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Kenneth, der Schotte, hatte keine Ahnung, wie lange seine Sinne in tiefer Ruhe befangen gewesen waren, da wurde er durch eine Empfindung, als wenn ihm eine schwere Last auf der Brust läge, munter. Zuerst war es ihm, als wenn er im Kampfe mit einem gewaltigen Gegner läge, dann aber fand er das Bewußtsein vollständig wieder. Er wollte gerade fragen, wer da sei, da schlug er die Augen auf und erblickte die Gestalt des Eremiten, der, wild und verstört, wie wir ihn geschildert haben, an seinem Lager stand, die Rechte auf Kenneths Brust drückend, während er in der Linken ein kleines Lämpchen hielt.
»Sei still,« sagte der Eremit, als der auf sein Lager gestreckte Ritter verstört aufblickte; »was ich Dir zu sagen habe, soll jener Ungläubige nicht hören.« Er sagte es in französischer, nicht in fränkischer Sprache, jenem Gemisch von morgenländischen und europäischen Mundarten, deren sie sich bisher untereinander bedient hatten. »Steh auf,« fuhr er fort, »wirf Deinen Mantel um, sprich nicht, und folge mir leise.« Kenneth stand auf und nahm sein Schwert. »Das brauchst Du nicht,« flüsterte der Einsiedler, »dort, wohin wir uns begeben, gelten geistige Waffen viel, fleischliche aber sind wie Rohr und welker Kürbis.«
Der Ritter legte sein Schwert wieder neben sein Lager, behielt nur den Dolch, von dem er sich in dieser gefährlichen Gegend nie trennte, und schickte sich an, seinem geheimnisvollen Wirte zu folgen. Sie schritten langsam und leise wie Schatten in das äußere Gemach, ohne den heidnischen Emir, der noch in tiefem Schlafe lag, zu stören. Vor dem Kreuz und Altar brannte noch eine Lampe, ein Meßbuch war aufgeschlagen, und am Boden lag eine Geißel aus kurzen Schnüren und Drähten, an der noch Blut klebte, zum sicheren Zeichen der strengen Buße des Einsiedlers. Hier kniete Theodorich nieder und bedeutete dem Ritter, auf den harten Kies zu knien, der zu dem Zwecke, die Andachtsübung recht zu erschweren, auf den Boden gestreut zu sein schien. Der Ritter folgte der Aufforderung mit frommem Eifer und gewann von seinem Wirte eine so völlig andere Meinung, daß er nicht wußte, ob er ihn nicht selbst für einen Heiligen halten sollte. Als sie aufstanden, blickte er ihn ehrfürchtig an, wie ein Zögling seinen Meister. Der Eremit aber blieb ein paar Minuten, still und in sich gekehrt.
»Blick in die Ecke dort, mein Sohn, dort wirst Du einen Schleier finden. Bring ihn hierher.«
Der Ritter gehorchte. Als er den Schleier ans Licht brachte, sah er, daß er zerrissen war und an mehreren Stellen dunkle Flecke hatte. Der Einsiedler blickte auf den Schleier mit tiefer Rührung, ehe er das Wort an den Ritter richten konnte, bezwang sich wohl, mußte jedoch seinem Herzen durch tiefes Stöhnen Luft machen.
»Du sollst jetzt den reichsten Schatz der Erde sehen,« sagte er dann; »wehe mir, daß meine Augen dessen nicht würdig sind. Ach, ich bin das schlechte, verachtete Schild, das dem müden Wanderer eine sichere Ruhestätte weist, aber selbst immer auf der Straße bleiben muß. Vergebens habe ich mich in die Felsenklüfte und in den Schoß der dürren Wüste geflüchtet. Mein Feind hat mich gefunden – gerade der, den ich verleugnete, hat mich bis in meine Feste verfolgt.«
Wieder schwieg er eine Weile, dann wandte er sich zu dem Ritter und sagte fester und bestimmter als bisher: »Ihr bringt mir einen Gruß von Richard von England?« – »Ich komme aus dem Rate christlicher Fürsten,« entgegnete der Ritter; »da aber der König sich nicht wohl befand, ward mir die Ehre nicht zuteil, die Befehle Sr. christlichen Majestät zu vernehmen.« – »Euer Zeichen?« fragte der Einsiedler.
Ritter Kenneth zauderte. Sein früherer Argwohn und die Spuren von Wahnsinn, die der Eremit gezeigt hatte, schossen ihm in den Sinn. Aber warum sollte er Mißtrauen hegen gegen einen Mann mit so heiligem Wesen? – »Meine Parole,« sagte er endlich, lautet, so: Könige bettelten bei einem Bettler.« – »Sie ist richtig,« versetzte der Eremit innehaltend. – »Ich kenne Euch wohl; aber die Schildwache auf ihrem Posten – und der meinige ist wichtig – ruft Freund wie Feind an.« Er ging hierauf mit der Lampe vorwärts, dann den Ritter in das Gemach zurück geleitend, aus dem sie eben getreten waren. Der Sarazene lag noch auf seinem Lager in tiefem Schlafe. Der Einsiedler blieb neben ihm stehen und sah eine Zeitlang schweigend auf ihn nieder. »Er schläft im Dunkeln,« sagte er, »und soll nicht geweckt werden.«
Die Haltung des Emirs weckte wirklich die Vorstellung von tiefer Ruhe. »Er schläft im Dunkeln,« wiederholte der Eremit so leise wie vorhin, »aber auch für ihn wird es Tag werden. – O Ilderim! wenn Du wachst, sind Deine Gedanken noch ebenso eitel und wild, wie diejenigen, die in Deinem schlummernden Gehirn ihren Wirbeltanz aufführen; aber die Drommete wird erschallen und Dein Traum verschwinden.«
So sprechend, winkte er dem Ritter, ihm zu folgen, begab sich hinter den Altar und drückte eine Springfeder, die sich geräuschlos öffnete und eine kleine eiserne Tür bloß legte, die seitwärts in der Höhle angebracht und, wenn man nicht genau hinsah, fast nicht zu sehen war. Ehe er sie ganz öffnete, tröpfelte er etwas Oel aus seiner Lampe auf die Angeln. Dann zeigte sich eine kleine, in den Felsen gehauene Treppe. »Nimm den Schleier hier,« sagte der Eremit schwermütig, »und verbinde mir die Augen; denn, ich darf den Schatz nicht sehen, den Du jetzt erblicken sollst, ohne mich der Sünde und Vermessenheit schuldig zu machen.« Ohne zu antworten, verhüllte der Ritter hastig den Kopf des Eremiten mit dem Schleier, worauf dieser die Treppe hinauf stieg, wie jemand, der den Weg zu genau weiß, um Licht zu brauchen, leuchtete aber dabei dem Schotten, der ihm über viele Stufen auf der engen Stiege folgte. Endlich blieben sie in einem kleinen Gewölbe von unregelmäßiger Form stehen. In dem einen Winkel desselben verlief sich die Treppe, während in einem andern eine andere gotische Tür sich befand, die den Schmuck, aber in roher Arbeit, der gewöhnlichen Zutaten zu Säulen zeigte und durch ein stark mit Eisen und großen Nägeln beschlagenes Gitter abgesperrt war. Dorthin lenkte der Einsiedler die Schritte, die, als er naher heran gelangte, unsicher zu werden schienen. »Zieh die Schuhe aus,« sagte er zu seinem Gefährten; »der Boden, auf dem Du stehst, ist heilig. Verbanne aus Deinem Innersten jeden weltlichen und fleischlichen Gedanken; denn solchen hier nachzuhängen, wäre Todsünde.« Der Ritter tat, wie ihm befohlen, während der Eremit, wie im stillen Gebet, mit seinem Herzen abzurechnen schien. Die Tür öffnete sich darauf von selbst. Wenigstens sah Kenneth niemand, aber ihn blendete ein Strom hellsten Lichtes und ein starker, fast betäubender Duft reinsten Wohlgeruchs strömte ihm entgegen. Ein paar Schritte trat er zurück, aber es vergingen Minuten, ehe er sich von der überwältigenden Wirkung des plötzlichen Ueberganges aus der Finsternis zum Licht erholte.
Als er in das Gemach trat, worin sich dieser helle Glanz verbreitete, bemerkte er, daß das Licht von einer großen Menge silberner Lampen herrührte. Sie hingen an silbernen Ketten vom Dache einer kleinen gotischen Kapelle herab, die, wie so ziemlich die ganze merkwürdige Einsiedelei, aus der harten Felsenmasse gehauen war. Aber so roh und einfach die Arbeit an sich war, so zeugte sie doch von der Hand eines geschickten Architekten. Die geäderten Decken erhoben sich zu beiden Seiten auf sechs, mit seltener Kunst gearbeiteten Säulen, und die Art, wie die Bogen untereinander durch passenden Zierat verbunden waren, verriet überall den vornehmsten Stil der Baukunst des Zeitalters. Mit der Pfeilerreihe standen auf jeder Seite sechs künstlich gearbeitete Nischen in Beziehung, die Statuen der zwölf Apostel bergend.
Am oberen, östlichen Ende der Kapelle stand der Altar. Ein prächtiger, reich mit Gold gestickter Vorhang von persischer Seide verhüllte eine hinter ihm befindliche Nische, die wahrscheinlich ein Heiligenbild oder eine noch heiligere Reliquie enthielt, der zu Ehren diese merkwürdige Andachtsstätte errichtet worden war. Kenneth trat zu dem Heiligenschrein, kniete vor ihm nieder und wiederholte sein Gebet mit Inbrunst. Plötzlich aber hob sich der Vorhang, ohne daß der Ritter sah, wie oder durch wen, und in der Nische erblickte er einen Schrank von Silber und Ebenholz, mit doppelter Flügeltür, eine gotische Kirche im kleinen darstellend. Gleich darauf flogen die beiden Flügeltüren auf, und ein großes Stück Holz mit der Inschrift: Vera Crux wurde sichtbar, zu gleicher Zeit sang ein Chor weiblicher Stimmen Gloria Patri . Als der Gesang schwieg, schloß sich der Schrein wieder, der Vorhang senkte sich wieder, und der Ritter konnte nun ungestört seine Andacht fortsetzen. Es währte geraume Zeit, bis er sich wieder erhob und sich nach dem Eremiten umsah, der ihn an diesen heiligen, geheimnisvollen Ort geführt hatte. Er sah ihn, den Kopf noch immer vom Schleier verhüllt, vor der Tür der Kapelle liegen, wie jemand, den die Last seiner Schuld zu Boden wirft.
Kenneth näherte sich ihm, als ob er ihn anreden wollte, allein der Einsiedler, seine Absicht erratend, murmelte hinter der Hülle, die seinen Kopf bedeckte, in halb erstickten Tönen: »Bleib, und wohl Dir, daß Du sehen darfst – das Gesicht ist noch nicht zu Ende.« Hierauf erhob er sich, trat hinter die Schwelle zurück und verschloß die Tür der Kapelle, die so genau mit dem Felsen zusammenhing, daß Kenneth nur mit Mühe die Oeffnung entdecken konnte. Er befand sich jetzt allein in der erleuchteten Kapelle, ohne andere Waffe als seinen Dolch, allein mit seinen frommen Gedanken, doch im Bewußtsein unverzagten Mutes.
Entschlossen, den Verlauf der Begebenheiten abzuwarten, wanderte der Ritter in der einsamen Kapelle bis zum ersten Hahnenschrei umher. Um diese stille Zeit, wo Nacht und Morgen einander begegnen, drang plötzlich, ohne daß er unterscheiden konnte, aus welcher Richtung, der silberne Klang eines Glöckchens, wie sie bei der Erhebung der Hostie oder bei dem Meßopfer geläutet wurden, an sein Ohr. Gleich darauf lüftete der seidene Vorhang sich wieder, und die Reliquie zeigte sich seinen Blicken wieder. Ehrfurchtsvoll sank er auf die Knie und vernahm den Klang der Lobgesänge, wie vorher von weiblichen Stimmen. Der Ritter ward bald inne, daß die Stimmen sich langsam der Kapelle näherten und verstärkten – da öffnete sich ebenso unbemerkbar wie die, durch die er eingetreten war, eine zweite Tür. Atemlos vor Spannung heftete der Ritter sein Auge auf die Oeffnung, und während er, wie es Ort und Handlung erheischten, auf den Knien liegen blieb, harrte er der weiteren Dinge. Zuerst traten vier schöne Knaben, barfuß und nackt bis zum Gürtel, paarweise in die Kapelle; die bräunliche Haut des Orients bildete einen eigentümlichen Kontrast zu ihren schneeweißen Gewändern. Das erste Paar schwenkte Räucherpfannen, das zweite Paar streute Blumen.
Auf die Knaben folgten die den Gesangchor bildenden Mädchen in lieblicher Ordnung. Sechs von ihnen waren, nach den schwarzen Skapulieren und dunklen Schleiern über den weißen Gewändern zu schließen, Nonnen vom Berge Karmel, sechs andere kennzeichnete der weiße Schleier als Novizen. Mit Kränzen von roten und weißen Rosen in den Händen, zogen sie in Prozession um die Kapelle, ohne von dem Ritter dem Anschein nach die geringste Notiz zu nehmen, obgleich sie ihm so nahe kamen, daß ihre Gewänder ihn fast berührten. Auf den Ritter machten Ort und Stunde, und die plötzliche Erscheinung der Nonnen wie nicht minder die geisterhafte Weise, wie sie an ihm vorüberzogen, einen solchen Eindruck, daß es ihm kaum glaublich schien, der hehre Zug, den er erblickte, könne aus Geschöpfen dieser Welt bestehen, schienen sie doch in dem Dämmerlichte, das die Lampen durch die Weihrauchwolken warfen, mehr zu schweben als zu gehen.
Als sie aber auf ihrem zweiten Rundgange um die Kapelle dort anlangten, wo er kniete, pflückte eines der weißgekleideten Mädchen eine Rosenknospe aus ihrem Kranze und ließ sie, vielleicht unwillkürlich, zu Kenneths Füßen niederfallen. Der Ritter erschrak, wie wenn ihn ein Pfeil träfe; aber er unterdrückte die Bewegung, die ihn ergriff, durch den Gedanken, daß ein so unbedeutender Zufall leicht möglich sei. Als sich aber der Zug zum drittenmal um die Kapelle bewegte, wandten sich die Gedanken und Augen des Ritters ausschließlich zu derjenigen unter den Novizen, die die Rosenknospe hatte fallen lassen. Sie war im Schritt, in der Gestalt, im Aussehen den übrigen Sängerinnen völlig ähnlich, und doch pochte Kenneth das Herz, wie etwa einem Vogel, der seinen Käfig durchbrechen will, als ob es ihm fühlbar machen wollte, das Mädchen am rechten Flügel der zweiten Reihe sei ihm nicht nur teurer als alle übrigen Choristinnen, sondern als alle Frauen der Erde; und so kurze Zeit auch verging, bis ein dritter Umzug in der Kapelle stattfand, dem Ritter dünkte es doch eine Ewigkeit. Endlich kam die Gestalt, der seine ganze Aufmerksamkeit gehörte, näher; es war, wie gesagt, kein Unterschied zwischen dieser und den anderen verhüllten Figuren, mit denen sie sich gleichförmig bewegte. Als sie indes zum drittenmale bei dem knieenden Kreuzfahrer vorüberzog, schimmerte ihre kleine, wohlgebildete, schöne Hand durch die Falten des durchsichtigen Schleiers hervor, wie der Strahl des Mondes durch lichte Sommernachtswolken, und abermals fiel eine Rosenknospe dem Ritter vom Leoparden zu Füßen ... Dies zweite Zeichen konnte nicht zufällig sein, auch nicht die Aehnlichkeit der nur halb sichtbaren, schönen, weiblichen Hand mit einer anderen, die seine Lippen einst berührt, und bei deren Berührung er der holden Dame, der die Hand gehörte, ewige Treue geschworen hatte. Hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, so mußte er ihn finden im Glanze des unvergleichlichen Rubins an dem schneeweißen Finger, wie der dunklen Flechten, die jetzt Zufall oder Absicht hinter dem Schleier sichtbar machte, und von denen ihm jedes Härchen teurer war als eine Kette von gediegenem Golde. Ja, es war die Geliebte seines Herzens! Aber, daß sie hier weilen sollte – in der wilden, öden Wüste – unter Nonnen, die sich in diese Höhlen geflüchtet hatten, um heimlich zu, ihrem Gotte zu beten, dem sie nicht öffentlich dienen durften – das schien unglaublich – das mußte ein Traum sein, ein Täuschungsbild der Phantasie.
Während der Ritter diesen Gedanken nachging, verschwand die Prozession wieder durch dieselbe Tür, durch die sie hereingekommen war. Endlich kam auch sie, von der er dies doppelte Zeichen erhalten hatte; und im Vorbeigehen wandte sie den Kopf, wenn auch kaum merklich, nach der Stelle, wo er unbeweglich wie eine Bildsäule stehen geblieben war. Er sah noch, wie ihr Schleier wehte. Dann sank Dunkelheit auf seine Seele, so dicht fast wie die, die jetzt die Kapelle füllte; denn mit lautem Geräusch schloß sich hinter der letzten Sängerin die Tür, und die Lichter der Kapelle erloschen. Doch für Kenneth bedeuteten Einsamkeit und Dunkel und die Gewißheit seiner geheimnisvollen Lage nichts; er fragte nicht danach, kümmerte sich um nichts in der Welt, als um die liebliche Erscheinung, die eben an ihm vorbeigeschwebt war, als um die Zeichen der Gunst, die sie ihm gespendet hatte – er dachte nur an sie wie an eine Gottheit, die ihren brünstigen Verehrer der Gunst ihrer Erscheinung gewürdigt hatte, und die zurückgekehrt war in das Dunkel ihres Heiligtums.