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Siebzehntes Kapitel

Der Einsiedler wandte sich auf der Schwelle noch einmal um und hob warnend die Hand wider den König .. »Wehe dem,« rief er, »der den Rat der Kirche verwirft und seine Zuflucht nimmt zu den Ungläubigen! König Richard, noch schüttle ich nicht den Staub von meinen Füßen, noch scheide ich nicht aus Deinem Lager. Das Schwert fällt nicht, allein es hängt an einem Haar. Stolzer Monarch, wir sehen uns wieder!« – »Es sei so, hochmütiger Priester!« erwiderte Richard.

Der Eremit verschwand aus dem Zelt, und der König, zu dem Araber gewandt, fuhr fort: »Weiser Hakim, stehen die Derwische des Orients auch auf so vertrautem Fuße mit ihrem Fürsten?« – »Die Derwische sind entweder Weise oder Verrückte,« antwortete der Arzt; »wer das Gewand der Derwische anlegt, nachts wacht und tagsüber fastet, kennt kein Mittelding. Er besitzt entweder Weisheit genug, sich in Gegenwart von Fürsten bescheiden zu betragen, oder ist, wenn ihm die hohe Gabe der Vernunft fehlt, für seine eignen Handlungen nicht verantwortlich.« – »Mich dünkt, unsere Mönche sind vorwiegend von letzterem Schlage,« sagte Richard. »Doch zu Deiner Angelegenheit! Womit kann ich Dir dienen, gelehrter Arzt?« – »Großer König,« sagte El Hakim, sich nach orientlischem Brauche tief verbeugend, »laß Deinen Diener ein Wort sprechen, und doch leben. Ich wollte Dich erinnern, daß Du nicht mir, ihrem niedrigen Werkzeuge, sondern den höheren Geistern, deren Wohltaten ich ja bloß unter den Sterblichen austeile, Dein Leben verdankst.« – »Und ich wette, daß Du nun ein anderes begehrst,« unterbrach ihn der König, »ist's nicht so?« – »Allerdings ist dies meine demütige Bitte an den großen König,« sagte Hakim. »Schenket dem zum Tode verurteilten Ritter das Leben! Hat er doch nichts anderes sich zuschulden kommen lassen, wie schon Adam, der Vater aller Menschen, auch!«

»Und Deine Weisheit, Hakim, könnte Dich erinnern, daß Adam sie mit dem Tode büßte,« sprach der König ernst, während er, bewegt mit sich selbst sprechend, im engen Raume seines Zeltes auf und nieder ging. »Gerechter Gott! was er begehrte, wußte ich, sobald er ins Zelt trat. Ein armseliges Leben ist mit vollem Recht zum Tode verurteilt, und ich, ein König und Krieger, auf dessen Befehl tausende fielen, soll hier keine Macht haben, obgleich die Ehre meiner Waffen, meines Hauses, meiner Gemahlin durch den Schuldigen gefährdet wurde? Beim heiligen Georg! das bringt mich zum Lachen! das erinnert mich an Blondels Märchen vom verzauberten Schlosse, das der vom Schicksal verfolgte Ritter nie betreten konnte, weil ihn allerhand Gestalten daran hinderten, die, eine der andern unähnlich, ihm doch feindlich gesinnt waren. Kaum war die eine verschwunden, so kam die andere; und so erschienen der Reihe nach Gemahlin, Base, Eremit, Hakim! Ha, ha, ha!« Und Richard lachte laut auf, denn sein Zorn hatte sich in der Tat gelegt, da seine Entrüstung wie gewöhnlich zu heftig gewesen war, um lange zu dauern ... »Ein Todesurteil,« sagte Hakim, den König mit einer Miene, die nicht frei von Verachtung war, betrachtend, »sollte nicht aus lachendem Munde kommen. Laß Deinen Knecht hoffen, daß Du ihm des Mannes Leben schenkst.«

»Nimm statt seiner tausend Gefangene!« antwortete Richard. »Du sollst sie auf der Stelle erhalten; aber dieses Mannes Leben ist verwirkt.« – »Wie unser aller Leben!« rief Hakim, »aber der Schöpfer alles Lebens übt auch Gnade und treibt seine Pfänder nicht ein mit Strenge oder zur Unzeit.« – »Welches besondere Interesse veranlaßt Dich, zwischen mich und die Justiz zu treten?« – »Du hast gelobt, Gnade und Gerechtigkeit zu üben,« entgegnete El Hakim; »und doch vollstreckst Du jetzt bloß Deinen eigenen Willen. Zudem wisse, daß manches Menschenleben von meiner Bitte abhängt.« – »Erkläre Dich deutlicher,« sagte Richard. »Doch glaube nicht, mich durch Vorspiegelungen zu hintergehen.« – »Das sei fern von Deinem Knecht!« rief der Arzt; »doch muß ich Dir bekennen, daß die Arznei, der Du Deine Herstellung verdankst, ein Talisman ist, der sich nur bereiten läßt unter gewissen Himmels-Aspekten, wenn die göttlichen Mächte dem Vorhaben am günstigsten sind. Ich bin nur das bescheidene Werkzeug der Vorsehung. Ich tauche den Talisman in ein Gefäß mit Wasser, benutze die Stunde, die sich zur Vorbereitung des Mittels für den Kranken eignet, und die Kraft des Trankes bewirkt die Heilung.« – »Ein kostbares,« sagte der König, »und zugleich bequemes Mittel. Da es der Arzt in der Tasche tragen kann, erspart es die ganze Karawane von Kamelen, durch die wir Spezereien und Arzneimittel aus einem Weltteil in den andern schleppen. Seltsam, daß noch andere Mittel in Gebrauch sind.«

»Es steht geschrieben,« erwiderte Hakim, ohne sich in seinem Ernst stören zu lassen: »Mißhandle nicht das Roß, das Dich aus der Schlacht getragen! Wisse, daß solche Talismane freilich gefertigt werden können, daß sich aber selten Adepten fanden, die es wagten, sich solcher Künste zu bedienen. Wer aus Nachlässigkeit, Bequemlichkeit oder Hang zu sinnlichen Lüsten es verabsäumt, im Lauf eines Mondes wenigstens zwölf Personen zu heilen, bei dem trennt sich die Kraft der göttlichen Gabe vom Amulett. Beide, den letzten Patienten und Arzt, trifft dann die Strafe, und keiner von ihnen wird das Jahr überleben. Ich fordere jetzt ein Leben, die gesetzte Zahl voll zu machen.« – »Begib Dich ins Lager, Hakim!« rief der König. »Dort findest Du der Patienten so viel, daß Du nicht meinem Scharfrichter die Kunden zu rauben brauchst. Es ziemt sich für einen Arzt von Deinem Ansehen nicht, einem anderen ins Handwerk zu pfuschen.«

»Vergilt so der hochberühmte Fürst von Frangistan die ihm erwiesene Wohltat?« rief El Hakim, indem er nunmehr die demütige Haltung, in der er den König bisher angefleht, aufgab und statt ihrer eine stolze, hoheitsvolle annahm. »Wisse, Du stolzer König, daß ich an jenem Hofe Europas und Asiens, unter Muselmännern und Nazarenern, unter Rittern und Damen, überall, wo das Schwert geachtet und Undank verabscheut wird, Dich, Richard von England, anklagen werde des Undanks und der unedlen Gesinnung, und daß selbst die Länder, in welche nie Dein Ruf drang, Deine Schmach erfahren sollen.« – »Sollen mir die, Worte gelten, Ungläubiger?« rief Richard, grimmig auf ihn zuschreitend, »bist Du Deines Lebens müde?« – »Schlag zu!« rief El Hakim, ohne zu weichen. »Deine eigene Tat wird Dich unwürdiger machen, als meine Worte, und wenn auch jedes von ihnen den Stachel der Hornisse hätte.«

Richard schlug zornig die Arme übereinander und schritt wieder im Zelte auf und ab. »Ich wäre undankbar und unedel?« rief er. »Ebenso gut könnte ich feig und ungläubig sein sollen! – Hakim! Du hast Dir ein Geschenk gewählt; und obgleich es mir lieber gewesen wäre, Du hättest meine Kronjuwelen genannt, so kann ich doch als König Dir nichts abschlagen. Der Schotte sei Dir geschenkt. Der Profoß wird ihn Dir gegen diesen Schein ausliefern.« Er schrieb geschwind ein paar Worte und gab sie dem Arzte. »Brauche ihn als Deinen Sklaven,« fuhr er fort, »und schalte mit ihm nach Belieben. Doch in acht nehmen soll er sich, mir je wieder vor Augen zu kommen, hörst Du!« – »Möge die Zahl Eurer Tage sich vervielfältigen, gnädiger König!« sprach Hakim und entfernte sich nach einer tiefen Verbeugung aus dem Zelte. König Richard sah ihm nach, wie jemand, der sich nicht recht schicken kann in das, was vorgefallen ist.... »Ein halsstarriger Wicht, dieser Hakim!« sagte er; »und doch ein seltsamer Zufall, daß er sich im Falle des schottischen Wichtes ins Mittel legen mußte. Doch er lebe, denn so gibts einen braven Kerl mehr auf der Welt. Nun zu diesem Hackklotz von Oesterreicher! – He da! Ist Lord Gilsland draußen?«

Thomas von Baux verdunkelte mit seiner Riesenfigur den Zelteingang, während hinter ihm, ungemeldet, doch unbehindert, einem Gespenst gleich, der wild aussehende Einsiedler von Engaddi, in seinen Mantel aus Ziegenfellen gehüllt, ins Zelt hineinschlüpfte.

Thomas von Baux, von Lanercost und Gilsland,« sprach Richard Löwenherz mit lauter Stimme zu dem Barone, ohne den Einsiedler zu bemerken, »begib Dich sogleich nach dem Zelte Herzogs Leopold von Österreich. Sieh, daß Du ihn in recht buntem Gedränge von Rittern und Vasallen triffst. Wahrscheinlich ist das jetzt der Fall, denn der deutsche Bär frühstückt ja doch, ehe er die Messe hört. Tritt so ungehobelt wie möglich vor ihn hin und klage ihn öffentlich an von seiten Richards von England, daß er diese Nacht mit eigner oder fremder Hand Englands Banner von seinem Stecken gestohlen habe. Er solle, so bestimmen wir, innerhalb einer Stunde von dieser Verkündigung an, unser Banner mit allen Ehren wiederherstellen. Dabei soll er mit den vornehmsten Rittern mit unbedecktem Haupt und ohne ihre Staatskleider warten, er selbst außerdem auf der einen Seite sein eigenes Banner als dasjenige, das durch Diebstahl und Treulosigkeit entwürdigt worden ist, umgekehrt einschlagen; auf der anderen Seite aber eine Lanze mit dem blutigen Haupt desjenigen aufstellen, der ihm bei dieser gemeinen Tat seinen Rat oder seine Hilfe lieh. Sage ihm, daß, falls dieser unser Befehl pünktlich vollzogen werde, wir ihm, um unseres Gelübdes und um der Wohlfahrt des heiligen Landes willen, verzeihen wollen.«

»Aber, wenn nun der Erzherzog allen Anteil an diesem Frevel leugnet?« fragte Thomas von Vaux. – »Sage ihm,« erwiderte der König, »wir wollen es ihm ins Angesicht beweisen, und wenn er zwei seiner tapfersten Kämpfer hinter sich hätte. Ritterlich wollen wirs ihm beweisen, zu Fuß oder zu Rosse, in der Wüste oder im Felde, und er soll Zeit, Ort, Waffen, kurz alles nach eigener Wahl bestimmen.« – »Aber, mein königlicher Lehnsherr, gedenkt des Friedens mit Gott und der Kirche unter diesen Fürsten, die sich zum heiligen Kreuz verbunden haben,« antwortete der Baron von Gilsland. – »Bedenkt Ihr nur, daß ich Vollstreckung meiner Befehle erwarte, Herr Lehnsvasall!« rief Richard ungeduldig, »es hat schon ganz den Anschein, als hofften manche unsern Plan in die Luft zu blasen, wie Kinder Federn... Seht Ihr nicht, wie jeder Fürst seine besonderen Pläne zu erreichen strebt? Auch ich verfolge ein Ziel, aber ich bin hergekommen aus Ehre; kann ich sie nicht bei Sarazenen ernten, so will ich wenigstens kein Jota davon durch diesen armseligen Erzherzog verlieren, und wenn ihn jeder Fürst, der mit bei diesem Kreuzzug ist, schirmte und schützte.«

Thomas von Vaux wandte sich, wenn auch achselzuckend, um des Königs Befehle zu vollziehen. Allein in diesem Augenblick trat der Eremit vor, feierlich, wie ein höherer Gesandter als diejenigen, die von irdischen Machthabern ausgehen. Seine Kleidung aus Fellen, sein ungekämmtes Haar, sein Bart, sein hageres, verwirrtes Antlitz, und nicht zum wenigsten das an Wahnsinn erinnernde Feuer, das unter seinen buschigen Brauen blitzte, alles dies erinnerte an einen biblischen Seher. Die Achtung vor der Kirche setzte Richard Löwenherz nie aus den Augen, und wenn ihn auch der unangemeldete Eintritt des Eremiten verdroß, so zollte er ihm doch Ehrerbietung. Zugleich gab er aber Thomas von Vaux einen Wink, den ihm erteilten Auftrag unverzüglich auszurichten.

Hieran aber hinderte ihn der Einsiedler, der sich mit hochgehobenem Arm, mager vom Fasten und durch Kasteiungen, vor ihn hinstellte und rief: »Im Namen Gottes und des heiligen Vaters, des Stellvertreters der christlichen Kirche auf Erden, untersage ich diese übermütige Herausforderung zwischen christlichen Fürsten, deren Schultern das heilige Kreuz schmückt, unter welchem sie sich Brüderschaft gelobten. Wehe dem, durch den sie gebrochen wird! – Richard von England! Widerrufe den unheiligen Auftrag, den Du dem Baron von Vaux erteilt! Gefahr und Tod sind Dir nahe! Schon blinkt der Dolch an Deinem Halse!« – »Gefahr und Tod sind Richards Gespielen!« erwiderte der Monarch stolz; »und ich habe schon zu vielen Gefahren getrotzt, um einen Dolch zu fürchten.« – »Gefahr und Tod sind nahe!« erwiderte der Seher, dessen Stimme einen gespensterhaften Klang annahm; »und auf den Tod folgt das Gericht!«

»Ehrwürdiger Vater,« sprach der König, »ohne Euch das Recht der Sorge für unser Gewissen streitig zu machen, solltet Ihr, dünkt mich, Euch mit der Sorge für unsere Ehre besser nicht befassen.« – »Ich bin nur die Glocke in der Hand des Küsters,« sagte der Eremit, »die, seine Befehle kündet ... auf meinen Knien bitte ich Dich, übe Mitleid gegen die Christenheit, England, Dich selbst!« »Steh auf!« sagte Richard, »ein Knie, das sich so häufig vor Gott beugt, soll nicht einem Menschen zu Ehren den Boden berühren. Sprich, was für Gefahr droht uns, ehrwürdiger Vater?« – »Ich sah von meinem Berge das Sternenheer des Himmels, sah, wie in seinem mitternächtlichen Kreislauf ein Stern dem andern Weisheit, doch Wissen nur den wenigen, die ihre Stimme verstehen, offenbarte. Im Hause Deines Lebens, König, sitzt ein Feind, der Deinem Rufe und Deiner Wohlfahrt nachstellt.« – »Bleib mir damit vom Halse!« rief der König, »das ist heidnische Wissenschaft, – die von Christen nicht geübt wird, und an die weise Männer nicht glauben. Aber, Du faselst!«

»Ich fasele nicht, Richard. Ich bin der Blinde, der andern die Fackel trägt, obgleich sie ihm selbst nicht leuchtet. Frag nicht nach allem, was das Heil der Christenheit und dieses Kreuzzuges anlangt, und ich will mit Dir sprechen, wie der weiseste Ratgeber. Sprich dagegen mit mir von meinem eigenen elenden Dasein, und meine Worte werden dem Munde des verstoßenen Wahnsinnigen gehören, als den ich mich bekenne.« – »Es sollte mir fern liegen, die Bande der Einigkeit unter den Fürsten des Kreuzzuges zu stören,« erwiderte Richard sanfter. »Aber welche Genugtuung gewähren sie mir für die erlittene Schmach?«

»Der Fürstenrat ist willens, Eure Forderungen, soweit es möglich ist, zu erfüllen, noch ehe Ihr sie stellt,« versetzte der Eremit. »Das englische Banner soll auf St. Georgenberg wieder aufgepflanzt werden. Mit Bann und Verdammnis sollen die Verbrecher belegt werden, die sich an ihm vergangen haben, und demjenigen, der den Schuldigen nachweist, dessen Fleisch den Wölfen und Raben vorgeworfen werden soll, wird königliche Belohnung verheißen.« – »Und Oesterreich,« sagte Richard, »auf dem so starker Verdacht ruht, der Urheber zu sein?« – »Um Zwietracht unter dem Kreuzheere vorzubeugen,« entgegnete der Einsiedler, »wird Oesterreich sich selbst von dem Verdacht reinigen, indem es sich jedem Gottesurteil unterwirft, das der Patriarch von Jerusalem ihm auferlegt.« – »Durch Zweikampf?« fragte König Richard. – »Daran verhindert ihn sein Eid,« versetzte der Eremit, »zudem wird der Fürstenrat – « »Nie den Kampf wider die Sarazenen, noch gegen sonst jemand genehmigen,« unterbrach ihn Richard. »Doch genug davon, Vater, ich will den Erzherzog selbst meineidig machen, ich will auf dem Gottesurteil bestehen. Wie will ich lachen, wenn seine plumpen Finger zischen, sobald er die rotglühende Eisenkugel ergreift! oder wenn er den prahlerischen Mund öffnet und seine Kehle schwillt, indem er die geweihte Hostie zu kosten versucht!« – »Still, Richard,« sagte der Einsiedler. »Schweigt aus Scham, wenn nicht aus christlicher Liebe. Wer soll Fürsten preisen und ehren, die selbst einander schmähen und verleumden?« Er blieb einige Augenblicke sinnend stehen, die Augen auf den Boden geheftet. Dann fuhr er fort: »Aber der Himmel, der unsere unvollkommene Natur kennt, hat das blutige Ende Deines Lebens, wenn nicht abgewandt, doch hinausgeschoben. Der Würgengel stand still, das Schwert ist gezückt in seiner Hand, und in kurzem wird er den löwenherzigen Richard dem niedrigsten Bauern gleich machen.« – »Sobald schon?« rief Richard. »Doch es sei! Wenn mein Lebenslauf nur glänzend war, so mag er immerhin kurz gewesen sein!«

»Ach, edler König,« entgegnete der Einsiedler, und eine Träne, ein ungewohnter Gast, schien in seinem vertrockneten, glänzenden Auge zu schimmern. »Kurz und trübe, bezeichnet mit Erniedrigung, Not und Gefangenschaft, ist die Spanne, die Dich vom gähnenden Grabe trennt, in das Du steigen wirst ohne Nachkommen, unbeweint von einem durch endlose Kriege erschöpften Volke, dessen Bildung Du nicht vermehrt, dessen Glück Du nicht gefördert hast.« – »Doch nicht ohne Ruhm, Mönch! und nicht unbeweint von der Dame meines Herzens,« rief Richard.

»König von England,« rief der Eremit, »das Blut, das in Deinen blauen Adern siedet, ist um nichts edler als das in den meinigen fließt, denn es sind Tropfen drin vom königlichen Lusignan, vom Blute des heldenmütigen, frommen Gottfried. Ich bin, das heißt, ich war, als ich in der Welt lebte, Alberich Montemar.« – »Dessen Taten so oft die Posaunen des Ruhmes verkündeten?« rief Richard. »Kann dies sein? Konnte ein Stern, wie der Deinige, vom Horizont der Ritterschaft fallen? Und noch war man ungewiß, wo Deine Asche ruhe?« – »Suche einen gefallenen Stern,« sagte der Einsiedler, »und Du wirst nur eine träge Masse finden, die, durch den Horizont schießend, momentan einen scheinbaren Glanz annahm. Richard, wüßte ich, daß Dein stolzer Geist sich dann der Kirchenzucht unterwürfe, so würde ich den blutigen Schleier von meinem schrecklichen Schicksal hinwegziehen. So höre denn, Richard! mögen Kummer und Verzweiflung, die diesen armseligen Ueberresten eines ehemaligen Mannes nicht helfen können, als kräftiges Beispiel wirken für ein edelmütiges und doch so ungestümes Wesen, wie Dich. Ich will die lang verborgenen Wunden aufreißen, und sollten sie sich auch in Deiner Gegenwart verbluten!«

König Richard, auf den die Geschichte Alberichs von Montemar in früheren Jahren, als in den Hallen seines Vaters die Sagen der Minstrels vom heiligen Lande erklangen, tiefen Eindruck gemacht hatte, horchte ehrfurchtsvoll auf eine Lebensgeschichte, die, wenn auch dunkel und unvollkommen, doch zur Genüge den halben Wahnsinn dieses unglücklichen Menschen beleuchtete.

»Daß ich edel von Geburt, reich an Glücksgütern, bewandert in der Führung der Waffen und einsichtsvoll im Rat war,« hub er an, »darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Allein während in Palästina die edelsten Frauen wetteiferten, meinen Helm mit Blumen zu zieren, war mein Herz einem Mädchen von niedrigem Range zugewendet. Ihr Vater, ein alter Kreuzfahrer, sah, bei dem Abstande zwischen uns, für die Ehre seiner Tochter keine andere Zuflucht als das Kloster. Ich kehrte, beladen mit Beute und Ruhm, aus fernem Lande heim und fand mein Lebensglück vernichtet. Nun trat auch ich in ein Kloster. Der Ehrgeiz trieb mich auch hier, und ich stieg auf zu hohen Würden, wurde zu meinem Unglück auch Beichtvater von Klosterschwestern, und unter ihnen fand ich die lang Geliebte, die lang Verlorene. Erspare mir das weitere Bekenntnis! Eine gefallene Nonne, deren Sünde durch Selbstmord gerächt ward, schlummert in Engaddis Grüften, und über ihrem Grabe jammert ein Mensch, dem nur so viel Verstand geblieben, sein Elend in voller Größe zu fühlen.« – »Unglücklicher!« rief Richard. »Aber wie entgingst Du dem Verdammungsurteil, das die strengen Gesetze der Kirche über Deine Sünde verhängen?«

»Richard, ich sage Dir,« rief der Eremit, »die Vorsehung hat mich erhalten, daß ich wie ein Feuer auf einem Leuchtturm brenne, dessen Asche noch in den Abgrund der Hölle geworfen werden muß. Meine armselige Gestalt beseelen noch zwei geistige Kräfte: eine tätige Kraft, die der nacheifert, die Sache der Kirche von Jerusalem zu schützen, und eine niedrige, verzweifelnde Kraft, die, zwischen Wahnsinn und Elend schwankend, über meine Sünde trauert und über die sterblichen Reste einer Heiligen wacht, ohne daß sie ausreichte, auch nur einen Blick auf dieselbe zu werfen. Beklage mich nicht! denn das wäre Sünde, aber lerne an meinem Beispiel. Du stehst am höchsten; Dein Herz ist stolz, Dein Leben wild, Deine Hand blutig. Wirf die Sünden, die Dich Töchtern gleich umgeben, von Dir! Treib diese Furien aus Deiner Brust, so da heißen: Stolz, Ueppigkeit, Blutdurst!«

»Er rast!« rief Richard, sich von dem Einsiedler zu Thomas von Baux wendend, wie jemand, den der Spott schmerzt, wenn er ihn auch nicht unterdrücken kann – dann aber richtete er das Wort wieder an den Eremiten: »Ehrwürdiger Vater, Du hast ja einem Mann, der erst wenige Monate vermählt ist, eine herrliche Töchtersippe ausgesucht. Solchem Vater ziemt es doch, für gute Partien zu sorgen. Darum sei mein Stolz den hohen Domherren der Kirche, meine Ueppigkeit den Mönchen, mein Blutdurst den Tempelrittern vermählt.«

»O, über dies Herz von Stahl Und diese Hand von Eisen!« rief der Anachoret, »o wehe dem Menschen, bei dem Beispiel und Rat fruchtlos sind! Doch noch eine Zeitlang sollst Du geschont werden, sofern Du umkehrst und tust, was Gott angenehm ist. Ich aber muß an den Ort meiner Verbannung zurück. – Kyrie Eleison!« Mit diesem mehrmals wiederholten Ausruf stürzte er aus dem Zelte.

»Ein wahnsinniger Pfaffe!« rief Richard, in dessen Gemüt die fanatischen Aeußerungen des Eremiten den Eindruck seines Unglücks verwischt hatten. »Doch lauf ihm nach, Thomas von Baux, und sorge, daß er keinen Schaden nimmt; daß kein Kreuzfahrer Spott mit ihm treibt.«

Der Ritter gehorchte, und Richard hing den Gedanken nach, die durch die wilde Prophezeiung des Mönches in ihm geweckt worden waren. »Frühzeitig sterben, ohne Nachkommenschaft, und unbeweint? Ein strenges Urteil! Gut, daß es von keinem urteilsfähigen Richter kommt! Schade, daß ich vergessen habe, ihn über den Verlust meines Banners zu befragen! Nun, Thomas von Baux, was gibts Neues von dem tollen Priester?« – »Mich dünkt,« entgegnete Thomas, der eben wieder in das Zelt eingetreten war, »er gleicht mehr Johannes dem Täufer, als er aus der Wüste kam, als einem tollen Priester! Er hat sich auf eine Kriegsmaschine gesetzt und predigt den Soldaten, wie seit Peter, dem Eremiten, keiner gepredigt hat. Das ganze Lager ist durch sein Geschrei erregt, und tausende drängen sich um ihn. Jeder der verschiedenen Nationen redet er in ihrer eignen Sprache an und sucht sie zur Beharrlichkeit in der Befreiung Palästinas zu entflammen.«

»Beim Himmel, ein edler Eremit,« rief da König Richard. »Aber was ließ sich anders von Gottfrieds Blut erwarten! Er zweifelt an seiner Seligkeit, weil er in der Jugend seiner Liebe gelebt hat. Ich will ihm vom Papst einen Ablaßbrief verschaffen, und wenn seine Schöne auch eine Aebtissin gewesen wäre.«

Da ließ sich der Erzbischof von Tyrus melden, um König Richard in den Rat der Fürsten zu bitten.


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