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Zehntes Kapitel

Wir durften den übrigen Teil der Nacht schlafen, so gut es die elende Einrichtung der Schenke zuließ. Aber ermüdet durch die Reise und die nachfolgenden Auftritte, und nicht sonderlich bekümmert wegen unserer Verhaftung, die nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit sein konnte, kamen wir bald zur Ruhe, und ich hörte den Stadtvogt, der mit den seltsamen Verhältnissen, in denen wir uns befanden, vielleicht besser zurechtkam als ich, bald auf seinem harten Lager tüchtig schnarchen. Mir blieb nichts weiter übrig, als den Kopf auf den Tisch zu legen, und während des unruhigen Halbschlummers, der mich von Zeit zu Zeit befiel, bekam ich Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß sich in den Bewegungen der Soldaten Zweifel und Unentschlossenheit kundtaten. Es wurden Männer ausgesandt wie auf Kundschaft, die aber, wie ich recht gut merkte, ihrem Anführer keine erfreuliche Kunde meldeten; denn er war sichtlich unruhig und ängstlich und schickte wieder kleine Haufen von zwei bis drei Mann ab, von denen aber einige, wie ich aus dem Geflüster der übrigen vernahm, nicht zurückgekehrt waren.

Der Morgen war angebrochen, als ein Korporal und zwei Gemeine in die Hütte stürmten und mit einer Art von Triumph einen Hochländer herbeischleppten, in welchem ich sogleich meinen Bekannten, den gewesenen Gefängnisschließer, erkannte. Der Stadtvogt, der bei dem Lärm, den sie beim Eintritt machten, in die Höhe fuhr, rief sogleich: »Gott erbarms! Sie haben die arme Kreatur Dougal gekriegt – Hauptmann, ich will Bürgschaft für ihn leisten, hinlängliche Bürgschaft für diesen Dougal.«

Auf dieses Anerbieten, das ohne Zweifel von einer dankbaren Erinnerung an die letzten Dienstleistungen des Hochländers eingegeben wurde, antwortete der Hauptmann, Jarvie möge doch lieber an seine eignen Angelegenheiten denken, statt zu vergessen, daß er gegenwärtig selbst Gefangener sei.

»Ich nehm Euch zum Zeugen, Herr Osbaldistone,« sprach Jarvie, der mit dem bürgerlichen Recht besser bekannt war als mit dem Kriegsrecht, »daß mir der Herr verweigert hat, Bürgschaft zu stellen. Meiner Meinung nach kann Dougal sich wegen unrechtmäßiger Verhaftung beklagen, und ich will ihm zu seinem Rechte verhelfen.«

Der Offizier, Thornton mit Namen, ließ sich durch Jarvies Beschwerden nicht stören, sondern nahm Dougal scharf ins Verhör und nötigte ihm nach und nach die Aussage ab, daß er Robert Mac Gregor kenne und daß er ihn im letzten Jahr, im letzten Halbjahr, im letzten Vierteljahr, im letzten Monat – in letzter Woche, gesehen habe, ja daß er vor knapp einer Stunde mit ihm auseinandergegangen sei. Alle diese Angaben kamen wie Blutstropfen von dem Gefangenen und wurden augenscheinlich nur durch des Hauptmanns Drohung ausgepreßt, ihn an den nächsten Baum hängen zu lassen, wenn er nicht bestimmte und genaue Nachrichten gäbe.

»Und nun, Freundchen,« sprach der Offizier, »wirst Du mir noch sagen, wieviel Leute Dein Herr gegenwärtig bei sich hat.«

Dougal blickte überall hin, bloß nicht auf den Fragesteller, und antwortete, das wisse er selbst nicht und könne es also auch nicht sagen.

»Sieh mich an, Du Hochlandshund,« rief der Offizier, »und bedenke, daß Dein Leben von der Antwort abhängt. ... Wieviel Schelme hatte dieser vogelfreie Schurke bei sich, als Du ihn verließest?«

»Nicht mehr als ein halbes Dutzend, als ich ging.«

»Und wo waren die übrigen Schelme?«

»Mit dem Leutnant gegen die Kerle im Westen gezogen.«

»Gegen die westlichen Clans?« sprach der Hauptmann. »Hm – wahrscheinlich genug, und zu welcher bübischen Tat bist Du hier gewesen?«

»Um zu sehen, was Ihr Und Eure Rotröcke im Dorfe wolltet.«

»Die Kreatur bricht am Ende doch die Treue,« sprach Jarvie; »ich setze mich seinetwegen besser nicht in Unkosten.«

»Und nun, Freundchen,« fuhr der Hauptmann fort, »wollen wir uns miteinander verständigen. Du solltest als Spion am nächsten Baume hängen; aber wenn Du mir einen Dienst erzeigst, erzeig ich Dir einen andern. Du sollst mich mit einigen meiner Leute zu dem Orte führen, wo Du Deinen Herrn verlassen hast, da ich wegen wichtiger Geschäfte mit ihm zu sprechen habe, und ich lasse Dich Deiner Wege ziehen und gebe Dir noch fünf Guineen dazu.«

»Oh! oh!« rief Dougal in äußerster Bekümmernis; »kanns nicht tun,– kanns nicht tun! Läßt sich lieber hängen.«

»Dann sollst Du hängen, und Dein Blut komm' über Dein eigen Haupt. – Korporal Cramp, macht den General-Profos – fort mit ihm!«

Der Korporal hatte dem armen Dougal einige Zeit gegenübergestanden und einen Strick, den er im Hause fand, zusammengedreht. Jetzt warf er denselben um des Angeklagten Nacken und schleifte ihn mit Hilfe zweier Soldaten bis zur Tür, wo aber Dougal, von Todesangst übermannt, ausrief: »Halt! halt! Ihr Herren! – Will tun was der Herr Hauptmann verlangt – halt!«

»Fort mit dem Buben,« sprach Jarvie, »er verdient jetzt mehr als je, gehangen zu werden. – Fort mit ihm, Korporal! Warum bringt Ihr ihn nicht weg?«

»Ich glaube, Herr,« versetzte der Korporal, »wenn Ihr gehangen werden solltet, dann hättet Ihr schwerlich solche Eile.«

Dieses Nebengespräch verhinderte mich, zu hören, was zwischen dem Gefangenen und dem Hauptmann vorging; doch ächzte ersterer mit sehr niedergeschlagnem Tone: »Und wollt Ihr nicht verlangen, daß ich weiter mitgehe, als Euch zu zeigen, wo Mac Gregor ist? Oh! oh!«

»Still mit Deinem Geheul, Du Schelm! Ich gebe Dir mein Wort, daß Du zu weiterm nicht gehalten sein sollst. Laßt die Mannschaft vor dem Hause antreten, Korporal! Führt die Pferde der Herren heraus; wir müssen sie mitnehmen. Ich kann keine Leute entbehren, um sie als Wache hier zu lassen. Vorwärts – marsch!«

Wir wurden mit Dougal als Gefangene hinausgeführt. Als wir die Hütte verließen, hörte ich, wie Dougal den Hauptmann an die fünf Guineen erinnerte.

»Da hast Du sie,« sprach der Offizier und gab ihm Gold in die Hand; »aber laß Dir gesagt sein, wenn Du Dir etwa einfallen lassen solltest, mich irre zu leiten, jag ich Dir eine Kugel durch den Kopf.«

»Die Kreatur ist schlechter, als ich geglaubt habe,« sprach Jarvie – »ein erbärmlicher Wicht! Mein Vater, der Vorsteher, hatte gar recht mit seiner Rede: geprägtes Silber hat mehr Seelen erschlagen, als das nackte Schwert je Leiber erschlug.«

Die Wirtin trat nun vor und verlangte Bezahlung der Zeche, mit Einschluß alles dessen, was Galbraith und die Hochländer verzehrt hatten. Der englische Offizier machte Einwendungen, allein die Frau erklärte, wenn sie nicht dem Namen des edlen Herrn vertraut, auf den sich die Gesellschaft berufen hätte, so würde sie nie einen Tropfen Branntwein hergegeben haben; denn sie möge den Herrn Galbreith wiedersehen oder nicht, ihr Geld werde sie schwerlich bekommen – und sie sei eine arme Witwe, die nichts habe als ihre Kundschaft.

Der Hauptmann machte ihren Reden ein Ende, indem er die Zeche bezahlte, die sich nur auf einige Schillinge belief, obwohl sie nach schottischer Rechnung sich wie eine ganz schreckliche Summe anhörte.

Es war eine Wohltat für mich, die dunkle, rauchige, stickige Atmosphäre der hochländischen Hütte gegen die duftige Frische der Morgenluft zu vertauschen, als die Strahlen der aufgehenden Sonne, aus einem Zelt goldner und purpurner Wolken hervorbrechend, eine Gegend beleuchteten, schöner und romantischer, als ich je eine erblickt hatte. Links lag das Tal, das der Forth in östlicher Richtung durchströmte. Zur Rechten breitete sich mitten unter Wäldern, Hügeln und Felsen das Bett eines großen Bergsees aus, auf dessen Fläche der Morgenwind leichte Wellen kräuselte, die, glänzend im Sonnenschein, weiter flossen. Hohe Hügel, Felsen und Dämme, von Birken- und Eichenwäldern umwogt, begrenzten diese bezaubernde Wasserfläche, und das Laub, wie es im Winde rauschte und in der Sonne schimmerte, erteilte der tiefen Einsamkeit eine Art von Leben und Bewegung. Nur der Mensch erschien in einem geringern Zustande in einer Gegend, wo die ganze Natur große erhabne Züge trug. Die armseligen Hütten, deren das Dorf ungefähr ein Dutzend besaß, bestanden aus rohen Steinen, mit Lehm verbunden, und waren mit Rasen bedeckt, die auf unbehauene Baumstämme gelegt waren. Die Dächer reichten so tief herab, daß Andreas meinte, wir hätten letzte Nacht über das Dorf wegreiten können, ohne von seiner Nähe etwas gewahr zu werden, bis die Pferde mit den Beinen durch die Dächer gerutscht wären.

Aus allem konnten wir sehen, daß das Wirtshaus, so elend der Aufenthalt darin war, noch immer bei weitem das beste im Dorfe war.

Die Bewohner der ärmlichen Hütten wurden durch das Geräusch unsrer Abreise aufgestört, und während die Soldaten, zwanzig an der Zahl, sich in Reih und Glied stellten, guckten ein paar alte Weiber, mit grauen Flanellhauben auf dem Kopfe, deren Gesichter an Macbeths Hexen erinnerten, durch die halb geöffneten Türen. Auch kleine Kinder kamen langsam zum Vorschein, teils ganz nackt, teils mit Lumpen von gestricktem Zeuge bedeckt, klatschten in die kleinen Hände und wiesen den englischen Soldaten die Zähne, mit einem Ausdruck von Nationalhaß und Bosheit, der sich mit ihrem Alter nicht recht zu vertragen schien. Was mir vor allem auffiel, war der Umstand, daß keine Männer, nicht einmal Knaben von zehn oder zwölf Jahren, unter den Bewohnern des Dorfes zu sehen waren.

Sobald wir unsern Marsch wieder angetreten hatten, machte sich die Feindseligkeit der Bewohner in Worten Luft. Das letzte Glied hatte gerade das Dorf verlassen, da mischte sich ein gellender Ausruf der Weiber mit Kindergeschrei und Händeklatschen, womit die Weiber im Hochlande ihr Klagegeheul und Wutgeschrei zu verstärken pflegen. Ich fragte Andreas, der bleich wie der Tod aussah, was der Lärm zu bedeuten habe?

»Ich glaube, wir werdens bald genug erfahren,« antwortete er. »Vorläufig heißts für uns, daß die Weiber die Rotröcke und jeden, der Sächsisch spricht, verfluchen und ihnen alles Böse wünschen. Das Schlimmste ist, sie schreien uns nach, wir sollten nur am See hinauf gehen, da würden wir schon sehen, wohin wir kämen.«

Der Weg, den wir zogen, schien einen Angriff auf uns sehr zu begünstigen. Anfangs wand er sich abwärts vom See durch sumpfiges Wiesenland, mit Unterholz bewachsen, dann führte er durch dunkle, dichte Gebüsche, wo wenige Schritte vor uns ein Hinterhalt verborgen sein konnte, und oft ging er über rauhe Bergströme, in denen die Soldaten bis an die Kniee wateten,, und die mit solcher Gewalt strömten, daß immer zwei Mann sich an den Armen fassen mußten, um hindurchzugelangen.

Jarvie, dessen gesunder Verstand die Situation ihn besser noch erfassen ließ als mich, ritt kurz entschlossen zu dem Hauptmann heran.

»Als Anhänger des Königs Georg und als Freund seiner Arme nehme ich mir die Freiheit zu der Frage: Meint Ihr keine bessre Zeit wählen zu können, um in dieser Schlucht hinauf zu ziehen? Wenn Ihr Robin den Roten aufsucht, so weiß man, daß er immer über fünfzig Mann stark ist, und wenn ihm gar seine Freunde beistehen, so kann es Euch schlecht ergehen. Mein aufrichtiger Rat ist, lieber wieder in das Dorf zurückzugehen; denn die Hochlandsweiber sind wie die Seemöwen; wenn sie schreien, kommt immer schlecht Wetter.«

»Seid ohne Sorge, Herr,« erwiderte Hauptmann Thornton. »Als Anhänger des Königs Georg werdet Ihr mit Vergnügen hören, daß die Reiter von der Landmiliz, von Major Galbraith befehligt, sich schon mit zwei andern Reiterhaufen vereinigt haben, um alle niedern Pässe dieser wilden Gegend zu besetzen. Dreihundert Hochländer, unter den beiden Herren, die Ihr im Wirtshause gesehen habt, halten die obern Pässe. Die letzten Nachrichten über Robin stimmen mit den Aussagen des eingefangenen Burschen überein, daß er sich von allen Seiten umringt sieht und, entweder um sich leichter verborgen zu halten, oder um sich durchs Gebirge zu schlagen, den größern Teil seiner Mannschaft entlassen haben wird.«

»Wenn bloß nicht Galbraith heute morgen mehr Branntwein als Gehirn im Kopfe hat,« meinte Jarvie. »Ich an Eurer Stelle, Herr Hauptmann, würde nicht meine Zuversicht auf die Hochländer setzen, denn eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.«

Der Hauptmann ordnete seine Marschlinie anders, befahl den Soldaten, die Gewehre zu laden und die Bajonette aufzustecken, und bildete aus je einem Unteroffizier und zwei Mann eine Vor- und eine Nachhut. Dougal ward von neuem verhört, behauptete aber die Wahrheit seiner frühern Aussagen standhaft, und als man ihm über die verdächtige Beschaffenheit des Weges, den er führte, Vorhaltungen machte, antwortete er hartnäckig, er habe den Weg nicht selbst gemacht, und wenn die Herren lieber auf breiten Landstraßen marschierten, so hätten sie in Glasgow bleiben sollen.

Plötzlich verließ der Weg den Waldgrund und zog sich dicht am Ufer des Sees hin, so daß er die volle Aussicht auf dessen ausgebreiteten Spiegel bot, der nun, da sich der Wind gänzlich gelegt, in stiller Pracht die hohen dunklen Heideberge, die grauen, gewaltigen Felsen und rauhen Ufer widerspiegelte, die ihn umringten. Die Hügel senkten sich jetzt so nah an seine Ufer herab, und waren so zerrissen und steil, daß kein Weg übrig blieb, als der schmale Pfad, den wir zogen, und der von Felsen überhangen war, von denen aus wir leicht und fast ohne Möglichkeit, Widerstand zu leisten, durch herabgerollte Steine hätten vernichtet werden können. Ueberdies konnten wir auf einem Pfade, der sich um jedes Vorgebirge und jede Bucht wand, die das Ufer einschnitt, selten weiter als hundert Schritte vor uns sehen. Unser Anführer schien unruhig zu werden. Das verriet sich durch die wiederholten Befehle an seine Soldaten, scharfen Ausguck zu halten, und durch wiederholte Warnungen gegen Dougal, ihn auf der Stelle niederzuknallen.

»Wenn die Herren den roten Gregarach suchen wollten,« antwortete Dougal hierauf mit unerschütterlicher Ruhe, »so müßten sie sich eben gefaßt darauf machen, daß es ohne Gefahr nicht dabei abgehen würde.« Da machte der Unteroffizier, der die Vorhut anführte, Halt und sandte einen Mann mit der Meldung zurück, daß der Pfad vor ihm von Hochländern besetzt sei. Fast im nämlichen Augenblicke kam von der Nachhut die Meldung, in den Wäldern, die wir eben durchzogen hätten, erklänge der Dudelsack. Hauptmann Thornton, ebenso kriegskundig wie mutig, beschloß ohne weiteres, den Paß vor ihm zu stürmen, ehe der Angriff im Rücken zur Ausführung kommen könne. Dougal wurde zwischen zwei Mann genommen, und auch wir mußten mitten zwischen die Soldaten treten. Dann rückten die Soldaten vor mit der Standhaftigkeit englischer Krieger; nicht so Andreas, der vor Angst sich nicht zu halten wußte.

Wir näherten uns bis auf zwanzig Schritte der Stelle, wo man den Feind gesehen hatte. Es war eines jener Vorgebirge, die in den See hinaus laufen, an dessen Fuße der Weg sich bisher wand. Der rauhe Pfad verließ das Ufer und stieg in steilem Zickzack am Abhang eines grauen Schieferfelsens hinauf, der anders nicht zu ersteigen gewesen wäre. Auf dem Gipfel des Felsens, wohin der schmale, zerrissene Weg führte, meinte der Korporal die Mützen und langen Flinten von Hochländern gesehen zu haben, die anscheinend unter Heidekraut und Buschholz versteckt lagen. Thornton hieß ihn in drei Gliedern vorgehen, während er selbst langsamer zur Unterstützung mit der übrigen Mannschaft nachrücken wollte. Aber der geplante Angriff wurde durch die unvermutete Erscheinung einer Frau auf dem Gipfel gestört, die den Engländern gebieterisch »Halt« entgegenschrie und Auskunft verlangte, was die Rotröcke in Mac Gregors Lande suchten.

Selten hab ich eine so auffallende, so erhabne Gestalt gesehen, wie diese Frau, die zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahre stehen mochte. Ihr Gesicht mußte sich vormals durch Formen männlicher Schönheit ausgezeichnet haben, obwohl ihre Züge durch die Einwirkung rauher Witterung, und vielleicht durch den zerstörenden Einfluß des Kummers und der Leidenschaften tief gefurcht, jetzt nur stark, scharf und ausdrucksvoll waren. Sie trug ihren Plaid nicht um den Kopf und die Schultern gelegt, wie es Sitte der schottischen Frauen ist, sondern nach Art der hochländischen Krieger um den Leib geschlagen. Eine Mannsmütze mit einer Feder bedeckte ihr Haupt, in der Hand hielt sie ein entblößtes Schwert und ein Paar Pistolen im Gürtel.

»Das ist Robins Weib, Helene Campbell,« flüsterte Jarvie angsterfüllt mir zu, »da wird es bald genug blutige Köpfe unter uns geben.«

»Was sucht Ihr hier?« wiederholte sie, als Hauptmann Thornton selbst sich genähert hatte, um zu rekognoszieren.

»Wir suchen Robin Mac Gregor Campbell, über den die Acht verhängt ist,« versetzte der Offizier, »führen aber nicht Krieg gegen Weiber; drum leistet nicht vergeblichen Widerstand gegen des Königs Soldaten, sondern versichert Euch einer gnädigen Behandlung.«

»Ja, ich kenne Eure Gnade,« erwiderte die Amazone. »Ihr habt mir weder Namen noch Ruf gelassen – meiner Mutter Gebeine werden in ihrem Grabe schaudern, wenn man die meinigen an ihre Seite legt. Ihr habt mir und meinen Angehörigen weder Haus noch Heimat gelassen, weder Bett noch Lager, kein Vieh, uns zu nähren, keine Herde, uns zu kleiden. Ihr habt uns alles genommen, alles, selbst den Namen unsrer Väter, und nun wollt Ihr unser Leben holen?«

»Ich trachte nach keines Menschen Leben,« sagte der Hauptmann; »ich vollführe bloß die mir erteilten Befehle. Wenn Ihr allein seid, Frau, so habt Ihr nichts zu fürchten, – sind aber tollkühne Männer bei Euch, die vergeblichen Widerstand leisten wollen, dann komme ihr Blut über ihr eigenes Haupt. – Vorwärts, Korporal!«

»Vorwärts, marsch!« rief der Unteroffizier, »Hurra, Kinder! Robins Kopf oder einen Beutel mit Gold!«

Im Sturmschritt ging er voran, und seine sechs Krieger folgten; aber sie waren kaum um die erste Wendung des steilen Pfades herum, so krachte ein Dutzend Feuergewehre von verschiedenen Seiten des Passes her schnell hinter einander. Durch den Leib geschossen, suchte der Korporal noch immer die Höhe zu erklimmen, und hob sich mit den Händen an den Felsen empor, bis er nach einer verzweiflungsvollen Anstrengung losließ und vom Rande der Klippe in den tiefen See hinabstürzte, wo er ertrank. Von den Soldaten fielen drei; die übrigen retirierten, zum größten Teil blessiert, zur Hauptmacht zurück.

»Grenadiere an die Spitze!« rief Hauptmann Thornton, stellte sich ins vorderste Glied, und mit Hurra! ging es wieder vorwärts. Die Grenadiere rüsteten sich, ihre Granaten in die Gebüsche zu werfen, wo der Hinterhalt lag, und die andern machten sich zur Unterstützung fertig. Dougal, im Handgemenge vergessen, schlug sich in das Dickicht, das über dem Teile des Weges hing, wo wir zuerst Halt machten, und stieg mit der Gewandtheit einer wilden Katze empor. Ich folgte unwillkürlich seinem Beispiel und kletterte, bis ich außer Atem war. Das ununterbrochene Geknatter, denn jeder Schuß fand tausendfältigen Widerhall in den Bergen, das Gezische und Knallen der brennenden Granatenzünder, das Hurra der Soldaten und das mark- und beinerschütternde Geschrei ihrer hochländischen Gegner beflügelte, – wie ich mich nicht zu gestehen schäme, – mein Verlangen, einen sichern Ort zu erreichen. Aber der Aufstieg wurde bald so steil, daß ich alle Hoffnung aufgab, Dougal einzuholen, der sich von Felsen zu Felsen, von Stamm zu Stamm mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens aufschwang; und ich blickte zurück, um zu sehen, was aus meinen andern Gefährten geworden war.

Der Stadtvogt, durch die Furcht getrieben, war ungefähr zwanzig Fuß hoch gestiegen, als er beim Sprunge von einem Felsstück zum andern ausglitt; und wäre er nicht an einem starken Dornstrauch mit den Rockschößen hängen geblieben, der ihn nun schwebend in der Luft hielt, so wäre er ohne Zweifel heim zu seinem Vater, dem Vorsteher, gegangen.

Andreas war glücklicher gewesen, bis er zum Gipfel eines kahlen Felsens gelangte, der, über den Wald hervorragend, so steil und unzugänglich war, daß er weder vorwärts noch rückwärts zu gehen wagte. Auf der schmalen Felsenfläche hin und wieder tretend, schrie er abwechselnd in gälischer und englischer Sprache um Erbarmen, je nachdem der Sieg auf diese oder jene Seite sich zu neigen schien. Aber seine Rufe fanden nur Widerhall im Stöhnen des Stadtvogts, dem es in seiner schwebenden Situation, – die viel von einer Luftschaukel an sich hatte, – mit jeder Sekunde schrecklicher zu Mute wurde.

Bald aber sollte dem Vogt wie dem Gärtner Erlösung winken, denn die Ursache seines Schreckens schwand, das Feuer, anfangs so rege unterhalten, hörte plötzlich auf, was als sicheres Zeichen dafür gelten konnte, daß der Kampf zu Ende war. Ich suchte nun eine Stelle, von wo aus ich die Aufmerksamkeit der Sieger auf Jarvie lenken könnte, und fand nach mühsamer Kletterarbeit, was ich suchte. Ich übersah nun das Schlachtfeld; der Kampf war wirklich vorüber und hatte, wie ich mir von vornherein gedacht hatte, mit einer Niederlage der Engländer geendigt. Die Hochländer waren beschäftigt, den Offizier und den geringen Ueberrest der Schar, zwölf Mann, von denen die meisten verwundet waren, zu entwaffnen. Der Sieg war von ihren Gegnern wohlfeil erkauft, denn sie hatten nur einen Toten und zwei Verwundete. Aber all meine Aufmerksamkeit wurde jetzt von dem englischen Hauptmann in Anspruch genommen, von dessen Gesicht das Blut floß und der mit seiner Mannschaft nun all jene harten Maßregeln erlitt, die der Sieger dem Ueberwundenen auferlegt.


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