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»Hier muß die Treppe sein,« rief der Udaller, als er in der Dunkelheit gegen ein paar unregelmäßige Stufen stieß, »sofern mich nicht mein Gedächtnis trügt! Ei, und da sitzt sie ja schon,« fuhr er fort, als er vor einer halboffenen Tür still stand, »mit ihrer ganzen Takelage um sich, und beschäftigt, ohne Zweifel wie der Teufel beim Sturm.«
Mit solch unehrbietigem Vergleiche trat er, von seinen Töchtern gefolgt, über die Schwelle des halbdunklen Zimmers, worin Norna saß, von wirr umher liegenden Büchern aus verschiedenen Sprachen, Pergamentrollen, Tafeln und Steinen mit den eckigen Zeichen der Runenschrift umgeben, wie mancherlei anderen Dingen, die der gemeine Mann mit Ausübung verbotener Künste in Verbindung zu bringen liebt. Ueber dem rohen, nachlässig angelegten Kamin hing ein altes Panzerhemd nebst zugehörigem Kopfstück, Streitaxt und Lanze; auf einem Gesimse lagen in großer Ordnung mehrere jener seltsamen, aus grünem Granit geformten Streitäxte, die sich häufig auf diesen Inseln finden, und vom gemeinen Mann »Donnerkeile« genannt und als Schutzwehr gegen Blitzstrahl betrachtet werden. Daneben ein Opfermesser, an dem vielleicht einst Menschenblut klebte, sowie ein paar jener ehernen Werkzeuge, »Celts« genannt, über deren Zweck sich schon mancher Altertumsforscher den Kopf zerbrochen hat. In einem Winkel auf einem Haufen von welkem Seegrase, ruhte ein Ungetüm, das man auf den ersten Blick für einen großen mißgestalteten Hund halten konnte, dann aber als einen zahmen Seehund erkannte, und der jetzt, als er die fremden Leute sah, wachsam wie ein gewöhnlicher Haushund aufsprang – während Norna, ohne sich zu rühren, hinter einem Tisch aus rohem Granit sitzen blieb, den plumpe, aus dem gleichen Gestein roh gefügte Füße trugen. Außer dem Buche, worin sie zu lesen schien, lag neben einem mit Wasser gefüllten Kruge ein Stück von jenem groben, ungesäuerten Brote, das der arme norwegische Bauer zu essen pflegt.
Magnus Troil stand einen Augenblick da, den Blick schweigend auf seine Muhme gerichtet; Brenda war von maßloser Furcht erfüllt, und Minna schien für den Augenblick gar nicht zu fassen, wo sie weilte. Endlich wurde das Schweigen von dem Udaller unterbrochen, der einerseits seine Muhme nicht beleidigen mochte, anderseits ihr aber zeigen wollte, daß ihn dieser seltsame Empfang nicht in Verwirrung setzte ...
»Guten Abend, Muhme Norna!« rief er, »ich bin mit meinen Töchtern weit hergekommen, um Euch zu besuchen.«
Norna hob die Augen von dem Buche, blickte starr auf ihre Besucher, dann wieder ruhig auf das Blatt.
»Nun, laßt Euch nicht stören, Muhme,« fuhr der Udaller fort, – »wir können ja warten, bis Ihr Zeit für uns findet! Schau her, Minna, die herrliche Aussicht auf das Vorgebirge, kaum eine Viertelmeile von hier; sieh, wie sich die Wellen mastlos daran brechen. Ach, und den niedlichen Seehund, den unsere Muhme hat! ... Komm her, Tierchen, komm, komm!«
Der Seehund erwiderte aber diesen Versuch, Bekanntschaft mit ihm anzuknüpfen, mit dumpfem Gebrumm.
»So gut gezogen,« fuhr Magnus in leichtem, scheinbar gleichgültigem Tone fort, »wie der vom alten Peter Mac Raws, dem Pfeifer von Storneway, der mit dem Schwanze den Takt zu einem Liede schlug, ist er nun freilich nicht; aber, Base,« fuhr er fort, als er sah, daß Norna das Buch zuklappte, »wollt Ihr uns denn nun willkommen heißen, oder müssen wir uns in einem andern Hause, als dem unserer Blutsverwandten, um Nachtquartier umsehen, jetzt, wo der Abend mit starken Schritten naht?«
»Ihr trägen, hartherzigen Seelen!« erwiderte Norna, »die Ihr taub seid wie die Natter für die Stimme des Zauberers, – was führt Euch zu mir? – Jede Warnung, die ich Euch gab, habt Ihr von Euch gestoßen, und nun, da das Unglück über Euch hereingebrochen, sucht Ihr meinen Rat, der Euch jetzt nichts mehr helfen kann?«
»Hört einmal, Muhme,« entgegnete der Udaller in seinem gewöhnlichen, derben und offenen Wesen; »ich muß Euch gestehen, daß Euer Empfang ziemlich unhöflich und kalt ist. Zwar habe ich noch nie eine Natter gesehen, weil es hier zu Lande keine gibt, nach meinen Begriffen von einem solchen Tiere aber taugt es zu keinem passenden Vergleich mit mir oder mit meinen Töchtern; und das mögt Ihr in der Folge bedenken. Aus alter Bekanntschaft, und auch aus gewissen andern Gründen nur, verlaß ich Euer Haus nicht auf der Stelle; da ich aber höflich und in aller Freundschaft zu Euch gekommen, bitte ich Euch uns auch auf gleiche Weise aufzunehmen, oder wir ziehen wieder von dannen und lassen Eure ungastliche Schwelle schmachbeladen hinter uns.« »Wie dürft Ihr, fragte Norna, »eine so kühne Sprache in einem Hause wagen, von dessen Besitzerin jedermann, wie jetzt auch Ihr, Rat und Hilfe begehrt? Wer mit der Reimkundigen spricht, muß seine Stimme vor ihr beugen, vor ihr, deren Gebot Wind und Wellen gehorchen.«
»Wind und Wellen mögen das immerhin tun, wenn sie wollen,« antwortete der Udaller, »ich aber will's nicht. In den Häusern meiner Freunde bin ich gewöhnt, wie bei mir zu Hause zu reden und streiche vor niemand meine Segel.«
»Und hofft Ihr, mich auf solche Weise zur Antwort auf Eure Fragen zu zwingen?« fragte Norna.
»Hört einmal, Muhme,« entgegnete Magnus Troil, »ich weiß zwar nicht so viel wie Ihr von den alten nordischen Sagen, aber soviel weiß ich, daß, wenn vor Zeiten die wackern Kämpen Sibyllen und Wahrsagerinnen aufsuchten, sie mit der Axt auf der Schulter und mit gezogenem Schwerte anlangten, die Antwort zu erzwingen, die sie begehrten.«
»Vetter!« erwiderte Norna, indem sie von ihrem Sitze sich erhob und auf ihn zuschritt: »Du hast wohl gesprochen, und zu rechter Zeit für Dich und Deine Töchter; nie hätte Euch die Morgensonne wieder beschienen. Die Geister, die mir dienen, sind argwöhnisch und wollen zu nichts gebraucht sein, was der Menschheit nützen kann, bis sie von unerschrockenem Mut dazu gezwungen werden. Und nun sprich, was begehrst Du von mir?«
»Die Gesundheit meiner Tochter,« antwortete Magnus, »die kein Heilmittel wieder herzustellen vermochte.«
»Die Gesundheit Deiner Tochter,« fragte Norna; »und was fehlt dem Mädchen?«
»Der Arzt muß ihre Krankheit nennen,« entgegnete Troil; »alles was ich darüber sagen kann, ist –«
»Genug,« rief Norna, ihn unterbrechend, »ich weiß alles, was Du von mir sagen kannst, und mehr noch weiß ich als Du selbst. Setzt euch nieder, ihr alle – Du aber, Minna, setz Dich hier auf diesen Stuhl;« – sie zeigte auf den Stuhl, den sie eben verlassen hatte – »einst war er der Sitz der Giervada, auf deren Gebot die Sterne ihre Strahlen einzogen und der Mond verblich.«
Langsamen Schrittes begab sich Minna zu dem rohen Steinsessel, der von der ungeschickten Hand irgend eines gotischen Künstlers die ungefähre Gestalt eines Stuhles erhalten hatte.
Brenda, die sich so nah wie möglich an ihren Vater schmiegte, setzte sich mit ihm auf eine Bank, in kurzem Abstande von Minna, und hielt ihre Blicke, aus denen ein Gemisch von Furcht, Mitleid und Angst sprach, unbeweglich auf die Schwester gerichtet. Die Gefühle, von denen dieses liebenswürdige Mädchen in diesem Moment bestürmt war, zu enträtseln, würde wohl seine Schwierigkeit haben. Mit schwächerer Einbildungskraft begabt, als Minna, infolgedessen für übernatürliche Dinge weniger empfänglich, konnte sie sich doch einer gewissen Furcht vor der Szene, die jetzt statthaben sollte, nicht verschließen; diese Regung ging aber bald in der Sorge für Minna unter, die mit ihrem geschwächten Körper und einer erschöpften, für die Dinge um sie her nur zu empfänglichen Seele jetzt in Sinnen vertieft saß, der Behandlung eines Wesens preisgegeben, das durch seine Rücksichtslosigkeit leicht von den schädlichsten Folgen für sie sein konnte.
Brenda blickte auf Minna, die in dem dunklen Steinsessel saß, zu dessen mächtigen und unregelmäßigen Winkeln ihre liebliche zarte Gestalt den seltsamsten Kontrast bildete; ihre Wangen und Lippen waren bleich wie der Tod, und aus ihren emporgehobenen Augen sprach Ergebung und Begeisterung, beide ihrem Charakter und ihrer Krankheit eigentümlich. Dann sah die jüngere Schwester auf Norna, die, leise und eintönige Worte vor sich hinmurmelnd, von einem Winkel des Gemachs zum andern schritt und allerhand Dinge herbeiholte, die sie dann nebeneinander auf den Tisch legte. Endlich beobachtete Brenda auch noch ihren Vater, um womöglich aus seinen Gesichtszügen zu erraten, ob auch er einiges von ihrer Furcht empfinde. Aber er schien dergleichen nicht zu fühlen, sondern blickte mit ernster Ruhe auf Nornas Vorbereitungen, und schien das Ergebnis derselben mit der Fassung eines Mannes abzuwarten, der im Vertrauen auf die Geschicklichkeit des Arztes dessen Vorbereitungen zu einer ernsten, schmerzvollen Operation mit Ruhe zusieht.
Norna fuhr unterdes in ihrer Arbeit fort, bis sie auf den Tisch verschiedene Dinge gelegt und gestellt hatte, unter denen sich auch eine kleine, mit Holzkohlen gefüllte Kohlenpfanne, ein Schmelztiegel und ein dünnes Stückchen Blei befanden. Dann sprach sie laut: »Es ist gut, daß ich Euren Besuch vorher wußte, – lange vorher, eh' er von Euch selbst beschlossen ward, – wie könnte ich sonst auf dasjenige, was jetzt geschehen muß, vorbereitet sein? – Mädchen!« fuhr sie dann zu Minna gewendet fort, »wo liegt Dein Nebel?«
Die Kranke legte als Antwort ihre Hand auf die linke Brust. »Ja, ja,« entgegnete Norna, »das ist der Platz von Wohl und Weh. – Du aber, ihr Vater und Du, ihre Schwester, glaubt nicht, daß ich nur aufs Geratewohl spreche – kann ich das Uebel nennen, so bin ich vielleicht im stande, es zu mildern; es ganz zu heilen aber nicht. Das Herz – ja, wenn das Herz getroffen wird, verdunkelt sich das Auge, der Puls beginnt wirr zu klopfen, der Blutumlauf wird gestört, die Glieder welken hin, wie das Seegras in der Sommersonne, unsere frohen Lebensansichten schwinden; und was zurückbleibt, ist nur der Traum eines verlorenen Glücks, die Furcht vor einem unvermeidlichen Elend. – Aber die Heilkundige muß an ihr Geschäft – wohl mir, daß ich Anstalt dazu traf!«
Sie warf ihren dunkelfarbigen Mantel von sich und stand nun vor ihnen, in ihrem lichtblauen Wams, mit einer ähnlichen, mit schwarzem Samt phantastisch geschmückten Schürze, die mit einer Kette, oder vielmehr einem mit seltsamen Zeichen gezierten Gürtel an ihrer Jacke befestigt war. Norna löste nun zunächst das Netz, das ihr graues Haar zusammenhielt, und ihr Haupt heftig hin und her bewegend, warf sie es in unordentlicher Fülle über Antlitz und Schultern, so daß ihre Gesichtszüge fast gänzlich verhüllt wurden. Dann stellte sie den kleinen Schmelztiegel auf die kleine Kohlenpfanne, – ließ aus einer Phiole ein paar Tropfen auf die Holzkohlen fallen, deutete auf sie mit dem welken Zeigefinger, den sie ebenfalls, doch aus anderem Fläschchen, benetzt hatte, und sprach mit tiefer Stimme: »Feuer, tue deine Pflicht!« Kaum waren diese Worte gesprochen, als plötzlich, vermutlich durch irgend eine chemische, von den Zuschauern nicht bemerkte Ursache, die Holzkohlen unter dem Schmelztiegel sich langsam zu entzünden begannen, während Norna, gleichsam wie über den Verzug ungeduldig, eilig das um ihr Haupt flatternde Haar aus dem Gesichte strich, und stark in die Flamme blies, deren Glut sich auf ihren Wangen spielte, während ihre Augen unter ihrem Haar hervorfunkelten, wie die eines wilden Tieres aus seiner Höhle. Jetzt hielt sie einen Augenblick inne, und nachdem sie vor sich hingemurmelt hatte, daß jetzt dem Geiste des Elements gedankt werden müsse, rezitierte sie in ihrer gewöhnlichen, monotonen und dennoch wilden Weise die folgenden Verse:
»Du, der Furcht und Segen bringt,
Der die roten Flügel schwingt,
Dessen geist'ges Zauberweh'n
Heißt den Nord vom Schlaf ersteh'n,
Der da wärmt der Hütte Herd
Und Paläste wild zerstört;
Glanzumstrahlter, dessen Macht
Wohl und Weh oft angefacht;
Auf der Runenreime Schwingen
Mög mein Danklied zu Dir dringen.
Dann nahm sie ein Stückchen von dem Blei, das auf dem Tische lag, warf es in den Schmelztiegel und sang, indem es schmolz:
Jetzt gibt auch der Kunst zum Heil
Mutter Herta ihren Teil;
Sie, die spendend uns erfreut,
Nahrung allem Leben beut ...
Aus der tiefen Grub' im Norden
st das Blei gehoben worden,
Einst bestimmt, um unter Stein
Eines Helden Sarg zu sein. –
Meinem Zauber hilft es hier;
Mutter Herta, Dank dafür!
Nun goß sie aus ihrem Kruge Wasser in einen großen Becher, und während sie es langsam mit dem Ende ihres Stabes rührte, sang sie:
Gürtel, der sein Silberband
Schlingt um unser Vaterland,
Deiner Woge Sturmgewühl
Treibt mit Belgiens Küste Spiel.
Aber unsere Klippenschanze
Trotzet Deinem Wellentanze. –
Gürtel, tu jetzt Deine Pflicht,
Norna ist's, die zu Dir spricht.
Als sie diesen Vers geendet, hob sie mit einer Zange den Schmelztiegel von der Kohlenpfanne und goß das nun völlig geschmolzene Blei in das Wasser, wobei sie langsam sprach:
»Elemente, die sich einen,
Lassen Kraft und Macht erscheinen.«
Das geschmolzene Blei zischte, als es das Wasser berührte, und formte sich in mannigfache Gestalten, wie allen denen bekannt sein wird, die sich in ihrer Kindheit mit dem Spiele beschäftigten. Norna untersuchte das Blei jetzt mit großer Aufmerksamkeit und löste es voneinander, ohne dem Anschein nach dasjenige zu finden, was sie suchte.
Endlich murmelte sie, mehr vor sich hin, als an ihre Gäste gerichtet: »Erm, der Unsichtbare, will nicht übergangen sein, – seinen Tribut will er, selbst in einem Werke, zu dem er nichts tut. – Wolkenbezwinger, auch Dir soll die Stimme der Reimkundigen ertönen.«
So sprechend, warf Norna das Blei noch einmal in den Schmelztiegel, wo es, siedend und zischend, so wie das Metall die glühenden Seiten des Gefäßes berührte, schnell wieder flüssig wurde. Die Sibylle hatte sich unterdessen in einen Winkel des Gemachs begeben; dort öffnete sie ein Fenster, das nach Nordwesten hinausging, und ließ den Glanz der Sonne hereinschimmern, die jetzt über einer großen Masse roten Gewölks schwebte, das, nahen Sturm kündend, den Rand des Horizonts umzogen hielt und gleichsam über den Wellen des grenzenlosen Ozeans zu brüten schien. Sich gegen jene Seite wendend, woher ein hohler, klagender Windhauch blies, redete Norna jetzt den Geist des Windes mit Tönen an, die den seinigen nicht unähnlich klangen:
Du, der über Wellenbreite
Gibst dem Schiffer das Geleite:
Du, der ihn durch Meereswüste
Führest an die sich're Küste;
Der, ob hoch die Woge strebt,
Leicht ihn über Klippen hebt.
Mächtiger! Du zürnst, weil ich
Meine Brüder pries, nicht Dich?
Sieh' die Handvoll graues Haar
Bring ich Dir als Sühne dar.
Oft schon hat Dein Sturmestoben
Meine Locken wild gehoben.
Magst sie jetzt auf Deinen Schwingen
Hin zu fernen Wolken bringen;
Deinen Teil nimm, zürne nicht,
Norna ist's, die zu Dir spricht.
Norna begleitete diese Worte mit der Handlung, die sie beschrieben, indem sie eine Locke von ihrem Haupte riß und in den Wind streute. Dann schloß sie das Fenster und versetzte den Raum wieder in jenes Dämmerlicht, das für ihren Charakter und ihre Rolle so trefflich geeignet war. Das geschmolzene Blei wurde noch einmal in das Wasser geworfen, und die wunderlichen Figuren, die es bildete, wurden aufs neue sorgfältig von der Sibylle untersucht, die endlich durch Worte und Gebärde zu verkünden schien, daß ihr Zauber gelungen sei. Sie nahm nun von dem Metall ein Stückchen, von der Größe einer Nuß, das ganz wie ein menschliches Herz gestaltet war, näherte sich Minna und sprach:
Wer oft am Zauberbrunnen wacht,
Wird untertan der Nixe Macht;
Und der Sirene Allgewalt
Fühlt, wer am Ufer einsam wallt.
Wer zu dem Zauberkreis tritt hin,
Dem droht die Feenkönigin,
Und wer dem Zwerggestein sich naht,
Der ladet auf sich schwere Tat.
Zum Brunnen, zum Kreise, zum einsamen Strand
Hat Minna die zagenden Schritte gewandt;
Und doch stieg das Leiden, das jüngst sie erkor
Zum Opfer, aus tieferer Quelle hervor.
Minna, deren Aufmerksamkeit von der Ursache ihres Kummers einigermaßen geweckt worden war, erinnerte sich jetzt ihrer plötzlich wieder und blickte eifrig zu Norna auf, ganz so, wie wenn sie aus ihren Reimen etwas zu erfahren erwarte, was für sie von großem Interesse sein müsse. Die nordische Sibylle fuhr indessen fort, das wie ein Herz geformte Blei zu durchbohren, und einen Golddraht hindurchzuziehen, mit dem es sich an einer Kette oder einem Halsband befestigen ließ. Als dies geschehen war, sprach sie weiter:
Dich bindet eines Dämons Macht,
Der Größeres als Trolld vollbracht.
Sirenengleich weiß er zu singen,
Mit Feenzauber zu umschlingen.
Kein Elfe kann des Herzens Pochen,
Wie er, nach Willkür unterjochen;
Wie er, die Rosenwange bleichen,
Den Glanz des Augenlichts verscheuchen, –
Doch sprich, noch eh' wir weiter geh'n,
Kannst Du der Rede Sinn versteh'n?«
Minna erwiderte auf die rhythmische Weise, die von den alten Skandinaviern oft im Scherz oder Ernst in Anwendung gebracht wurde. –
»Dein Zeichen versteh' ich,
Deine Blicke, Dein Wort,
Fahr in Deinem Rätsel,
o Mutter, nur fort.«
»Und die letzten sind's, die sie in Monaten sprechen wird,« entgegnete Norna, über die Unterbrechung erzürnt, »wenn Du ferner die Wirkung meines Zaubers störst. Wendet Euer Gesicht der Wand zu und schaut nicht her, bei der Strafe meines Zornes; Du, Magnus, wegen Deines harten Sinnes; und Du, Brenda, wegen Deines eitlen Unglaubens; ihr beide seid nicht wert, dem geheimnisvollen Werke zuzuschauen; die Blicke eurer Augen schwächen die Kraft des Zaubers; denn die Mächte dulden keinen Argwohn.«
Ungewohnt, auf solch entschiedene Weise angesprochen zu werden, hätte Magnus fast eine heftige Antwort gegeben, aber in Rücksicht auf Minnas Gesundheit und Nornas schweres Leid bekämpfte er seinen Unmut, neigte sein Haupt, zuckte mit den Schultern und nahm, sein Gesicht gegen die Wand kehrend, die Stellung an, die ihm Norna befohlen. Auf seinen Wink folgte Brenda seinem Beispiel, und so saßen beide in tiefem Schweigen da.
Norna wandte sich wieder zu Minna mit folgenden Worten:
Merk auf mein Wort, und länger nicht
Deck Totenblässe Dein Gesicht.
Dies Herz von Blei, nur klein an Wert,
Als Sinnbild sei es Dir beschert.
Trag es in tröstender Ruh und Frieden,
Hoffend, daß dann Deine Krankheit geschieden.
Wenn blutroter Fuß die blutrote Hand
Auf Orkney im Flügel des Märtyrers fand.
Hohe Röte färbte Minnas Wangen bei den letzten Worten, denn diese schienen ihr deutlich zu verkünden, daß Norna mit der Ursache ihres Kummers völlig bekannt sei; dieselbe Ueberzeugung bewog das arme Mädchen auch, auf den glücklichen Erfolg zu hoffen, auf den die Wahrsagerin hindeutete; und da sie nicht wagte, ihre Gefühle auf eine verständlichere Weise an den Tag zu legen, drückte sie mit Wärme und Innigkeit Nornas welke Hand an ihre Brust und benetzte sie mit Tränen.
Menschlicher fühlend, als sonst ihre Art war, zog Norna die Hand weg, und nun flossen Minnas Tränen unaufhaltsam. Freundlicher denn zuvor befestigte Norna das bleierne Herz an einer goldenen Kette, hing sie Minna um den Hals und sang dazu den letzten Teil ihres Zauberliedes:
Geduld, nur Geduld; denn Geduld schirmt mit Kraft,
Wie der Mantel, der Schutz uns beim Unwetter schafft.
Nichts Besseres vermag ich Dir, Mädchen, zu spenden
Als hier diese Gabe aus Zauberers Händen.
Das Herz und die Kette, sie sollen Dir beide
Verbürgen, was Norna Dir gab zum Bescheide.
Doch soll sie nicht schauen, was lieb Dir und nah,
Bis das, was ich kündete, wirklich geschah.«
Während sie diese Verse sprach, hatte sie der Kranken die Kette sorgfältig um den Hals gewunden, und die Kranke konnte sie in ihrem Busen bergen; und so endete diese Zauberhandlung – die übrigens wohl noch heute auf Shetland geübt wird, wo jede Erkrankung, deren Ursache nicht klar am Tage liegt, von der niedern Klasse dem Einfluß eines bösen Geistes zugeschrieben wird, der dem leidenden Leibe das Herz gestohlen: der Gebrauch, dem Kranken statt dieses aus dem Leibe gestohlenen Herzens ein bleiernes umzuhängen, ist auch heute noch nicht erloschen.
Nochmals mahnte Norna die Kranke, nicht von der Zaubergabe zu sprechen, da sonst die Kraft derselben sogleich verloren wäre. Dann löste sie noch einmal Minnas Halskrause und zeigte ihr ein Glied der goldnen Kette, das Minna auf der Stelle überzeugte, daß es dieselbe sei, die Norna einst Mordaunt Mertoun geschenkt. Dieses schien ihr zu beweisen, daß er noch am Leben und unter Nornas Schutz sei, und mit lebhafter Neugier blickte sie nun auf die seltsame Greisin, die aber, als gebiete sie Schweigen, den Finger auf die Lippen legte, dann noch einmal die Kette unter jene Falten barg, die sittsam und züchtig einen der schönsten und sanftesten Busen des Erdenrunds verhüllten.
Norna löschte sodann die brennenden Kohlen aus und gebot, als das Wasser zischend die Glut berührte, Magnus und Brenda, ihnen sich wieder zuzukehren, da ihr Geschäft nun vollendet sei.