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Unsere Erzählung kehrt nun zu dem Ritter vom Leoparden zurück, den König Richard dem arabischen Arzte geschenkt und auf diese Weise aus dem Kreuzfahrerlager verwiesen hatte. Er war dem »neuen Herrn, denn so mußte er jetzt Hakim nennen, zu den Zelten der Mauren gefolgt in der dumpfen Betäubung eines Menschen, der vom Gipfel eines Abhanges herabgestürzt, aber am Leben geblieben und gerade noch imstande ist, sich von dem verhängnisvollen Orte wegzuschleppen, aber der Fähigkeit ermangelt, die Größe des erlittenen Sturzes zu fühlen.
Als er in dem Zelte Hakims ankam, warf er sich, ohne einen Laut von sich zu geben, auf ein mit Büffelhaut bedecktes Lager, das ihm sein Führer angewiesen hatte, vergrub das Gesicht in den Händen und seufzte tief, als ob das Herz ihm zerspringen sollte.
»Sei guten Muts, Freund,« tröstete ihn der Arzt. »Besser Diener eines gütigen Herrn zu sein, als Sklave seiner Leidenschaften. Und ist nicht auch Josef von seinen Brüdern verkauft worden an Pharao von Aegypten? Dein König hat auch Dich verschenkt an einen, der Dich wie einen Bruder behandeln wird.«
Ritter Kenneth wollte Hakim danken; allein sein Herz war so voll, daß er keine Worte fand. Der freundliche Arzt gönnte ihm die nötige Zeit und Ruhe, seinem Kummer nachzuhängen, und noch war um Mitternacht nicht der Schlaf auf seine Augen gesunken, als ihm der Lärm, der im Lager entstand, Kunde gab, daß Anstalten zum Aufbruche getroffen würden. Um drei Uhr früh erschien ein Diener des Arztes mit der Aufforderung, sich fertig zu wachen.
Ein Stück seitwärts von den Kamelen, die schon bepackt waren, standen die Pferde, ebenfalls schon gesattelt und gezäumt. Hakim schwang sich behend auf eins derselben, dann winkte er, daß ein anderes Roß dem Ritter vorgeführt werde. Ein englischer Krieger war zugegen, sie aus dem Kreuzfahrerlager zu führen, wo sie zwar von Posten zu Posten angerufen wurden, aber keinerlei Behinderung erfuhren, außer daß ein besonders strenggläubiger Ritter ihnen eine Verwünschung ihres Propheten hinterher brummte. Als sie das Lager hinter sich hatten, warf der Ritter einen Blick hinter sich; der Ehre und Freiheit beraubt, verbannt von den glänzenden Fahnen, unter denen er Ruhm zu ernten hoffte, verbannt von den Zelten der Ritterschaft und von – Edith Plantagenet! kam er sich vor, wie dem Tode nahe.
Hakim versuchte, ihn durch allerhand weise Gespräche aufzuheitern, ließ auch zur Kurzweil von Leuten seiner Schar, die darin bewandert waren, allerhand Märchen erzählen, wie es im Morgenlande Brauch und Sitte ist; zu jeder anderen Zeit hätte sich Ritter Kenneth für solchen Genuß erwärmen können, trotz seiner unvollkommenen Kenntnis der Sprache, aber in seiner jetzigen Stimmung hörte er kaum, daß ein Mann in der Mitte der Reiter mit gedämpftem Tone fast zwei Stunden lang seine Stimme mit großem Raffinement den mannigfachen Phrasen der Erzählung, die er vortrug, anzupassen suchte. Dagegen wurde seine Aufmerksamkeit, bei allerhand Betrübnis, die sich seiner bemächtigt hatte, plötzlich durch das dumpfe Geheul eines Hundes in Anspruch genommen, der an einem der Kamele in einem geräumigen Käfig hing. Als Weidmann erkannte er auf der Stelle die Stimme seines alten treuen Jagdhundes in dem Geheul wieder, der jedenfalls seine Nähe witterte und nun bettelte, ihn in Freiheit zu setzen.
»Armer Roswal!« sagte Kenneth, »wie soll ich dir helfen, bin ich doch fast noch schlimmer daran als du! Ich will nicht tun, als ob ich dich bemerkte oder dir deine Liebe vergelten wollte; denn das möchte unser Los nur noch bitterer machen.«
So verstrichen die Stunden der Nacht und der nebelgrauen Dämmerung, die in Syrien dem Morgen vorausgeht. Als aber die Sonne über dem Horizont aufstieg und ihr erster Strahl über die Wüste hinzuckte, die die Reiter nun erreicht hatten, ließ El Hakim mit helltönender Stimme den feierlichen Ruf zum Gebete erschallen, den der Muezzin frühmorgens vom Minaret jeder Moschee kündet:
»Zum Gebet! Zum Gebet! Gott ist der einige Gott! Zum Gebet! Mohammed ist Gottes Prophet! Zum Gebet! Die Zeit entflieht! Zum Gebet! Zum Gebet! Das Gericht steht nahe bevor!«
Augenblicklich warfen sich alle Muselmanen, ihr Antlitz nach Mekka hinwendend, vom Pferde, hoben Sand und Wüstenboden auf und ahmten damit jene Reinigung nach, die sie sonst mit Wasser vornehmen mußten. Als sie sich dann in Gottes Hut in inbrünstigem Gebet begeben und Vergebung der Sünden erfleht hatten, bestiegen sie wieder ihre Rosse und ritten weiter, bis sie eine, aus Sandhügeln bestehende Anhöhe erreicht hatten. In einer Entfernung von etwa einer halben Stunde wurde ein dunkler Punkt sichtbar, der sich bald als ein Reitertrupp offenbarte, dessen Zahl der ihrigen weit überlegen zu sein schien und, den glitzernden Rüstungen nach zu urteilen, aus Europäern bestehen mochte.
Hakims Reiter schienen unruhig zu werden: sie blickten sich wiederholt nach ihrem Anführer um, der mit unnachahmlicher Ruhe zwei seiner besten Reiter absandte, Zahl, Stand und Absicht jener Reiter zu ermitteln. Auf den schottischen Ritter wirkte die in Annäherung befindliche Gefahr belebend wie ein Trunk Wein auf einen Ohnmächtigen.
»Was fürchtet Ihr von den christlichen Reitern,« fragte er Hakim; »denn solche scheinen es zu sein.« – »Fürchten?« wiederholte Hakim verächtlich. »Der Weise fürchtet nichts als den Himmel; aber von schlechtgesinnten Menschen erwartet er stets das Schlimmste.« – »Es sind Christen,« rief Ritter Kenneth, »und noch ist der Waffenstillstand nicht aufgehoben.« – »Es sind Ritter vom Templerorden,« erklärte El Hakim. »Ihr Gelübde bindet sie, weder Waffenstillstand noch Treue und Glauben zu wahren. Möge der Prophet sie ausrotten mit ihren Aesten, Zweigen und Wurzeln! Siehst Du nicht, wie sie einen Trupp von ihrer Schar trennen und östliche Richtung einschlagen? sie wollen nichts anderes, als uns die Wasserstellen abschneiden. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Ich kenne den Krieg in der Wüste besser als sie.« Er sprach ein paar Worte zu dem Anführer seiner Schar und auf einmal änderte diese ihre bisherige Taktik des Abwartens. Aber auch der schottische Ritter änderte sein Verhalten, und als El Hakim jetzt sich zu ihm wandte mit dem Befehl: »Du mußt mir dicht zur Seite bleiben!« erwiderte er fest und bestimmt: »Nein! Dort drüben sind Kameraden von mir in Waffen, und ihnen bin ich durch Gelübde verbunden. Ich kann nicht vor dem Kreuze fliehen, wenn ich mich auch in der Schar des Halbmonds befinde.« – »So muß ich Dich zwingen, mir zu folgen!« rief El Hakim, hob den Arm empor und stieß einen durchdringenden Schrei aus, als Signal für einige seines Gefolges, die sich sogleich auf der weiten Fläche der Wüste nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten. Im selben Augenblicke packte er die Zügel von Kenneths Rosse, gab seinem Rosse die Sporen, und schnell wie der Blitz, so daß der Schotte kaum Atem schöpfen konnte, flogen Roß und Reiter über die Ebene hin, als wollten sie die vor ihnen sich dehnende Wüste verschlingen. Meilen flohen wie Minuten hin, und gleichwohl schienen ihre Kräfte sich nicht zu mindern, schien ihnen der Atem nicht zu schwinden.
Eine reichliche Stunde dauerte dieser wilde Wüstenritt; der schottische Ritter war schier blind und taub geworden und von Herzen froh, als er endlich wieder freier atmen und bei dem gemäßigteren Tempo, das nach Verlauf dieser Zeit von El Hakim eingeschlagen wurde, unterscheiden konnte, daß er sich in einer ihm bekannten Gegend befand.
Die öden Gestade des Toten Meeres und die rauhe, steile Gebirgskette zur Linken, und die kleine Palmengruppe, der einzige grüne Punkt in der weiten Wildnis, kündeten dem Ritter, daß sie sich der Quelle nahten, die der Diamant der Wüste genannt wurde, und der Schauplatz seiner Zusammenkunft mit dem Sarazenen-Emir Ilderim gewesen war. Nur ein paar Minuten, und Hakim lud Kenneth ein,, abzusitzen und an der Quelle, einem sicheren Orte, auszuruhen.
»Jetzt iß und trink, und laß den Mut nicht sinken,« sagte Hakim zu dem Schotten. »Das Glück kann den gewöhnlichen Sterblichen erhöhen oder erniedrigen: aber den Weisen und den Krieger muß sein Geist über die Herrschaft des Glückes erheben.«
Kenneth bemühte sich, seinen Dank durch Ruhe und Fügsamkeit zu bekunden. Allein soviel Mühe er sich gab, aus Höflichkeit zu essen, so wirkte doch der große Kontrast zwischen jetzt und einst, als er hier, als Botschafter von Fürsten, siegreich aus dem Kampfe mit dem Sarazenen-Emir hervorgegangen war, so niederdrückend auf ihn, daß er kaum einen Bissen hinunterbringen konnte. El Hakim fühlte seinen schnellen Puls, sah sein entzündetes Auge, seine erhitzte Hand, hörte seinen fliegenden Atem.
»Der Geist wird weise durch Wachen,« sagte er; »aber sein Bruder, der Körper, aus gröberem Stoffe gebildet, bedarf zur Unterstützung der Ruhe. Du mußt schlafen und, damit Dein Schlummer Dich erquicke, einen Trank nehmen, dem dieses Elixir beigemischt ist.«
Aus seinem Busen nahm er ein Fläschchen aus Kristall und tröpfelte ein wenig dunkelfarbige Flüssigkeit in einen goldenen Becher. »Diese,« sagte er, »ist ein Geschenk Allahs, das, wie der Weinbecher des Nazareners, die Macht hat, den Vorhang über das schlaflose Auge zu ziehen und die Bürde der bedrängten Brust zu erleichtern. Wird es indes zu Schwelgerei angewendet, so sprengt es die Nerven, zerstört die Kräfte, schwächt den Verstand und untergräbt das Leben. – »Ich habe schon zu viele Beweise Deiner Geschicklichkeit, weiser Hakim,« entgegnete der Ritter, »als daß ich Deine Arznei von mir weisen sollte.« Hierauf trank er das mit Quellwasser vermischte Elixier, hüllte sich in seinen arabischen Mantel und streckte sich, der Vorschrift des Arztes gemäß, bequem in den Schatten, die verheißene Ruhe abzuwarten.
Anfänglich kam kein Schlaf, aber eine Reihe angenehmer, doch nicht aufregender Empfindungen. Dann folgte ein Zustand der Ruhe, fast Apathie, in welchem alles, was hinter ihm lag, schwand; dann stieg die Zukunft in rosigen Farben auf: Freiheit, Ruhm, beglückte Liebe winkten dem entehrten Ritter; allmählich wurden die Bilder dunkler wie die Farben der untergehenden Sonne, bis sie endlich ganz verschwanden. Ritter Kenneth lag zu Hakims Füßen so bewegungslos wie ein Körper, aus dem das Leben wirklich geschieden war.