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Kapitän Weatherport war inzwischen selbst zu Kirkwall angelangt, wo er mit großer Freude von der Stadtobrigkeit aufgenommen wurde, die sich zu diesem Zwecke versammelt hatte. Der Stadthauptmann gab seiner Freude Ausdruck, wie sehr man der Vorsehung zu danken habe, daß die Fregatte in dem Augenblick erschienen sei, wo das Piratenschiff nicht mehr habe entfliehen können. Hierüber schien der Kapitän etwas erstaunt: »Dafür,« sprach er, »mögt Ihr den Berichten danken, die ich von Euch selbst empfing.«
»Von mir?« fragte der Richter verwundert.
»Allerdings,« entgegnete der Kapitän, »wenn ich anders mit Gurge Torfe rede, dem Stadthauptmann von Kirkwall, der diesen Brief hier sandte.«
In äußerster Bestürzung nahm der Stadthauptmann das an Kapitän Weatherport, Fregatte Halkyon, adressierte Schreiben, worin von der Ankunft des Piratenschiffes, seiner Größe, Mannschaft usw. Bericht erstattet wurde; mit dem Beifügen, daß die Piraten die Ankunft der Fregatte erfahren und beschlossen hätten, sich in die Untiefen zu flüchten, wohin die Fregatte ihnen nicht folgen könnte; ja daß im schlimmsten Falle die Piraten die Schaluppe auf den Strand setzen und in die Luft sprengen wollten, wodurch für die Sieger reiche Beute verloren gehen würde. In dem Briefe wurde deshalb geraten, mit der Fregatte zwischen Duncansbai-Head und Kap-Wrath ein paar Tage lang zu kreuzen, um die Piraten in Sicherheit zu wiegen, zumal dem Schreiber dieses Briefes bekannt sei, daß die Piraten, sobald die Fregatte die Küste verlassen hätte, in die Stromneß-Bai einlaufen wollten, um dort, einer notwendigen Reparatur wegen, ihre Kanonen ans Land zu bringen. Das Schreiben schloß mit der Versicherung, daß Kapitän Weatherport, wenn er die Fregatte am Morgen des 24. Augusts in die Stromneß-Bai bringen könne, gegen die Piraten gutes Spiel haben werde – geschähe es aber früher, so würden sie ihm wahrscheinlich entgehen.
»Dieser Brief ist nicht von mir, auch ist das nicht meine Unterschrift, Kapitän Weatherport,« nahm der Richter das Wort; »ich hätte nun und nimmer den Rat gewagt, Eure Herkunft zu verschieben.«
Jetzt war die Reihe des Staunens am Kapitän.
»Ich kann nur sagen, daß ich den Brief in der Bai von Thurse erhielt und der Bootsmannschaft, die ihn brachte, fünf Taler zahlte, weil sie das Pentland-Haff bei gar stürmischem Wetter durchschifft hatte. Ein stummer Zwerg war dabei als Bootsmann, der garstigste, den je meine Augen erblickten.«
»Gut, daß es so gekommen ist,« entgegnete der Richter; »aber es ist die Frage, ob die Person, die das Schreiben sandte, nicht vielleicht doch wünschte, Ihr hättet das Nest leer und den Vogel ausgeflogen gefunden.«
Dabei reichte er Magnus den Brief, der ihn mit Lächeln, aber ohne Bemerkung zurückgab, vermutlich mit unsern Lesern überzeugt, daß Norna ihre eigenen Gründe gehabt, die Fregatte auf den bestimmten Tag einlaufen zu lassen.
Ohne sich weiter über einen Umstand den Kopf zu zerbrechen, der ihm unerklärlich schien, drang der Kapitän auf den Beginn des Verhörs, und Cleveland und Bunce wurden demgemäß zuerst vorgeführt. Kaum aber hatte es angefangen, als nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Beamten an der Tür Basil Mertoun hineingestürzt kam mit dem Rufe:
»Nehmt das alte Opfer für das junge! – Ich bin Basil Vaughan, allzu bekannt auf den westindischen Gewässern, – nehmt mein Leben und schont meines Sohnes!«
Alle waren erstaunt, niemand aber mehr als Magnus Troil, der dem Stadthauptmann nun erklärte, daß dieser Mann schon seit Jahren friedlich auf Shetland gelebt habe.
»Dann habe ich nichts weiter hiermit zu tun,« sagte der Kapitän, »denn zwei Begnadigungen lauten zu seinen Gunsten; und, bei meiner Seel'! wenn ich da beide in solcher Umarmung sehe, wünschte ich, ich könnte gleiches von dem Sohne sagen.«
»Aber wie kann das sein?« fragte der Stadthauptmann, »wir haben den Alten ja immer Mertoun und Jungen Cleveland genannt. Jetzt aber scheint es, als hießen sie beide Vaughan.«
»Vaughan,« sagte Magnus, »ist ein Name, der mir in mancherlei Erinnerung steht, und nach Mitteilungen, die ich kürzlich von meiner Muhme Norna erfuhr, hat der alte Mann hier das Recht, ihn zu tragen.«
»Und der junge Mann ebenfalls, wie ich glaube,« fiel der Kapitän ein, nachdem er einige Papiere durchblättert hatte. »Hört einen Augenblick,« fügte er hinzu, zu dem jungen Vaughan gewandt, den wir bisher Cleveland nannten. »Euer Name ist Clement Vaughan – seid Ihr derselbe, der, ein Knabe noch, eine Schar Räuber befehligte, die vor acht oder neun Jahren das an der spanisch-amerikanischen Küste gelegene Dorf Quempoa plünderte, in der Absicht, dort Schätze zu finden?«
»Wozu es leugnen?« antwortete der Gefangene.
»Euer Geständnis kann Euch nützlich sein,« entgegnete Kapitän Weatherport. »Die Maultiere kamen mit den Schätzen davon, während Ihr, auf Gefahr Eures eigenen Lebens hin, die Ehre zweier spanischen Frauen gegen Eure wilden Genossen in Schutz nahmt. Erinnert Ihr Euch dessen?«
»Genau weiß ich es,« nahm Jack Bunce das Wort, »setzten wir doch unsern Kapitän drum auf einer Insel aus, und wurde mir doch, weil ich ihm Beistand geleistet, der Rücken verbläut und gepökelt.«
»Werden diese Umstände erwiesen,« fügte Kapitän Weatherport, »dann ist Vaughans Leben gerettet – die Frauen, die er beschützte, waren die Töchter des Gouverneurs der Provinz, und längst schon hat der dankbare Spanier bei unserer Regierung ein Fürwort für ihren Retter eingelegt. Als ich vor sechs Jahren in den westindischen Gewässern gegen die Piraten kreuzte, geschah es mit besonderen Instruktionen betreffs Clement Vaughans. Aber der Name war dort verschwunden, und ich hörte statt seiner von Cleveland reden. Ob aber Cleveland oder Vaughan, genug, Kapitän, ich glaube Euch Euren Pardon in London zusichern zu können.«
Cleveland verbeugte sich, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Mertoun fiel auf die Knie und hob dankend die Hände zum Himmel. Unter allgemeiner Teilnahme der Anwesenden wurden sie beide abgeführt.
»Und nun, Leutnant, was habt Ihr Zu Eurer Entschuldigung vorzubringen?« fragte Kapitän Weatherport, sich an den vormaligen Jünger Thaliens wendend.
»Ach, wenig oder nichts, werter Herr!« antwortete dieser, »außer daß ich wünschte, Ihr fändet noch meinen Namen unter denen, die auf Pardon zu rechnen haben; denn ich stand zu Quempoa dem Kapitän wacker bei.«
»Federigo Altamont heißt Ihr,« fragte Kapitän Weatherport, »einen solchen Namen finde ich nicht; aber einen Jack Bonne oder Bunce hat die dankbare Spanierin aufgezeichnet.«
»Ei, das bin ich – in Person, Kapitän, und kann es beweisen – und bin jetzt entschlossen, obgleich der Name gemeiner klingt, fortan lieber als Jack Bunce zu leben, denn als Federigo Altamont am Galgen zu hängen.«
»So kann ich Euch einige Hoffnung geben,« sprach der Kapitän, mit der Hand winkend.
Bunce Altamont dankte und wurde abgeführt. – Gegen Goffe und die übrigen Piraten aber gab es keine Milderungsumstände.
Die Fregatte segelte darauf schon nach zwei Tagen mit den Gefangenen nach London ab.
Während seiner Haft in Kirkwall wurde Cleveland von dem Kapitän der Fregatte gut behandelt, und sein alter Bekannter, Magnus Troil, der insgeheim erfahren hatte, wie nah er seinem Blute verwandt sei, überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten aller erdenklichen Art.
Norna, deren Teilnahme an dem unglücklichen Gefangenen begreiflicherweise die aller andern übertraf, war von dem Totengräber ohnmächtig auf dem Boden gefunden worden; als sie sich wieder erholte, war aber ihr Geist völlig zerstört, so daß sie unter wachsamer Pflege gehalten werden mußte.
Von den Schwestern von Burgh-Westra hörte Cleveland nur, daß sie infolge des ausgestandenen Schreckens erkrankt wären, bis ihm am Abend, ehe die Fregatte unter Segel ging, ein Briefchen folgenden Inhalts zugesteckt wurde: – »Lebt wohl, Cleveland, wir trennen uns auf immer, es muß so sein – seid tugendhaft, seid glücklich! Gedenket meiner, als weilte ich nicht mehr unter den Lebenden, Ihr müßtet denn Ehren im gleichen Maße auf Euch häufen, wie bisher Unehre; in diesem Falle gedenkt meiner dann wie eines Mädchens, das sich Eurer freuen wird, wenn sie Euch auch nie wiedersehen darf!« – Das Schreiben war M. T. unterzeichnet, und Cleveland las es mit tiefer Bewegung, die sogar Tränen in seine Augen führte, wieder und wieder.
Auch Mordaunt Mertoun empfing ein Schreiben und zwar von seinem Vater, das aber ganz anderer Art war. Sein Vater sagte ihm auf immer Lebewohl und entband ihn aller Kindespflicht, da er ihm, wie er sagte, trotz langjährigen Mühens, sein Herz zu wandeln, Vaterliebe doch nie habe schenken können. Der Brief bezeichnete auch einen verborgenen Winkel in Jarlshof, wo sich eine beträchtliche Summe verwahrt fände, mit der sein Sohn wie mit seinem Eigentum schalten und walten dürfe. »Du brauchst nicht zu befürchten,« so hieß es in dem Briefe, »Dir dadurch eine Verpflichtung gegen mich aufzulegen, oder teil an geraubtem Gute zu nehmen. Was ich Dir jetzt übergebe, ist das Eigentum Deiner verstorbenen Mutter, Luisa Gonzago, und kommt Dir also mit allem Rechte zu. Verzeihen wir uns beide einander,« lautete der Schluß, »wie Menschen, die sich nie wieder treffen sollen.« – Und so geschah es auch; sie trafen einander nie wieder; denn der Vater, der überhaupt nicht unter Anklage gestellt wurde, verschwand, gleich nachdem über Clevelands Schicksal die Entscheidung gefällt worden, und zog sich, wie man allgemein vermutete, in ein fernes Kloster zurück.
Clevelands Schicksal geht aus nachstehendem Briefe deutlich hervor, den Minna acht Wochen nach Abfahrt der Fregatte Hakyon von Kirkwall bekam.
Die Familie saß gerade auf Burgh-Westra beisammen, mit Mordaunt, der ihr jetzt als Mitglied angehörte, wie auch mit Norna, die sich zufolge der unermüdlichen Pflege, die ihr Minna angedeihen ließ, von ihrer Geistesabwesenheit nach und nach zu erholen anfing.
»Minna,« so lautete der Brief, »lebe wohl auf immer! Glaube mir, nie wollte ich Dich kränken. – Von dem Augenblick an, da ich Dich kennen lernte, beschloß ich, mich von den mir verhaßten Gefährten zu trennen, und entwarf tausend Pläne, die nach Verdienst vereitelt wurden; – denn wie hätte auch das Schicksal einer liebenswürdigen, reinen, unschuldsvollen Seele mit dem eines Schuldbefleckten vereint werden können? – Von diesen Träumen aber will ich nicht mehr sprechen. – Die ernste Wirklichkeit meines Geschicks ist milder, als ich erwarten durfte; das wenige Gute, das ich vollbracht, hat in den Augen ehrenwerter und barmherziger Richter meine vielen bösen und verbrecherischen Taten aufgewogen. Nicht nur bin ich dem schmachvollen Tode entgangen zu dem mehrere meiner Genossen verurteilt wurden; sondern Kapitän Weatherport, den neue Kriegswirren an die spanisch-amerikanische Küste rufen, hat für mich und einige meiner Kameraden die Erlaubnis erwirkt, ihn auf dieser Expedition zu begleiten wegen unserer genauen Kenntnis dieser Küsten. Wir dürfen also hoffen, all unsere Kraft jetzt dem Vaterlande zu weihen .... Minna, Du wirst meinen Namen ehrenvoll, oder nie mehr, nennen hören. – Kann Tugend Glückseligkeit verleihen, so brauche ich sie Dir nicht zu wünschen, denn Du besitzest sie dann schon im vollen Maße. Minna – lebe wohl!«
Minna weinte über den Brief so bitterlich, daß Nornas Aufmerksamkeit rege wurde. Sie entriß das Schreiben den Händen ihrer Nichte und überlas es anfangs mit wirren Blicken, als sei ihr nichts darin verständlich – dann schien ihr der Inhalt gewissermaßen aufzudämmern, – und endlich ließ sie den Brief, mit einem Ausdruck von Freude und Kummer, ihren Händen entsinken.
Von diesem Augenblick an schien Nornas Charakter sich zu wandeln; ihre Tracht wurde schlichter, und ihr Zwerg wurde, für alle Zukunft reichlich versorgt, entlassen. Sie sehnte sich nicht mehr nach ihrer herumschweifenden Lebensweise, sondern ließ ihr Heim auf Fitful-Head niederreißen, legte den Namen Norna ab und wollte fortan nur Ulla Troil heißen. Aber die wichtigste Veränderung mit ihr ging erst später vor sich. Seit dem durch sie herbeigeführten Tode ihres Vaters hatte sie sich wie ein von der göttlichen Gnade ausgeschlossenes Wesen betrachtet und sich nur wenig mit der Bibel beschäftigt. Jetzt wurde das heilige Buch nur selten von ihr beiseite gelegt, und wenn arme Leute zu ihr kamen, um wie früher ihre Macht über die Elemente in Anspruch zu nehmen, gab sie ihnen den Bescheid: »Er hält den Wind in seinen Händen.«
Gegen Mordaunt zeigte sie nach wie vor rege Teilnahme; vielleicht hauptsächlich aus Gewohnheit; auch ließ sich nicht leicht ermitteln, inwieweit sie sich noch der verwickelten Begebenheiten erinnerte, bei denen sie eine so große Rolle gespielt hatte. Als sie ungefähr vier Jahre nach den letzterzählten Vorfällen starb, stellte sich heraus, daß sie über ihr sehr beträchtliches Vermögen zugunsten Brendas verfügt hatte.
Ungefähr zwei Jahre vor Nornas Tode wurde Brenda Mordaunts Gattin; es hatte einige Zeit gewährt, bevor der alte Magnus, trotz aller Liebe für seine Tochter und aller Zuneigung für Mordaunt, sich zur Einwilligung zu diesem Ehebund entschließen konnte. Mordaunts Wesen aber war so ganz nach des Udallers Sinne, daß sein altnorwegisches Blut den Empfindungen seines Herzens endlich nachgab. Der joviale alte Mann lebte bis an das äußerste Ziel irdischer Laufbahn, mit der glücklichen Aussicht auf eine zahlreiche Nachkommenschaft seiner jüngern Tochter; seine Tafelfreuden mehrte er abwechselnd durch Claud Halcros Melodien und Triptolemus Yellowleys gelehrte Abhandlungen, der, nachdem er seine hohen Ansprüche beiseite gelegt, nun besser mit der Insel bekannt und, eingedenk seiner frühern unglücklichen Melioriationsversuche, ein rechtschaffener nützlicher Substitut seines Herrn geworden und froh war, wenn er sich dann und wann der sparsamen Küche seiner Schwester Barbara entziehen und zur gastfreien Tafel des Udallers eilen konnte.
Minna fand das Glück des Lebens nicht, wohl aber verfolgte sie Clevelands weitere Laufbahn mit frommer Ergebung und vernahm nach Jahren, nicht ohne eine Empfindung wehmütigen Trostes, durch seinen treuen Kameraden Bunce, daß er bei einem ruhmvollen Unternehmen den Ehrentod gefunden habe.
Ende