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Der Sand verrinnt, mit ihm mein Leben.
Hier ist mein Ziel, hier muß ich enden.
Heinrich VI. Akt 1, Scene 4.
Als Raymond Berenger seine Botschaft an den Fürsten von Powys abgeschickt hatte, sah er dem Resultate derselben zwar nicht ohne Argwohn, allein doch ohne Furcht entgegen. Er sandte Boten an seine Vasallen ab, die ihre Lehnsgüter gegen Entrichtung des Kornzinses besaßen, und forderte sie auf, auf ihrer Huth zu sein, damit sie ihm augenblicklich von der Annäherung des Feindes Nachricht geben könnten. Diese Vasallen bewohnten bekanntlich die zahlreichen Thürme, die, gleich Falkennestern, auf den erhabensten Punkten zur Vertheidigung der Gränzen erbaut waren, und hatten die Verpflichtung, die Einfälle der Walliser durch den Klang ihrer Hörner anzuzeigen, der von Stadt zu Stadt, von Posten zu Posten wiederholt das Zeichen zur allgemeinen Vertheidigung gab. Allein, obgleich Raymond diese Vorsichtsmaßregeln in Betracht des wankelmüthigen und veränderlichen Charakters seiner Nachbarn und zur Behauptung seines Rufs als Krieger für nöthig erachtete, so war er doch weit entfernt, die Gefahr für so nahe zu halten; denn obschon die Kriegsrüstungen der Walliser bei dieser Gelegenheit weit bedeutender waren, als gewöhnlich, so wurden sie doch so geheim ausgeführt, als der Beschluß, den Krieg zu beginnen, schnell gefaßt worden war.
Am zweiten Morgen nach dem merkwürdigen Festgelage in Castell-Coch brach das Ungewitter auf der normännischen Gränze los. Ein einziger, langgehaltener und scharfer Hörnerton kündigte die Annäherung des Feindes an; alsbald hörte man dieses Signal zum Aufbruche auf jedem Schlosse und jedem Thurme an den Gränzen von Shropshire wiedertönen; denn jeder Wohnort war damals eine Festung. Auf Felsen und Anhöhen wurden Feuerbrände angezündet, und in den Kirchen und Städten ertönte das Geläute der Glocken; kurz die Aufrufe zu den Waffen waren so dringend und allgemein, daß sie eine Größe der Gefahr verkündeten, die selbst den Bewohnern dieses vielbewegten Landes unbekannt war.
Während dieser allgemeinen Unruhe musterte Raymond Berenger seine nur wenigen, allein tapfern Krieger, und suchte die Stärke und die Bewegungen des Feindes durch alle ihm zu Gebot stehenden Mittel auszukundschaften; endlich bestieg er den Wachtthurm des Schlosses, um in eigener Person die Umgegend zu besichtigen, die bereits an mehreren Orten von dichten, die Fortschritte und die Verheerungen des Feindes bezeichnenden, Rauchwolken verdunkelt war. Bald erschien auch sein Lieblingsknappe vor ihm, den der ungewöhnlich düstere und trübsinnige Blick seines Herrn nicht wenig in Erstaunen setzte; denn früher hatte man, so oft die Stunde der Schlacht erschienen war, seine Augen vor Freude glänzen sehen. Der Knappe hatte den Helm seines Herrn in der Hand, denn Sir Raymond war in voller Rüstung, nur sein Haupt war noch unbedeckt.
»Dennis Morolt,« sagte der alte Krieger, »sind alle unsre Vasallen und Lehnsleute gemustert?«
»Alle, edler Herr, bis auf die Flamänder; diese sind noch nicht in der Burg.«
»Die trägen Hunde, was zögern sie denn?« sagte Raymond. »Man thut übel daran, daß man solche langsame Naturen auf unsre Gränzen verpflanzet. Sie gleichen ihren Stieren, und sind geeigneter einen Pflug zu ziehen, als Dinge zu vollführen, die Muth und Thatkraft erheischen.«
»Mit Eurer Erlaubniß,« sagte Dennis, »die Bursche können gleichwohl gute Dienste leisten. Die Schwertstreiche jenes Wilkin Flammocks sind so kräftig, als die Hammerschläge seiner Walkmühle.«
»Er wird fechten, glaube ich, wenn er nicht mehr anders kann,« sagte Raymond; »allein er hat keinen Magen zu solchen Dingen, und ist so träge und widerspenstig wie ein Maulesel.«
»Und gerade deßwegen passen seine Landsleute zu den Wallisern,« entgegnete Dennis Morolt; »denn ihr fester und unbeugsamer Sinn ist ein gutes Gegengewicht gegen die wilden und tollkühnen Neigungen unserer gefährlichen Nachbarn, gerade wie rastlose Wogen am besten durch unerschütterliche Felsen in ihrem Laufe gehemmt werden; horch! ich höre Wilkin Flammock's Tritte; er steigt die Treppe des Thurmes so bedächtig herauf, als je ein Mönch zur Frühmesse ging.«
Schritt für Schritt kam der schwerfällige Schall immer näher, bis endlich die riesenmäßige Gestalt des wohlbeleibten Flamänders aus der Thurmthüre auf die Plattform trat, wo sich Raymond und sein Knappe befanden. Wilkin Flammock hatte eine glänzende Rüstung an, die mit einer großen, von der Reinlichkeit seiner Nation zeugenden, Sorgfalt geputzt, dabei aber ungewöhnlich schwer und dick und, gegen den Gebrauch der Normänner, ganz einfach, ohne Vergoldung oder irgend eine Verzierung, war. Die Stahlhaube hatte kein Visier und zeigte ein breites Gesicht mit groben und unveränderlichen Zügen, die den eigenthümlichen Charakter seines Gemüths und Geistes deutlich aussprachen. In seiner Hand führte er eine schwere Keule.
»So, Sir Flammock,« sagte der Ritter, »Ihr beeilet Euch, wie es scheint, nicht sehr, auf dem Sammelplatze zu erscheinen.«
»Mit Eurer Erlaubniß,« antwortete der Flamänder, »wir mußten ein wenig zögern, um unsere Wagen mit unsern Tuchballen und anderem Eigenthume zu beladen.«
»Ha! Wagen? – Wie viele Wagen habt Ihr mit Euch gebracht?«
»Sechs, edler Herr,« antwortete Wilkin.
»Und wie viel Mann stark seid Ihr?« fuhr Raymond fort.
»Zwölf Mann stark,« tapfrer Ritter, antwortete Flammock.
»Auf je zwei Mann also kommt ein Wagen? Ich wundere mich, daß Ihr Euch mit so vielem Gepäcke habt belästigen mögen,« sagte Berenger.
»Noch einmal mit Eurer Erlaubniß,« erwiederte Wilkin, »nur der Werth, den ich und meine Kameraden auf unser Eigenthum setzen, ist es ja, der uns geneigt macht, dasselbe mit unserm Blute zu vertheidigen; und hätten wir unser Tuch den raubsüchtigen Krallen jener Landstreicher überlassen müssen, so würde ich es für höchst unklug halten, hier zu verweilen, um ihnen Gelegenheit zu geben, zu dem Raube auch noch den Mord hinzuzufügen. Gloucester würde mein erster Ruhepunkt gewesen sein.«
Der normännische Ritter blickte den flamändischen Handwerker, denn ein solcher war Wilkin Flammock, mit einem Erstaunen und einer Verachtung an, die dem Zorne keinen Raum ließen. »Ich habe schon Manches erfahren und gehört, allein dieß ist das erste Mal, daß ich einen Mann mit einem Barte auf der Lippe sich selbst eine feige Memme schelten höre.«
»Dieß hört Ihr auch gegenwärtig nicht,« entgegnete Flammock, mit der größten Kaltblütigkeit. – »Ich bin stets bereit, für mein Leben und Eigenthum zu fechten; und daß ich in dieses Land gekommen bin, wo beides in steter Gefahr schwebt, das muß Euch beweisen, daß es mir gleich gilt, wie oft ich das Schwert ergreifen muß. Allein bei allem dem ist ein unversehrtes Fell doch immer besser als ein zerfetztes.«
»Gut,« sagte Raymond Berenger, »kämpfe nach deiner eigenen Art, wenn du mir mit deinem langen Körper wacker kämpfst. Wir werden es bald nöthig haben, Alles zu thun, was in unsern Kräften steht. – Saht Ihr schon einige jener walliser Schurken? Ist Gwenwyns Banner unter ihnen?«
»Ja, ich sah es mit seinem weißen Drachen flattern,« erwiederte Wilkin. »Ich muß es wohl kennen, da es ja an meinem eigenen Webestuhl verfertigt worden ist.«
Raymond vernahm diese Nachricht mit so ernster Miene, daß Dennis Morolt, der nicht haben wollte, daß der Flamänder dieß bemerken sollte, für nöthig hielt, dessen Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu lenken.
»Ich kann Euch sagen,« sagte er zu Flammock, »daß wenn der Constabel von Chester mit seinen Lanzen zu uns stößt, Ihr Eure Arbeit, den Drachen, weit schneller heimwärts fliegen sehen werdet, als je das Schifflein flog, mit welchem sie gewoben wurde.«
»Dennis Morolt,« sagte Berenger, »der Drache muß fliegen, ehe der Constabel kommt, sonst wird er triumphirend über unsere Leichname fliegen.«
»Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau,« rief Dennis aus, »was wollt Ihr damit sagen, Herr Ritter? – Doch nicht, daß wir mit den Wallisern fechten sollen, ehe der Constabel zu uns stößt?« Er hielt hier inne und fuhr dann den festen jedoch melancholischen Blick, womit sein Gebieter die Frage beantwortete, wohlverstehend in einem noch ernsteren Tone also fort: »Nein! dieß könnt Ihr nicht damit meinen, Ihr könnt nicht verlangen, daß wir dieses Schloß, das wir so oft gegen die Walliser vertheidigt haben, verlassen, und mit 200 Mann gegen Tausende in offenem Felde kämpfen sollen. Bedenkt Euch besser, mein geliebter Herr, und beflecket nicht in Euren alten Tagen durch eine übereilte That den Ruf der Weisheit und der Kriegskunst, den Ihr Euch in Eurem früheren Leben so glorreich errungen habt.«
»Ich bin dir nicht gram, Dennis,« antwortete der Normann, »daß du meinen Vorsatz tadelst; denn ich bin überzeugt, daß du dieß aus Liebe zu mir und den Meinigen thust. Aber Dennis Morolt, die Sache muß also sein, wir müssen innerhalb drei Stunden mit den Wallisern kämpfen, oder der Name Raymond Berenger ist aus der Genealogie seines Hauses ausgestrichen.«
»Ja wir wollen mit ihnen fechten, mein edler Herr,« sagte der Knappe; »fürchte keinen kalten Rath von Dennis Morolt, wo das Schwert gehandhabt werden soll. Allein wir wollen unter den Mauern des Schlosses mit ihnen fechten und den ehrlichen Wilkin Flammock mit seinen Bogenschützen auf dem Walle lassen, damit er unsere Flanken beschützen und uns einiges Gegengewicht gegen die Uebermacht der Feinde gewähren kann.«
»Nicht so, Dennis,« antwortete sein Herr, »auf offenem Felde müssen wir mit ihnen fechten, oder dein Herr wird zu einem meineidigen Ritter. Wisse, als ich jenen verschmitzten Wilden in meiner Halle an den Weihnachten bewirthete, und der Becher am schnellsten kreiste, sagte Gwenwyn etwas zum Lobe der Festigkeit meiner Burg, und gab mir zu verstehen, daß sie allein mich in früheren Kriegen vor einer Niederlage oder der Gefangenschaft bewahrt habe. Ich antwortete, wo es vielleicht besser gewesen wäre, ich hätte geschwiegen; denn wozu hat mir nun mein eitles Prahlen genützt, als daß ich mich nunmehr zu einer fast wahnsinnigen Handlung verpflichtet sehe. Wenn, sagte ich, je wieder ein Cymrischer Fürst als Feind vor Garde doloureuse erscheint, so mag er seine Standarte in jener Ebene bei der Brücke aufpflanzen, und bei dem Worte eines guten Rittermanns und dem Glauben eines Christen, Raymond Berenger wird so freudig gegen ihn ausziehen, mag sein Heer groß oder klein sein, als je irgend Einer gegen die Walliser ausgezogen ist.«
Sprachlos und von Schrecken übermannt, stand Dennis da, als er ein so übereiltes und unheilvolles Versprechen vernahm; allein er besaß nicht die Casuistik, die seinen Herrn der Fesseln hätte entbinden können, die ihm der unbesonnene Trotz auf seine Kraft angelegt hatte. Nicht so war es mit Wilkin Flammock. Er staunte, ja er lachte beinahe, der Ehrfurcht, die er dem Burgherrn schuldig war, und seiner wenigen Anlagen zum Lachen ungeachtet, »und ist dieß Alles,« sagte er. »Wenn Euer Gnaden sich durch ein Pfand verpflichtet hätten, einem Juden oder einem Lombarden 100 fl. zu zahlen, dann ohne Zweifel müßtet Ihr Euch genau an den bestimmten Tag halten, oder Euer Pfand wäre verloren, aber sicherlich ist ein Tag so gut als der andere, um einen gelobten Kampf zu fechten, und der Tag ist der beste, an welchem der Zusager der Stärkere ist. Und zudem, was bedeutet ein bei der Weinflasche gegebenes Versprechen?«
»Es bedeutet soviel, als ein an jedem andern Orte geleistetes Versprechen,« sagte Berenger. »Der, welcher das Versprechen gegeben hat, entgeht der Sünde des Treubruchs deßwegen nicht, weil er ein betrunkener Prahler gewesen ist.«
»Was die Sünde betrifft,« sagte Dennis, »so bin ich versichert, daß ehe ihr eine so unheilbringende That begeht, der Abt von Glastonbury Euch für einen Gulden willig Absolution ertheilt.«
»Aber was wird wohl die Schande auszulöschen vermögen?« fragte Berenger. »Wie könnte ich es wagen, wieder in dem Kreise der Ritter zu erscheinen, wenn ich mein gegebenes Ritterwort aus Furcht vor einem Walliser und seinen nackten Wilden gebrochen hätte? Nein, Dennis Morolt, nichts mehr hievon. Mag Glück oder Unglück daraus entstehen, wir fechten heute mit ihnen und zwar dort auf jenem offenen Felde.«
»Vielleicht,« sagte Flammock, »hat Gwenwyn das Versprechen vergessen; denn, so viel ich weiß, haben Eure fränkischen Weine damals sein walliser Gehirn gewaltig überströmt.«
»Er spielte den folgenden Tag wieder darauf an,« sagte der Schloßherr; »glaubet mir, er vergißt eine Sache nicht, die ihm eine so günstige Gelegenheit darbietet, mich für immer aus dem Wege zu räumen.« Indem er dieß sprach, bemerkten sie, daß die dicken Staubwolken, welche man längst auf verschiedenen Punkten der Umgegend bemerkt hatte, sich gegen das jenseitige Ufer des Flusses hinzogen, über welchen eine alte Brücke bis zu dem bestimmten Kampfplatze führte. Leicht erriethen sie die Ursache dieser Bewegung. Es lag am Tage, daß Gwenwyn die verschiedenen Haufen, welche partielle Verheerungen angerichtet hatten, zusammenzog, und mit seiner ganzen Macht gegen die Brücke und nach dem jenseitigen Blachfeld anrückte.
»Laßt uns hinabeilen, und den Paß besetzen,« rief Dennis Morolt, »wir können mit einiger Gleichheit mit ihnen kämpfen, wenn wir die Brücke vertheidigen. Euer Wort verpflichtet Euch, die Ebene zum Schlachtfelde zu wählen, aber es verpflichtet Euch nicht, so große Vortheile, als die Besetzung der Brücke Euch gewähren kann, hintanzusetzen; unsere Leute und Pferde stehen in Bereitschaft – unsere Bogenschützen mögen die Ufer besetzen, und freudig setze ich mein Leben daran.«
»Als ich dem Walliser versprach, mit ihm in jenem Felde zusammenzutreffen,« entgegnete Raymond Berenger, »so war es meine Meinung, ihm hinsichtlich des Terrains gleiche Vortheile einzuräumen. So meinte ich es, so hat er es auch verstanden; und was hilft es, wenn ich mein Wort buchstäblich erfülle, es aber dem Sinne nach breche? Wir gehen nicht von der Stelle, bis der letzte Walliser die Brücke überschritten hat; und dann –«
»Und dann,« fiel Dennis ein, »gehen wir in den Tod? möge uns Gott unsere Sünden vergeben; aber –«
»Aber was?« sagte Berenger, »es liegt dir noch Etwas auf dem Herzen, das sich Luft machen muß.«
»Meine junge Gebieterin,« sagte Dennis, »Eure Tochter, die Lady Eveline –«
»Ich habe ihr gesagt, was geschehen soll. Sie wird in dem Schlosse bleiben, wo ich einige auserwählte Veteranen unter deinen Befehlen, Dennis, zurücklassen will. In 24 Stunden werdet ihr Ersatz erhalten, und wir haben ja die Burg schon mehrmals mit geringerer Besatzung und noch länger vertheidigt. Dann soll sie zu ihrer Tante, der Aebtissin der Benediktinerinnen gehen. – Du Dennis, wirst sie in Sicherheit und Ehren dorthin geleiten, und meine Schwester wird für ihre Zukunft sorgen, wie ihre Weisheit es am angemessensten finden wird.«
»Ich sollte Euch in dieser Noth verlassen?« sagte Dennis Morolt, mit Thränen in den Augen. – »Ich sollte mich hinter Mauern verbergen, wenn mein Herr zum Letztenmale in den Kampf zieht? – ich sollte der Knappe einer Dame werden, und sei es auch der Lady Eveline, wenn er todt unter seinem Schilde liegt? – Raymond Berenger, habe ich dir deßwegen so oft die Rüstung angeschnallt?«
Den Augen des alten Kriegers entströmte eine Thränenfluth gleich der, welche ein Mädchen vergießt, das um ihren Geliebten weint. Ihn freundlich bei der Hand nehmend, sagte Berenger in liebevollem Tone zu ihm: »Glaube nicht, mein guter alter Diener, daß ich dich von meiner Seite stoßen würde, wenn Ehre zu gewinnen wäre. Allein es handelt sich dießmal von einem wilden und kühnen Wagstücke, zu dem mich mein Schicksal oder meine Thorheit treibt. Ich sterbe, um meinen Namen vor Unehre und Schande zu bewahren, aber ach, der Vorwurf der Unbesonnenheit wird stets mein Andenken beflecken.«
»Laßt mich an Eurer Unbesonnenheit Antheil nehmen,« sagte Dennis Morolt in ernstem Tone; »der arme Knappe will nicht weiser sein, als sein Herr. Schon in mancher Schlacht erndtete ich einigen Ruhm des geringen Antheils wegen, den ich an Euren herrlichen Waffenthaten hatte – verweigert mir nicht das Recht, den Tadel zu theilen, der Eure Unbesonnenheit treffen wird, damit man nicht sagen möge, so übereilt war seine That, daß es selbst seinem alten Knappen nicht gestattet war, Theil an ihr zu nehmen. Ich bin ein Theil von Eurem Selbst – Ihr begeht einen Mord an jedem Manne, den Ihr mit Euch nehmet, wenn Ihr mich zurücklaßt.«
»Dennis,« sagte Berenger, »Ihr vergrößert den Schmerz, den mir die Thorheit verursacht, die ich begangen habe. Ich würde gern in Euer Verlangen willigen, so thöricht es auch ist; – aber meine Tochter –«
»Herr Ritter,« sagte der Flamänder, der diesem Zweigespräche mit etwas geringerer Apathie, als er sonst gewohnt war, zugehört hatte: »ich habe nicht im Sinne, heute das Schloß zu verlassen; wie, wenn Ihr Euch auf meine Treue verlassen, und mich zum Schutze meiner Gebieterin Eveline thun lassen wolltet, was ein ehrlicher Mann – –«
»Wie, Kerl,« sagte Raymond, »Ihr habt nicht im Sinne, das Schloß zu verlassen? Wer gibt Euch das Recht, hierin nach Eurer Willkühr zu handeln?«
»Es würde mir sehr leid thun, wenn ich mich mit Euch in einen Wortwechsel einlassen müßte, Herr Schloßherr,« sagte der unerschütterliche Flamänder; – »aber ich habe hier in dieser Gegend gewisse Mühlen, Aecker u. s. w., für welche ich verbunden bin, zur Vertheidigung dieses Schlosses mitzuwirken, und das bin ich auch zu thun bereit. Aber wenn Ihr mich auffordert, dieses Schloß ohne Vertheidigung zu lassen und von dannen zu gehen, um mein Leben in einer Schlacht auf's Spiel zu setzen, die Ihr selbst für verzweifelt haltet, so muß ich frei erklären, daß meine Lehnspflicht mich nicht hierzu verpflichtet.«
»Schmutziger Handwerker!« sagte Morolt, den Dolch gegen den Flamänder zuckend.
Allein Raymond Berenger schlug sich in's Mittel. – »Füge ihm kein Leid zu,« sagte er, »und schilt ihn nicht. Er glaubt, nach seiner Pflicht zu handeln, obschon er nicht einerlei Ansicht mit uns über das Wesen dieser Pflicht hat; und er und seine Ritter werden am besten hinter steinernen Mauern fechten. Diese Flamänder haben in ihrem Vaterlande gelernt, wie befestigte Städte und Burgen gehörig vertheidigt und angegriffen werden, und besonders wissen sie mit der Steinschleuder und den Kriegsmaschinen wohl umzugehen. Noch außer seinen Begleitern sind mehrere seiner Landsleute in der Burg. Sie mögen hier bleiben, und ich glaube sie werden ihm lieber gehorchen, als jedem Andern, dich ausgenommen. – Was sagst du dazu? Ich weiß, du willst nicht aus falschem Ehrgeize oder aus blinder Liebe zu mir diesen wichtigen Platz und Evelinens Sicherheit in zweifelhafte Hände geben.«
»Wilkin Flammock ist nur ein flamändischer Bauer, edler Herr,« antwortete Dennis höchst entzückt; »aber ich muß gestehen, er ist so bieder und treu, als irgend Einer, dem Ihr Euer Vertrauen schenken möchtet, und zudem wird sein eigener Verstand ihm sagen, daß es räthlicher ist, eine solche Burg zu vertheidigen, als sie Fremden zu überlassen, die eben nicht sehr geneigt sein möchten, die von ihnen angebotenen Bedingungen der Uebergabe zu erfüllen.«
»So soll es denn so sein,« sagte Raymond Berenger, »du sollst mit mir gehen, Dennis, und er soll hier bleiben. – Wilkin Flammock,« sagte er, den Flamänder in einem feierlichen Tone anredend, »ich rede nicht mit dir die Sprache der Ritterlichkeit, von der du nichts verstehst; aber da du ein ehrlicher Mann und ein wahrer Christ bist, so beschwöre ich dich, dieses Schloß standhaft zu vertheidigen. Laß dich durch kein Versprechen des Feindes zu einem entehrenden Vergleiche – durch keine Drohung zur Uebergabe bewegen. Unverzüglich werdet ihr Entsatz erhalten; handelt ihr treu gegen mich und meine Tochter, so wird Euch Hugo von Lacy reichlich belohnen; wo aber nicht, so wartet Eurer strenge Strafe.«
»Herr Ritter,« sagte Flammock, »es freut mich, daß Ihr in einen schlichten Handwerker ein so großes Vertrauen setzet. Was die Walliser betrifft, so bin ich aus einem Lande gekommen, wo wir Jahr aus und Jahr ein gezwungen waren, mit der See zu kämpfen; und diejenigen, welche sich nicht scheuen, mit sturmbewegten Wogen zu kämpfen, brauchen die Wuth eines undisciplinirten Volkes nicht zu fürchten. Eure Tochter wird mir so theuer sein, als meine eigene, und in diesem Glauben mögt Ihr ausziehen, – wenn Ihr nicht als klügerer Mann handeln, und die Thore verschließen, die Fallgatter herab-, und die Zugbrücken aufziehen, Eure Bogenschützen sowie meine Armbrustschützen die Mauern besetzen lassen und jenen Schurken zeigen wollt, daß Ihr nicht der Narr seid, für den sie Euch halten.«
»Guter Bursche,« sagte der Ritter, »das kann nicht sein. Ich höre die Stimme meiner Tochter,« setzte er hastig hinzu, »ich möchte nicht mehr mit ihr zusammentreffen, um mich nicht noch einmal von ihr trennen zu müssen. Des Himmels Schutze empfehle ich dich, ehrlicher Flamänder. – Folge mir, Dennis Morolt!«
Der alte Schloßherr stieg in aller Eile auf der südlichen Seite vom Thurme hinab, während Eveline auf der östlichen Seite hinaufstieg, um sich ihrem Vater zu Füßen zu werfen. Sie war begleitet vom Vater Aldrovand, dem Kaplan ihres Vaters; ferner von einem alten gebrechlichen Jäger, dessen vormalige thätigere Dienste im Krieg und auf der Jagd sich seit einiger Zeit hauptsächlich auf die Oberaufsicht über die Hunde seines Herrn beschränkten, und endlich von Rosa Flammock, der Tochter Wilkin's, einem blauäugigen, runden und wohlbeleibten flamändischen Mädchen, das so scheu wie ein Rebhuhn war, und der man seit einiger Zeit gestattet hatte, der hochgebornen normännischen Dame in einer Eigenschaft, die zwischen der einer demüthigen Freundin und der einer obern Dienerin zweifelhaft hin und her schwankte, Gesellschaft zu leisten.
Mit fliegenden Haaren und in Thränen gebadeten Augen stürzte Eveline auf die Zinnen und fragte den Flamänder, wo ihr Vater sei? Flammock machte eine plumpe Verbeugung, und suchte ihr eine Antwort zu geben, allein seine Stimme stockte. Er kehrte ohne alles Weitere Evelinen den Rücken, und die ängstlichen Nachfragen des Jägers und des Kaplans nicht im mindesten beachtend, sagte er eiligst zu seiner Tochter in seiner Landessprache: »Unsinn! Unsinn! Sieh' nach dem armen Mädchen, Röschen, – der alte Herr ist verrückt. Im Originale stehen diese Worte in deutscher Sprache.«
Ohne weiter zu sprechen, stieg er die Treppe hinab, und machte nicht eher Halt, als bis er das Speisegewölbe erreicht hatte. Hier schrie er gleich einem Löwen nach dem Beherrscher dieser Regionen, ihm die verschiedenen Namen Kämmerer, Kellermeister und so weiter beilegend. Der alte Reinold, ein normännischer Knappe, antwortete nichts, bis der Niederländer so glücklich war, sich an seinen englischen Namen Mundschenk ( butler) zu erinnern. Dieser ordnungsmäßige Name seines Amtes war der Schlüssel, der ihm die Thüre der Kellerei öffnete; denn alsbald erschien der alte Mann mit seinem grauen Leibrocke, seinen hochaufgezogenen Strümpfen, und einem gewichtigen Schlüsselbunde, der vermöge einer silbernen Kette an seinem breiten ledernen Gürtel hing, und dem er, in Betracht der bedrängten Zeiten, auf der linken Seite durch einen ungeheuren Pallasch, der viel zu schwer für seine altersschwachen Arme zu sein schien, ein Gegengewicht gegeben hatte.
»Was ist Euer Begehr, Master Flammock?« sagte er, »oder vielmehr, was befehlt Ihr, da mein Gebieter gewollt hat, daß Euer Wille mir eine Zeitlang Gesetz sein soll?«
»Bloß einen Schluck Wein, guter Herr Kellermeister – Mundschenk, wollte ich sagen.«
»Ich freue mich, daß Ihr Euch an meinen wahren Amtsnamen erinnert,« sagte Reinold, nicht ohne etwas von der kleinlichten Empfindlichkeit eines verwöhnten Dieners, der es nicht ganz nach der Ordnung findet, daß man einen Fremden über ihn gesetzt hat, dabei an den Tag zu legen.
»Eine Flasche Rheinwein, wenn Ihr mir einen Gefallen erweisen wollt,« fiel der Flamänder ein, »denn mein Herz ist niedergeschlagen und matt; ich muß von dem Besten haben.«
»Und trinken sollet Ihr auch, wenn der Wein Euch den Muth geben kann, an dem es Euch vielleicht mangelt.« – Er stieg hierauf zu den geheimen Gewölben, deren Hüter er war, hinab, und kehrte mit einer silbernen Flasche zurück, welche ungefähr ein Quart enthalten mochte. »Hier ist Wein«, sagte Reinold, »wie du selten gekostet hast,« und schickte sich an, ihn in einen Becher zu gießen.
»Nicht so, nicht so! Freund Reinold, die Flasche, die Flasche! Ich liebe einen tiefen und feierlichen Zug, wenn die Angelegenheit wichtig ist,« sagte Wilkin. Er ergriff daher die Flasche, und nachdem er einen vorläufigen Schluck genommen hatte, hielt er inne, gleichsam als ob er die Kraft und die Schmackhaftigkeit des edeln Getränks untersuchen wollte. Offenbar war er mit beidem zufrieden; denn er nickte dem Kellner beifällig zu, und die Flasche noch einmal an den Mund nehmend, brachte er langsam und allmählig den Boden des Gefäßes in eine parallele Richtung mit der Decke des Zimmers, ohne einen Tropfen von dem, was es enthielt, entwischen zu lassen.
»Das hat Kraft, Herr Kellermeister,« sagte er, in Folge der langen Unterbrechung des Respirationsgeschäftes zu wiederholten Malen tief aufathmend; »allein der Himmel verzeihe es Euch, daß Ihr glaubt, das Getränk sei das Beste, was ich je gekostet habe. Wie wenig kennt Ihr die Keller von Gent und Ypern.«
»Auch kümmere ich mich nichts um sie,« sagte Reinold; »Leute, in deren Adern das edle normännische Blut fließt, halten die Weine Gascogne's und Frankreichs für edel, leicht und herzstärkend, und ziehen sie bei weitem den sauern Produkten des Rheins und des Neckars vor.«
»Das ist Geschmackssache,« sagte der Flamänder; »doch, habt Ihr viel von diesem Wein im Keller?«
»Ich glaube; doch er hat ja so eben Eurem leckern Gaumen nicht behagt,« erwiederte Reinold.
»Nicht so, nicht so, mein Freund,« sagte Wilkin; »ich sagte, er habe Kraft; – ich mag schon bessern getrunken haben; allein dieser ist recht gut, wo man keinen bessern hat. Noch einmal, wie viel habt Ihr von ihm?«
»Das ganze Faß,« antwortete der Kellner; »denn ich habe ein frisches Faß für Euch angezapft.«
»Gut,« erwiederte Flammock. »Nehmt ein christliches Quartmaaß, laßt das Faß in dieses Speisegewölbe heraufschaffen, und wartet einem jeden Krieger auf der Burg mit einem Becher, wie ich einen geleert habe, auf. Ich fühle, er hat mir sehr wohl gethan. – Es wurde mir schwach um's Herz, als ich die schwarzen Rauchsäulen dort aus meinen Walkmühlen aufsteigen sah. Gebt jedem Manne ein volles Quart. Schlösser vertheidigt man nicht mit dünnem Getränk.«
»Ich muß thun, was Ihr haben wollt, guter Wilkin Flammock,« sagte der Kellermeister; »allein ich bitte Euch, bedenket doch, daß nicht alle Leute einander gleich sind. Was Eure flamändischen Herzen bloß erwärmt, zündet ein wildes Feuer in einem normännischen Gehirn an, und was Eure Landsleute nur zur Vertheidigung der Mauern ermuthigt, wird machen, daß die Unserigen über die Zinnen hinüber fliegen.«
»Gut, Ihr kennet die Gemüthsart Eurer Landsleute am Besten, gebt ihnen was, und so viel Ihr wollt – nur laßt jeden Flamänder ein volles Quart Rheinwein haben; allein was wollt Ihr den englischen Flegeln geben, von denen ein guter Theil hier gelassen worden ist?«
Der alte Mundschenk schwieg und rieb sich bedächtig die Stirne. »Das wird eine schwere Menge Wein kosten,« sagte er endlich; »und doch kann ich nicht läugnen, daß die Noth der Zeit die Verschwendung rechtfertigt. Was die Engländer betrifft, so sind sie, wie Ihr wißt, ein gemischtes Geschlecht; sie haben viel von eurer deutschen Schwerfälligkeit, und eine reichliche Fülle von dem heißen Blute jener walliser Furien. Leichte Weine regen sie nicht auf: starkes und hitziges Getränk würde sie toll machen. Was sagt ihr zum Ale, einem stärkenden und belebenden Getränke, das das Herz erwärmt, ohne das Gehirn zu entzünden?«
»Ale!« rief der Flamänder aus. »Hm! Ist Euer Ale stark, Herr Mundschenk? ist es Doppel-Ale?«
»Zweifelt Ihr an meiner Geschicklichkeit?« fragte der Kellermeister. »Die Monate März und October sind seit 30 Jahren bei ihrer jedesmaligen Rückkehr Zeugen gewesen, daß ich mit der besten Gerste in Shropshire umzugehen verstehe. Ihr sollt selbst urtheilen.«
Er füllte nun aus einem großen Oxhoft Maaß von 3 Eimern oder 36 Gallonen., das in einer Ecke des Gewölbes stand, die Flasche, welche der Flamänder so eben geleert hatte, und die nicht sobald gefüllt war, als sie Wilkin auch schon wieder bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken hatte.
»Gute Waare, Herr Mundschenk, stark aufregende Waare!« rief er aus. »Die englischen Kerls werden wie Teufel fechten, wenn sie sie gesoffen haben. So gebt ihnen denn reichliches Ale zu ihrem Rindfleische und schwarzen Brode, und da ich Euch nun, Herr Reinold, mit Eurer Pflicht bekannt gemacht habe, so ist es Zeit, daß ich auch an die meinige denke.«
Wilkin Flammock verließ das Gewölbe, und in Miene und Geisteskraft unerschüttert durch das starke Getränke, das er so eben zu sich genommen hatte, so wie durch die mannigfaltigen Gerüchte, die ihm hinsichtlich der Vorfälle außerhalb der Thore zu Ohren gekommen waren, machte er die Runde der Burg und ihrer Außenwerke, musterte die kleine Garnison, und wies einem Jeden seinen Posten an. Seinen eigenen Landsleuten überließ er das Amt der Bogenschützen, und die Handhabung der Kriegsmaschinen, welche die stolzen Normannen erfunden hatten. Die unwissenden Engländer, oder, eigentlicher gesprochen, die Angelsachsen jener Zeit, verstanden sich nichts auf die letztern; allein Wilkins gewandtere Landsleute handhabten sie mit großer Geschicklichkeit. Die Eifersucht, welche sowohl die Normannen als die Engländer darüber empfunden hatten, daß ein Flamänder zu ihrem einstweiligen Befehlshaber ernannt worden war, wich allmählig der militärischen und mechanischen Geschicklichkeit, die er entwickelte, so wie dem Bewußtsein der Gefahr, die jeden Augenblick drohender wurde.