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Lange vor Tagesanbruch waren die Schranken, die für den Zweikampf errichtet worden waren, von einer größeren Menge Sarazenen umgeben, als König Richard am Abend zuvor gesehen hatte. Kaum stieg die Sonne über der Wüste auf, als vom Sultan selbst der Ruf: »Zum Gebet!« laut erhoben und von andern Edlen beantwortet wurde, die durch ihren Rang und Eifer berechtigt waren, als Muezzins zu dienen. Mit dem Gesicht nach Mekka gewandt, sanken sie plötzlich zur Erde nieder, als seien die vielen bloß ein einziges Wesen; ein wahrhaft ergreifendes Schauspiel!
Nun nahten die Bürgen der beiden Kämpfer, denen die Pflicht oblag, die Bewaffnung derselben zu prüfen. Der Erzherzog von Oesterreich zeigte keine sonderliche Eile, denn er hatte am Abend tüchtig gezecht. Dagegen stand der Großmeister der Tempelherren schon frühzeitig vor dem Zelte Konrads von Montserrat, denn ihm war am Ausgange des Kampfes mehr gelegen als den andern. Zu seinem Erstaunen versagten ihm die Wächter den Eintritt . . . »Kennt Ihr mich nicht, Schurken?« rief er entrüstet. – »Allerdings, würdiger Herr!« entgegnete Konrads Schildknappe. »Aber der Marquis beichtet soeben.« – »Beichtet?« rief der Templer voll Unruhe und Verachtung; »bei wem, bitte!« – »Mein Herr gebot Schweigen!« antwortete der Knappe; aber der Großmeister stieß ihn beiseite und drang ins Zelt.
Der Marquis von Montserrat kniete eben vor dem Einsiedler von Engaddi, um seine Beichte abzulegen. – »Was heißt das, Marquis?« rief der Großmeister; »stehe auf! wenn Du beichten mußt, bin ich da.« – »Ich habe Euch schon zu oft gebeichtet,« antwortete Konrad, bleich und mit zitternder Stimme. »Großmeister, laßt mich vor diesem heiligen Mann mein Gewissen erleichtern.« – »Inwiefern ist er heiliger als ich?« entgegnete der Großmeister. »Eremit, Prophet, Wahnsinniger, bekenne, wenn Du es wagst, worin Du mich übertriffst!« – »Kühner, böser Mann!« rief der Eremit; »so wisse, daß ich dem Gitterfenster gleiche, durch welches das göttliche Licht hindurchdringt, um anderen zu nützen; Du aber gleichst der eisernen Säule, die weder Licht empfängt noch abgibt.« – »Schwatze nicht, sondern entferne Dich aus diesem Zelt!« befahl der Großmeister. »Der Marquis soll heute morgen nicht beichten, außer bei mir; denn ich weiche nicht von seiner Seite.« – »Ist dies Euer Wunsch?« fragte der Einsiedler den Marquis; »denn daß ich diesem stolzen Manne gehorche, falls Ihr noch Beistand begehrt, dürft Ihr nicht meinen.« – »Ach!« sagte Konrad unentschlossen; »was soll ich tun? Lebt wohl einstweilen, frommer Mann! wir werden uns später sehen.« – »Seelenmörder!« donnerte ihm der Eremit zu; »Du begehrst Aufschub? Nun denn, so gehab Dich Wohl! bis wir beide einander wieder treffen werden – gleichviel wo – Du aber,« fügte er hinzu, sich an den Großmeister wendend, »Zittere!« – »Zittern?« wiederholte der Templer verächtlich. »Das könnte ich nicht, wenn ich auch wollte.«
Der Eremit hörte diese Worte nicht; denn er hatte bereits das Zelt verlassen.
»Wohlan, zur Sache,« sprach der Großmeister, »da Du nun einmal die Narretei mitmachen willst! Einzelheiten können wir übergehen, das möchte zu lange dauern, drum wollen wir. gleich mit der Absolution beginnen.« – »Nein!« erklärte Konrad; »lieber sterbe ich ohne Beichte.« – »Nicht so blöde, Marquis,« sagte der Templer; »in einer Stunde steht Ihr siegreich in den Schranken, oder beichtet in Eurem Helm wie ein wackrer Ritter!« – »Großmeister,« sagte Konrad, »alles weissagt mir Unglück, die seltsame Entdeckung durch den Instinkt eines Hundes – die Wiedererscheinung des schottischen Ritters, der wie ein Gespenst in den Schranken auftaucht ...« – »Possen!« rief der Templer; »denke Dir, Du seiest auf einem Turnier! Wer nimmt sich besser aus dort als Du? – »Herbei, Knappen und Reisige! rüstet Euern Herrn zum Kampfe!«
Die Diener traten ein, und unter tiefem Schweigen verrichteten sie ihre Arbeit.
Endlich schlug die entscheidende Stunde. Die Trompeten schmetterten, und die Ritter ritten gerüstet in die Schranken; mit geöffnetem Visir zeigten sie sich, dreimal um die Schranken reitend, den Zuschauern; in dem Gesicht des Schotten lag männliches Vertrauen: auf Konrads Stirn dagegen ruhte eine Wolke zweifelhafter Verzagtheit; selbst sein Roß schien nicht so aufzutreten, als der edle Araber des Schotten.
Unter der Galerie der Königin war bei dieser Gelegenheit ein Altar errichtet worden, vor welchem der Eremit in seiner Karmelitertracht stand. Dorthin wurden von den Kampfbürgen sowohl bei Ankläger als der Angeklagte geführt, und jeder beteuerte die Gerechtigkeit seiner Sache mit feierlichem Eide: der Ankläger mit fester, männlicher Stimme, und kühnem, heiterm Blicke. Dem Angeklagten aber drohte, so keck und dreist er war, die Stimme zu versagen; die Lippen, mit denen er den Himmel anrief um Sieg in seinem Streite, wurden bleich; da näherte sich ihm der Großmeister und flüsterte ihm zu: »Feigherziger Narr! nimm Deinen Mut zusammen und stehe Deinen Mann in diesem Kampf, sonst, beim Himmel! solltest Du ihm entgehen, mir entgehst Du nicht!« Der wilde Ton, worin der Templer die Worte flüsterte, machte den Marquis vollends bestürzt. Er stolperte, als er zu seinem Pferde ging, ermannte sich aber und schwang sich mit seiner gewöhnlichen Gewandtheit in den Sattel.
Nach einem feierlichen Gebet, daß Gott die Gerechtigkeit des Streits offenbaren möge, entfernten die Priester sich aus den Schranken. Jetzt dröhnten die Trompeten des Anklägers, und ein Wappenherold am östlichen Ende der Schranken machte kund: »Hier steht ein wackrer Ritter, Kenneth von Schottland, als Kämpfer für Se. Majestät König Richard von England, der den Marquis Konrad von Montserrat anklagt, besagtem König Verrat und Schimpf angetan zu haben.«
Lauter Beifall erklang aus dem Gefolge König Richards, denn der Name des Kämpfers war nur wenigen bekannt gewesen. Nun erklärte der Angeklagte seine Unschuld und erbot sich zum Kampfe. Die Knappen nahten sich, Schild und Lanze überreichend. Jeder schwenkte nun die Lanze, um Festigkeit und Gewicht zu prüfen, und stellte sie dann auf den Schaft. Bürgen, Herolde und Knappen zogen sich an die Schrankengeländer zurück, und die Kämpfer saßen sich gegenüber zu Pferde, das Gesicht einander zugekehrt, mit geschlossenem Visier und gerade vor sich gehaltener Lanze – mehr Bildsäulen von Eisen, als Wesen von Fleisch und Blut ähnlich.
Stille herrschte. Aller Blicke waren gespannt; alles atmete schwerer; kein Laut außer dem Schnauben der Rosse wurde vernehmlich – etwa drei Minuten vergingen, da gab der Sultan ein Zeichen, und an die hundert Instrumente erfüllten mit ihrem schmetternden Getöse die Luft. Im vollen Galoppe rannten die Rosse, und mit dröhnendem Prall die beiden Reiter mitten auf dem Platze gegeneinander . . . Keinen Augenblick war der Sieg zweifelhaft. Konrad stieß seine Lanze so wuchtig, daß sie bis zum Panzerhandschuh zersplitterte; Kenneths Roß prallte ein paar Schritte zurück und stürzte auf die Schenkel; er brachte es aber mit der Hand und dem Zügel leicht wieder auf die Beine; seine Lanze war mitten durch Konrads Schild und Brustharnisch gedrungen, hatte ihn schwer verwundet und aus dem Sattel geworfen, die Spitze der Lanze saß noch in der Wunde. Bürgen, Herolde, der Sultan selbst, der von seinem Throne stieg, umdrängten den Verwundeten, während Kenneth, das Schwert ziehend, neben ihn trat und ihm befahl, seine Schuld zu bekennen.
Wild gen Himmel blickend, rief Konrad, als ihm der Helm geöffnet worden: »Was wollt Ihr noch? Gott hat entschieden. – Ich bin schuldig, aber es gibt noch schlimmere Verräter im Lager. Erbarmt Euch meiner Seele und laßt meinen Beichtvater kommen!«
»Den Talisman, königlicher Bruder!« bat König Richard den Sultan. – »Der Verräter,« antwortete dieser, »sollte eher aus den Schranken nach dem Galgen geschleppt werden, als Vorteil von dem Talisman ziehen. Aber ob ihm auch der Tod auf die Stirn gedrückt ist, so soll dem Wunsche meines königlichen Bruders gehorcht werden ... Sklaven, tragt den Verwundeten in unser Zelt!« – »Nicht also!« sprach der Tempelherr, der bisher finster dagestanden hatte; »weder der königliche Erzherzog von Oesterreich, noch ich werden zugeben, daß dieser unglückliche Fürst den Sarazenen überliefert werde. Als seine Bürgen verlangen wir, daß man ihn unserer Fürsorge anvertraue.« – »Ihr weigert ihm also die Heilung?« rief Richard. – »Nicht doch,« versetzte der Großmeister. »Wenn der Sultan wirkliche Heilmittel anwendet, so kann er in mein Zelt gebracht werden.« – »Tue das, ich bitte Dich, Bruder!« sagte Richard zu Saladin. »Doch nun zu einer fröhlicheren Sache! Tönt Trompeten! dem König Englands zu Ehren!«
Trommeln, Trompeten und Cymbeln erklangen.
»Tapfrer Ritter vom Leoparden,« rief Richard Löwenherz, »Du hast gezeigt, daß der Aethiopier seine Haut, der Leopard seine Flecken vertauschen kann; aber wenn ich Dich in die Versammlung der Damen geführt habe, die ritterliche Taten am besten zu schätzen und zu belohnen wissen, werde ich Dir noch Weiteres sagen! Doch horch! die Pauken dröhnen zum Zeichen daß unsere Gemahlin die Galerie verlassen hat; seht, wie die Turbane zu Boden sinken! gerade so, als könnte der Blick eines heidnischen Auges den Glanz einer christlichen Frauenwange beflecken! Kommt, wir wollen unseren Sieger im Triumph nach dem Zelte der Königin begleiten.« Blondel stimmte seine Harfe, die Einführung des Siegers zu preisen.
»Nehmt ihm die Waffen ab, Ihr Damen!« sprach der König, ein großer Freund solcher ritterlicher Gebräuche. »Nimm ihm die Sporen ab, Berengaria! Schnür ihm den Helm ab, Edith! und wärest Du die stolzeste Plantagenet unseres Stammes, und er der ärmste Ritter auf Erden, so mußt Dus tun!« Beide Damen gehorchten den königlichen Befehlen – Berengia geschäftig, Edith unter öfterem Erröten.
»Und was erwartet Ihr unter dieser eisernen Schale?« fragte Richard, als das edle Antlitz Ritter Kenneths, noch glühend von der letzten Anstrengung und der gegenwärtigen Gemütsbewegung, sichtbar wurde. »Gleicht er einem äthiopischen Sklaven oder einem namenlosen Abenteurer? – Nein, bei meinem guten Schwert! Hier endet all sein Mummenschanz! Ritter Kenneth, steht auf als David, Graf von Huntingdon, königlicher Prinz von Schottland!«
Allgemeines Erstaunen ... die Königin sank auf einen Sessel, und Edith ließ den Helm, den sie eben aufgehoben hatte, wieder fallen. »Ja, Ihr Herren, so ist es!« sprach der König. »Ihr wißt, wie Schottland uns täuschte durch das Versprechen, uns diesen tapferen Grafen mit einem wackeren Gefolge seiner besten, edelsten Mannen zu unserm Feldzug nach Palästina zu schicken. Diesem wackern Jüngling, dessen Befehl die Kreuzfahrer unterstellt werden sollten, widerstrebte aber diese Wortbrüchigkeit, und er stieß zu uns mit einer Schar treuer ergebener Anhänger. Aber bis auf einen alten Diener wurden sie alle vom Tode hingerafft. Da hätte sein gutbewahrtes Geheimnis mich bald veranlaßt, ihn als gewöhnlichen Abenteurer dem Tode zu weihen und damit Europa um eine seiner schönsten Hoffnungen zu berauben.«
»Dürfen wir nun von Euch erfahren, mein königlicher Gemahl,« sagte Berengaria, »durch welches seltsame Glück sich dies Rätsel endlich gelöst hat?« – »Es sind uns Briefe aus England überbracht worden,« erklärte der König, »aus denen wir, unter anderen unangenehmen Nachrichten, erfuhren, daß der König von Schottland sich dreier von unseren Edlen auf einer Wallfahrt nach St. Ninian bemächtigt habe, und zwar weil sein Erbe, den er in den Reihen der Deutschritter im Kampf gegen die heidnischen Preußen wähnte, sich in unserer Gewalt befände. So erfuhren wir die erste Wahrheit über den wirklichen Rang des Ritters vom Leoparden, und meine Vermutungen wurden durch Thomas von Vaux bestätigt, der bei seiner Rückkehr von Askalon den einzigen Diener des Grafen von Huntingdon mitbrachte, der dreißig Meilen weit gelaufen war, um dem Lord Gills zu offenbaren, was ich hätte vernehmen sollen.«
»Der alte Strauchan,« sagte Thomas von Vaux; »wußte recht gut, daß mein Herz weicher ist als das der Plantagenets.« – »Dein Herz weich? Du alter Kiesel!« rief der König. »Wir Plantagenets, Edith,« wandte er sich zu seiner Base, mit einem Ausdruck, der ihr das Blut in die Wangen trieb, »sollen harten Herzens sein? Komm, gib mir Deine Hand, liebe Base und Du Prinz von Schottland, die Deinige.«
»Erinnert Euch, mein König!« sagte Edith, »daß meine Hand das Mittel sein sollte, Sarazenen und Araber mitsamt ihrem Sultan zum christlichen Glauben zu bekehren!« – »Schön, schön! aber der Wind hat sich gedreht und bläst aus einem andern Winkel,« rief Richard lustig. – »Spottet nicht,« sagte der Einsiedler, indem er nun einige Schritte vortrat; »die himmlischen Scharen künden nichts als Wahrheit; bloß die Augen des Menschen sind zu schwach, Charaktere richtig zu lesen. Wißt, als Saladin und Kenneth in meiner Grotte schliefen, da las ich in den Sternen, daß unter meinem Dache ein Fürst ruhe, Richards natürlicher Feind, mit welchem das Schicksal der Edith Plantagenet vereinigt werden sollte. Konnte ich zweifeln, daß dies der Sultan sein müßte, den ich doch kannte, da er mich oft in meiner Zelle besuchte, um mit mir die Bewegung der Himmelskörper zu studieren? Die Sterne kündeten mir weiter, daß dieser Prinz, Ediths Gemahl, ein Christ sein müsse, und hieraus schloß ich auf Saladins Bekehrung, zumal seine guten Eigenschaften ihn oft dem besseren Glauben geneigt zu machen schienen. Das Gefühl meiner Schwäche hat mich bis in den Staub gedemütigt; aber im Staube habe ich Trost gefunden! Ich habe das Schicksal anderer nicht richtig gelesen; wer kann mir dafür stehen, daß ich nicht auch mein eigenes irrig erklärt habe? Ich kam hierher als der ernste Seher, der stolze Prophet; und gehe von hinnen, demütig und bußfertig, doch nicht hoffnungslos.«
Mit diesen Worten verließ er die Versammlung und soll seit dieser Zeit von seinen Wahnsinnsanfällen verschont geblieben sein, auch seine Kasteiungen in milderer Form geübt haben.
Am folgenden Tage kehrte Richard wieder in sein Lager zurück, und kurze Zeit nachher wurde Graf Huntingdon mit Edith Plantagenet vermählt. Der Sultan sandte als Hochzeitsgeschenk den berühmten Talisman; aber keine damit bewirkte Kur ist derjenigen gleichgekommen, die der Sultan selbst mit ihr verrichtet hatte.