein), die zu dieser Zeit ein nothwendiges Zubehör des Frühstücks waren.
Als Eveline mit Rosa, dem Beichtvater, und in einer weitern Entfernung mit ihrer Amme an diesem ländlichen Mahle saß, und die Blätter der Eiche, von einem sanften Zephirhauche geschaukelt, rauschten, das Wasser im Hintergrunde rieselte, die Vögel rings umher zwitscherten, während die halbgehörten Töne einer Unterredung und eines lauten Gelächters die Nähe ihrer Schutzwache verkündeten, so konnte sie sich nicht enthalten, dem Constabel einige ungekünstelte Complimente wegen der glücklichen Auswahl dieses Ruheortes zu machen.
»Ihr laßt mir zu viel Gerechtigkeit widerfahren,« antwortete der Baron; »der Platz ist von meinem Neffen auserlesen worden, der eine Phantasie wie ein Minstrel hat. Ich für meine Person bin wenig geeignet, solche Dinge auszusinnen.«
Rosa faßte ihre Gebieterin fest in's Auge, als wollte sie ihr in's Innerste des Herzens schauen; allein Eveline antwortete mit der größten Unbefangenheit: – »Und warum hat der edle Damian nicht länger hier verweilt, um uns bei dem Mahle, das er uns bereitet hat, Gesellschaft zu leisten?«
»Er zieht es,« sagte der Baron, »vor, mit einem Trupp leichter Reiterei vorauszureiten; denn obgleich jetzt keine walliser Schurken um den Weg sind, so sind doch die Gränzen nie von Räubern und Geächteten ganz gesäubert; und wenn eine Bande, wie die unsrige, nichts zu befürchten hat, so sollt Ihr doch nicht einmal durch den Anschein einer Gefahr erschreckt werden.«
»Ja, in der That, ich habe seit Kurzem nur zu viel Gefahr erlebt,« sagte Eveline und versank hierauf wieder in die melancholische Stimmung, aus der sie die Neuheit der Scene für einige Augenblicke erweckt hatte.
Mittlerweile hatte der Constabel, mit Hülfe seines Knappen, seinen Helm und dessen stählernen Busch, so wie seine Panzerhandschuhe abgelegt, und blieb nun in seinem biegsamen Panzer, der gänzlich aus sonderbar ineinander gewobenen stählernen Ringen bestand. Seine Hände waren bloß, allein seine Stirne bedeckte eine Sammetmütze von besonderer Form, die eigens für den Gebrauch der Ritter bestimmt war und Mortier genannt wurde. So gekleidet konnte er bequemer reden und essen, als wenn er seine volle Rüstung angelegt hatte. Seine Rede war einfach, verständig und männlich, und da sie den Zustand des Landes und die zur Beherrschung und Vertheidigung einer so unruhigen Gränze nothwendigen Vorsichtsmaßregeln zum Gegenstande hatte, so wurde sie nach und nach anziehend für Evelinen, die nichts sehnlicher wünschte, als die Beschützerin der Vasallen ihres Vaters zu werden.
Seinerseits schien de Lacy mit Evelinen sehr zufrieden zu sein; denn so jung sie war, verriethen ihre Fragen doch Verstand und Einsicht, und ihre Antworten große Auffassungskraft und Gelehrigkeit. Kurz in so weit herrschte nun Vertraulichkeit zwischen Beiden, daß der Constabel während der übrigen Zeit der Reise zu glauben schien, sein geeigneter Platz sei neben Lady Eveline; und obwohl sie ihn sicherlich nicht aufmunterte, ihr zur Seite zu bleiben, so gab sie ihm doch auch auf keinerlei Weise zu verstehen, daß ihr seine Gegenwart unangenehm sei. De Lacy, der kein feuriger Liebhaber war, obwohl ihn die Schönheit und die liebenswürdigen Eigenschaften der reizenden Waise einigermaßen bezaubert hatten, begnügte sich damit, daß er als Gefährte geduldet wurde und suchte die ihm durch diese Vertraulichkeit dargebotene Gelegenheit keineswegs dazu zu benützen, auf den am vergangenen Tage besprochenen Gegenstand zurückzukommen.
Um Mittag wurde in einem kleinen Dorfe Halt gemacht. Derselbe Fürsorger hatte daselbst Anstalten zur Bequemlichkeit der Reisenden, besonders aber der Lady Eveline, getroffen; allein was die Lady ein wenig befremdete, war der Umstand, daß der junge Damian selbst unsichtbar blieb. Die Unterhaltung des Constabel von Chester war ohne Zweifel im höchsten Grade belehrend; allein in Evelinens Jahren ist ein Mädchen wohl zu entschuldigen, wenn es sich eine Vergrößerung der Gesellschaft in der Person eines jüngern und minder ernsten Begleiters wünscht; und wenn sich die Lady an die Regelmäßigkeit erinnerte, mit der ihr Damian Lacy bisher seine Aufwartung gemacht hatte, so wunderte sie sich nicht wenig über seine fortwährende Abwesenheit. Allein die Betrachtung, die sie hierüber anstellte, war nicht ernster und tiefer, als der flüchtige Gedanke eines Menschen, den die Gesellschaft, in der er sich befindet, nicht in einem so hohen Grade ergötzt, daß er glaubte, sie sei keiner angenehmen Beigabe mehr fähig. Geduldig hörte sie eben den Bericht an, den ihr der Constabel von der Abkunft und dem Stammbaume eines edlen Ritters aus der ausgezeichneten Familie Herbert, in dessen Schloß er zu übernachten im Sinne hatte, abstattete, als einer von dem Gefolge einen Boten von der Lady von Baldringham meldete.
»Der Tante meines geehrten Vaters,« sagte Eveline, sich erhebend, um die durch die Sitten jener Zeit gebotene Achtung für das Alter und die Verwandtschaft an den Tag zu legen.
»Ich wußte nicht,« sagte der Constabel, »daß mein tapferer Freund eine solche Verwandte hatte.«
»Sie ist die Schwester meiner Großmutter,« entgegnete Eveline, »eine edle sächsische Dame; allein sie verabscheute die mit einem normännischen Hause geschlossene Heirath, und sah ihre Schwester nach ihrer Vermählung nie wieder.« Sie brach hier ab, da der wie ein Haushofmeister einer bedeutenden Person aussehende Bote jetzt eingetreten war, und ehrfurchtsvoll das Knie beugend, einen Brief übergab, der, wie Vater Aldrovand fand, folgende Einladung enthielt, die aber nicht in der, damals unter dem Adel allgemein üblichen, französischen Sprache, sondern in der alten sächsischen Mundart, der man, wie auch hier, einige französische Ausdrücke beigemischt fand, abgefaßt war.
»Wenn die Enkelin Aelfreids von Baldringham noch so viel von dem alten sächsischen Geblüte in sich hat, daß sie eine alte Verwandte zu sehen wünscht, die noch immer im Hause ihrer Vorfahren wohnt und ihren alten Sitten getreu bleibt, so ist sie hiemit eingeladen, die nächste Nacht in der Wohnung Ermengardes von Baldringham zuzubringen.«
»Ohne Zweifel,« sagte der Constabel von Chester, »wird es Euch belieben, von der Gastfreundschaft Eurer Verwandten keinen Gebrauch zu machen; der edle Herbert erwartet uns und hat große Vorkehrungen zu unserem Empfange getroffen.«
»Eure Gegenwart, Mylord,« sagte Eveline, »wird ihn über meine Abwesenheit mehr als trösten; es ist schicklich und räthlich, daß ich diese Gelegenheit ergreife, um mich mit meiner Tante auszusöhnen, da sie so herablassend war, den ersten Schritt zu thun.«
De Lacy's Stirne umwölkte sich ein wenig bei diesen Worten; denn selten war er auf etwas gestoßen, das einem Widerspruche gegen seinen Wunsch ähnlich sah. »Ich bitte Euch, Lady Eveline,« sagte er, »bedenkt doch, daß das Haus Eurer Tante wahrscheinlich ohne Vertheidigung oder wenigstens sehr unvollkommen bewacht ist. – Wollt Ihr nicht erlauben, daß ich fortfahre, die schuldige Pflicht der Begleitung gegen Euch zu erfüllen?«
»Darüber, Mylord, kann nur meine Tante in ihrem eigenen Hause entscheiden; und da sie es für unnöthig gehalten hat, sich die Ehre der Gesellschaft Eurer Herrlichkeit zu erbeten, so würde es mir, denke ich, nicht geziemen, zu gestatten, daß Ihr Euch die Mühe gebt, mich zu begleiten. – Ihr habt nur zu viele Mühe schon meinetwegen gehabt.«
»Allein um Eurer eigenen Sicherheit willen,« sagte de Lacy, ungern von seinem Vorsatze abgehend.
»Meine Sicherheit, Mylord, kann in dem Hause einer so nahen Verwandten nicht in Gefahr stehen; die Vorsichtsmaßregeln, die sie zu ihrer Sicherheit ergriffen hat, werden ohne Zweifel zu der meinigen mehr als hinreichend sein.«
»Ich hoffe, es wird sich so bewähren,« sagte de Lacy; »und ich will wenigstens noch eine Sicherheitswache um das Schloß stellen lassen.« Er hielt hier inne und fuhr hierauf mit einigem Stottern fort, die Hoffnung auszusprechen, »daß Eveline, die jetzt im Begriffe sei, eine Verwandte zu besuchen, deren Vorurtheile gegen das normännische Geschlecht allgemein bekannt seien, gegen das, was sie über diesen Punkt etwa hören könnte, auf der Hut sein werde.«
Mit Würde antwortete Eveline, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Tochter Raymond Berengers Meinungen Gehör schenken werde, die die Würde des Volks und Geschlechts dieses tapfern Ritters beleidigen. Mit dieser Versicherung mußte sich der Constabel begnügen, da es ihm unmöglich war, eine mehr auf sich selbst und sein Gesuch Bezug habende Antwort zu erlangen. Er erinnerte sich auch, daß Herberts Burg nur zwei Meilen von der Wohnung der Lady von Baldringham entfernt liege, und daß seine Trennung von Eveline nur eine Nacht dauern werde; allein ein gewisses Gefühl des zwischen ihrem Alter herrschenden Unterschieds und vielleicht auch seines Mangels an jenen feinern Eigenschaften, durch die das weibliche Herz am häufigsten gewonnen wird, machte ihm selbst diese kurze Abwesenheit zu einem Gegenstande trüben Nachdenkens und ängstlicher Besorgniß, so daß er den Nachmittag über schweigend neben Evelinen her ritt, und sich nicht sowohl bemühte, die ihm dargebotene Gelegenheit zu benützen, als über das nachdachte, was der morgende Tag bringen werde. Auf diese ungesellige Weise reisten sie fort, bis sie den Punkt erreichten, wo sie sich für die nächstkommende Nacht trennen sollten.
Dies war ein hochgelegener Ort, von welchem aus man rechts die auf einer Anhöhe emporsteigende Burg Amelot Herberts mit allen ihren gothischen Zinnen und Thürmen, und links, von dichtem Eichenholz umgeben, die rohe und einsame Wohnung gewahren konnte, in welcher Lady von Baldringham fortwährend den Sitten und Gebräuchen der Angelsachsen treu blieb, und mit Verachtung und Haß auf alle Neuerungen blickte, die seit der Schlacht von Hastings eingeführt worden waren.
Hier befahl der Constabel von Lacy einem Theile seiner Krieger, Evelinen bis zur Wohnung ihrer Verwandten zu begleiten, und rings um dieselbe strenge Wache zu halten, jedoch aber in einer gehörigen Entfernung, damit die Familie nicht dadurch gekränkt oder belästigt werden möchte. Hierauf küßte er Evelinens Hand und nahm einen widerstrebenden Abschied.
Eveline setzte ihren Weg nach dem Wohnsitze ihrer Tante fort. Der Pfad, auf welchem sie vorwärts schritt, war nur wenig betreten, und zeugte von dem einsamen Zustande der Wohnung, zu der er führte. Kuhheerden von einer ungewöhnlichen und edeln Gattung weideten auf den reichen Hutungen umher, und hie und da trippelte Damwild, das die Schüchternheit seiner Natur verloren zu haben schien, über die offenen Plätze der Waldung oder stand und lag in kleinen Gruppen unter irgend einer großen Eiche. Das vorübergehende Vergnügen, das eine solche Scene ländlicher Ruhe einflößen mußte, verwandelte sich in ernstere Gefühle, als eine plötzliche Krümmung des Weges sie auf einmal vor das Wohnhaus führte, von dem sie nichts mehr gesehen hatte, seit sie es zuerst von dem Punkte aus erblickte, wo sie sich von dem Constabel trennte, und das sie mit einer gewissen Besorgniß zu betrachten mehr als eine Ursache hatte.
Das Haus, denn ein Schloß konnte man es nicht nennen, bestand bloß aus zwei Stockwerken, war niedrig und plump gebaut, und hatte Thüren und Fenster, die den schwerfälligen Rundbogen bildeten, der gewöhnlich der sächsische genannt wird. – Die Mauern waren von mannigfaltigem Schlingkraute überwachsen, das ungehindert über dieselben hingekrochen war. Sogar auf der Thürschwelle wuchs Gras, und über derselben hing an einer erznen Kette ein Büffelhorn. Ein schweres Thor von schwarzem Eichenholze verschloß die Pforte, die große Aehnlichkeit mit dem alterthümlichen Eingange einer verfallenen Gruft hatte, und keine Seele erschien, um die Ankommenden zu empfangen.
»Wäre ich an Eurer Stelle, Lady Eveline,« sagte die vorwitzige Dame Gillian, »so würde ich jetzt noch umlenken; denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß dieses alte Kerkerloch christlichen Leuten Nahrung und Obdach gewähren kann.«
Eveline gebot ihrer unbescheidenen Begleiterin Schweigen, obwohl sie selbst, während sie Raoul den Befehl gab, in das Horn am Thore zu stoßen, mit Rosa einen Blick wechselte, in welchem man etwas, das an Furchtsamkeit gränzte, lesen konnte. »Ich habe gehört,« sagte sie, »daß meine Tante die alten Sitten so sehr liebt, daß sie ungerne Etwas in ihre Hallen einläßt, das seinen Ursprung nicht wenigstens aus der Zeit Eduards des Bekenners herleitet.«
Raoul verwünschte indessen das rauhe Instrument, das, seine Geschicklichkeit beschämend, keinen regelmäßigen Schall, sondern blos ein zitterndes und mißtönendes Gebrüll von sich gab, das die alten Mauern, so dick sie waren, zu erschüttern schien. Dreimal wiederholte er seine Aufforderung, ehe sie Einlaß erhielten. Beim dritten Blasen öffnete sich die Thüre und eine zahlreiche Dienerschaft beiderlei Geschlechts erschien in der dunkeln und engen Halle, an deren oberem Ende ein großes Holzfeuer seinen Feuerdampf einem alterthümlichen Kamin zuschickte, dessen Vorderseite ungefähr eine so große Ausdehnung hatte, als eine Küche der neuern Zeit, und mit Verzierungen von massivem Steine geschmückt war. Oben an der Spitze gewahrte man eine lange Reihe Nischen, aus deren jeder das Bild irgend eines sächsischen Heiligen, dessen barbarischer Name kaum in dem römischen Kalender zu finden war, hervorgrinste.
Derselbe Bediente, der Evelinen die obige Einladung von seiner Gebieterin überbracht hatte, trat jetzt vor, um ihr, wie sie meinte, beim Herabsteigen von ihrem Zelter behülflich zu sein; allein er that dies blos, um das Pferd beim Zaume in die gepflasterte Halle selbst und auf eine erhabene Platform, oder einen Baldachin zu führen, an dessen oberem Ende sie endlich absteigen durfte. Zwei Matronen von vorgerücktem Alter, und vier junge Frauen von edler Abkunft, durch Ermengarde's Güte erzogen, harrten ehrerbietig der Ankunft der Verwandten ihrer Gebieterin. Gerne hätte sich Eveline bei ihnen nach ihrer Großtante erkundigt, allein die Matronen legten mit großer Ehrfurcht den Finger auf den Mund, als ob sie ihr dadurch Stille anempfehlen wollten; – eine Bewegung, die, in Verbindung mit der sonderbaren Art, auf die sie in andern Hinsichten empfangen wurde, sie noch neugieriger machte, ihre ehrwürdige Verwandte zu sehen.
Bald ward ihre Neugierde befriedigt; denn durch eine Flügelthüre, die sich unweit dem Baldachin öffnete, ward sie in ein großes und niedriges Zimmer geführt, das mit Teppichen behangen war. An dem einen Ende desselben saß, unter einer Art von Thronhimmel, die alte Lady von Baldringham. Achtzig Jahre hatten den Glanz ihrer Augen nicht verlöscht, oder ihre hohe Gestalt nur um einen Zoll niedergebeugt. Ihr graues Haar war noch immer in einer solchen Fülle vorhanden, daß es eine Flechte bildete, die von einem Kranz von Epheublättern zusammengehalten war; ihr langes dunkelfarbiges Gewand umfloß sie in weiten Falten, und der gestickte Gürtel, der es um ihren Leib zusammenhielt, war durch eine goldene, mit den kostbarsten Edelsteinen besetzte Schnalle befestigt. Ihr Gesicht, das einst schön oder vielmehr majestätisch gewesen war, trug noch jetzt, obschon verwelkt und mit Falten besetzt, das Gepräge einer melancholischen, düstern Größe, die mit ihrer Kleidung und Haltung in vollkommenem Einklange stand. In ihrer Hand hielt sie einen Stab von Ebenholz; zu ihren Füßen ruhte ein hochbetagter Wolfshund, der seine Ohren spitzte und starr seinen Nacken emporhob, als sich der Tritt eines Fremden, ein in diesen Hallen so selten gehörter Schall, dem Sessel nahte, auf welchem seine betagte Herrin regungslos saß.
»Ruhig, Thryme,« sagte die ehrwürdige Dame, »und du, Tochter des Hauses Baldringham nähere dich, und fürchte seinen alten Diener nicht.«
Der Hund sank bei diesen Worten wieder in seine vorige ruhende Stellung zurück, und den rothen Glanz seines Auges abgerechnet, hätte man ihn für ein hieroglyphisches, zu den Füßen irgend einer alten Priesterin des Wodan oder der Freya liegendes, Sinnbild halten können; so sehr entsprach das Aussehen Ermengarde's mit ihrem Stab und Epheukranz den Ideen der Heidenzeit. Allein wer sie darnach beurtheilt hätte, würde einer ehrwürdigen christlichen Matrone, die der heiligen Kirche zur Ehre Gottes und des heiligen Dunstan schon manchen Morgen Landes geschenkt hatte, sehr unrecht gethan haben.
Die Art, auf welche Ermengarde Evelinen empfing, stimmte ganz mit ihrer Wohnung und ihrem Aeußern überein. Sie erhob sich nicht sogleich von ihrem Sitze, als das hochgeborene Mädchen sich ihr nahte, und ließ sie nicht einmal zu dem Kusse zu, den Eveline ihr reichen wollte; sondern ihre Hand auf Evelinens Arm legend, drängte sie die Herannahende zurück und durchforschte ihr Gesicht mit ernstem und strengeprüfendem Blick.
»Berwine,« sagte sie, an die begünstigtste der beiden Dienerinnen sich wendend, »das Kinn und die Augen unserer Nichte tragen die sächsische Farbe; allein die Farbe ihrer Augenbraunen und ihres Haares ist von dem Fremdlinge. – Gleichwohl aber bist du in meinem Hause willkommen, Mädchen,« fügte sie, an Evelinen sich wendend, hinzu; »besonders wenn du zu hören vermagst, daß du kein so ganz vollkommenes Geschöpf bist, als die dich umgebenden Schmeichler ohne Zweifel dich zu glauben gelehrt haben.«
Mit diesen Worten erhob sie sich endlich und begrüßte ihre Nichte mit einem Kusse auf die Stirne. Doch ließ sie sie noch nicht zufrieden, sondern richtete jetzt die Aufmerksamkeit, die sie bisher ihrer Gesichtsbildung gewidmet hatte, auf ihre Kleidung.
»Heiliger Dunstan bewahre uns vor Eitelkeit!« rief sie aus, »und das ist also die neue Tracht – und bescheidene Mädchen tragen Tunika's wie diese, die ihre ganze Gestalt so deutlich zeigen, als ob sie (die heilige Maria beschütze uns) ganz unbekleidet wären! Und sieh, Berwine, diese Flitterwaare an ihrem Nacken, – und diesen Nacken selbst, der bis an die Schultern unbedeckt ist. – Dies sind die Moden, welche die Fremdlinge in das fröhliche England gebracht haben! und ich wette darauf, diese Tasche, die einem Taschenspielerbeutel gleicht, hat wenig mit Hauswirthlichkeit zu thun; und auch dieser Dolch da, der an eine Spielmannsfrau erinnert, die vermummt in männlicher Tracht einherreitet – pflegst du in den Krieg zu ziehen, Mädchen, daß du Stahl an deinem Gürtel trägst?«
Eveline, überrascht und gekränkt durch die abschätzige Art, wie die Dame Ermengarde von ihrer Kleidung sprach, beantwortete die letztere Frage nicht ganz ohne Geist. »Die Mode mag sich geändert haben, Madame,« sagte sie; »allein ich trage bloß die Kleidung, die jetzt alle Mädchen meines Alters und Standes tragen. Was den Dolch betrifft, Madam, so ist es noch nicht lange her, daß ich ihn als meine letzte Zuflucht gegen Unehre betrachtete.«
»Das Mädchen spricht gut und kühn, Berwine,« sagte Dame Ermengarde, »und in der That, einige Stücke dieses eiteln Trödelkrams bei Seite gelassen, ist sie recht artig gekleidet. Dein Vater fiel, wie ich höre, als ächter Ritter auf dem Schlachtfelde.«
»Ja, so fiel er,« antwortete Eveline, und ihre Augen füllten sich mit Thränen bei der Erinnerung an den unlängst erlittenen Verlust.
»Ich sah ihn nie,« fuhr Dame Ermengarde fort; »er hegte die alte normännische Verachtung gegen den sächsischen Stamm, mit welchem sie sich bloß verheirathen, um Gewinn aus ihm zu ziehen, wie der Brombeerstrauch sich um die Ulme schlingt; – nein, suche ihn nicht zu rechtfertigen,« fuhr sie fort, als sie bemerkte, daß Eveline im Begriffe stand, den Mund zu öffnen; »ich kannte den normännischen Geist lange ehe du geboren wurdest.«
In diesem Augenblicke trat der Haushofmeister in das Zimmer und fragte, nach einer tiefen Kniebeugung, seine Gebieterin, was sie hinsichtlich der normännischen Krieger, die außerhalb der Wohnung geblieben seien, gethan wissen wolle.
»Normännische Krieger in dem Hause Baldringham!« rief die alte Dame in wildem Tone aus; »wer bringt sie hierher und zu welchem Zwecke?«
»Sie sind, glaube ich,« sagte der Haushofmeister, »gekommen, um dieses huldreiche Fräulein zu beschützen.«
»Was! meine Tochter,« sagte Ermengarde in einem düster verweisenden Tone, »wagst du es nicht, eine Nacht unbewacht in dem Hause deiner Vorfahren zuzubringen?«
»Behüte Gott!« sagte Eveline. »Allein diese Leute gehören nicht mir an, und stehen auch nicht unter meinen Befehlen. Sie gehören zum Gefolge des Constabel von Lacy. Er ließ es zur Bewachung des Schlosses zurück, weil er glaubte, es möchte von Räubern Gefahr drohen.«
»Räuber,« sagte Ermengarde, »haben nie das Haus Baldringham beunruhigt, seit ein normännischer Räuber ihm seinen besten Schatz in der Person deiner Großmutter gestohlen hat. – Und so bist du, armer Vogel, schon gefangen? – Schlimm. Doch es ist dein Loos, und warum sollte ich mich darüber wundern oder ärgern? denn wann gab es ein schönes Mädchen mit einem reichen Brautschatze, das nicht schon vor der Volljährigkeit einem jener kleinen Könige, die uns nichts, nach dem es ihren Leidenschaften gelüsten kann, unser Eigenthum nennen lassen, zur Sklavin bestimmt worden wäre? Gut – ich kann dir nicht helfen – ich bin bloß ein armes und verachtetes Weib, schwach durch Alter und Geschlecht. Und welchem von diesen Lacy's bist du zur Haussklavin bestimmt?«
Eine solche Frage, von einer Person aufgeworfen, deren Vorurtheile einen so entschiedenen Charakter trugen, konnte wohl Evelinen nicht zum Bekenntnisse der wahren Umstände, in denen sie sich befand, vermögen, da es nur zu sehr am Tage lag, daß sie von ihrer sächsischen Verwandten weder vernünftigen Rath, noch nützlichen Beistand zu erwarten habe. Sie erwiederte daher kurz, sie wolle, da die Lacy's und die Normannen ihrer Großtante im Allgemeinen unwillkommen seien, den Befehlshaber der Schutzwache ersuchen, sich mit derselben aus der Nachbarschaft des Hauses Baldringham zu entfernen.
»Nicht so! meine Nichte,« sagte die alte Dame; »da wir einmal der Nachbarschaft der Normannen nicht entgehen oder uns dem Klange ihrer Abendglocke entziehen können, so gilt es gleich, ob sie unsern Mauern etwas näher oder ferner sind, wenn sie sich nur nicht in dieselben hineinwagen. – Und du, Berwine, gebiete dem Hundwolf die Normannen mit Getränk zu überschwemmen und mit Speisen vollzustopfen, – die Speise soll von der besten und das Getränke von dem stärksten sein, damit sie nicht sagen, die Gastfreundschaft der alten sächsischen Hexe sei karg und filzig. Zapft ein Weinfaß an, denn ich wette, ihre zarten Mägen können das Bier nicht vertragen.«
Berwine entfernte sich mit ihrem gewichtigen, klingenden Schlüsselbunde, um die nöthigen Befehle zu ertheilen, und kehrte dann sogleich wieder zurück. Indessen fuhr Ermengarde fort, ihre Nichte näher auszuforschen.
»Willst oder kannst du mir nicht sagen, welchem der Lacy's du als Leibeigene bestimmt bist? – Dem hochmüthigen Constabel, der in eine undurchdringliche Rüstung gehüllt und auf einem raschen und kraftvollen Pferde sitzend, das eben so unverwundbar ist, wie er selbst, sich stolz damit brüstet, daß er die nackten und unberittenen Walliser in vollkommener Sicherheit und nach Muße niederreitet und niederhaut – oder seinem Neffen, dem unbärtigen Damian? oder sind deine Besitzungen dazu bestimmt, eine Lücke in dem Vermögen jenes andern Vetters, des herabgekommenen Verprassers, auszufüllen, der nun seine Habe aus Mangel an Mitteln nicht länger unter den schwelgerischen Kreuzfahrern verschwenden kann?«
»Meine geehrte Tante,« erwiederte Eveline, der natürlich diese Rede mißfiel, »Eure Verwandte wird sich, hoffe ich, weder einem der de Lacys, noch irgend einem andern Manne, sei er sächsischer oder normännischer Abkunft, als Sklavin hingeben. Nicht lange vor dem Tode meines verehrten Vaters wurde zwischen ihm und dem Constabel eine Art von Uebereinkunft geschlossen, und ihretwegen kann ich gegenwärtig seine Bewerbung nicht ganz ablehnen; allein über ihren Erfolg muß das Schicksal entscheiden.«
»Allein meine Nichte, ich kann dir zeigen, wohin sich die Wage des Schicksals neigt,« sagte Ermengarde mit gedämpfter und geheimnißvoller Stimme. »Unsere Blutsverwandten besitzen gewissermaßen das Vorrecht, über die Gränzen der Gegenwart hinauszuschauen und die Dornen oder Blumen, welche einst ihr Haupt umwinden sollen, schon in ihrer Knospe zu sehen.«
»Was mich betrifft, edle Verwandte,« antwortete Eveline, »ich würde ein solches Vorherwissen zurückweisen, selbst wenn ich es erlangen könnte, ohne gegen die Gesetze der Kirche zu sündigen. Hätte ich voraussehen können, was mich in diesen letzten unglücklichen Tagen befallen hat, so hätte ich manchen frohen Augenblick vor dieser Zeit entbehren müssen.«
»Und dennoch, Tochter,« sagte Lady von Baldringham, »mußt du dich, gleich Andern deines Stammes, in diesem Hause dem Gebrauche unterwerfen, eine Nacht in dem Zimmer des rothen Fingers zuzubringen. – Berwine, sorge dafür, daß es zum Empfange meiner Nichte bereitet wird.«
»Ich – ich habe von diesem Zimmer sprechen hören, gnädige Tante,« sagte Eveline in furchtsamem Tone, »und wenn es Eurem Willen nicht zuwider wäre, so würde ich die nächste Nacht nicht daselbst zubringen. Meine Gesundheit hat durch die Gefahren und Mühseligkeiten der letztverflossenen Tage sehr gelitten, und wenn Ihr Euern guten Willen dazu gebt, so will ich auf eine andere Zeit den Gebrauch verschieben, der, wie ich gehört habe, den Töchtern des Hauses Baldringham eigen ist.«
»Und dem Ihr Euch gleichwohl gerne entziehen möchtet,« sagte die alte sächsische Dame, finster die Stirn faltend. »Ist ein solcher Ungehorsam Eurem Hause nicht bereits theuer genug zu stehen gekommen?«
»In der That, geehrte und gnädige Dame,« sagte Berwine, die, so gut sie auch die Hartnäckigkeit ihrer Gebieterin kannte, nicht umhin konnte, sich in die Sache zu mischen. »Jenes Zimmer kann kaum für Lady Eveline zubereitet werden; das edle Fräulein sieht ja so blaß aus, und hat seit Kurzem so viel gelitten, daß es, wenn es mir erlaubt ist, hierin einen Rath zu geben, besser wäre, wenn die Sache aufgeschoben würde.«
»Du bist toll, Berwine,« sagte die alte Dame in verdrießlichem Tone. »Glaubst du, ich wolle dadurch, daß ich diesem Mädchen erlaube, von dannen zu gehen, ohne dem rothen Finger die gebräuchliche Huldigung dargebracht zu haben, Zorn und Unglück über mein Haus bringen? Geh – geh und sorge dafür, daß das Zimmer bereitet wird, – geringe Vorkehrungen sind hinreichend, wenn Eveline nicht, was Bett und Wohnung betrifft, an die Weichlichkeit der Normannen gewöhnt ist. Mache keine Einwendung, sondern thue, was ich dir befehle. Und du Eveline – bist du dem kühnen Geiste deiner Vorfahren so sehr entartet, daß du es nicht wagst, einige Stunden in einem alten Zimmer zuzubringen?«
»Ihr seid meine Wirthin, gnädige Frau,« sagte Eveline, »und müßt mir daher das Zimmer anweisen, das ihr am geeignetsten für mich findet. – Ich besitze so viel Muth, als Unschuld und einiger Stolz auf meine Abkunft und mein Geschlecht mir einzuflößen vermocht haben. Er hat unlängst eine strenge Probe bestehen müssen; allein da Ihr es wollt, und es die Sitte Eures Hauses ist, so ist mein Herz noch stark genug, um das, was Ihr mir auferlegen wollt, zu ertragen.«
Sie schwieg hier unmuthig; denn sie konnte nicht umhin, das Betragen ihrer Tante einigermaßen unsanft und ungastlich zu finden. Und doch, wenn sie über den Ursprung der Legende des ihr angewiesenen Zimmers nachdachte, so mußte sie annehmen, daß die Lady von Baldringham, in Folge der Familiensagen und des Glaubens jener Zeit, dem Eveline selbst anhing, gegründete Ursache zu ihrem Betragen haben müsse.