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Viertes Kapitel.

Wir wollen nicht bei den Festlichkeiten dieses Tages verweilen, von denen wir nichts zu berichten wüßten, was die besondere Teilnahme unserer Leser erregen könnte. Die Tafel seufzte unter dem gewöhnlichen Ueberfluß – die Punschbowle ward mit dem gewöhnlichen Eifer gefüllt und geleert – die Männer zechten, die Weiber lachten – Claud Halcro reimte und sang, und der Udaller trank und sang, und der Abend endete wie gewöhnlich in dem Tanzraume.

Dort war es, wo Cleveland zu dem zwischen seinen Töchtern sitzenden Hausherrn trat und diesem seine Absicht mitteilte, sich nach Kirkwall in einer kleinen Brigg zu begeben, die Bryce Snailsfoot, der mit seinem Warenlager unglaublich schnell aufgeräumt, gedungen hatte, um neuen Vorrat zu holen.

Magnus Troil, hierdurch nicht eben angenehm berührt, fragte Cleveland in scharfem Tone, seit wann er die Gesellschaft des Hausierers der seinigen vorzuziehen gelernt habe. Cleveland antwortete mit seiner derben Offenheit: »daß Zeit und Flut auf niemand warte, und daß er seine eigenen Gründe habe, sich früher als der Udaller nach Kirkwall zu begeben, – daß er aber hoffe, ihn mit seinen Töchtern dort zur bevorstehenden Marktzeit zu treffen und dann vielleicht in ihrer Gesellschaft nach Shetland zurückzukehren.«

Unterdes hielt Brenda den Blick fest auf ihre Schwester gerichtet und bemerkte, daß deren bleiche Wangen noch bleicher wurden, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Brauen leicht verzog, so sehr sie sich auch bemühte, diese Zeichen einer gewaltsamen innern Bewegung zu unterdrücken. Aber sie sprach nicht, und als Cleveland dem Udaller Lebewohl gesagt und sich, der Sitte gemäß, auch ihr näherte, hörte sie seine Abschiedsworte an, ohne etwas darauf zu erwidern. Aber auch ihrer Schwester stand eine Prüfung bevor, denn Mordaunt Mertoun, einst der besondere Günstling ihres Vaters, nahm jetzt Abschied, ohne auch nur einen einzigen freundlichen Blick von ihm zu erhalten; ja es lag in dem Ton, mit dem Magnus dem Jüngling eine glückliche Reise wünschte und ihm empfahl: »wenn er unterwegs ein hübsches Mädchen treffen sollte, nicht gleich zu denken, sie sei in ihn verliebt, wenn er sie lächeln sähe« – ein solcher Spott, daß Mertouns Wangen erglühten; aber er dachte an Brenda und nahte sich, die Kränkung hinnehmend, den Schwestern, um Abschied von ihnen zu nehmen. Minna, jetzt milder gegen ihn gestimmt, nahm sein Lebewohl nicht ohne Teilnahme auf; Brenda aber verriet ihre freundlichen Gesinnungen gegen ihn durch eine Träne so deutlich, daß es selbst dem alten Udaller nicht entging, der halb verdrießlich ausrief: »Was, soll das heißen, Mädchen? das mag alles gut sein, denn er war ein alter Bekannter; aber Du kennst meinen Willen und weißt, daß er es nicht länger sein soll.«

Mordaunt, langsam aus dem Hause tretend, hatte die neue Kränkung zwar nur halb vernommen und wandte sich um, in der Absicht, etwas darauf zu erwidern; gab aber, als er sah, daß Brenda das Gesicht mit dem Schnupftuch bedeckte, um ihre Bewegung zu verbergen, seinen Vorsatz auf – denn der Gedanke, daß sie über seinen Weggang bekümmert sei, tilgte im Nu jeden Groll an die Unfreundlichkeit des Vaters. Er ging, die andern Gäste folgten seinem Beispiel; und viele von ihnen nahmen, wie Cleveland und er, noch an diesem Abend Abschied, um am nächsten Morgen sich nach den heimatlichen Hütten zurück zu begeben.

Minna und Brenda, deren Kummer zwar das verschlossene Wesen, das sich zwischen sie eingedrängt hatte, nicht ganz entfernen konnte, aber doch das Eis ihrer Herzen schmolz, hielten sich umschlungen und weinten bitterlich – und wenn auch keine von ihnen sprach, so wurden sie einander doch mit jedem Augenblick teurer; denn sie fühlten, daß die Tropfen, die ihren Augen entquollen, aus einer und derselben Ursache flossen. Und wenn auch Brendas Tränen reichlicher strömten, so war Minnas Gram dennoch tiefer, denn lange nachdem sich die Jüngere an dem Busen ihrer Schwester, einem Kinde gleich, in den Schlaf geseufzt, lag Minna noch wachend, vertieft in die kummervollen Gedanken, die noch immer Tränen aus ihren Augen lockten. Da vernahm sie zu ihrer nicht geringen Verwunderung plötzlich die Töne einer nahen Musik unter ihrem Fenster. Anfangs hielt sie es für eine Grille von Claud Halcro, dessen Uebermut sich dann und wann in solchen Serenaden äußerte. Aber es war nicht die Geige des alten Sängers, sondern eine Guitarre, deren Töne ihr Ohr berührten, ein Saitenspiel, das auf diesen Inseln niemand als Cleveland zu spielen verstand, der während seines Umganges mit den südamerikanischen Spaniern dieses Instrument mit ungemeiner Fertigkeit zu handhaben gelernt hatte. Vielleicht hatte er dort auch das Lied gelernt, das er jetzt unter dem Fenster eines thulischen Mädchens sang, und das besser in jenen als diesen so nördlichen rauhen Himmelsstrich zu passen schien, denn es sprach von irdischen Freuden, die hier in, diesem wilden Klima unbekannt waren:

1.

Deckt Schönheit Schlummer,
Wacht Liebeskummer,
Und singt sein Klagelied allein.
Laß Harmonie,
Die Melodie,
Sanft wie ihr Ruhelager sein.

2.

Durch Palmengebüsche
Haucht Balsamfrische,
Belebend ringsum die Natur,
Her durch die Luft
Trägt Zauberduft
Der reichen Blumenbeete Spur.

3.

Darum erwache,
Nur leise, schwache
Gebilde ruft ein Traum hervor.
Dein Schlaf enteile.
Am Fenster weile,
Und leih dem Liebesklang Dein Ohr!

Clevelands Stimme war weich, voll und männlich und stimmte vortrefflich mit der spanischen Melodie überein, die zu den Worten, vermutlich eine Uebertragung aus derselben Sprache, gesetzt worden war. Seine Aufforderung wäre ohne Zweifel nicht fruchtlos geblieben, hätte Minna ihr Lager verlassen können, ohne ihre Schwester zu erwecken. Aber das war unmöglich; denn Brenda, welche, wie wir bereits erwähnt haben, vor ihrem Entschlummern bitterlich geweint hatte, ruhte jetzt an der Brust ihrer Schwester, und hatte den einen Arm um sie geschlagen, wie ein Kind, welches sich, seine Wärterin umschlingend, in den Schlaf weint. Es war daher Minna unmöglich, sich ihrem Arm zu entwinden, wenn es auch im ersten Augenblick ihre Absicht war, ihr Nachtgewand umzuwerfen und an das Fenster zu eilen, um mit Cleveland zu sprechen, welcher, wie sie nicht zweifelte, zu diesem Mittel gegriffen habe, um eine Unterredung mit ihr herbeizuführen. Dieser Zwang war allerdings ärgerlich; denn es war mehr als wahrscheinlich, daß ihr Geliebter gekommen sei, ihr sein letztes Lebewohl zu sagen; aber daß Brenda, welche jetzt feindselig gegen Cleveland gesinnt schien, erwachen und Zeuge dabei sein sollte, war ein unerträglicher Gedanke. Eine kurze Pause fand statt, in welcher Minna mehr als einmal versuchte, den Arm ihrer Schwester so sanft wie möglich von sich los zu machen, aber jedesmal, wenn sie den Versuch wagte, murmelte die Schlummernde, wie ein Kind, das man in seinem Schlafe stört, ein paar verdrießliche Töne, bis Minna sich überzeugte, daß die Schwester, wenn sie sie nicht in Ruhe ließe, wieder munter werden würde.

Zu ihrem größten Verdruß sah Minna sich also genötigt, still und ruhig zu liegen; während ihr Geliebter, dem Anschein nach entschlossen, ihr Ohr durch Musik zu gewinnen, folgendes Bruchstück aus dem Liede eines Seemanns anstimmte:

Lebwohl, lebwohl, Dein soll, o Leben!
Mein letzter sanfter Ton noch sein,
Der nächste stimmt, mit rauhem Streben,
Bald in den Lärm des Seevolks ein.

Die Stimme, die, Dein Auge schauend,
Nur stammelte von Liebesqual,
Gibt bald, den Sturmwind überschreiend,
Nur roher Mannschaft das Signal.

Das Auge, das emporzublicken
Kaum wagte, schaut nun kühn bald auf,
Und muß, dem Feind den Tod zu schicken,
Scharf richten den Kanonenlauf.

Das Erdenglück, das mir geboten,
Der Lieb' und Hoffnung Sonnenlicht,
Ich rechn' es fortan zu den Toten,
Nur Deiner, ach, vergeh ich nicht.

Wieder schwieg er, und aufs neue versuchte Minna, der die Serenade galt, sich aus den Armen ihrer Schwester zu winden, ohne diese zu erwecken. Es war unmöglich, und ihr blieb jetzt nur noch der traurige Gedanke, daß Cleveland, der trotz seines feurigen Temperaments sich ihrem Willen so unverdrossen fügte, in seiner Verzweiflung forteilen würde, ohne ein einziges Wort von ihr vernommen zu haben. Ach, hätte sie sich doch nur einen Augenblick wegstehlen können, um ihm Lebewohl zu sagen – um ihn vor neuem Streit mit Mordaunt Mertoun zu warnen – um ihn zu beschwören, daß er sich von den furchtbaren Gefährten losmache; – ach, wäre ihr dieses nur möglich gewesen, welche heilsamen Folgen hätten solche Ermahnungen beim Abschied auf seinen Charakter, ja, sein ganzes zukünftiges Leben haben können?

Von diesem Gedanken dem Tantalus gleich gefoltert, war Minna eben im Begriff, noch einen entscheidenden Versuch zu ihrer Befreiung zu machen, als sie plötzlich Stimmen unter ihrem Fenster vernahm, die, wie sie zu unterscheiden glaubte, Cleveland und Mertoun angehörten. Es wurde ein heftiger Wortwechsel geführt, gleichsam als fürchteten sie gehört zu werden, in gedämpftem Tone. Schrecken erfaßte sie, und ihr Verlangen, aufzustehen, wurde so heftig, daß es ihr endlich gelang, sich aus Brendas Armen loszumachen, ohne die Schläferin zu wecken. Schnell und still warf sie einen Teil ihrer Kleidung über, in der Absicht, sich ans Fenster zu schleichen. Aber ehe sie dies Vorhaben noch zu Ende führen konnte, verstummten die Stimmen, und Minna vernahm nur ein heftiges Ringen und Schlagen; gleich darauf war alles still, und nur ein tiefer Seufzer drang zu ihr herauf. Hierdurch aufs höchste erschreckt, flog Minna zum Fenster und versuchte es zu öffnen, denn der Kampf hatte so dicht an der Mauer stattgefunden, daß sie nichts hätte sehen können, ohne den Kopf hinauszustecken. Der eiserne Riegel war verrostet und wollte nicht weichen, und die Eile, mit der sie ihn fortschieben wollte, erschwerte, wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, die Arbeit; als es ihr endlich gelang und sie fast mit dem halben Körper zum Fenster hinaus lag, war in dem hellen Mondschein von Männern, die den Lärm bewirkt hatten, nichts als der Schatten eines um eine Ecke biegenden Körpers in langsamer Fortbewegung zu sehen: dem Anscheine nach der eines Mannes, welcher einen andern auf seinen Schultern trug: ein Umstand, der Minnas Herzensangst aufs höchste steigerte. Das Fenster war nicht über acht Fuß vom Boden entfernt; nicht einen Augenblick besann sie sich, hinabzuspringen und dem Schatten, der sie in solchen Schrecken gesetzt hatte, zu folgen.

Aber als sie die Ecke erreichte, um die sie den Schatten hatte biegen sehen, zeigte sich keine Spur, welchen Weg die beiden Gestalten genommen, und nach kurzer Ueberlegung mußte sie sich sagen, daß jeder Versuch, die Verfolgung fortzusetzen, ebenso ungewiß wie fruchtlos sein müsse. Außer den zahlreichen Vorsprüngen und Vertiefungen des winkelreichen Herrenhauses und seiner vielen Nebengebäude, – außer den verschiedenen Kellern, Vorratskammern, Ställen und ähnlichen Gegenständen, die sich ihr in den Weg stellten, zog sich auch noch bis zu dem kleinen Hafen eine niedere Bergreihe hin, die eigentliche Fortsetzung der Felskette, die die Schutzwehr des Hafens bildete. In diesen Klippen waren mannigfache Höhlen, Schluchten und Vertiefungen, in denen sich der Körper, dem der Schatten angehörte, mit seiner Unglückslast leicht verbergen konnte; denn ein Unglück, davon war sie überzeugt, mußte vorgefallen sein.

Minnas nächster Gedanke war, die Ihrigen wach zu rufen; aber was konnte sie ihnen mitteilen, und über wen? – Anderseits aber war dem Verwundeten, dem, ach vielleicht gar tödlich Verwundeten! – Hilfe und Beistand nötig, und von diesem Gedanken mächtig erfaßt, wollte sie eben ihre Stimme erheben, als sie diejenige Claud Halcros vernahm, der dem Anschein nach auf dem Rückweg vom Hafen begriffen war und ein Bruchstück eines alten norwegischen Liedes sang

Einst sollst Du, was von mir Dir blieb,
Verteilen, Mutter mein,
Dem Hungrigen und Durst'gen gib,
Das Weißbrot und den Wein.

Und meiner Rosse große Zahl
Verteil sie, Mutter mein,
Und meine Güter allzumal
Und meiner Schlosse neun.

Doch teile meine Rache nicht,
Laß ruhen jede Schuld;
Den Körper laß der Erdenschicht,
Die Seel' in Gottes Huld. –

Der seltsame Anklang dieser Zeilen auf die Lage, in der sie sich befand, erschien Minna wie eine Warnung vom Himmel. Unsere Erzählung spielt in einem Lande des Aberglaubens und der Ahnungen; wir werden daher von Lesern kaum verstanden werden, deren nüchterne Einbildungskraft nicht fassen kann, wie mächtig solche Vorstellungen auf den menschlichen Geist einwirken; im siebzehnten Jahrhundert, und am Hofe von England, wurde eine zufällig in einem Dichter aufgeschlagene Verszeile als Verkünderin künftiger Begebenheiten betrachtet; es ist daher wohl kein Wunder, daß ein Mädchen auf den entlegenen, rauhen Shetland-Inseln Verse als eine Eingebung vom Himmel ansah, die zufälligerweise einen auf ihre Lage bezüglichen Sinn trugen.

»Den Körper laß der Erdenschicht,
Die Seel' in Gottes Huld«

wiederholte sie leise vor sich hin, »aber,« schloß sie, »ich will schweigen und meine Lippen verschließen.« –

»Wer spricht hier?« rief Claud Halcro, nicht ganz ohne Furcht; denn selbst sein langer Aufenthalt in fremden Ländern hatte seinen Aberglauben nicht völlig vertilgen können. Von Schrecken und Angst ergriffen, war Minna unfähig, auch nur eine Silbe zu antworten, und Halcro, seine Augen fest auf die große weibliche Gestalt gerichtet, die er nur undeutlich sah, denn sie stand im Schatten des Hauses, und der Morgen war trübe und nebelig, begann sie in altnorwegischen Versen zu beschwören, die ihm als gerade passend für die Gelegenheit einfielen, und die in ihrer Ursprache etwas Wildes und Ueberirdisches hatten...

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Sankt Magnus gebeut Dir zu weichen sofort,
Sankt Ronald befiehlt Dir's mit Weisheit und Wort.
Bei der Messe Sankt Martins, bei Mariens Gewalt,
Verlaß diesen Ort, Du Unglücksgestalt.
Willst Du Gutes, heilige Dich;
Willst Böses, verschlinge die Erde Dich;
Entstiegst Du der Luft, umwölke Dich,
Gebar Dich die Erde, begrabe Dich.
Den Zauberkreis suche als Fee,
Als Nixe die See; – Doch warst Du auf Erden hier
Kummersklave einst wie wir.
Hast vielleicht auch Du getragen,
Einst des Lebens herbe Plagen,
Kehr in die Gruft, denn Dein Sarg harrt auf Dich,
Dein Gespiele, der Wurm, erwartet Dich; –
Fort, unsteter Geist, die Erde berge Dich! –
Nur der Posaune Schall erwecke Dich! –
Hinweg von hier, des Kreuzes Zeichen
Gebeut Dir, eilig zu entweichen! –

»Ich bin es, Halcro,« erwiderte Minna, aber in einem so leisen Tone, daß es für die Antwort eines Geistes hätte gelten können. »Du, Du?«, fragte Halcro, dessen Furcht plötzlich in das größte Staunen überging, »bei bleichem Mondschein, – wer hätte denken können, Dich, meine liebenswürdige Nacht, so in ihrem eigenen Elemente herumwandern zu sehen? – Aber Du sähest sie gewiß so gut als ich – kühn genug von Dir, daß Du ihnen folgtest.«

»Wem? – Wem? –« rief Minna, in der Hoffnung, über den Gegenstand ihrer Furcht und ihrer Angst Näheres zu erfahren.

»Die Totenlichter, die um den Hafen tanzten, bedeuten nichts Gutes; ich stehe dafür. Weißt Du nicht, was das alte Lied sagt:–

Wenn Lichterkranz
Verbreitet Glanz, –
Ob's helles Tageslicht,
Ob Nacht die Welt umflicht –
Fehlt's auch an Leichen nicht.

Ich bin schon halb bis zum Hafen gewesen, aber sie waren verschwunden; doch schien es mir, als ob ein Boot abstieße, ein Fischerboot vielleicht. –Wollte ich doch, wir hätten erst gute Nachrichten von der Fischerei – Norna verließ uns im Zorn – und jetzt diese Totenlichter! – Nun, Gott helf uns! ich bin ein alter Mann und kann nur wünschen, daß alles glücklich vorüber wäre. – Aber wie, meine schöne Minna, Tränen in Deinen Augen? Und, wie ich beim hellen Mondenschein sehe, barfuß? Gab's denn, beim heiligen Magnus, keine shetländische Wolle, weich genug für diese allerliebsten Füßchen, die so lieblich in Lunas Strahlen glänzen? Wie, Du schweigst? vielleicht böse über mein Geplauder?« fügte er mit ernstem Tone hinzu, »schäme Dich, albernes Mädchen! Bedenke, ich bin alt genug, Dein Vater sein zu können, und stets habe ich Dich wie mein Kind geliebt.«

»Ich bin nicht böse,« sagte Minna, sich zum Reden zwingend, – »aber hörtet Ihr denn nichts? sie müssen an Euch vorüber gekommen, sein.«

»Sie, sie? von wem sprichst Du denn?« fragte Claud Halcro, »meinst Du etwa die Totenlichter? – Nein, bei mir sind sie nicht vorüber gekommen, aber, wie ich fast vermute, bei Dir, denn Du siehst ja bleich aus wie der Tod. – Komm, komm, Minna,« fügte er hinzu, indem er eine Seitentür des Gebäudes öffnete, »solche Spaziergänge im Mondenschein taugen besser für alte Poeten als für junge Mädchen, – Und wie leicht Du gekleidet bist, Mädchen, Mädchen! Du solltest sorgsamer sein in einer shetländischen Nacht, sie ist reicher an Rasse als an Düften. – Hinein mit Dir, Mädchen, denn wie John Dryden, der ruhmgekrönte Dichter sagt, – oder, wie er nicht sagt – denn ich kann mich nicht recht erinnern, wie seine Verse klingen – wie ich vielmehr in einem niederländischen Liede sagte, als meine Muse noch in ihrer Kindheit war:

Sittsame Maid sich dann erst erhebt,
Wenn vom Frühstrahl die Erde belebt;
Bis er den Kuß der Rose geschenkt,
Bleibe die seidene Wimper gesenkt.
Mägdleins Füßchen, zart und fein,
Darf vom Tau benetzt nicht sein.
Bis der Tag die Blumen erschlossen
Und sie den Balsamduft ergossen.

»Halt, was kommt doch jetzt? laßt sehen.« – Wenn der Geist des Rezitierens sich auf Claud Halcro herabsenkte, vergaß er Zeit und Ort, und hätte recht wohl seine Gefährtin eine halbe Stunde lang in der Nachtluft zurückhalten können, um ihr dichterisch zu beweisen, weshalb sie eigentlich um diese Zeit schon zu Bett sein müsse. Aber sie unterbrach ihn, indem sie sich, wie um sich vorm Hinfallen zu schützen, zitternd an ihn hielt und mit kaum hörbarer Stimme fragte: »Seht Ihr denn niemand in dem Boote, das soeben in See stieß?«

»Wie hätte ich denn etwas unterscheiden können?« antwortete Halcro, »da die Entfernung und das Dämmerlicht mir kaum zu erkennen erlaubten, daß es ein Boot und kein Raubfisch war.«

»Aber es muß doch jemand in dem Boote gewesen sein,« fuhr Minna fort, kaum sich dessen bewußt, was sie sprach.

»Ohne Zweifel,« antwortete der Poet, »Boote gehen nicht von selbst gegen den Wind an: aber komm, komm, hier länger zu bleiben ist Torheit, und also – wie die Königin in einem alten, von dem wackern Will D'Aoenant wieder auf die Bühne gebrachten Trauerspiele sagt: »Zu Bett – zu Bett – zu Bett.«

Sie trennten sich. Minna schleppte sich mühsam über mehrere weitläufige Gänge in ihr Zimmer zurück, wo sie vorsichtig ihren Platz neben der noch immer sanft schlummernden Schwester wieder einnahm. – Ihre Seele war von unendlicher Angst gefoltert. Daß sie Cleveland gehört hatte, davon war sie überzeugt, – die Tenorstimme ließ in dieser Hinsicht keinen Zweifel. War sie auch nicht ebenso fest überzeugt, die Stimme des jungen Mordaunt Mertoun, im heftigen Streit mit ihrem Geliebten begriffen, erkannt zu haben, so machte doch diese Vermutung einen gewaltigen Eindruck auf ihre Seele. Der schwere Seufzer, mit dem der Streit zu endigen schien, – die furchtbare Vorstellung, daß der Sieger den leblosen Körper seines Opfers fortgeschleppt habe, – alles dieses schien ihr zu beweisen, daß der Kampf ein schreckliches Ende genommen. Wer aber von den beiden unglücklichen Männern war gefallen? – wer hatte den unheilvollen blutigen Sieg erfochten? Das waren Fragen, auf die die leise Stimme ihrer innern Ueberzeugung erwiderte, daß, Charakter, Temperament und Gewandtheit recht erwogen, aller Wahrscheinlichkeit nach Cleveland den Zwist überlebt habe. Zwar flößte ihr diese Zuversicht einen unwillkürlichen Trost ein,; fast mit Abscheu aber wies sie ihn ebenso schnell von sich, als sie an Brenda dachte, die durch Clevelands Schuld vielleicht auf alle Zeit unglücklich geworden sei!

»Arme unglückliche Schwester!« sprach sie zu sich selbst, »bist Du doch zehnfach besser als ich, und so anspruchslos und schuldlos! Wie kann ich je von Schmerz erlöst werden, den doch nur ich in Deine Brust gepflanzt!« Unter dem Eindruck dieser martervollen Gedanken konnte sie sich nicht erwehren, die Schwester so fest an sich zu drücken, daß sie mit einem tiefen Seufzer erwachte.

»Bist Du es, Minna?« fragte sie. – »Mir träumte, ich läge an einer der Denksäulen, von denen uns Claud Halcro erzählte; solche Marmorgestalt, träumte ich, läge mir zur Seite und bekäme plötzlich Leben und Beweglichkeit, mich an ihre kalte Brust zu drücken. – Du bist es, Minna, und wirklich so kalt! – Du bist krank, Schwester? um Gottes willen, laß mich aufstehen und Euphane Fea rufen. – Was fehlt Dir? Ist etwa Norna wieder hier gewesen?«

»Rufe niemand her,« erwiderte Minna, sie zurückhaltend, »mir fehlt nichts, das sich durch Hausmittel bessern ließe – nichts quält mich als die Ahnung eines Unheils, schrecklicher als Norna prophezeien könnte. Aber Gott wacht über uns alle, liebe Brenda; ihn laß uns anflehen, daß Er, der es allein vermag, das Böse zum Guten wende.«

Vereint wiederholten sie nun ihr gewöhnliches Gebet um Kraft und Schutz von oben her und suchten dann, als ihre Andachtsverrichtung zu Ende war, den Schlummer wieder, ohne daß andere Worte, als der fromme Zuruf »Gott sei mit Dir!« unter ihnen ausgetauscht wurde. Brenda schlief bald ein, und auch Minna gelang es, die schrecklichen Vorstellungen zu bekämpfen und endlich den Schlummer zu finden ...

Der Sturm, auf den Halcros Worte hingedeutet hatten – ein Unwetter, mit Regen und Wind gemischt; wie es in diesen Gegenden, selbst in der besten Jahreszeit häufig eintritt, begann sich mit Tagesanbruch zu erheben. Rund um das Herrenhaus von Burgh-Westra heulten die Schornsteine und klapperten die Fenster; die Stützen und Balken an den obern Teilen des Gebäudes, fast sämtlich Ueberreste gestrandeter Schiffe, seufzten und stöhnten, gleich als fürchteten sie, aufs neue eine Beute des Sturms zu werden. Weiber und Kinder lagen in den Hütten auf den Knieen und beteten für die auf dem Meere befindlichen Männer und Väter. Aber Magnus Troils Töchter schlummerten sanft und ruhig fort, und erwachten erst, als das Wetter ausgetobt hatte und die Sonnenstrahlen durch das vom Winde verjagte Gewölk brachen und hell durch die Fensterläden schienen. Minna ließ die Begebenheiten der Nacht wieder an ihrer Seele vorüberziehen, im Zweifel, ob nicht alles, was sie erlebt zu haben glaubte, nicht doch nur Eingebung eines Traumes, der vielleicht von Klängen und Tönen von außen her erregt, gewesen wäre,

»Ich will sogleich Claud Halcro aufsuchen,« sprach sie bei sich selbst; »vielleicht weiß auch er etwas von dem seltsamen Lärm, da er doch um dieselbe Zeit draußen war.«

Sie sprang vom Lager auf, hatte aber kaum den Boden berührt, als Brenda ängstlich rief: »Um Gottes willen, Minna, was hast Du an den Füßen?«

Minna blickte hin und sah nun zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß ihre beiden Füße dunkelrot aussahen, gleich als hafte getrocknetes Blut daran. Ohne Brenda eine Silbe zu erwidern, flog sie an das Fenster und warf einen verzweiflungsvollen Blick auf den Rasen unten, in der Meinung, daß dort die verhängnisvolle Stelle sein müsse, wo sie ihre Füße mit Blut befleckt habe. Aber von dem Regen, der nachts sowohl vom Himmel, wie von den Dachrinnen niedergeströmt war, war, wenn ein solcher Schuldzeuge dort vorhanden gewesen, jegliche Spur davon weggewaschen worden. Alles war dort frisch und schön, und die Grashalme, mit Regentropfen übersäet, glänzten in den Strahlen der Morgensonne wie Diamanten.

Während Minna mit ihren schönen schwarzen Augen hinunterstarrte, hing Brenda sich an sie und fragte sie eindringlich und flehentlich, wo und wann sie sich solchen Leibesschaden zugefügt habe.

»Ich muß in Glas getreten sein, ohne es zu fühlen,« erwiderte Minna, die Notwendigkeit einer Ausrede einsehend.

»Sieh doch nur, wie es geblutet hat,« fuhr ihre Schwester fort, ein nasses Tuch erfassend; »laß mich das Blut abwaschen, Minna, die Wunde ist vielleicht schlimmer, als Du glaubst.«

Aber als sie Hand anlegen wollte, wehrte ihr Minna freundlich, aber heftig, und Brenda, die sich keiner Kränkung der Schwester bewußt war, trat ein Paar Schritte zurück und sah auf Minna mit Blicken, aus denen mehr Staunen und gekränkte Liebe, als Unmut über die Abweisung ihrer Dienste sprachen.

»Schwester,« sprach sie, »ich glaubte, wir hätten uns noch in der letzten Nacht versprochen, daß, was uns auch begegnen möchte, wir nimmer aufhören wollen, einander zu lieben.«

»Viel kann sich zwischen Nacht und Morgen begeben,« versetzte Minna – eine Antwort, mehr durch ihre Lage aus ihr herausgepreßt, als daß sie willkürliche Dolmetscherin ihrer Gedanken gewesen wäre.

»Viel mag sich allerdings in einer so stürmischen Nacht begeben haben,« entgegnete Brenda; »sieh einmal, wie die Schutzwehr um Euphanens Küchengarten umgeweht wurde; unsere Liebe aber, Minna, soll weder Wind, Regen, noch irgend sonst etwas umstürzen.«

»Aber der Zufall kann es,« erwiderte Minna, »er kann sie dennoch wandeln, – wandeln in« ...

Den übrigen Teil ihrer Rede sprach sie so leise, daß er ihrer Schwester unverständlich blieb, wobei sie zugleich sich das Blut von den Füßen wusch, Brenda, die sie aus knapper Entfernung nach wie vor im Auge behielt, bemühte sich vergebens einen Ton anzuschlagen, der Vertrauen und Freundlichkeit in ihre Mitte zurückführen könne.

»Du hattest recht, Minna,« sprach sie »keine andere Hand die kleine Wunde reinigen Zu lassen, – von hier aus ist sie kaum zu sehen.«

»Die gefährlichsten Wunden sind die, die man von außen nicht sehen kann,« erwiderte Minna; »meinst Du wirklich, eine Wunde an meinem Fuße zu sehen?«

»Allerdings,« entgegnete Brenda, ihre Antwort so einrichtend, wie solche ihrer Meinung nach der Schwester am besten gefallen mußte, »aber es scheint nur eine kleine Verletzung zu sein. Zieh den Strumpf darüber; ich sehe nichts mehr.« »Nein, Du siehst nichts,« fügte Minna in verstörter Weise; »aber ach, bald wird die Zeit kommen, wo man alles sehen und wissen wird.«

So sprechend, zog sie sich schnell an, und eilte ihrer Schwester voran in das Frühstückszimmer, wo sie ihren Platz unter den Gästen einnahm, wo aber ihr bleiches, verstörtes Gesicht, ihre schwankende Stimme und ihr erschüttertes Wesen die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft und die ängstliche Sorge ihres Vaters, Magnus Troil, augenblicklich erregten. Mannigfach waren die Vermutungen der Anwesenden über das, dem Anschein nach mehr seelische als körperliche Unwohlsein. Einige meinten: Minna sei von einem bösen Blick getroffen worden und murmelten etwas von Norna vom Fitful-Head, andere spielten auf die Abreise des Kapitäns Cleveland an und flüsterten:

»Es sei doch eine Schande für ein junges Mädchen, sich an solchen Landstreicher zu hängen, von dem niemand etwas wisse!«

in diese Meinung stimmte Jungfer Jellowley ein, während sie gerade den »schönsten Mantel« (wie sie ihn nannte), den ihr der Kapitän geschenkt, um ihren welken Hals schlug. Die alte Lady Glowrowrum hatte ihre eigenen Gedanken, die sie der Jungfer Yellowley, – mit der sie sich inzwischen angefreundet hatte – ausführlich mitteilte, nachdem sie dem lieben Gott herzinnig dafür gedankt, daß ihre Verwandtschaft mit der Familie auf Burgh-Westra von der Mutter der Mädchen herstammte, die wie sie selbst eine ehrliche Shetländerin gewesen sei.

»Denn diese Troils, Jungfer Yellowley,« sprach sie, »so hoch sie auch die Nasen tragen, sollen dennoch, wie Leute sagen, die es wissen können, nicht so ganz richtig unter ihren Mützen sein; und diese Norna, wie sie sie nennen, denn es soll nicht ihr rechter Name sein, ist ganz sicher oftmals nicht ganz recht bei Sinnen – die die Ursache wissen, meinen, der Voigt habe dabei mit die Hand im Spiele gehabt, denn er duldet ja heute noch nicht, daß man ihr nur ein böses Wort nachsagt. Ich war damals nicht in Shetland, sonst würde ich den wahren Grund wissen, so gut wie andere. Es soll aber niemand sagen können, daß ich Böses von einem Hause rede, dem ich so nahe verwandt bin. Aber was ich, Jungfer Yellowley, Euch gesagt, daß unsere Verwandtschaft nur von den Sinclairs, und nicht von den Troils herstammt, das vergeßt nicht, bitte; denn die Sinclairs sind weit und breit als gescheite Leute bekannt. – Aber da, sehe ich, geht der Abschiedsbecher herum.«

»Was das übermütige Frauenzimmer nur mit ihrer hinten Jungfer, vorne Jungfer will,« sagte Baby Yellowley zu ihrem Bruder, sobald Lady Glowrowrum ihr den Rücken gewandt hatte; »ist das Blut der Clinkscale etwa nicht eben so edel wie daß der Glowrowrum?«

Unterdessen nahmen die Gäste Abschied, und so endigte unter Angst und Sorgen das Fest des heiligen Johannis, das man um diese Zeit auf Burgh-Westra zu feiern pflegte.


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