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Sechzehntes Kapitel.

Berengaria, die Tochter des Königs Sanchez von Navarra und Gemahlin des heldenmütigen Richard von England, galt für eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Klein von Gestalt und von äußerst zartem Bau, mit einem Teint so schön, wie man ihn nicht häufig findet, und einer Fülle des schönsten Haares, ließen sie ihre ungemein jugendlichen Züge viel jünger erscheinen, als sie wirklich war, obgleich sie erst einundzwanzig Jahre zählte. Sie war von kindlichem Frohsinn und die gutmütigste Person, die man sich denken kann. Aber sie liebte es, umschmeichelt zu werden, und eine Eigenschaft erinnerte an ihre Herkunft: je mehr Macht ihr eingeräumt wurde, desto eifriger wünschte sie ihre Herrschaft auszudehnen. Ihren Gemahl liebte sie leidenschaftlich, fürchtete aber seinen Stolz und sein rauhes Wesen; und da sie fühlte, daß sie ihm an Klugheit nachstand, vertrug sie es nicht, daß er Edith Plantagenet in der Unterhaltung bevorzugte. Sie hatte deshalb keinen Groll auf Edith, wollte ihr darum auch nicht übel, immerhin meinten die Frauen ihres Gefolges, die für solche Dinge einen besonderen Scharfblick hatten, seit einiger Zeit bemerkt zu haben, daß es ihr nicht unlieb war, wenn Edith gehänselt oder gar verspottet wurde. Das war an sich nicht edel, gewann aber insofern an Häßlichkeit, als Lady Edith eine Waise war. Zwar führte sie den Namen Plantagenet; ebenso gestand ihr König Richard Vorrechte zu, die bloß der königlichen Familie zustanden: allein wenige wußten, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie eigentlich zu Richard Löwenherz stehe. Sie war mit Eleonore, der berühmten Königin-Mutter, von England nach Messina gekommen und dem König Richard dort als Hofdame Berengarias vorgestellt worden, deren Vermählung damals nahe bevorstand. Die Königin machte sie zu ihrer Begleiterin und bewies ihr, trotz der erwähnten kleinen Eifersucht, alle gebührende Achtung ... Die Kämmerer wehrten der Königin den Eintritt in das Zelt ihres Gemahls; und, um sich den Anschein zu geben, als habe sie alle ihr zu Gebote stehenden Mittel erschöpft, sagte sie zu der in ihrer Begleitung befindlichen Edith: »Da siehst Du's, ich wußte es ja, der König will uns nicht vorlassen.«

Da vernahmen sie des Königs Stimme: »Geh, verrichte Deinen Dienst schnell, Bursche! Zehn Byzantinen, wenn Du es mit einem Streiche vollbringst. Auch gib acht, ob sich seine Wangen entfärben oder seine Wimpern zucken. Ich möchte wissen, wie ein tapferer Schotte in den Tod geht!« – »Er wäre der erste, der nicht zurückführe, wenn er mein Schwert in der Luft blitzen sieht!« wurde dem König geantwortet.

Edith konnte nicht länger an sich halten ... »Wenn Eure Majestät es nicht selbst tun,« sagte sie zur Königin, »so tue ich's! und wenn nicht um Eurer Majestät, so doch um meinetwillen. – Kämmerer, die Königin verlangt König Richard zu sprechen.« – »Edles Fräulein,« antwortete der Kämmerer, seinen Amtsstab neigend; »der König entscheidet eben über Leben und Tod.« – »Und wir wollen über Leben und Tod mit ihm sprechen,« versetzte Edith. »Platz da! ich werde Eurer Majestät Eintritt verschaffen.« Mit diesen Worten schob sie den Kämmerling mit der einen Hand auf die Seite, während sie mit der anderen den Vorhang hob und die Königin nötigte, in Richards Zelt zu treten.

Der König ruhte auf seinem Lager, und unweit von ihm, seiner Befehle noch gewärtig, stand ein Mann in einem Wams aus rotem Tuch, das kaum über die Schultern reichte und die Arme bis über den halben Ellbogen nackt ließ. Das schreckliche Amt, das ihm oblag, war nicht schwer zu erraten, das Schwert, auf das er sich stützte, dessen Klinge beinahe vier und einen halben Fuß lang und dessen Gefäß, zwanzig Zoll im Umfange, von einer Reihe Bleikugeln umgeben war, um dem Stichblatt das Gegengewicht zu halten, redete die deutlichste Sprache.

Der König warf sich, als die Frauen eintraten, voll Unmut und Staunen auf die andere Seite, so daß er der Königin und ihrem Gefolge den Rücken wandte. Dann zog er die aus Löwenhäuten zusammengenähte Decke über sich. Berengaria warf einen flüchtigen Blick voll Grausen und Entsetzen auf den furchtbaren Gast ihres Gemahls und eilte rasch zu Richards Lager, kniete dort nieder, warf den Mantel von den Schultern und ließ ihre goldenen Locken lang herabwallen. Dann nahm sie Richards Hand, zog sie allmählich an sich, beugte sich mit der Stirn darüber und drückte ihre Lippen darauf.

»Was soll das, Berengaria?« sagte Richard mit abgewandtem Gesicht, aber die Hand ihr lassend. – »Schick diesen Mann fort, sein Anblick ist mir gräßlich,« flüsterte Berengaria. – »Pack Dich, Kerl!« rief Richard, noch immer der Königin abgewandt; »ziemt es Dir, diese Damen zu schauen?« – »Euer Majestät haben noch keine Bestimmung getroffen, was mit dem Haupte – « begann der Mann. – »Fort mit Dir, Hund!« war Richards Antwort. »Ein christliches Begräbnis!« Dann wandte sich der König langsam nach der königlichen Bittstellerin herum. Aber niemand, am wenigsten ein Verehrer aller Schönheit wie Richard, dessen Ruhm sie dem Rang nach am nächsten stand, konnte Berengaria vor sich knien sehen, mit Tränen in den Augen. Er wandte langsam sein männliches Antlitz zu ihr, mit dem wärmsten Ausdruck, dessen sein großes blaues Auge fähig war, aus dem so oft grimmiges Feuer blitzte. Mit der nervigen Hand strich er über ihre schönen Locken und küßte zärtlich das holde Antlitz. »Noch einmal, Berengaria, Gebieterin meines Herzens, was suchst Du hier zu dieser frühen Stunde?« – »Verzeihung, mein gnädiger Gemahl!« entgegnete die Königin, vor Furcht abermals unfähig, Fürbitte einzulegen. – »Verzeihung? wofür?« fragte der König.

Sie stockte.... »Verzeihung?« wiederholte Richard. »Sprich, Berengaria! sprich! denn für die Angelegenheit, die mich beschäftigt, taugst Du nicht als Zeugin; noch weniger wünsche ich, daß Du Deine kostbare Gesundheit da gefährdetest, wo noch vor kurzem Krankheit herrschte.« – »Aber Du bist jetzt wohl,« sagte die Königin, die sich immer noch scheute, den Zweck ihres Besuchs zu offenbaren; »und... wirst mir eine Bitte nicht abschlagen, eine Bitte um ein armseliges Leben?«

»Ha! weiter!« rief Richard, die Stirn runzelnd. – »Der unglückliche schottische Ritter – « hub die Königin an. »Kein Wort von ihm, Königin!« rief Richard finster; »sein Urteil ist gefällt.« – »Nicht so, mein innig geliebter Gemahl! es ist ja nur eine seidene Fahne, die er verscherzt hat, und Berengaria wird Dir eine andere sticken, reicher als je eine im Winde flatterte.«

»Du weißt nicht, was Du redest!« unterbrach sie der König entrüstet. »Es gilt hier Englands Ehre und Deines Mannes Ehre! und das sind für uns Pflichten, die Du nicht mit uns tragen kannst.« – »Du hörst es, Edith!« flüsterte die Königin, »wir werden ihn nur mehr erzürnen.«

Da trat Edith zum Könige ... »Gnädigster Herr! Eure arme Verwandte fleht um Gerechtigkeit, nicht um Gnade, und der Stimme der Gerechtigkeit muß das Ohr eines Herrschers immer geöffnet sein, zu jeder Zeit und unter allen Umständen.«

– »Ha! unsere Base Edith!« rief Richard, sich auf die Seite des Bettes setzend, »sie führt stets königliche Worte im Munde, und königlich soll meine Antwort lauten, sofern sie nicht mit Bitten kommt, die ihrer unwürdig sind.«

»Mein König,« sprach sie, »der brave Ritter, dessen Blut Ihr vergießen wollt, hat dem Christentum guten Dienst geleistet. Er ist seiner Pflicht untreu geworden durch eine Botschaft, die, warum soll ich es verschweigen, ihm in meinem Namen überbracht wurde, infolge eines törichten Einfalles; allein deshalb ist er von dem Platze gewichen, auf den Ihr ihn gestellt hattet, aber welcher Ritter im christlichen Lager hätte sich solcher Uebertretung nicht schuldig gemacht, wenn eine Plantagenet ihn zu sich rief?« – »Also habt Ihr ihn gesehen, Base?« rief der König, sich in die Lippen beißend. – »Allerdings, mein König,« erklärte Edith. »Zu erörtern, warum, ist jetzt die Zeit nicht; ich bin nicht hier, mich zu entschuldigen, und andere zu verschwärzen.« – »Und wo erwiesest Du ihm solche Gunst?« – »Im Zelt Ihrer Majestät.«

– »Unserer königlichen Gemahlin?« rief Richard. »Nein, beim Himmel, das ist zu stark! ist das Edith Plantagenet, die weise und edle? Oder ein liebekrankes Fräulein, das nicht um ihren Ruf, sondern um das Leben ihres Geliebten besorgt ist? Bei König Heinrichs Seele! Es fehlt wenig, so laß ich Deines Günstlings Schädel vom Galgen nehmen und als Zierat neben dem Kruzifix in Deine Zelle stellen.«

»Und dennoch würde ich sagen,« erklärte Edith unerschrocken, »es sei die Reliquie eines wackeren Ritters, der unwürdig und grausam hingerichtet wurde von« – hier hielt sie inne – »von einem, der besser hätte wissen sollen, wie man Ritterlichkeit belohnt.« – »O still, um Gottes willen!« flüsterte die Königin. »Du machst ihn rasend!«

Der König schickte sich eben an zu zorniger Antwort, als ein Karmelitermönch ins Gemach trat, in den langen Mantel dieses Ordens aus gestreiftem groben Tuch gehüllt, sich dem König zu Füßen warf und ihn beschwor, die Hinrichtung aufzuschieben.

»Bei Schwert und Szepter!« rief Richard, »die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen; Narren, Weiber, Mönche stellen sich in meinen Weg. – Wie kommts, daß der Verbrecher noch lebt?« – »Mein gnädigster Herr!« erklärte der Mönch, »ich habe den Lord von Gilsland gebeten, die Hinrichtung so lange aufzuschieben, bis ich mich selbst vor Eurer – « »Und er war so gutmütig, Deinem Gesuch zu willfahren?« schrie der König. »Der Satan über ihn! Doch sprich: Was hast Du zu dieser Sache zu melden?« – »Gnädigster König, ein wichtiges Geheimnis, aber unter dem Siegel der Beichte, ich wage nicht, es zu künden, weder laut noch im geheimen! Doch, wenn ich es Dir künden könnte, so würde es Dich, das schwöre ich, von dem blutigen Vorsätze, den Du gegen ihn gefaßt hast, abbringen.« – »Ehrwürdiger Vater,« sagte Richard, »daß ich die Kirche ehre, bezeugen die Waffen, die ich um ihretwillen trage. Künde mir dies Geheimnis, und ich werde handeln, wie es der Sache gemäß ist.«

»Mein König,« entgegnete der fromme Mann, Kutte und Oberkleid zurückschlagend, um ein härenes Gewand und ein Gesicht zu enthüllen, das einem lebendigen Skelett glich. »Zwanzig Jahre lang habe ich in den Höhlen Engaddis diesen elenden Körper gemartert, um eine schwere Sünde zu büßen. Wähnt Ihr, ich könnte eine Lüge ersinnen, um meine Seele in Gefahr zu bringen?«

»Also Du bist der Einsiedler, von dem so viel gesprochen wird?« erwiderte der König. »Du siehst freilich den Geistern ähnlich, die an öden Stätten wandeln. Aber Richard fürchtet Gespenster nicht! Auch bist Du, dünkt mich, derjenige, an den die Fürsten den Verbrecher sandten mit einer Botschaft an den Sultan, als ich, den sie doch zumeist anging, krank und siech darniederlag? Nun, vergleicht Euch jetzt noch untereinander. Mich gelüstets nicht nach Karmelitergürteln. Und was Dein Geheimnis angeht, so laß Dir sagen, je angelegentlicher Du Dich für ihn verwendest, desto schneller wird ihn der Tod ereilen.« – »Nun, so möge Gott Dir gnädig sein, König!« sprach der Eremit in tiefer Bewegung. »Du richtest ein Unheil an, das Du, und wenn es Dich ein Glied kosten sollte, dereinst wirst ungeschehen machen wollen... Verblendeter Fürst, stehe ab davon!« – »Hinweg!« rief der König, mit den Füßen stampfend. »Die Sonne ist über Englands Schande aufgegangen; und noch ward die Schande nicht gerächt ... Beim heiligen Georg schwöre ich – «

»Schwört nicht!« rief ein Mann, der eben ins Zelt getreten war. – »Ha! gelehrter Hakim!« sagte der König, »hoffentlich kommst auch Du, meine Freigebigkeit auszunützen?« – »Ich komme, Gehör zu bitten, augenblickliches Gehör, denn ich bringe wichtige Kunde.« – »Entferne Dich, Berengaria,« sprach der König, »und auch Du, Edith. Keine weiteren Bitten! Eins will ich Euch versprechen: die Hinrichtung soll bis zur Mittagszeit verschoben werden. Geh, Berengaria! Und Du, Edith,« fügte er hinzu, mit einem Blick, der selbst die mutige Seele seiner Verwandten mit Schrecken erfüllte, »wenn Du klug bist, dann geh!«

Die Frauen eilten zurück in das Zelt der Königin, wo sie sich ihrem Kummer überließen und gegenseitig Vorwürfe machten. Edith war die einzige, die es verschmähte, ihrem Kummer auf diesem Wege Erleichterung zu schaffen, und versah still ihre Dienste bei der Königin, die in leidenschaftliche Aeußerungen ausbrach und ihren Leichtsinn lebhaft verwünschte.


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