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Nicht Zeit ist's mehr zu brüten und zu sinnen,
Denn Jupiter, der glänzende, regiert
Und zieht das dunkel zubereitete Werk
Gewaltig in das Reich des Lichts. – Jetzt muß
Gehandelt werden, schleunig, eh' die Glücks-
Gestalt mir wieder wegfliegt über'm Haupt;
Denn stets in Wandlung ist der Himmelsbogen.
Schillers Wallenstein.
Als Leicester in seine Wohnung zurückkehrte, fühlte er sich nach einem so wichtigen und ermüdenden Tage, an dem er mehr als einen Sturm zu bestehen gehabt, mehr als eine Sandbank berührt hatte, bis endlich sein Schiff mit wehender Flagge in den Hafen einlief, ebenso erschöpft, wie der Seemann nach einem gefahrvollen Sturm. Er sprach kein Wort, während sein Kammerdiener seinen reichen Mantel gegen einen mit Pelz besetzten Schlafrock vertauschte, und als dieser ihm meldete, daß Varney mit seiner Herrlichkeit zu sprechen wünsche, antwortete er nur mit einem mürrischen Kopfnicken. Varney trat indessen doch ein, indem er dieses Zeichen für eine Erlaubniß nahm, und der Kammerdiener zog sich zurück.
Der Graf blieb schweigend und fast bewegungslos auf seinem Stuhle sitzen. Sein Kopf ruhte auf seiner Hand und sein Ellbogen war auf den Tisch gestützt, der vor ihm stand, ohne daß er sich des Eintritts oder der Gegenwart seines Günstlings bewußt zu sein schien. Varney wartete einige Minuten und war begierig ihn reden zu hören und zu erfahren, welches die vorherrschende Stimmung seines Gemüthes sei, das im Laufe des Tages von so mächtigen und vielfachen Gefühlen bestürmt worden war. Doch er wartete vergebens. Leicester blieb fortwährend stumm, und der Günstling sah sich genöthigt, die Unterredung zu beginnen. »Darf ich Ew. Herrlichkeit zu dem verdienten Triumphe Glück wünschen,« sagte er, »den Ihr heute über Euern furchtbaren Nebenbuhler erlangt habt?«
Leicester erhob sein Haupt, und antwortete schwermüthig, doch ohne Unwillen: »Du Varney, dessen stets bereite Erfindungsgabe mich in ein Gewebe der niedrigsten und gefährlichsten Lügen verwickelt hat, weißt am Besten, ob hier Grund zu einem Glückwunsche vorhanden ist.«
»Wie, Ihr wollt mich tadeln, Mylord?« fragte Varney, »daß ich nicht beim ersten Anlauf das Geheimniß verrieth, wovon Euer Glück abhängt, und dessen Bewahrung Ihr mir so oft und dringend an's Herz gelegt habt? Ew. Herrlichkeit waren ja selber zugegen. – Ihr hättet mir widersprechen und Euch durch das Geständniß der Wahrheit zu Grunde richten können; doch gewiß konnte dies ein treuer Diener nicht ohne Euren Befehl thun.«
»Ich kann es nicht leugnen, Varney,« sagte der Graf, indem er aufstand und durch's Zimmer schritt; »mein eigener Ehrgeiz ist an meiner Liebe zum Verräther geworden.«
»Sagt vielmehr, Mylord, Eure Liebe sei zur Verrätherin an Eurer Größe geworden und habe Euch von einer solchen Aussicht der Ehre und Macht ausgeschlossen, wie die Welt sie keinem Andern anzubieten vermag. Um meine geehrte Lady zur Gräfin zu machen, habt Ihr auf das Glück verzichtet, Euch selbst zum –«
Hier schwieg er und schien den Satz nicht vollenden zu wollen. »Wozu mich selber zu machen?« sagte Leicester; »sprich Deine Meinung aus, Varney.«
»Euch selbst zum Könige zu machen, Mylord,« versetzte Varney – »und noch dazu zum Könige von England! – Es ist kein Hochverrath gegen unsere Königin, das zu sagen. Sie würde dadurch erlangt haben, was alle treue Unterthanen ihr wünschen – einen fröhlichen, edlen und tapfern Gemahl.«
»Du träumst, Varney,« antwortete Leicester. »Ueberdies haben wir in unsern Zeiten genug erlebt, was einem Manne die Lust zu erheiratheten Kronen, die man von dem Schooße eines Weibes empfängt, verleiden mag. Da war Darnley in Schottland.«
»Der!« rief Varney, »der Thor, der dreifache Esel, der sich an einem fröhlichen Tage wie eine Rakete in die Luft schleudern ließ. Hätte Maria das Glück gehabt, den edlen Grafen zu heirathen, der einst bestimmt war, ihren Thron zu theilen, so würde sie einen Gemahl von ganz anderm Stoff erhalten, und dieser in ihr eine eben so folgsame und liebende Gattin gefunden haben, wie die Frau des geringsten Ritters, die den Hunden zu Pferde folgt und ihrem Gemahl den Zügel hält, wenn er sein Pferd besteigt.«
»Dies hätte wohl der Fall sein können, Varney,« sagte Leicester, indem ein flüchtiges Lächeln der Selbstzufriedenheit über sein ernstes Gesicht dahinschwebte. Heinrich Darnley kannte die Weiber zu wenig. – Bei Maria wäre es vielleicht einem Manne geglückt, der ihr Geschlecht besser gekannt hätte, die Rechte seines eigenen zu behaupten. Aber nicht bei Elisabeth, Varney – denn es kommt mir vor, als habe Gott ihr zu dem Herzen eines Weibes den Kopf eines Mannes gegeben, um die Thorheiten des ersteren zu überwachen. – Nein, ich kenne sie – sie wird Beweise der Liebe annehmen und sie erwidern, überzuckerte Sonette in ihren Busen stecken – ja sie mit gleichen beantworten – sie wird die Galanterie bis auf den Punkt treiben, wo sie zum Austausch der Zärtlichkeit wird – dann aber nicht weiter – und sie würde kein Jota ihrer eigenen Macht für das ganze Alphabet Amors und Hymens hingeben.«
»Desto besser für Euch, Mylord,« erwiderte Varney, »das heißt, wenn wir annehmen, daß sie wirklich diese Gesinnung hegt, da Ihr nicht mehr Anspruch auf Ihre Hand machen könnt. Ihr Günstling seid Ihr und könnt es bleiben, wenn die Dame zu Cumnor-Place in ihrer jetzigen Verborgenheit bleibt.«
»Arme Emma!« sagte Leicester mit einem tiefen Seufzer, »sie wünscht so sehnlichst vor Gott und Menschen als meine Gemahlin anerkannt zu werden!«
»Aber, Mylord,« sagte Varney, »ist ihr Wunsch vernünftig? – Das ist die Frage. Ihre religiösen Zweifel sind beseitigt – sie ist ein geehrtes und geliebtes Weib und erfreut sich der Gesellschaft ihres Gemahls zu solchen Zeiten, wo seine höheren Pflichten ihm gestatten, ihr Gesellschaft zu leisten. – Was will sie mehr? Ich halte mich überzeugt, daß eine so sanfte und liebende Dame, wie sie, einwilligen würde, ihr ganzes Leben in einer gewissen Verborgenheit hinzubringen – welche bei alledem nicht verborgener ist, als da sie noch zu Lidcote Hall war –, lieber als die Ehre und Größe ihres Gemahls, durch einen voreiligen Versuch sie zu theilen, auch nur im Geringsten zu vermindern.«
»Es liegt etwas Wahres in dem, was Du sagst,« entgegnete Leicester, »überdies wäre ihr Erscheinen hier gefährlich – doch sie muß sich in Kenilworth sehen lassen, Elisabeth wird nicht vergessen, daß sie es so bestimmt hat.«
»Diesen schweren Punkt muß ich noch näher bedenken,« sagte Varney; »ich bin mit dem Plane noch nicht fertig, an dem ich schmiede, welcher gewiß die Königin zufrieden stellen und der verehrten Lady gefallen wird; doch wollen wir für jetzt das Geheimniß ruhen lassen. Hat Eure Herrlichkeit noch sonst Etwas zu befehlen?«
»Ich wünsche allein zu sein,« sagte Leicester. »Verlaß mich, und stelle das stählerne Kästchen auf den Tisch. Bleib aber in der Nähe, damit ich Dich rufen kann.«
Varney entfernte sich. Der Graf öffnete ein Fenster und blickte lange und unruhig auf das schimmernde Heer von Sternen hinaus, welches klar und hell am Sommerhimmel funkelte. Unwillkürlich entfuhren ihm die Worte: »Noch nie bedurfte ich mehr der Gunst der Himmelskörper, denn mein Erdenpfad ist dunkel und verworren.«
Es ist bekannt, daß jenes Zeitalter großes Vertrauen auf die eitlen Prophezeihungen der Sterndeuter setzte, und obgleich Leicester von dem gewöhnlichen Aberglauben frei war, so stand er doch in dieser Hinsicht nicht über seinem Zeitalter, sondern zeichnete sich im Gegentheil darin aus, daß er den Jüngern dieser Wissenschaft Schutz verlieh. So allgemein auch der Wunsch in die Zukunft zu blicken bei jeder Menschenklasse ist, so ist er doch besonders Denen eigen, die sich mit Staatsgeheimnissen und den gefährlichen Intriguen und Cabalen der Höfe beschäftigen.
Mit der größten Vorsicht steckte Leicester den Schlüssel in das stählerne Kästchen, um zu sehen, ob es auch vielleicht geöffnet, oder das Schloß berührt worden sei, und nahm zuerst eine Rolle Goldstücke, die er in eine seidene Börse steckte, dann eine Pergamentrolle heraus, die mit planetarischen Zeichen, Linien und Berechnungen bezeichnet war und blickte einige Augenblicke mit großer Aufmerksamkeit darauf hin. Dann nahm er einen großen Schlüssel, hob einen Vorhang auf und öffnete im Winkel des Zimmers eine kleine verborgene Thür, die zu einer schmalen Treppe führte, welche in der Dicke der Mauer angebracht war.
»Alasco!« rief der Graf, doch nicht lauter als nöthig war, um von dem Bewohner des Thürmchens, zu welchem die Treppe führte, gehört zu werden, »Alasco, komm herab!«
»Ich komme, Mylord,« antwortete eine Stimme von oben. Der Fußtritt eines bejahrten Mannes wurde gehört, wie er langsam die schmale Treppe herabstieg, und Alasco trat in das Zimmer des Grafen. Der Astrolog war ein kleiner Mann und schien hochbetagt, denn sein Bart war lang und weiß und floß über sein schwarzes Wams bis auf den seidenen Gürtel herab. Sein Haar war von derselben ehrwürdigen Farbe; doch seine Augenbraunen waren eben so schwarz, wie seine lebhaften durchdringenden Augen, welche sie beschatteten, und diese Eigenthümlichkeit verlieh den Gesichtszügen des alten Mannes einen widerlichen und seltsamen Ausdruck. Seine Wangen waren noch frisch und roth, und die Augen glichen an Schärfe und Wildheit denen einer Ratte. Sein Benehmen war nicht ohne eine gewisse Würde, und der Sterndeuter schien, obgleich ehrerbietig, dennoch nicht den geringsten Zwang zu fühlen und nahm sogar einen belehrenden und gebietenden Ton gegen den ersten Günstling der Königin an.
»Eure Weissagungen sind nicht in Erfüllung gegangen, Alasco,« sagte der Graf, nachdem sie sich gegenseitig begrüßt hatten – »er ist wieder genesen.«
»Mein Sohn,« entgegnete der Astrolog, »Ihr müßt Euch erinnern, daß ich seinen Tod nicht mit Bestimmtheit verbürgte – auch gibt es keine Weissagung, die aus der Verbindung und Stellung der Himmelskörper gezogen wird, welche nicht dem Willen des Himmels unterliegt.«
»Was nützt aber da Eure geheime Kunst?« fragte der Graf.
»Dazu, mein Sohn,« versetzte der Greis, »daß sie den natürlichen und wahrscheinlichen Gang der Dinge vorherzeigt, obgleich dieser Gang wieder dem Willen einer höheren Macht unterworfen ist. Wenn Ihr das Horoscop wieder anseht, welches Ihr meiner Kunst vorlegtet, so werdet Ihr bemerken, daß Saturn, der dem Mars entgegensteht, in dem Haus des Lebens rückwärts geht und nur auf eine lange und gefährliche Krankheit deuten kann, deren Ausgang in Gottes Hand steht, doch wird der Tod wahrscheinlich die Folge davon sein. Wäre mir aber sein Name bekannt, so könnte ich vielleicht nach einem andern Systeme handeln.«
»Sein Name ist ein Geheimniß,« antwortete der Graf; »doch muß ich gestehen, Deine Prophezeihung ist nicht ganz unerfüllt geblieben. Er war krank, sehr krank, doch ging's ihm nicht an's Leben. Aber hast Du, wie ich Dir durch Varney sagen ließ, mein Horoscop wieder gestellt, so daß Du mir sagen kannst, was über mein künftiges Schicksal in den Sternen zu lesen ist?«
»Meine Kunst steht zu Eurem Befehl,« entgegnete der alte Mann; »und hier, mein Sohn, ist Eure Schicksalskarte, so glänzend im Anblicke, wie nur immer eins von diesen gesegneten Zeichen herabstrahlen mag, die auf unser Leben einwirken; doch ist sie nicht ungemischt von Furcht, Hindernissen und Gefahren.«
»Mein Loos müßte nicht das eines Sterblichen sein, wenn es anders wäre,« sagte der Graf; »fahrt fort und haltet Euch versichert, daß Ihr zu einem Manne redet, der sich seinem Schicksale handelnd oder leidend unterwirft, wie es einem Edlen Englands geziemt.«
»Dein Muth zum Handeln und zum Dulden muß sich noch höher erheben,« entgegnete der Greis. »Die Sterne deuten auf einen noch stolzeren Titel, auf einen höheren Rang. Es ist an Dir, ihre Meinung zu errathen, nicht an mir, sie deutlich auszusprechen.«
»Sprich sie aus, ich beschwöre Dich – sprich sie aus, ich befehle es Dir,« rief der Graf mit funkelnden Augen.
»Ich darf und will nicht,« entgegnete der Greis. »Der Zorn der Fürsten gleicht der Wuth des Löwen. Aber hört und urtheilt selbst, hier ist Venus, die aufsteigend in das Haus des Lebens und vereinigt mit der Sonne jenen mit Gold untermischten Silberglanz herabstrahlt, der Macht, Reichthum und Würde, Alles, was das stolze Menschenherz begehrt, in solchem Ueberflusse verkündet, daß der künftige Augustus jenes alten mächtigen Roms nicht von solchem Ruhme aus dem Munde seiner Haruspices mag vernommen haben, als dieser reiche Text von meinem geliebten Sohne mir hier vor Augen liegt.«
»Du scherzest mit mir, Vater,« sagte der Graf, erstaunt über die Begeisterung, womit der Astrolog seine Weissagung aussprach.
»Schickt es sich für Den zu scherzen, dessen Auge zum Himmel gewendet ist und dessen Fuß am Rande des Grabes steht?« entgegnete der Greis in feierlichem Tone.
Der Graf schritt zwei oder drei Mal mit ausgestreckter Hand durch's Zimmer, wie Einer, der dem Winke eines Phantoms folgt, welches ihn zu großen Thaten ermuthigt. Als er sich umwandte, sah er den Blick des Astrologen fest auf sich geheftet und bemerkte, wie seine Augen scharf und forschend unter dem Schirmdache seiner buschigen Brauen hervorblickten. Leicester's stolzes und argwöhnisches Gemüth fing sogleich Feuer. Er stürzte aus dem fernsten Winkel des hohen Gemaches auf den Greis zu, und blieb erst stehen, als seine ausgestreckte Hand kaum noch einen Fuß von dem Körper des Astrologen entfernt war.
»Elender!« rief er, »wenn Du wagst, ein falsches Spiel mit mir zu spielen, so lasse ich Dir lebendig die Haut abziehen! – Bekenne, daß man Dich gedungen hat, mich zu täuschen und zu verrathen – daß Du ein Betrüger bist und ich Deine thörichte Beute!«
Der Greis zeigte einige Unruhe, doch nicht mehr, als das wüthende Benehmen seines Patrons auch bei dem Unschuldigsten hätte hervorbringen können.
»Was soll diese Heftigkeit bedeuten, Mylord?« entgegnete er; »wodurch kann ich dieselbe von Euch verdient haben?«
»Gib mir den Beweis,« sagte der Graf heftig, »daß Du nicht mit meinen Feinden in Unterhandlung stehst.«
»Mylord,« versetzte der Greis mit Würde, »Ihr könnt keinen bessern Beweis davon haben, als den Ihr selber gewählt habt. In jenem Thurme habe ich die letzten vierundzwanzig Stunden zugebracht, und Ihr selber habt den Schlüssel in Verwahrung gehabt. Die Stunden der Dunkelheit habe ich damit zugebracht mit meinen trüben Augen nach den Himmelskörpern zu schauen, und während des Tages habe ich dieses alte Gehirn angestrengt, um die Berechnung zu vollenden, die sich aus ihrer Verbindung ergiebt. Ich habe keine irdische Nahrung gekostet – keine irdische Stimme gehört – Ihr selber wißt, daß ich nicht die Mittel dazu hatte – und doch sage ich Euch – ich, der ich hier in der Einsamkeit verschlossen war – daß innerhalb dieser vierundzwanzig Stunden Euer Stern am Horizont der herrschende geworden ist, und entweder lügt das große Buch des Himmels, oder es muß eine angemessene Störung Eures Glückes auf Erden vorgegangen sein. Wenn innerhalb dieses Zeitraums nichts geschehen ist, um Eure Macht zu sichern, oder Eure Gunst zu erhöhen, so bin ich in der That ein Betrüger und die göttliche Kunst, die zuerst auf den Ebenen von Chaldäa erfunden wurde, ist ein schändlicher Betrug.«
»Es ist wahr,« sagte Leicester nach einem augenblicklichen Nachdenken, »Du warst sicher verschlossen – und es ist auch wahr, daß die Veränderung mit meiner Lage vorgegangen ist, welche das Horoscop andeutet, wie Du sagst.«
»Warum dann dieses Mißtrauen, mein Sohn?« sagte der Astrolog in vorwurfsvollem Tone; »die himmlische Wissenschaft duldet kein Mißtrauen, selbst nicht bei ihren Günstlingen.«
»Still, Vater,« antwortete Leicester, »ich war im Irrthum. Dudley's Lippen werden kein Wort gegen ein sterbliches oder himmlisches Wesen – das höchste mit eingeschlossen – zu seiner Entschuldigung vorbringen. Rede lieber von unserm gegenwärtigen Vorhaben. Du sagtest, es sei ein drohender Anblick unter diesen glänzenden Verheißungen – kann Deine Kunst mir sagen, woher und wie mir Gefahr droht?«
»Nur insoweit,« antwortete der Astrolog, »setzt mich meine Kunst in den Stand Eure Frage zu beantworten. Das Unglück, womit ein feindliches, ungünstiges Geschick Dich bedroht, kommt von einem Jünglinge – und, wie ich glaube, von einem Nebenbuhler, sei es nun in der Liebe, oder Fürstengunst, das weiß ich nicht; auch kann ich Dir nichts weiter von ihm sagen, als daß er aus Westen kommt.«
»Aus Westen – ha!« erwiderte Leicester. – »Es ist genug – in der That zieht sich dort ein Ungewitter zusammen! – Cornwall und Devon – Raleigh und Tressilian – Einer von Beiden ist gemeint – ich muß mich vor Beiden hüten. – Vater, wenn ich Deiner Wissenschaft Unrecht gethan habe, so will ich Dich fürstlich belohnen.« Hier nahm er eine mit Gold gefüllte Börse aus dem vor ihm stehenden Kästchen. »Hier hast Du das Doppelte von Dem, was Varney Dir versprochen hat. – Sei treu und verschwiegen – gehorche den Anweisungen, die Du von meinem Stallmeister erhalten wirst, und laß Dich die kurze Einschließung und den geringen Zwang um meinetwillen nicht verdrießen – es soll Dir reichlich vergolten werden. – Hier Varney – führe diesen ehrwürdigen Mann in Deine Wohnung – sorge, daß es ihm an nichts fehlt, aber gib Acht, daß er mit Niemand redet.«
Varney verbeugte sich, der Astrolog küßte dem Grafen zum Abschied die Hand und folgte dem Stallmeister in ein anderes Zimmer, wo Wein und Erfrischungen für ihn aufgetragen waren.
Der Astrolog setzte sich zu seinem Mahle nieder, während Varney zwei Thüren verschloß, die Tapeten sorgfältig untersuchte, ob auch vielleicht ein Horcher hinter denselben versteckt sei; er setzte sich dann dem Weisen gegenüber und begann ihn zu befragen:
»Sahet Ihr mein Signal im Hofe von hier aus?«
»Ja,« sagte Alasco, denn diesen Namen führte er jetzt, »und ich richtete das Horoscop darnach ein.«
»Und der Patron nahm es ohne Widerrede an?« fuhr Varney fort.
»Nicht ohne Widerrede,« versetzte der Greis, »doch nahm er es an, und ich setzte hinzu, wie wir verabredet hatten, es drohe ihm Gefahr von einem entdeckten Geheimnisse und einem Jünglinge aus Westen.«
»Mylords Furcht wird bei der einen und sein Gewissen bei der andern Prophezeihung Gevatter stehen,« versetzte Varney. »Wahrhaftig, noch nie hat Jemand eine solche Laufbahn, wie die seinige, begonnen, und doch diese thörichten Bedenklichkeiten beibehalten! Ich möchte ihn gern zu seinem eigenen Vortheile betrügen. Aber was Eure Angelegenheiten betrifft, weiser Ausleger der Sterne, so kann ich Euch mehr von Eurem eigenen Schicksale sagen, als Eure Pläne und Figuren Euch zeigen können. Ihr müßt Euch sogleich von hier entfernen.«
»Ich will aber nicht,« sagte Alasco verdrießlich. »Ich bin seit Kurzem so viel hin und her gejagt – Tag und Nacht auf einem einsamen Thurmstübchen eingeschlossen gewesen – ich muß meine Freiheit genießen und meine Studien fortsetzen, welche von größerer Wichtigkeit sind, als das Schicksal von fünfzig Staatsmännern und Günstlingen, die in der Atmosphäre des Hofes gleich Wasserblasen aufsteigen und platzen.«
»Nach Eurem Gefallen,« sagte Varney mit einem hämischen Lächeln, das durch Gewohnheit seinen Zügen eigenthümlich war, und welches die Maler dem Satan als hauptsächlichsten Charakterzug zutheilen, »– nach Eurem Gefallen mögt Ihr Eurer Freiheit genießen und Eure Studien treiben, bis die Dolche von Sussex' Anhängern Euer Wams durchbohren und zwischen Euren Rippen stecken.«
Der Greis wurde blaß und Varney fuhr fort: »Wißt Ihr denn nicht, daß er einen Preis ausgesetzt für Den, der ihm den Erzquacksalber und Giftmischer Demetrius bringt, welcher dem Koche Sr. Herrlichkeit gewisse kostbare Gewürze verkaufte? – Wie, Ihr werdet blaß, alter Freund? erblickt Hali bereits ein Mißgeschick im Hause des Lebens? – Höre, Du sollst in einem alten Hause wohnen, welches ich auf dem Lande besitze, dort magst Du mit einem bäuerischen Burschen zusammen leben, welcher Schuhe trägt, die mit Nägeln beschlagen sind; die magst Du meinetwegen vermöge Deiner Alchymie in Gold verwandeln, als das Einzige, wozu man Deine Kunst gebrauchen kann.«
»Das lügst Du, schändlicher Spötter,« rief Alasco, indem er von ohnmächtigem Zorne zitterte. »Es ist bekannt, daß ich dem Steine der Weisen näher gekommen bin, als irgend ein hermetischer Künstler auf Erden. Es gibt nicht sechs Künstler auf der Welt, die dem großen Geheimniß so nahe gekommen sind.«
»Ei, um des Himmels Willen, was soll Alles dieses bedeuten?« fiel Varney ein. »Kennen wir denn einander nicht? Ich halte Dich für einen so vollkommenen, so vortrefflichen Meister in der Kunst des Betrügens, daß, nachdem Du alle Welt betrogen hast, Du Dich endlich selber betrügst. Ohne aufzuhören, Andere zu täuschen, hast Du Dich endlich durch Deine eigene Einbildungskraft täuschen lassen. Erröthe nicht darüber, Mann – Du bist ein Gelehrter und sollst classischen Trost haben:
Ne quisquam Ajacem possit superare nisi Ajax.
Keiner, als Du selber, hätte Dich betrügen können – und Du hast die ganze Brüderschaft der Rosenkreuzer betrogen und keiner von ihnen war so tief in's Geheimniß eingeweiht, wie Du. Aber laß Dir ein Wort in's Ohr sagen: Hätte das Gewürz an Sussex' Kraftbrühe sicherer gewirkt, so würde ich besser von Deiner chemischen Kenntniß gedacht haben, deren Du Dich so sehr rühmst.«
»Du bist ein hartnäckiger Schurke, Varney,« versetzte Alasco; »Viele werden diese Dinge thun und doch nicht wagen, davon zu reden.«
»Und Viele reden davon, und wagen nicht, sie zu thun,« antwortete Varney; »aber sei nicht aufgebracht – ich will nicht mit Dir zanken – wenn ich es thäte, müßte ich einen Monat lang nur von Eiern leben, um ohne Furcht essen zu können. Sage mir gerade heraus, wie es kam, daß gerade in dieser wichtigen Angelegenheit Deine Kunst fehlschlug?«
»Das Horoscop des Grafen von Sussex deutet an,« versetzte der Astrolog, »daß das Zeichen des Aufsteigens, wenn es in Aufruhr ist –«
»Zum Teufel mit Deinem Kauderwelsch,« versetzte Varney, »glaubst Du, Du redest mit Deinem Patron?«
»Ich bitte um Verzeihung,« versetzte der Greis, »und ich schwöre Euch, ich kenne nur ein Arzneimittel, welches dem Grafen das Leben kann gerettet haben; und da Niemand in England lebt, der das Gegengift kennt, außer mir – da überdies die Ingredienzien, eins ganz besonders, kaum zu haben sind, so muß ich seine Genesung einer solchen Beschaffenheit der Lungen und innern Theile zuschreiben, wie sie noch nie zuvor in einem Erdenkloße vorhanden war.«
»Es war die Rede von einem Quacksalber, der ihn behandelt habe,« sagte Varney nach augenblicklichem Nachdenken. »Bist Du völlig überzeugt, daß Niemand in England lebt, der Dein Geheimniß weiß?«
»Einen Mann gibt es,« sagte der Doctor, »er war einst mein Diener und hätte es mir möglicherweise nebst einigen andern Geheimnissen meiner Kunst stehlen können. Aber beruhigt Euch, Herr Varney, es ist nicht meine Sache, mir von solchen Burschen in die Karte sehen zu lassen. Er wird keine Geheimnisse mehr ausspähen, dafür stehe ich Euch; denn wie ich fest glaube, ist er auf den Flügeln eines feurigen Drachen zum Himmel gefahren. Friede sei mit ihm! – Doch, soll ich in meiner Zurückgezogenheit auch mein Laboratorium haben?«
»Eine ganze Werkstätte, Alter,« versetzte Varney; »denn ein ehrwürdiger Abt, der vor einigen zwanzig Jahren für König Heinrich und einige von seinen Hofleuten aufräumen wollte, hatte einen anständigen chemischen Apparat, den er so artig war seinen Nachfolgern zu überlassen. Dort magst Du arbeiten, schmelzen und blasen und multipliciren, bis der grüne Drache zu einer goldenen Gans wird, oder wie Deine Brüderschaft es jetzt nennen mag.«
»Du hast Recht, Varney,« sagte der Alchymist, indem er die Zähne zusammenbiß – »Du hast Recht, selbst bei Deiner Verachtung der Wissenschaft und Vernunft; denn was Du im Scherze sagst, mag sich in vollem Ernste ereignen, ehe wir uns wiedersehen. Wenn die ehrwürdigsten Weisen des Alterthums Wahrheit geredet haben – wenn die Gelehrtesten unserer Tage sie richtig verstanden haben – wenn ich überdies allenthalben, wohin ich reiste, in Deutschland, in Polen, in Italien und in der fernen Tartarei als ein Mann bin aufgenommen worden, dem die Natur ihre tiefsten Geheimnisse geoffenbart hat, – wenn ich mir die geheimsten Zeichen und Paßworte der jüdischen Cabala angeeignet habe, so daß die weißesten Bärte in der Synagoge die Stufen abkehren würden, um sie für mich zu reinigen, – wenn Alles dies so ist, und wenn nur ein Schritt übrig bleibt – ein kleiner Schritt zwischen meinem langen, tiefen, dunkeln und unterirdischen Gange und jenem Lichtglanze, welcher mir die Natur selber zeigen wird, wie sie ihre reichsten und herrlichsten Hervorbringungen in der Wiege bewacht – ein Schritt zwischen der Abhängigkeit und der Herrschermacht – ein Schritt zwischen der Armuth und einer solchen Summe des Reichthums, wie ihn die Erde ohne jenes edle Geheimniß aus all' ihren Minen der alten und neuen Welt nicht hervorbringen kann, wenn Alles dies so ist, ist es da nicht vernünftig, daß ich dem mein Leben weihe, mich auf eine kurze Zeit dem eifrigen Studium hingebe, um mich über die niedrige Abhängigkeit und die Günstlinge zu erheben, von welchen ich jetzt gefesselt bin?«
»Bravo, bravo! mein guter Vater,« sagte Varney mit seinem gewöhnlichen sarkastischen Ausdrucke; »doch alle diese Annäherung an den Stein der Weisen lockt nicht eine einzige Krone aus Lord Leicesters Tasche und noch viel weniger aus der des Richard Varney. – Wir bedürfen irdischer und wesentlicher Dienste und kümmern uns nicht darum, wen Du noch sonst durch Dein philosophisches Gaukelspiel täuschen magst.«
»Mein Sohn Varney,« sagte der Alchymist, »der Unglaube, welcher Dich wie ein Frostnebel umgibt, verdunkelt Deinen Scharfblick in solchem Grade, daß er dem Weisen ein Stein des Anstoßes wird, der jedoch Dem, welcher in Demuth Wissenschaft sucht, eine klare Warnungslehre gibt, daß, wer da sehen will, auch sehen kann. Meinst Du, die Kunst besitze nicht die Mittel, die Unvollkommenheit der Natur durch ihre Versuche bei der Bildung edler Metalle zu ergänzen, da wir durch dieselbe auch andere Operationen vervollkommnen können, wie Brüten, Destilliren, Gähren, und ähnliche Prozesse gewöhnlicher Art, wodurch wir sogar aus dem todten Ei Leben ziehen, Reinheit und Lebensstoff aus modrigem Unrathe hervorrufen, oder die schwere Substanz eines flüssigen Körpers in Bewegung bringen?«
»Ich habe das Alles schon früher gehört,« sagte Varney, »und mein Herz ist fest gegen solchen Unsinn, seit ich zwanzig gute Goldstücke an das große Geheimniß wendete, die aber alle in Rauch aufgingen. Von dem Augenblicke an, wo ich dieses Lehrgeld zahlte, spotte ich der Alchymie, der Astrologie, der Wahrsagerei und jeder andern verborgenen Kunst, und wäre sie so geheim, wie die Hölle selbst, so soll sie mich doch nicht bewegen, meine Börse zu öffnen. Dagegen aber spotte ich nicht über das Manna von St. Nicolas, und kann dasselbe auch nicht entbehren. Deine erste Arbeit muß sein, Etwas davon zu bereiten, wenn Du zu meinem kleinen Wohnsitze gelangst; hernach kannst Du so viel Gold machen, wie Du willst.«
»Ich werde nichts mehr von diesem Mittel bereiten,« sagte der Alchymist entschlossen.
»Dann sollst Du für das gehängt werden, was Du schon bereitet hast,« sagte der Stallmeister, »und so würde das große Geheimniß auf immer für das Menschengeschlecht verloren sein. – Thu' der Menschheit kein solches Unrecht an, guter Vater, sondern füge Dich Deinem Schicksale und bereite uns eine oder zwei Unzen, welches nur für eine oder zwei Personen hinreicht, damit Du Lebenszeit gewinnst, um das Universalmittel zu erfinden, welches auf einmal alle sterblichen Uebel heilt. Aber lustig, Du ernster, gelehrter und trübsinniger Narr! sagtest Du mir nicht, daß eine mäßige Portion von Deinem Gifttrank eine gelinde Wirkung thue und keinesweges dem menschlichen Körper schade, aber Niedergeschlagenheit des Geistes, Ekel, Kopfschmerz und Unlust den Ort zu verlassen, erzeugt – ungefähr eine solche Stimmung, die den Vogel zurückhält, aus dem Käfig zu fliegen, wenn auch die Thüre offen steht?«
»Das sagte ich, und es ist wahr,« entgegnete der Alchymist; »dies wird die Wirkung sein. Wenn ein Vogel in gehörigem Maße davon genießt, wird er die ganze Jahreszeit über auf der Stange sitzen, ohne an den freien blauen Himmel, oder den schönen grünen Wald zu denken, obgleich der eine von den Strahlen der aufgehenden Sonne erleuchtet wird, und der andere von den neuerwachten Gesängen seiner befiederten Bewohner widerhallt.«
»Und dies ohne Lebensgefahr?« fragte Varney etwas ängstlich.
»Ja, wenn man Verhältniß und Maß nicht überschreitet und immer Jemand in der Nähe bleibt, der die Natur des Manna kennt, um über die Symptome zu wachen und im Nothfalle Hülfe zu leisten.«
»Du sollst das Ganze leiten,« sprach Varney, »und fürstlich belohnt werden, wenn Du Zeit und Probe hältst, und nicht das gehörige Maß zum Nachtheile ihrer Gesundheit überschreitest – sonst soll Deine Strafe eine ebenso schwere sein.«
»Zum Nachtheil ihrer Gesundheit?« wiederholte Alasco; »so ist es also ein Weib, an dem ich meine Kunst versuchen soll?«
»Nein, Du Thor,« antwortete Varney, »sagte ich nicht, es sei ein Vogel, ein zahmer Hänfling, dessen Stimme einen Habicht im Herabschießen aufhalten würde? – Ich sehe Deine Augen funkeln und es ist mir nicht unbekannt, daß Dein Bart nicht ganz so weiß ist, wie Du ihn gemacht hast. – Diesen wenigstens hast Du in Silber zu verwandeln vermocht. – Aber wohl gemerkt, das ist nichts für Dich. Dieser Vogel ist Jemandem theuer, der keinen Nebenbuhler duldet und vollends keinen, wie Du einer bist. Für ihre Gesundheit aber muß vor Allem Sorge getragen werden. Sie hat Befehl, zu jenen Festlichkeiten nach Kenilworth zu kommen und es ist wünschenswerth – sehr wichtig – durchaus notwendig, daß sie nicht von selber dorthin fliegt. Sie muß von dieser Nothwendigkeit und deren Folgen etwas erfahren, und wir müssen darauf bedacht sein, daß ihr eigener Wunsch endlich dahin gehe, alle gewöhnlichen Gründe gegen ihr Zurückbleiben zu bekämpfen.«
»Das ist natürlich,« sprach der Alchymist mit einem seltsamen Lächeln, welches in näherer Beziehung zu dem menschlichen Charakter stand, als das untheilnehmende, gleichgültige Wesen, welches sich bis dahin in seinen Gesichtszügen ausgesprochen hatte, wo sich Alles auf eine andere, als die ihn umgebende Welt, zu beziehen schien.
»So ist es,« antwortete Varney; »Ihr versteht Euch wohl auf die Weiber, obgleich es schon lange her sein mag, daß Ihr nähern Umgang mit ihnen hattet. – Nun wohl denn – man muß ihr nicht widersprechen, aber auch ihren Launen nicht nachgeben. Versteht mich wohl – eine leichte Unpäßlichkeit, hinreichend ihr das Verlangen zu benehmen, ihren Aufenthalt zu verlassen und zu bewirken, daß die Mitglieder Eurer weisen Brüderschaft, die man zu Hülfe rufen möchte, ihr empfehlen, ruhig zu Hause zu bleiben, wird mit einem Wort als guter Dienst angesehen und als solcher belohnt werden.«
»Man verlangt also nicht von mir, daß ich ihre Lebenskräfte angreifen soll?« fragte der Alchymist.
»Im Gegentheil, wir würden Dich hängen lassen, wenn Du es thätest,« antwortete Varney.
»Auch muß ich Gelegenheit haben, mein Geschäft zu besorgen,« sagte Alasco, »sowie auch die Mittel, mich im Fall der Entdeckung zu verbergen, oder zu entkommen.«
»Alles, Alles, Du Ungläubiger in Allem, was nicht die Unmöglichkeit der Alchymie betrifft. – Wie, Alter, wofür hältst Du mich?«
Der Greis stand auf, nahm ein Licht und ging auf das Ende des Zimmers zu, wo sich eine Thüre befand, die zu einem kleinen Schlafgemach führte, welches zu seiner Aufnahme in jener Nacht bestimmt war. – An der Thüre wendete er sich um, und wiederholte langsam Varney's Frage, ehe er sie beantwortete. »Für was ich Dich halte, Richard Varney? – Für einen noch ärgern Teufel, als ich selber gewesen bin. Doch ich bin in Euren Netzen, und muß Euch dienen, bis mein Termin abgelaufen ist.«
»Gut, gut,« antwortete Varney hastig, »sei mit Anbruch des Morgens auf. Vielleicht bedürfen wir Deiner Arznei nicht. Thue nichts, bis ich selber hinunter komme. Michael Lambourne wird Dich an den Ort Deiner Bestimmung führen.«
Als Varney hörte, daß der Adept die Thür sorgfältig von Innen verriegelte, ging er auf dieselbe zu, und wendete von Außen dieselbe Vorsicht an, zog den Schlüssel heraus und murmelte bei sich selber: Aerger als Du, Giftmischer, Quacksalber und Hexenmeister? Wenn Du nicht ein Sclave des Teufels bist, so geschieht es nur, weil er einen solchen Lehrling, wie Dich, verachtet! Ich bin ein sterblicher Mann und strebe durch irdische Mittel nach der Befriedigung meiner Leidenschaften und nach der Erfüllung meiner Aussichten. – Du bist ein Unterthan der Hölle selbst. – »Heda, Lambourne!« rief er in eine andere Thüre hinein, und Michael trat mit gerötheter Wange und unsichern Schritten herein.
»Du bist betrunken, Schurke!« sagte Varney zu ihm.
»Ohne Zweifel, edler Herr,« versetzte der unverschämte Mensch, »wir haben auf den Ruhm des Tages, auf die Gesundheit des edlen Lord von Leicester und seines tapfern Stallmeisters getrunken. – Betrunken! Potz Schwert und Dolch! Wer sich an einem solchen Tage weigern wollte, ein Dutzend Gesundheiten zu trinken, müßte ein elender Tropf, ein Stockfisch sein, und er sollte sechs Zoll von meinem Dolche verschlucken.«
»Höre, Schurke,« rief Varney, »sei nüchtern im Augenblick, ich befehle es Dir! Ich weiß, Du kannst Deinen Rausch nach Gefallen abwerfen, wie ein Narrenkleid; und wäre das nicht, so stände es schlecht um Dich.«
Lambourne ließ den Kopf hängen, verließ das Zimmer und kehrte in zwei oder drei Minuten mit ruhiger Miene, geordnetem Haar und Anzug und einer solchen Veränderung seines Wesens zurück, als sei er ein anderer Mensch geworden.
»Bist Du jetzt nüchtern und verstehst Du, was ich sage?« rief Varney ihm finster zu.
Lambourne nickte bejahend.
»Du mußt sogleich nach Cumnor Place hinunter mit dem ehrwürdigen Künstler, welcher dort in dem kleinen gewölbten Zimmer schläft. Hier ist der Schlüssel, damit Du ihn bei Zeiten wecken kannst. Nimm noch einen zuverlässigen Burschen mit. Behandle ihn gut auf der Reise, aber laß ihn nicht entfliehen – erschieße ihn, wenn er es versucht, ich stehe für Alles. Ich will Dir einen Brief an Foster mitgeben. Der Doctor soll die Zimmer auf der östlichen Seite des Vierecks bewohnen und die Freiheit haben, das alte Laboratorium nebst dem ganzen Apparat zu benutzen. – Er soll nicht anders Zutritt zu der Dame haben, als wenn ich es bestimme – vielleicht ergötzt es sie, seine Gauklerkünste anzusehen. Du erwartest zu Cumnor Place meine weitern Befehle, und wenn Dir Dein Leben lieb ist, hüte Dich vor der Bierbank und der Branntweinflasche. Jeder Athemzug, den Du zu Cumnor Place thust, muß von der gemeinen Luft gesondert sein.«
»Genug, Mylord – edler Herr, wollte ich sagen – und ich hoffe, Euch bald meinen edlen ritterlichen Herrn nennen zu dürfen. Ihr habt mir meine Instruktion und Vollmacht gegeben – ich will die erstere befolgen und die letztere nicht mißbrauchen. Bei Tagesanbruch werde ich im Sattel sein.«
»Thue das, so wirst Du meine Gunst verdienen. – Bleib, – ehe Du gehst, fülle mir einen Becher mit Wein. Nicht aus der Flasche, Bursche« – rief er, als Lambourne ihm aus der Flasche einschenken wollte, die Alasco halb geleert zurückgelassen hatte, »hole mir eine frische.«
Lambourne gehorchte und nachdem Varney sich mit dem Weine den Mund ausgespült hatte, trank er einen vollen Becher davon. Dann nahm er eine Lampe und sagte, während er sich in sein Schlafgemach zurückzog: »Es ist seltsam – ich bin doch so wenig wie irgend Jemand Sclave der Einbildung; doch immer, wenn ich einige Minuten mit diesem Schurken Alasco rede, ist es mir gleich, als habe ich Arsenik im Munde und im Halse.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Lambourne blieb zurück, um auch einen Becher aus der frisch geöffneten Flasche zu trinken. »Es ist Johannisberger,« sagte er, als er mit dem Zuge anhielt, um den würzigen Geschmack des Weines zu kosten; »wahrlich, das ist der ächte Veilchenduft. Doch jetzt muß ich aufhören, um die Flasche später nach Gefallen trinken zu können.« Er stürzte einen Becher Wasser hinunter, um die Dünste des Rheinweins zu vertreiben, und ging langsam auf die Thüre zu; doch die Versuchung war für ihn unwiderstehlich, er stand still, kehrte dann hastig zurück, und that noch einen langen Zug aus der Weinflasche, ohne sich des Bechers zu bedienen.
»Hätte ich nur diese verdammte Gewohnheit nicht,« sagte er, »so könnte ich ebenso hoch steigen, wie Varney selber. Doch wer kann aufsteigen, wenn das Zimmer sich mit ihm umdreht, wie der Wetterhahn auf einem Kirchthurme? Ich wollte die Entfernung zwischen meiner Hand und meinem Munde wäre größer, oder der Weg unebener! – Aber morgen will ich nichts als Wasser – nichts als reines Wasser trinken.«