Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als ihr von Feinden rings umtobet,
Mit kräft'gem Arm das Banner hobet,
Auf eurer Herrin Ruf,
War's ihre wundervolle Macht,
Die selbst den feigsten Sohn der Schlacht
Zum kühnen Helden schuf.
William Stewart Rose.
Kaum war die Morgensonne am östlichen Horizonte emporgestiegen, so begann Eveline Berenger, dem Rathe ihres Beichtvaters folgend, die Runde auf den Mauern und Zinnen der belagerten Burg, um durch ihre persönlichen Aufmunterungen den Muth des Tapfern zu bestärken, und den Zaghaftern mit Hoffnung und Thatkraft zu erfüllen. Sie trug einen reichen Halsschmuck und Armbänder – Zierden, welche ihren Rang und ihre hohe Abkunft verkündeten; ihre Tunika war, nach der Sitte der damaligen Zeit, um ihren schlanken Leib vermöge eines Gürtels geschlungen, der mit den kostbarsten Edelsteinen prangte, und durch eine große goldene Schnalle befestigt war. Auf der einen Seite des Gürtels hing ein Beutel oder eine Tasche, die mit der prächtigsten Stickerei geziert war, und auf der linken Seite war ein kleiner, ausgezeichnet schön gearbeiteter Dolch befestigt. Ein Mantel von dunkler Farbe, als Sinnbild ihres umwölkten Schicksals gewählt, umfloß sie in lockern Falten, und ihre Kopfbedeckung umschattete, aber verhüllte nicht, ihre reizenden Gesichtszüge. Ihre Blicke hatten den erhabenen und begeisterten Ausdruck verloren, den ihnen die geglaubte Offenbarung verliehen hatte; allein sie sprachen immer noch einen milden Kummer und eine feste Entschlossenheit aus. In ihrer Anrede an die Soldaten einigte sie Bitten mit Befehlen, indem sie sich bald ganz ihrem Schutze anheimstellte, bald ihre Hülfe als den schuldigen Tribut ihrer Lehnspflicht in Anspruch nahm.
Gemäß den Regeln der Kriegskunst war die Besatzung in verschiedene Haufen auf den Punkten getheilt, die den feindlichen Angriffen am meisten ausgesetzt waren, oder von welchen aus dem angreifenden Feinde am besten beizukommen war. Gerade diese unvermeidliche Zersplitterung ihrer Macht in kleine Abtheilungen war es aber, die die große Ausdehnung der Mauern, verglichen mit der Anzahl ihrer Vertheidiger, in einem so traurigen Lichte erscheinen ließ; denn obschon Wilkin Flammock verschiedene Mittel ersonnen hatte, um dem Feinde diesen Mangel an Macht zu verbergen, so konnte er doch die Vertheidiger der Veste nicht darüber täuschen. Diese warfen melancholische Blicke auf die weitausgedehnten Zinnen, die bloß durch Schildwachen besetzt waren, und wandten sodann das umwölkte Auge auf das unheilvolle Schlachtfeld, das mit den entseelten Leibern derer bedeckt war, die in dieser Stunde der Gefahr ihre Gefährten hätten sein sollen.
Evelinens Gegenwart trug viel dazu bei, die Besatzung aus diesem Zustande der Entmuthigung zu reißen. Sie schwebte von Posten zu Posten, von Thurm zu Thurm der alten Veste, wie ein Lichtstrahl, der über eine umwölkte Landschaft hingleitet, und ihre verschiedenen Punkte nach und nach berührend, ihre Schönheit und Bedeutsamkeit hervortreten läßt.
Furcht und Kummer machen Leidende manchmal beredt. Eveline redete mit jeder der verschiedenen Völkerschaften, aus denen die Besatzung bestand, die Sprache, die sich am meisten für sie eignete. Mit den Engländern sprach sie als mit Eingeborenen des Landes – mit den Flamändern als mit Leuten, die durch das Gastrecht zu Eingebürgerten geworden seien – mit den Normännern, als mit den Abkömmlingen jenes Heldengeschlechts, dessen Schwert es zu Herren jedes Landes, wo seine Schärfe erprobt worden sei, gemacht habe. Mit ihnen redete sie die Sprache der Ritterlichkeit, nach deren Gesetzen der Niedrigste dieser Nation seine Handlungen regelte, oder wenigstens zu regeln vorgab. Die Engländer erinnerte sie an ihre Treue und Redlichkeit; und mit den Flamändern sprach sie von der Zerstörung ihres durch ehrlichen Fleiß erworbenen Eigenthums. Alle forderte sie auf, den Tod ihres Anführers und seiner Waffengefährten zu rächen. – Allen empfahl sie Vertrauen auf Gott und unsere Frau von Garde doloureuse; ja sie versicherte Alle, daß bereits ein starkes und siegreiches Heer zu ihrem Entsatz herbeirücke.
»Wird es wohl den tapfern Rittern des Kreuzes in den Sinn kommen, ihr Geburtsland zu verlassen, so lange das Angstgeschrei der Weiber und Waisen noch in ihren Ohren ertönt? – Dadurch würden sie ihre frommen Vorsätze in Todsünde verwandeln, und den hohen Ruhm, den sie sich so glorreich errungen haben, schänden. Ja – fechtet nur tapfer, und vielleicht, ehe die Sonne, die jetzt langsam am Horizonte emporsteigt, in das Meer hinabsinkt, werdet ihr sie die Schlachtreihen der Krieger von Shrewsbury und Chester beleuchten sehen. Wann verweilte der Walliser jemals, um den Klang ihrer Trompeten oder das Rauschen ihrer seidenen Banner zu vernehmen? Kämpfet tapfer, kämpft nur eine Weile tapfer – unsere Burg ist fest – unsere Munition mehr als hinreichend – Eure Herzen sind stark – Eure Arme mächtig – Gott ist uns nah und unsere Freunde sind nicht fern von uns. So fechtet denn im Namen alles dessen, was gut und heilig ist – fechtet für euch selbst, für eure Weiber, eure Kinder und für euer Eigenthum – und ach! fechtet für ein verwaistes Mädchen, das keine andern Vertheidiger hat, als die, welche ihr die Theilnahme an ihrem Schmerze und das Andenken an ihren Vater unter euch erweckt!«
Solche Reden machten einen mächtigen Eindruck auf Leute, die längst schon durch die Macht der Gewohnheit, sowie durch ihre Gemüthsart, gegen jede Gefahr unempfindlich waren. – Die ritterlichen Normannen schwuren bei dem Kreuze ihrer Schwerter, sie wollen lieber bis auf den letzten Mann sterben, als ihre Posten verlassen – die plumpern Angelsachsen schrien: »Schande über den, der ein solches Lamm, wie Eveline, einem walliser Wolf überläßt, wenn er ihr durch seinen Körper ein Bollwerk bereiten kann!« – Selbst in die kalten Flamänder fuhr ein Strahl der Begeisterung, welche die Andern beseelte. Sie flüsterten einander Lobsprüche, die Schönheit der Jungfrau betreffend, zu, so wie kurze aber ernste Entschlüsse, zu ihrer Beschützung Alles aufzubieten.
Rosa Flammock, die ihre Gebieterin mit einigen Dienerinnen auf ihrer Runde um die Burg begleitete, schien aus dem aufgeregten Zustande, in den sie, durch den am vorigen Abende gegen die Ehrlichkeit ihres Vaters gehegten Verdacht gerathen war, wieder ihre natürliche Gemüthsstimmung, – in die eines scheuen und furchtsamen Mädchens – zurückgesunken zu sein. Sie trippelte dicht, aber ehrfurchtsvoll, hinter Evelinen her, und horchte auf alle ihre Worte mit der Ehrfurcht und Bewunderung eines Kindes, das einem Vorgesetzten zuhört, während bloß ihr nasses Auge verrieth, in wie weit sie die Größe der herannahenden Gefahr begriff, oder den Nachdruck der Ermahnungen Evelinens fühlte. Es trat jedoch ein Augenblick ein, wo das Auge des jugendlichen Mädchens höher erglänzte, ihr Gang fester und ihre Blicke begeisterter wurden. Dieß geschah, als sie sich dem Orte näherten, wo ihr Vater, nachdem er die Pflichten eines Befehlshabers der Besatzung erfüllt hatte, die eines Ingenieurs in Ausübung brachte, und große Geschicklichkeit, sowie eine wundervolle persönliche Stärke bewies, indem er eine große Steinschleuder auf einem Posten aufstellen half, der ein blosgestelltes Thor beherrschte, das von der westlichen Seite der Burg auf die Ebene hinabführte, und wo ein heftiger Angriff zu erwarten war. Der größte Theil seiner Rüstung lag, von seinem Leibrocke, der sie gegen den Morgenthau schützen sollte, bedeckt, neben ihm, während er selbst in seinem ledernen Unterwamms, die Arme bis zu den Schultern entblößt, und einen ungeheuern Schmiedehammer in der Hand, den Handwerksleuten, die unter seiner Aufsicht arbeiteten, mit seinem guten Beispiele voranging.
Langsame und feste Naturen haben gewöhnlich einen Anflug von Blödigkeit, und eine gewisse Aengstlichkeit bei Verletzung kleinlicher Rücksichten. Wilkin Flammock war bei dem kurz zuvor ihm gemachten Vorwurfe der Verrätherei beinahe ganz fühllos geblieben; allein er erröthete hoch, und befand sich in sichtlicher Verlegenheit, als er, eiligst seinen Leibrock um sich werfend, die gar zu nachlässige Kleidung, in der Eveline ihn überrascht hatte, zu verbergen suchte. Nicht so seine Tochter. Stolz auf ihres Vaters Eifer wandte sie ihr strahlendes Auge von ihm zu ihrer Gebieterin mit einem triumphirenden Blicke hin, der zu sagen schien: »und dieser treue Diener ist es, den man im Verdachte der Verrätherei hatte!«
Evelinen machte ihr Gewissen denselben Vorwurf, und ihren augenblicklichen Zweifel an seiner Treue zu sühnen wünschend, bot sie ihm einen Ring von bedeutendem Werthe an, »als eine kleine Buße (wie sie sich ausdrückte) für einen augenblicklichen Irrthum.«
»Das braucht es nicht, Lady,« sagte Flammock mit seiner gewöhnlichen Plumpheit, »es wäre denn, daß ich das Geschenk meiner Rosa geben dürfte, denn sie grämte sich, meine ich, genug über eine Sache, die mich so wenig anfocht – und warum sollte es das auch?«
»Verfügt darüber nach Eurem Belieben,« sagte Eveline; »der Stein darin ist so ächt, als Eure Treue.«
Hier schwieg Eveline, und auf die weit ausgedehnte Ebene zwischen dem Schlosse und dem Flusse blickend, bemerkte sie dem Flamänder, wie still und schweigend der Morgen über die Gegend heraufsteige, die so eben noch der Schauplatz eines so schauervollen Gemetzels gewesen sei.
»Es wird nicht lange so bleiben,« antwortete Flammock; »wir werden bald des Lärmens genug und zwar näher an unsern Ohren, als gestern, haben.«
»Wo liegt der Feind?« sagte Eveline; »ich kann weder seine Zelte, noch seine Pavillons gewahren!«
»Sie haben keine, Lady,« antwortete Wilkin Flammock. »Der Himmel hat ihnen die Gnade und die Kenntniß versagt, genug Leinwand zu diesem Zwecke zu weben. – Dort liegen sie an den beiden Ufern des Flusses, bloß mit ihren weißen Mänteln bedeckt. Sollte man wohl glauben können, daß eine Schaar Diebe und Mörder dem schönsten Dinge in der Welt – einer schön belegten Bleiche – so ähnlich sehen kann? – Horch – horch! die Wespen fangen an zu summen; sie werden bald ihre Stacheln in Bereitschaft setzen.«
Wirklich vernahm man auch unter dem Heere der Walliser ein dumpfes und verworrenes Getöse, gleich dem aufgeschreckter Bienen, die sich in ihren Körben zum Kampfe rüsten.
Erschreckt durch den hohlen und drohenden Klang, der mit jedem Augenblicke vernehmlicher wurde, schmiegte sich Rosa, die die ganze Reizbarkeit eines gefühlvollen Temperaments besaß, an ihres Vaters Arm an, und sagte mit bebendem Flüstern: »es ist wie das Rauschen des Meeres in der Nacht vor der großen Ueberschwemmung!«
»Und es verkündet zu schlimmes Wetter, als daß sich Personen eures Geschlechts ihm aussetzen dürften. Geht auf Euer Zimmer, Lady Eveline, wenn es Euch gefällig ist. – Und auch du gehe, Röschen – Gott segne dich – ihr haltet uns hier nur von dem Geschäfte ab!«
Ueberzeugt, daß sie Alles gethan habe, was ihr möglich gewesen sei, und fürchtend, der frostige Schauder, der ihr das Herz zu beschleichen begann, möchte sich auch Andern mittheilen, befolgte Eveline wirklich den Rath ihres Vasallen, und zog sich langsam nach ihrem Gemache zurück, oft noch die Augen nach dem Orte zurückwendend, wo die nunmehr unter den Waffen stehenden Walliser ihre ungeheuern Bataillone gleich den Wogen der herannahenden Fluth vorwärts bewegten.
Der Fürst von Powys hatte mit bedeutender militärischer Geschicklichkeit einen Angriffsplan angenommen, der dem wilden Geiste seiner Krieger angemessen und darauf berechnet war, die schwache Besatzung auf jedem Punkte zu beunruhigen.
Jede der drei Seiten der Burg, die von dem Flusse beschützt waren, wurde von einer zahlreichen Abtheilung Britten besetzt, die den Befehl hatten, sich auf den Gebrauch ihres Bogens zu beschränken, und sich nur im Falle, daß sich ihnen eine besonders günstige Gelegenheit darbieten sollte, in ein Handgemenge einzulassen. Allein der bei weitem größere Theil der Streitkräfte Gwenwyns, die aus drei starken Colonnen bestanden, rückte längs der Ebene auf der westlichen Seite der Burg vor, und bedrohte die in dieser Richtung des Schutzes des Flusses beraubten Mauern mit einem verzweifelten Angriffe. Die erste dieser furchtbaren Abtheilungen bestand einzig und allein aus Bogenschützen, die sich nun vor der belagerten Veste zerstreuten, und jeden Busch oder Hügel, der ihnen Schutz gewähren konnte, in Besitz nahmen; dann begannen sie ihre Bogen zu spannen, und begrüßten die Zinnen und Schießscharten mit einem Hagel von Pfeilen; jedoch aber litten sie weit mehr Schaden, als sie selbst zuzufügen im Stande waren, da die Besatzung ihre Schüsse in größerer Sicherheit und mit ruhigerer Ueberlegung erwiedern konnte. Gleichwohl versuchten zwei starke Abtheilungen Walliser unter dem Schutze ihres Pfeilregens die Außenwerke des Schlosses zu erstürmen. Sie hatten Aexte bei sich, um die Pallisaden, die damals Barrieren genannt wurden, zu zerstören; Reisbündel, um die äußern Gräben anzufüllen; Fackeln, um alles Brennbare, auf das sie stoßen würden, in Brand zu stecken, und endlich Leitern, um die Mauern zu ersteigen.
Mit unglaublicher Wuth stürzten diese Abtheilungen auf den Angriffspunkt los, ungeachtet der hartnäckigen Gegenwehr der Belagerten, und der großen Verluste, die sie durch Wurfgeschosse jeder Art erlitten, und setzten den Angriff ungefähr eine Stunde lang fort, durch immer neue Verstärkungen unterstützt, die ihre verminderten Reihen stets mehr als hinlänglich wieder ergänzten. Als sie sich endlich zum Rückzuge gezwungen sahen, nahmen sie eine ganz neue und für die Belagerten noch ermüdendere Art des Angriffs an. Eine starke Abtheilung griff einen bloßgestellten Punkt der Festung mit solcher Wuth an, daß alle Vertheidiger derselben, die an andern Punkten möglicherweise entbehrt werden konnten, hieher eilen mußten, und wenn nun in Folge dessen irgend ein anderer Punkt nicht mehr hinlänglich bemannt war, so wurde dieser von einer andern Abtheilung eben so wüthend angefallen.
So glichen die Vertheidiger von Garde doloureuse dem bedrängten Reisenden, der einen Schwarm Hornisse zu verjagen sucht, die, wenn er sie von einem Punkte verjagt hat, einen andern schwarmweise besetzen und ihn durch ihre große Anzahl, so wie durch die Kühnheit und ewige Wiederholung ihrer Angriffe zur Verzweiflung bringen. Da die Außenpforte, wie natürlich, ein Hauptangriffspunkt war, so begab sich Vater Aldrovand, dem seine ängstliche Sorge nicht erlaubte, sich von den Mauern zu entfernen, und der in der That überall, wo es der Anstand nur erlaubte, thätigen Antheil an der Vertheidigung des Platzes nahm, eiligst dahin, als nach dem am meisten bedrängten Punkte. –
Hier fand er den Flamänder, der, gräßlich mit Blut und Staub bedeckt, gleich einem zweiten Ajax, mit eigener Hand die große Maschine regierte, die er kurz zuvor hatte aufrichten helfen, und zudem unaufhörlich ein wachsames Auge auf Alles hatte, was um ihn herum vorging.
»Was hältst du von dem Schicksale dieses Tages?« flüsterte ihm der Mönch zu.
»Was hilft alles Geschwätz hierüber, guter Vater?« antwortete Flammock. »Du bist kein Kriegsmann, und ich habe keine Zeit zum Schwatzen.«
»Nun so schöpfe doch ein wenig Athem,« sagte der Mönch, die Aermel seiner Kutte zurückstreifend, »ich will es versuchen, dich ein wenig abzulösen, ob ich schon – Unsere Frau erbarme sich meiner – nichts von diesen fremden Erfindungen verstehe, ja nicht einmal ihre Namen kenne. Allein unsere Ordensregel verpflichtet uns zur Arbeit, und es kann daher nichts Unrechtes sein, wenn ich diese Haspel da herumtreibe, oder dieses mit einer stählernen Spitze versehene Holz auf den Strick lege und ihn spanne (gleichzeitig mit seinem Worte erfolgte die That), auch glaube ich, daß es nichts Unkanonisches ist, wenn ich den Hebel da zurechtstelle, und diese Springfeder berühre.«
Der gewichtige Bolzen zischte, während er so sprach, durch die Luft, und so glücklich war gezielt worden, daß er einen der angesehensten walliser Häuptlinge niederstreckte, und zwar gerade in dem Augenblicke, in welchem Gwenwyn ihm einen wichtigen Auftrag ertheilte.
»Gut gemacht, trebuchet (Wurfmaschine) – gut geflogen, quarrel (Bolzen),« rief der Mönch aus, unfähig, seine Freude zu unterdrücken, und in seinem Triumphe der Maschine und dem Wurfpfeile die technischen Benennungen beilegend.
»Und gut gezielt, Mönch!« fügte Wilkin Flammock hinzu; »ich glaube, du verstehst mehr, als in deinem Brevier steht.«
»Kümmere dich nicht um das,« sagte der Vater, »und da du nun siehst, daß ich auch mit einer Maschine umzugehen weiß, und den Schuften dort der Muth ein wenig gesunken zu sein scheint, so sage mir, was du von unserer Lage denkst?«
»Sie ist gut genug – für eine schlimme – wenn wir baldige Hülfe zu hoffen haben; allein der Mensch ist von Fleisch und nicht von Eisen, und endlich könnten wir doch von der Ueberzahl überwältigt werden. Nur ein Mann auf vier Ellen Raum, – das ist ein schreckliches Mißverhältniß; und die Schurken wissen das, und setzen uns deßwegen hart zu.«
Die Erneuerung des Sturmes brach hier ihre Unterredung ab; auch ließ ihnen der thätige Feind bis Sonnenuntergang wenig Ruhe; denn ihnen auf verschiedenen Punkten zu wiederholtenmalen mit Angriffen drohend, und wirklich auf mehreren Seiten zwei oder drei furchtbare Anfälle machend, vergönnte er ihnen kaum einen Augenblick zur Erholung oder zum Athemschöpfen. Doch mußten die Walliser ihre Verwegenheit theuer bezahlen, denn obschon die Tapferkeit, mit der ihre Leute wiederholt zum Angriffe vorrückten, unübertrefflich war, so bezeichnete doch die späterhin unternommenen Angriffe nicht mehr die verzweifelte Wuth der erstern; und das Bewußtsein, große Verluste erlitten zu haben, so wie die Besorgniß, dieser Umstand könnte leicht eine schlimme Wirkung auf den Geist der Masse hervorbringen, machte die einbrechende Nacht und die Unterbrechung des Kampfes Gwenwyn wahrscheinlich eben so erwünscht, als der erschöpften Besatzung von Garde doloureuse.
Gleichwohl aber herrschte im Lager der Walliser Freude und Triumph; denn der so eben erlittene Verlust ward über der Erinnerung an den der Belagerung vorangegangenen glänzenden Sieg vergessen; und die entmuthigte Besatzung konnte auf ihren Mauern das Lachen, den Gesang und die frohen Harfenklänge der Walliser vernehmen, die im Voraus über die Uebergabe der Burg triumphirten.
Die Sonne war schon einige Zeit hinabgesunken; das Zwielicht wich allmählig einem tiefern Dunkel – blau und wolkenlos war der nächtliche Himmel zu schauen, und das am Firmamente ausgesäete flimmernde Sternenheer erhielt einen doppelten Glanz durch einen leichten Frostanflug, obschon der blässere Planet, ihr Gebieter, nur im ersten Viertel war. Die Noth der Besatzung erhielt dadurch noch einen bedeutenden Zuwachs, daß, als zu einer Zeit, die für einen nächtlichen Ueberfall so höchst geeignet schien, eine starke und sorgfältige, zu ihrer geringen Anzahl sehr übel passende, Wache, eine Sache der höchsten Nothwendigkeit war. Ja so dringend war diese Pflicht, daß selbst diejenigen, die während des Tages minder schwer verwundet worden waren, trotz ihrer Beschädigungen Antheil daran nehmen mußten.
Der Mönch und der Flamänder, die sich nun vollkommen verstanden, machten um Mitternacht gemeinschaftlich die Runde um die Mauern, um die Wächter zur Wachsamkeit zu ermahnen, und mit eigenen Augen den Zustand der Festung zu prüfen.
Während sie, so beschäftigt, eben eine erhabene Zinne vermittelst einer engen und ungleichen Treppe erstiegen – was den Mönch ein wenig sauer ankam – bemerkten sie auf derselben statt des schwarzen Brustharnisches der flamändischen Schildwache, die hierher gestellt worden war, zwei weiße Gestalten, deren Anblick Wilkin Flammock mit mehr Bangigkeit und Schrecken erfüllte, als er bei den gefährlichsten Ereignissen des vergangenen Tages gezeigt hatte.
»Vater,« sagte er, »nehmt Eure Werkzeuge zur Hand, – es spukt – hier sind Gespenster!«
Der gute Vater hatte als Priester nicht gelernt, den geistigen Feinden Trotz zu bieten, die er als Krieger mehr als irgend einen sterblichen Feind gefürchtet hatte; jedoch aber begann er mit Zähneklappern die kirchliche Beschwörungsformel zu stammeln: » Conjuro vos omnes, spiritus maligni, magni atque parvi« – als er durch Lady Eveline unterbrochen ward, die ihn mit den Worten anredete: »Seid Ihr es, Vater Aldrovand?«
Die Ueberzeugung, daß sie mit keinem Geiste zu schaffen haben, wälzte Wilkin Flammock und dem Mönche einen schweren Stein vom Herzen; sie begaben sich nun eiligst auf die Zinnen, wo sie Evelinen fanden, die, ihre treue Rosa zur Seite, und eine Hellebarde in der Hand, Schildwache stand.
»Was ist das, Tochter?« rief der Mönch aus; »wie kommt Ihr hieher, und warum seid Ihr bewaffnet? Wo ist die Schildwache, – der träge flamändische Hund, der auf seinem Posten hätte bleiben sollen?«
»Kann er nicht ein träger Hund sein, guter Vater, ohne deßwegen gerade ein flamändischer Hund zu sein,« sagte Rosa, die durch Alles, was einem Tadel gegen ihr Land oder ihre Landsleute ähnlich sah, lebhaft aufgereizt wurde; »ich glaube, ich habe von solchen Hunden von englischer Abkunft gehört.«
»Still Rosa, du bist zu keck für ein junges Mädchen,« sagte ihr Vater. »Noch einmal, wo ist Peterkin Vorst, dem dieser Posten anvertraut worden ist?«
»Tadelt ihn meines Fehlers wegen nicht,« sagte Eveline, auf einen Platz deutend, wo die flamändische Schildwache im Schatten der Ballustrade fest eingeschlafen lag. – »Die Ermüdung überwältigte ihn; den ganzen Tag hatte er wacker gefochten, und da ich ihn eingeschlafen fand, als ich gleich einem wandernden Geiste, dem weder Ruhe noch Rast vergönnt ist, hierher kam, so wollte ich ihm den Schlummer nicht stören, um den ich ihn beneidete. Da er für mich gefochten hatte, so glaubte ich wohl auch eine Stunde für ihn wachen zu dürfen; ich nahm daher seine Waffe mit dem Vorsatze, so lange hier zu bleiben, bis ihn Jemand ablösen würde.«
»Ich will den Schurken ablösen, und zwar auf eine durchgreifende Weise,« sagte Wilkin Flammock, und begrüßte den auf dem Boden liegenden schlafenden Wächter mit zwei Stößen, die seinen Brustharnisch klappern machten.
Der Mensch fuhr in der größten Bestürzung auf, und würde seinen Schrecken auch den andern Schildwachen und der ganzen Besatzung durch den Ruf, die Walliser seien auf den Mauern, mitgetheilt haben, hätte ihm nicht der Mönch die Hand vor seinen breiten Mund gehalten, gerade als das Gebrüll ihm entströmen wollte. – »Ruhig, ruhig, begib dich nach der untern Wachtstube: – du verdienst nach allen Kriegsgesetzen den Tod; aber thu die Augen auf, Schurke, und sieh, wer deinen werthlosen Kopf gerettet und gewacht hat, während du von Schweinefleisch und Bierkrügen träumtest.«
Obschon der Flamänder erst halb erwacht war, so fühlte er doch seinen Fehler hinreichend, und schlich sich daher ohne Widerrede nach zwei oder drei tölpischen Verbeugungen, die sowohl Evelinen als denen galten, welche seinen Schlummer so unsanft und rücksichtslos gestört hatten, eiligst davon.
»Er verdient bei Kopf und Füßen gehangen zu werden, der Hundsfott,« sagte Wilkin. »Allein, was wollt Ihr jetzt schon anfangen, Lady? Meine Landsleute können ohne Ruhe und Schlaf nicht leben.« So sprechend riß er gähnend seinen Mund so weit auf, daß man leicht hätte glauben können, er wolle einen von den kleinen Thürmen verschlingen, mit denen eine Ecke der Platform, auf welcher sie standen, bedeckt war.
»Ihr habt Recht, guter Wilkin,« sagte Eveline; »begebt Euch daher ein wenig zur Ruhe, und vertrauet auf meine Wachsamkeit, wenigstens bis die Wachen abgelöst sind. Ich kann nicht schlafen, wenn ich auch wollte, und wenn ich auch könnte, so wollte ich nicht.«
»Ich danke Euch, Lady,« sagte Flammock; »in der That, da dieß ein Centralpunkt ist, und die Runden höchstens in einer Stunde vorbeigehen müssen, so will ich bis dahin ein wenig schlafen; denn meine Augenlieder sind so schwer wie Schleußenthore.«
»O Vater! Vater!« rief Rosa aus, bestürzt über ihres Vaters unceremoniöse Verletzung des Anstandes; »bedenkt, wo Ihr seid, und in wessen Gegenwart.«
»Ja, ja, guter Flammock!« sagte der Mönch, »bedenke, daß es in Gegenwart eines edlen normännischen Fräuleins nicht schicklich ist, sich in den Mantel zu hüllen, oder die Schlafmütze aufzusetzen.«
»Laßt ihn in Ruhe, Vater,« – sagte Eveline, die in einem andern Augenblicke die Fertigkeit belächelt haben würde, mit der Wilkin Flammock sich in seinen ungeheuren Mantel hüllte, seine wohlbeleibte Gestalt auf der steinernen Bank ausstreckte, und die entschiedensten Zeichen eines tiefen Schlummers von sich gab, lange, bevor der Mönch ausgeredet hatte. – »Förmlichkeiten und ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeiten,« fuhr Eveline fort, »schicken sich für glückliche und ruhige Zeiten; allein in der Gefahr ist des Kriegers Schlafkammer da, wo er Muße findet, ein paar Stunden zu schlafen – sein Speisezimmer da, wo er Nahrung finden kann. Setzt Euch neben Rosa und mich, guter Vater, und sagt uns irgend eine heilige Lehre vor, damit uns diese Stunden des Kummers und des Unglücks ein wenig angenehmer verfließen.«
Der Vater gehorchte; doch so bereitwillig er auch war, ihnen Trost einzusprechen, so gab ihm doch sein Scharfsinn und theologisches Wissen nichts Besseres ein, als das Hersagen der Bußpsalmen, womit er so lange fortfuhr, bis auch er, durch Ermattung überwältigt, dieselbe Sünde gegen den Anstand beging, wegen welcher er Wilkin zurechtgewiesen hatte, und mitten in seinen Andachtsübungen in tiefen Schlaf sank.