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Wenn schon der Geruch, der aus den Essen zu den öden Hügeln rings um das Herrenhaus herum emporstieg, – (nach Baby-Barbaras Meinung) – die Hungrigen hätte speisen können, so hätte der in der Gegend herrschende Lärm ebenso sicher Tauben das Gehör wiedergeben können.
Scharen von Bekannten und Freunden trafen ein – die Gäule wurden freigelassen und rannten wieder nach allen Richtungen hinaus auf die Moore, auf die bekannten Weidestellen. Die in Booten von fernern Inseln herkamen, gingen in einem kleinen bequemen Hafen, der sich bis zu dem Dorfe und dem Hause hinzog, vor Anker. Da sie, um sich guten Tag zu sagen, oft stehen blieben, konnte Mordaunt jeden einzelnen auf dem Wege zum Herrenhause, das, allem Reichtum und aller Gastfreiheit seines Besitzers zum Trotz, für die vielen Gäste kaum groß genug schien, eingehend mustern.
Aus den wirren Tönen der Freude und des Willkommens, mit denen jede neue Gruppe begrüßt wurde, glaubte Mordaunt lautes Lachen aus dem Munde des Hausherrn herauszuhören; doch fragte er sich mit wachsender Beängstigung, ob ebensolch herzlicher Empfang, wie den andern Gästen, auch ihm zuteil werden würde. Bald drangen nun auch Geigenklänge zu ihnen – die Spieler probten und stimmten ihre Instrumente, unruhig dem Anfange der Festlichkeit entgegensehend – der Koch und seine Gehilfen schrieen durcheinander, eifrig in der Bereitung dessen, was die Gäste erfreuen und laben sollte.
Mittlerweile waren die drei neuen Gäste, jeder von seinen eigenen Gedanken erfüllt, vor dem Herrenhaus angekommen. Was Mordaunt beschäftigte, das wissen wir; – Baby-Barbara ging ganz in dem Kummer und Staunen auf darüber, daß wirklich der Speisen so viele bereitet worden, wie zur Sättigung der vielen Menschen nötig seien, die sie um sich her so laut lärmen hörte, – daß wirklich soviel Geld dafür bereit sei, und dafür ausgegeben werden könne, und gern dafür ausgegeben würde – und sie mußte sich Zwang antun, daß ihr beim Anblick solcher Verschwendung nicht unwohl werde; – ihr Bruder dagegen, da sie nun mitten auf dem Hofe des Herrenhauses standen, wo all das primitive Gerät umherlag, dessen der Shetländer Landmann sich damals noch bediente: der einsterzige Pflug der Twixar zum Stechen des Torfs und der Frachtschlitten, der zu allerhand Transport benutzt wurde – kurz, alles das, was Gewohnheit und Leben Shetland von Schottland scheidet – Triptolemus geriet ob des Anblicks solcher Urwüchsigkeit in Hitze, dem kühnen Krieger gleich, dessen Blut zu wallen anfängt, wenn er die Waffen und Feldzeichen des Feindes sieht, mit dem er kämpfen soll. Seines großen Vorhabens eingedenk, die Sitten auf dieser Inselflur zu verfeinern, den Landbau ihrer Bevölkerung zu meliorieren, neue Werkzeuge anstatt der alten einzuführen – kurz, – neuen Geist hierher zu tragen – fühlte Triptolemus den Hunger – die erklärliche Folge solch weiten Rittes – kaum und sah dem Mittagsmahle, trotzdem es so beschaffen sein würde, wie er es kaum im Leben genossen, – mit einem nur matten Interesse entgegen.
» Jacta est alea,« brummte er vor sich hin, »dieser Tag soll mir zeigen, ob die Shetländer meiner Anstrengungen wert, oder ob ihre Gemüter des weitern Anbaues gleich unfähig sind, wie ihre Torfmoore. Aber wir wollen vorsichtig zu Werke gehen und die passende Zeit abwarten, bevor wir das Thema anschneiden. Ein paar Bissen von dem appetitlichen Rostbraten, der uns winkt, werden die schickliche Einleitung zu meinem Plane, die Zucht des Tiers, von dem es stammt, zu bessern, abgeben,«
Mittlerweile waren die Gäste an der niedrigen, aber langen Front des Herrenhauses, dessen Ausbau in verschiedene Jahre zu fallen schien, je nachdem die Familie seines Besitzers größere Räume zum Bedingnis machte, angelangt. Unter einem breiten, großen Vorbau, der mit zwei starken, mit Schnitzwerk verzierten Säulen getragen wurde, von Schiffen stammend, die an der Küste gestrandet waren, stand, die zahlreichen Gäste zu empfangen und zu bewillkommnen, die nach und nach eintrafen, Magnus Troil in dem weiten, blauen, altväterischen Rocke, der, mit Scharlach abgefüttert, und mit goldenen Tressen auf den Nähten und an den großen Aufschlägen besetzt, zu seiner kernhaften Figur mit dem derben, männlichen, wettergebräunten Gesicht so trefflich paßte. Ehrwürdiges Silberhaar, in reicher Fülle unter dem goldenen Tressenhut hervorwallend, hinten leicht durch ein Band gehalten, wies auf sein vorgerücktes Alter. Eine leichte Wolke des Mißvergnügens schien über seine Stirn zu fliegen, als er die kleine Gruppe sah, die wir vom Sumbourgh-Head hierher begleitet haben; und als er Triptolemus Yellowley entgegentrat, schien er zu doppelter Größe zu wachsen.
»Seid willkommen, Herr Yellowley,« sprach er den Verwalter des Lord-Kämmerlings an, freundlich wohl, und doch nicht ganz mit der Herzlichkeit, die er andern Gästen gegenüber gezeigt hatte – »willkommen in Westra! Der Wind hat Euch an eine rauhe Küste verschlagen, und wir Eingeborenen müssen bemüht sein, Euch die Meinung, die Ihr von ihr habt, zu bessern ... Ach! wohl Eure Schwester? Jungfrau Barbara Yellowley? Nun, Ihr vergönnt mir wohl die Gunst eines nachbarlichen Grußes?« und mit einer kecken, eigenmächtigen Höflichkeit, die man in unserer überfeinen Zeit vergeblich suchen würde, drückte er auf die verwelkte Wange der Jungfrau einen Willkommsgruß, der von ihr mit jüngferlich-schüchternem, doch mildem Lächeln hingenommen wurde. Dann fiel sein starrer Blick auf Mordaunt, und ohne ihm die Hand zu bieten, sprach er in einem Tone, der eine tiefe Bewegung verriet: »Auch Ihr sollt willkommen sein, Herr Mordaunt.«
Mordaunt, durch die Kälte solchen Empfangs gekränkt, versetzte: »Hätte ich mich des Gegenteils versehen zu müssen gemeint, so wäre ich nicht gekommen; immer ist es es, wenn ich mich darin geirrt habe, noch Zeit zur Umkehr.«
»Junger Mann,« sagte Magnus; »daß vor dieser Tür niemand umkehren darf, ohne den Eigentümer zu beleidigen, wißt Ihr besser als jeder andere; drum bitte ich, daß Ihr die Fröhlichkeit meiner Gäste nicht durch unzeitige Empfindlichkeit stört. Magnus Troils Willkommen gilt allen, die seiner Stimme Klang – und er reicht weit – vernehmen. Kommt herein, Ihr werten Gäste, und laßt uns sehen, welchen Empfang die Frauen im Hause uns bereiten werden.«
Indem er sein weiteres Verhalten nun so einrichtete, daß Mordaunt sich weder zurückgesetzt noch bevorzugt dünken konnte, geleitete er seine Gäste in die beiden großen Vorhallen, die in seinem Hause die Stelle eines Salons vertraten und mit Gästen aller Art schon angefüllt waren.
Das einfache Mobiliar trug das Gepräge der Eigentümlichkeit dieser wilden Inseln. Magnus Troil, gleich den meisten aus der besseren Klasse der shetländischen Grundbesitzer ein Freund aller Bedrängten, hatte wiederholt Gut und Ansehen eingesetzt, Schiffbrüchige zu beschützen – leider aber war Unglück zur See an dieser gefahrvollen Insel so häufig, daß auch dem aufopferungsfreudigsten Menschen Lust und Mut dazu hätten ausgehen können; es wurde aber auch soviel herrenloses Gut an den Strand dabei getrieben, daß mancher Ersatz für die Mühsal sich mit den Jahren angefunden hatte.
Die Stühle z.B., manche darunter von fremder Arbeit, wiesen deutlich auf frühere Verwendung in Schiffskabinen hin; auch die Spiegel und Schränke, unter den letzteren welche aus einem Holze, das niemand auf den Inseln kannte, waren offenbar zum Schiffsgebrauch angefertigt; selbst die Scheidewand zwischen den beiden Zimmern schien aus der Querwand eines großen Fahrzeuges zu stammen und von einem tischlernden Inselbewohner plump eingeschoben worden zu sein. Für einen Fremden wären diese Wahrzeichen menschlichen Elends ein zu starker Gegensatz gegen den frohen Anlaß gewesen, der die Leute heute hier zusammenführte; diese selbst aber waren mit der Ursache solches Elends zu innig vertraut, um sich in ihrem Taumel dadurch stören oder beirren zu lassen.
Der jüngere Teil der Gesellschaft war über Mordaunts Eintritt vor Freude schier außer sich. Alle gaben ihrer Verwunderung darüber, daß er sich so lange nicht habe sehen lassen, unverhohlenen Ausdruck, aber keiner war – wie man recht gut sah – der Meinung, daß der Grund dazu in irgendwelchen Differenzen zwischen ihm und der Familie läge. Hierdurch wurde dem Jüngling die Sorge um wenigstens einen Punkt, wenn nicht genommen, so doch gemildert. Mochten die Leute von Burgh-Westra noch so tiefe Vorurteile gegen ihn gefaßt haben, so hatte er wenigstens nicht den Kummer, in den Augen der Gesellschaft an Ansehen eingebüßt zu haben, und er brauchte sich, wenn eine Auseinandersetzung nötig war, mit einer solchen nur auf die Familie zu beschränken. Trotz alledem sah er noch immer dem Augenblick mit Bangen entgegen, der ihn dem Schwesternpaare gegenüber führen würde – den beiden Mädchen, denen er in so inniger Freundschaft angehangen hatte. Nachdem er sich von seiner Reisegesellschaft, die wie Kletten an ihm hing, dadurch frei gemacht, daß er sie mit einigen Familien in Beziehung setzte, und andern Bekannten gegenüber sein langes Wegbleiben durch den Gesundheitszustand seines Vaters erklärlich gemacht, bahnte er sich einen Weg durch die verschiedenen Gruppen zur Tür eines kleinen Zimmers, das Minna und Brenda nach ihrem eigenen Geschmack eingerichtet hatten und als ihr besonderes Besitztum betrachteten.
Mordaunt hatte nicht geringen Anteil an der besonderen Ausstattung dieses Raumes, der ihm während seines letzten Aufenthaltes in Burgh-Westra eben so offen gestanden, wie den Eigentümerinnen selbst. Jetzt aber hatten die Zeiten sich dermaßen geändert, daß er den Finger auf der Klinke hielt, unschlüssig, ob er ihn aufdrücken solle, oder nicht, bis endlich Brenda: »Nur herein!« rief in einem Tone, der sich anhörte, als ob sie am liebsten den Besuch, der sich mit Klopfen meldete, gar nicht sähe oder schnell los sein möchte. Indes trat Mordaunt auf diesen Ruf ein. Minna und Brenda saßen zusammen mit Cleveland, dem fremden Kapitän, und einem behenden alten Männchen, dessen Auge noch all die Geistesfrische verriet, die ihn in tausenderlei Schicksalen eines wechselvollen schwankenden Lebens aufrecht erhalten hatte und seine treue Begleiterin im hohen Alter geblieben war. In der Neugierde, mit der er, während er jetzt bescheiden zur Seite trat, Mordaunts Begegnung mit dem lieblichen Schwesternpaare beobachtete, lag ein gewisser Grad von Schlauheit und Pfiffigkeit.
Abgesehen davon, daß die beiden Mädchen die Beklommenheit über die veränderten Umstände, unter denen sie sich wiedersahen, nicht so gut verbergen konnten wie Magnus Troil, sondern vielmehr, als sie sich zur Begrüßung erhoben, lebhaft erröteten, ließ sich kaum ein Unterschied zwischen ihrem und des Vaters Wesen merken; Mordaunt unterließ es, sowohl die Hand zum Gruße zu heben, als – wie es die damalige Zeit, wenn nicht forderte, doch erlaubte, – die Wange zum Kusse zu reichen; und so fand die Begegnung förmlich und kalt statt, wie unter flüchtigen Bekannten.
Das leichte Rot, das die Wange der ältern Schwester gefärbt hatte, war so schnell wieder verschwunden wie der flüchtige Gedanke, der es hervorgerufen. Ruhig und kalt stand sie im andern Augenblicke vor Mordaunt, die gewöhnlichen, artigen Redensarten, die derselbe verlegen stotterte, mit besonnener Zurückhaltung erwidernd. Brenda, die jüngere, schien, wenigstens den äußern Merkmalen nach, tiefer ergriffen. Ueber ihr Gesicht flog eine tiefere Röte, die sich auf Hals und auch den obern Teil ihres schön geformten Busens übertrug: zwar versuchte sie es nicht, die verlegenen Worte zu erwidern, die Mordaunt an sie besonders richtete; aber sie sah ihn mit Augen an, aus denen Verdruß und etwas wie wehe Erinnerung an frühere Zeiten sprachen. Mordaunt fühlte auf der Stelle, daß er der ältern Schwester gleichgültig geworden, daß es ihm aber noch möglich sei, die mildergesinnte Brenda sich freundlich gestimmt zu erhalten: und so wunderlich beschaffen ist das Menschenherz – während er bisher den beiden Mädchen mit gleicher Liebe zugetan war, schien ihm jetzt an der Gunst der ältern, eben weil sie sich von ihm wandte, mehr zu liegen als an der jüngern, die sich ihm freundlicher zeigte.
Aus diesen Gedanken wurde er durch Cleveland gerissen, der ihn mit militärischer Verve als seinen Lebensretter bewillkommte – nachdem er, wie er sagte, mit Erfüllung dieser Pflicht nur solange gewartet, wie ihm nötig erschienen, um die Begrüßung mit den beiden Töchtern des Hauses vorbeizulassen. Er trat Mordaunt mit solcher Freundschaft entgegen, daß es diesem nicht möglich war, – trotzdem er sich nicht verhehlte, daß niemand anders als der Kapitän schuld an der Verstimmung zwischen ihm und den Leuten von Burgh-Westra sei – anders als höflich zu erwidern.
Da trat das alte Männchen, dessen wir oben erwähnten, auf Mordaunt zu, nahm ihn bei der Hand, küßte ihn auf die Stirn und sagte – seinen Fragen gleich selbst die Antworten gesellend: »Wie die Zeit in Burgh-Westra dahineilt! Fragst Du so, mein Fürst der Felsen und Klippen? Nun, wie sollte sie anders vergehen als auf den leichten Flügeln, die Schönheit und Freiheit ihr leihen?«
»Und Witz und Gesang mit, mein guter Freund,« versetzte Mordaunt, halb im Ernst, halb im Schmerz, des Greises Hand herzlich schüttelnd – »wie könnten sie fehlen, wo Claudius Halcro weilt?«
»Spotte nicht, lieber Gesell,« versetzte das Männchen – »ist Dein Fuß erst einmal so schwer und müde, Dein Witz so schal wie meiner, Deine Kehle so verstimmt wie meine ...«
»Wie könnt Ihr Euch selbst nur solches Unrecht antun, guter Meister?« antwortete Mordaunt, seines alten Freundes Wunderlichkeiten zu dem Versuch einer Unterhaltung benutzend, die der Spannung dieser seltsamen Zusammenkunft ein Ende machen und Zeit zur Aufklärung schaffen sollte, ehe er eine Erklärung über das veränderte Betragen der Familie forderte. – »Sprecht nicht so,« fuhr er fort, »die Zeit, Freund, legt nur leise ihre Hand auf die Barden. Hab ich nicht öfter schon aus Eurem Munde vernommen, daß der Sänger die Unsterblichkeit seines Sanges teile?«
»Was uns jetzt mehr interessiert, lieber Halcro,« bemerkte der Kapitän lächelnd, »ist das Lied, das wir einstudieren sollen, und das Ihr uns noch einmal vorspielen müßt.«
»Das Lied können wir jetzt doch nicht mehr brauchen,« sagte Halcro; »nachdem unser Mordaunt da ist, der erste Sänger auf unseren Inseln – wär's im Chor oder Solo. Wenn Mordaunt Mertoun nicht mitsingt, rühr' ich den Bogen nicht mehr an. Wie ist denn Deine Ansicht, meine schöne Nacht? Und deine, süße Dämmerung?« setzte er hinzu, die beiden Mädchen meinend, denen er schon lange diese allegorischen Namen beigelegt hatte.
»Herr Mordaunt Mertoun,« sagte Minna, »ist zu spät gekommen, um an unserem Chor bei dieser Festlichkeit noch teilzunehmen – schade, aber ändern läßt sich nichts mehr daran.«
»Wie? Was?« erwiderte Halcro hastig, »Zu spät? und ihr habt euer ganzes Leben Musik zusammen gemacht? Glaubt mir, Kinder, die alten Weisen sind die besten, und alte Freunde die zuverlässigsten. Herr Cleveland hat einen schönen Baß, keine Frage; aber über eine von den zwanzig hübschen Arien, die ihr singen könnt, und in denen sich Mordaunts Tenor so lieblich mit euren eigenen Zauberstimmen vereinigt, geht doch nichts – Meine liebliche Dämmerung ist gewiß mit mir der gleichen Meinung?«
»Vater Halcro,« sagte Brenda, deren Wangen sich, weniger vor Scham als aus Unwillen, abermals röteten – »in einem ärgern Irrtum als diesem habt Ihr Euch in Eurem ganzen Leben nicht befunden!«
»Aber was geht denn bloß vor?« sagte das alte Männchen, plötzlich innehaltend und von einem zum andern blickend. – »Was soll das heißen? Eine bewölkte Nacht und ein feuerroter Morgen? Das deutet auf schlimm Wetter! Sagt mir doch, ihr jungen Frauenzimmer, auf welcher Seite liegt die Beleidigung? Ich muß fast fürchten, bei mir selbst, wird den Alten doch gemeinhin die Schuld am Zwiste der Jungen beigemessen!«
»Euch, Vater Halcro, trifft keine Schuld,« sagte Minna, indem sie aufstand und die Schwester beim Arme nahm, »wenn sich von Schuld überhaupt sprechen läßt,«
»So muß ich fürchten, Minna,« rief Mordaunt, indem er den Ton leichten Scherzes anzuschlagen suchte, »daß der neue Gast das Aergernis ins Haus gebracht hat?«
»Wenn man kein Aergernis nimmt,« versetzte Minna mit ihrem gewohnten Ernst, »so kann auch die Rede nicht davon sein, wer es gegeben!«
»Aber, Minna,« rief Mordaunt, »kannst Du wirklich so mit mir sprechen? Und Du, Brenda, willst mich auch verurteilen, ohne mir zu ehrlicher, offener Rechtfertigung Zeit zu lassen?«
»Wir dürfen denen, die uns so zu tun befohlen,« versetzte Brenda fest, wenn auch mit gedämpfter Stimme, »den Gehorsam nicht weigern, denn sie müssen am besten wissen, was sich für uns schickt . . . Schwester, wir sind, meine ich, schon zu lange hier und werden anderswo vermißt werden. Herr Mertoun wird es uns nicht verübeln, daß wir gehen – hat solcher Tag für uns der Lasten doch gar viel!«
Die Schwestern standen auf und legten ihre Arme ineinander. Halcro suchte umsonst sie zurückzuhalten, indem er in theatralischer Pose rief:
»Nun, Tag und Nacht, das ist doch wunderseltsam!«
Dann drehte er sich zu Mordaunt herum und rief: »Auch sie sind dem Geiste der Veränderlichkeit unterworfen; und auch sie bezeugen, daß Meister Spenser recht hat, wenn er sagt:
»Bei allem, was da lebt, mehr oder minder,
Herrscht Wandel und behält das Feld.«
»Kapitän Cleveland, wißt Ihr, was diese beiden Heldinnen verdrossen haben könnte?« wandte er sich nun an diesen.
»Wer an solche Untersuchung seine Zeit setzt, wird sich ebenso verrechnen,« erwiderte Cleveland, »wie einer, der begründen wollte, warum der Wind von einem Strich zum andern umsetzt. Wäre ich an Herrn Mordaunts Stelle, so vergönnte ich den stolzen Dingern keine weitere Frage mehr.«
»Ein freundschaftlicher Rat, Kapitän,« versetzte Mordaunt, »und mir nicht weniger wert, weil er ungefragt erteilt wurde. Doch eine Frage erlaubt mir: warum seid Ihr selbst so gleichgültig gegen die Meinung Eurer Freundinnen, wie ich es sein soll?«
»Was meint Ihr? doch mich nicht?« rief der Kapitän mit unbefangener Gleichgültigkeit. »Ich habe noch kein Frauenzimmer gesehen, das wert gewesen wäre, sich seiner zu erinnern, nachdem der Anker gelichtet war; – am Lande ist's ein ander Ding, am Lande lach' ich, tanz' und lieble ich, mit zwanzig Mädchen, wenn sie wollen, möchten sie auch nur halb so hübsch sein wie die, die uns eben verlassen haben, und scher mich den Geier drum, wenn sie den Kurs ändern mit jedem Bootsmannspfiff. Schön ist's ja nicht, aber wetten möcht ich drauf, daß ich genau so schnell umsetzte wie sie!«
An dem Troste, daß das Uebel, woran man leide, nicht viel an sich habe, findet man als Patient niemals recht Trost. Mordaunt verspürte Lust, es dem Kapitän übel zu nehmen, daß er seine Verlegenheit bemerkte und seine Meinung ihm aufdringen wollte; drum versetzte er auch scharf: »daß solche Weise sich für solche schicke, denen die Kunst zu eigen sei, sich überall beliebt zu machen, gleichviel wohin der Zufall sie verschlüge, und die dreist an einem Ort verlieren könnten, weil sie sicher wären, an einem andern wieder zu gewinnen...«
Das war ironisch gesagt; allein, die Wahrheit zu gestehen, der Mann, dem die Rede galt, besaß eine größere Weltkenntnis und wußte recht gut, was sein Äeußeres wert sei – und gerade der Umstand, daß er sich seines äußeren Verdienstes bewußt war, machte, daß seine Dazwischenkunft doppelt unangenehm wirkte, ja im höchsten Maße verdroß. Jung, hübsch und keck, stand ihm die Maske seemännischer Derbheit vortrefflich und schickte sich vielleicht besonders gut zu den einfachen Sitten des abgelegenen Landes, in welchem er sich aufhielt . . . So begnügte er sich auch bei dieser Gelegenheit, über Mordaunts sichtbare Verstimmung gutmütig zu lächeln ...
»Ihr grollt mir, Freund,« sagte er; »aber daß ich noch einmal böse auf Euch würde, dazu bringt Ihr es nicht – hätten mich doch aller hübschen Frauen Hände, die ich im Leben gedrückt, nicht aus dem Roost von Sumburgh aufgefischt! Scheltet mich also nicht, denn Halcro ist mein Zeuge, daß ich Flagge und Marssegel gestrichen habe, und, wenn Ihr mir auch eine volle Lage geben solltet, mit keinem einzigen Schusse erwidern kann.«
»Stimmt, Mordaunt, stimmt,« sagte Halcro; »und Du mußt Dich schon mit Kapitän Cleveland aussöhnen. Um Weibergrillen sich mit einem Freunde zu veruneinigen, ist nie geraten ... und wären Weiber immer gleicher Laune, wo, zum Geier! kämen dann die vielen Lieder auf sie her?«
»Aber Euer Lied, Halcro, Euer Lied,« rief, ihm schnell ins Wort fallend, Kapitän Cleveland.
»Das Lied?« fragte Halcro, den Kapitän am Kopfe fassend, denn, da ihm während seiner Märchen die Leute gern wegliefen, war er immer auf der Suche nach einem Halte, sie daran zu verhindern. »Das Lied? Nun, Ihr sollt es hören, wenn Ihr einen Augenblick still halten wollt, und Du mit, Mordaunt Mertoun; hab' ich doch fast ein halbes Jahr lang kein Wort von Dir gehört – oder willst Du mir etwa auch weglaufen?« Und flugs hielt er ihn auch mit der andern Hand fest.
»Nun,« sagte der Seemann, »jetzt hat er uns beide ins Schlepptau genommen; nun müssen wir ihn schon zu Ende hören, und wenn er gleich einen Faden spinnt, zäher als ein alter Matrose auf Mitternachtswache.«
»Aber nun still, und laßt bloß einen von uns das Wort allein reden,« sagte der Dichter in befehlendem Tone, während seine beiden Zuhörer sich resigniert in die unvermeidliche Notwendigkeit fügten, die Erzählung, die nun kommen mußte, anzuhören. »Ich werde es euch haarklein erklären,« fuhr Halcro fort. »Durch die Welt geworfen ward ich wie viele andere junge Burschen, den Lebensunterhalt zu verdienen; aber ich wußte mich, Gottlob, mit allem zu behelfen, blieb auch den Musen zugetan und schlug mich durch, bis mein Vetter, der alte Laurence Linklutter, starb und mir ein Stückchen Insel hinterließ, nackt und bloß wie der Parnassus selbst. – Was tut's – habe ich doch einen Pfennig auszugeben, einen andern noch in meinem Geldbeutel, einen Pfennig den Armen mitzuteilen, und ein Bett und eine Flasche für einen Freund, wie Ihr erfahren sollt, wenn Ihr nach Beendigung der Festlichkeit mit mir kommen wollt. – Aber wo bin ich denn in meiner Geschichte stehen geblieben?«
»Nahe beim Hafen, hoffe ich,« antwortete Cleveland; aber Halcro erzählte viel zu gern, als daß ihn selbst der deutlichste Wink hätte zurückschrecken sollen.
»Ach, ja,« fuhr er mit dem selbstzufriedenen Gesicht eines Mannes fort, der den Faden seiner Erzählung wiedergefunden zu haben glaubt; »ich war in meiner Wohnung in Russel-Street, bei dem alten Timotheus Thimblethwaite, damals der berühmteste Schneidermeister in der ganzen Stadt. Er arbeitete für alle geistreichen Männer und für die dummen Glückspilze obendrein, und ließ die einen für die anderen bezahlen. Nie schlug er einem witzigen Kopf Kredit ab, außer im Scherz oder um eine geistreiche Antwort von ihm zu erhalten; auch stand er mit allem, was der Bekanntschaft in der Stadt wert war, in Briefwechsel. Zu mir hatte er besonderes Zutrauen, und ich habe für das Zimmer, das ich bei ihm bewohnte, zwei Monate lang in der Kreide gestanden. Zwar zeigte ich mich ihm auch gefällig, nicht etwa, daß ich für ihn zugeschnitten oder genäht hätte, was für einen Mann aus guter Familie nicht anständig gewesen wäre, aber ich – je nun, ich zog ihm seine Rechnungen aus – hielt seine Bücher in Ordnung und ...« »Und trug den Kunden die Kleider zu, und bekam Wohnung dafür, nicht wahr?« unterbrach ihn Cleveland.
»Nein, nein, Gott bewahre! nichts dergleichen,« erwiderte Halcro.
»Aber Ihr bringt mich ganz aus meiner Geschichte heraus, wo bin ich denn gleich stehen geblieben?«
»Möge der Teufel Euch wieder auf das Fahrwasser helfen,« rief der Kapitän, seinen Rockknopf gewaltsam aus der Hand des Erzählers befreiend, »ich habe keine Zeit länger zuzuhören,« und eilte zum Zimmer hinaus.
»Ein alberner Mensch, dem alle Erziehung fehlt,« sagte Halcro, ihm nachblickend; »was Magnus Troil und die albernen Dirnen Großes an ihm finden, möchte ich wirklich wissen, – von den langen Geschichten von Abenteuern und Seegefechten ist jedes Wort ohne Zweifel eine Lüge . . . aber ich sehe, auch Du bist ungeduldig, das Ende von meiner Erzählung zu vernehmen – nun, wo bin ich denn stehen geblieben?«
»Ich fürchte, wir müssen es bis nach Tische aussetzen, lieber Meister,« sagte Mordaunt, der ebenfalls auf seinen Rückzug bedacht war, ihn aber auf anständigere Weise zu bewerkstelligen suchte als Cleveland.
»Nein, nein, guter Junge!« entgegnete hierauf besorgt der Greis, »laufe nicht auch Du mir davon, – sieh, ich habe schon manchen sauren Gang in meinem Leben getan, aber meine Schritte wurden immer leichter, wenn ich mich auf den Arm eines alten Freundes, wie Du mir einer bist, stützen konnte.«
So sprechend, ließ er das Kleid des Jünglings fahren, und seine Hände in seinen Arm lehnend, suchte er ihn noch fester an sich zu ziehen; Mordaunt aber, der seine Poesie mehr liebte als seine Prosa, erinnerte ihn an jenes Lied, das er gedichtet haben wollte, als er den Inseln zum erstenmal Lebewohl sagte! Halcro aber, der ihn nicht fortlassen mochte, ging gern darauf ein, griff – denn er war auch ein halber Musikus – jetzt zu einer Art von Laute und sprach:
»Ich lernte sie spielen von demselben Mann, der sie den ehrlichen Shadwell lehrte, von eben dem, den man den dicken Tom nannte; Du wirft Dich seiner wohl noch erinnern, Mordaunt? Aber was war es denn, was ich singen wollte? – ach, richtig! Den Abschied an das Mädchen von Northmaven – an die arme Betsy Stimbister, die ich in den Versen Mary genannt.« So sprechend, sang er nach einem kurzen Vorspiel, mit leidlicher Stimme und nicht ohne Geschmack:
Lebewohl Dir, Nortmäven,
Hoch, Hillswick, auch Dir!
Der Ruhe Deiner Häfen,
Deiner Stürme Revier –
Jedem Lüftchen, wie's immer
Die Küste umzieht;
Dir, Mary, die nimmer
Mein Auge mehr sieht.
Euch Wogen, die mächtig
Einst Hakon gezähmt,
Ob schäumend ihr prächtig
Die Felswand verbrämt. –
Mag schau'n doch hinüber
Schon Mary Dein Blick,
Dein Herzinnig-Lieber
Kehrt nimmer zurück.
Deine Schwüre, sie dringen
Nicht mehr in mein Ohr.
Kannst, Falsche, sie singen
Den Seefrauen vor.
Laß schallen sie fleißig
Auf Fels und auf Meer,
Doch einen, den weiß ich,
Der hört sie nicht mehr.
O, gäb's eine Insel.
Ob wüst und verheert,
Wo Weibergewinsel
Den Mann nicht betört! –
Zu stark war die Lockung
Für sterblichen Sinn;
Den Anker der Hoffnung,
Dort senk ich ihn hin.
»Ich sehe, Du bist bewegt, mein junger Freund,« sprach Halcro, als er sein Lied geendet, »ja, ja, so ging es fast allen, die es hörten. Worte und Musik, beide sind von mir, und ohne viel von dem Geist zu sprechen, liegt doch darin eine gewisse Einfachheit, eine Wahrheit, die den Weg zu dem Herzen finden müssen. Selbst Dein Vater vermag ihnen nicht zu widerstehen, und der hat doch ein Herz, so gepanzert gegen Poesie, daß selbst Apollo nur vergeblich einen Pfeil dagegen abdrückte. Aber er hat gewiß in seiner Jugend viel Unglück mit den Weibern gehabt, denn das geht deutlich aus dem Groll hervor, den er gegen sie hegt. – Keinen gibt's unter uns, den nicht einmal eine ähnliche Wunde geschmerzt hätte. – Aber, komm jetzt, guter Junge! Schon versammeln sie sich in der Halle, Männer und Weiber, – ob sie gleich Plagen für uns sind, kämen wir doch schlecht ohne sie zurecht: aber da tönt die verwünschte Glocke schon wieder. Wir müssen gehen – tut nichts – heute gegen Abend wird sich schon irgendwo ein ruhiger Winkel finden, wo ich Dir dann alles übrige erzählen werde.«