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Neuntes Kapitel.

Am andern Morgen ließ sich Mordaunt leichter bereit finden, auf seines Vaters Fragen über den schiffbrüchigen Seemann Antwort zu geben. Aber nur weniges war nötig gewesen, um den Vater dahin zu bringen, daß er sich mit finsterm Gesicht vom Sessel erhob, ein paarmal die Stube auf und ab schritt und sich in das innere Zimmer begab, in welchem er immer dann Zuflucht suchte, wenn ihn seine trüben Stimmungen befielen. Gegen Abend ließ er sich aber wieder sehen, und zwar ohne alle Spur eines Anfalls, und Mordaunt natürlich nahm sich in acht, den Gegenstand, der ihn so heftig ergriffen hatte, aufs neue zu berühren.

Mordaunt mußte sich also seine Meinung über den neuen Bekannten, den ihm das Meer zugesendet, selbständig bilden, – und war begreiflicherweise nicht wenig erstaunt, zu einem Resultat zu gelangen, das für den Fremden durchaus nicht günstig ausfiel. Es kam ihm vor, als läge in dem ganzen Wesen des Mannes etwas Abstoßendes. Leugnen ließ sich freilich nicht, daß er ein schöner Mann war mit freiem, einnehmendem Wesen; was aber Mordaunt nicht behagte, war die Anmaßung, die aus jeder Miene, jeder Gebärde sprach, aus jedem Worte herausklang. Auch an dem Besitz der Jagdflinte konnte er, trotzdem er ein eifriger Jäger war und sich viel mit ihr befaßte, so rechte Freude nicht gewinnen, da er sich gewisser Bedenklichkeiten über die Art, wie er zu ihr gelangt war, nicht erwehren konnte, zumal es ihm so vorkam, als möchte der Kapitän sie als eine Art Trinkgeld ansehen für den Dienst, den der Zufall ihm leisten ließ.

Ein glücklicher Jagdtag söhnte ihn indessen mit dem Besitz der Flinte aus; die Empfindung aber, daß es eine recht simple und verächtliche Sache sei, Möwen und Seehunde zu erlegen, wenn man sich an Franzosen und Spanier wagen, Schiffe entern und Steuermänner wegschießen konnte, wollte ihn freilich nicht verlassen. Sein Vater hatte davon gesprochen, daß er die Inseln verlassen sollte, und in seiner Unkenntnis des Lebens wußte er von keiner andern Betätigung für seine Kraft als derjenigen, die ihm das ihm von Kindheit an vertraute Meer bot. Früher hatte sein Ehrgeiz nach nichts Höherem gestrebt, als an den Mühsalen und Gefahren eines grönländischen Fischfangs teilzunehmen, denn solche Fahrt war für Shetländer der Inbegriff aller Lebensweisheit, In neuerer Zeit, wo der Krieg wieder ausgebrochen war, hatten die Taten eines Francis Drake, Kapitäns Morgan und anderer kühner Abenteurer, deren Geschichten er von Bryce Snailsfoot in Heften kaufte, tiefen Eindruck auf sein Gemüt gemacht, und Clevelands Anerbieten, ihn mit zur See zu nehmen, ging ihm öfter wieder durch den Kopf, wenn auch die Freude über solche Aussicht durch den Zweifel einigermaßen gedämpft wurde, ob er auch lange mit seinem künftigen Befehlshaber auskommen werde, denn darüber, daß er kein umgänglicher Herr, sondern vielmehr ein recht schlimmer Tyrann sein möchte, hegte er keinerlei Zweifel, Und doch malte er sich in lebhaften Farben die Freude aus, mit der er sich einschiffen würde, wenn er vom Vater die Erlaubnis bekäme – was er alles von neuen Ländern, Menschen, Dingen sehen, wieviel Abenteuer er bestehen, wieviel Heldentaten er verrichten werde, wie stolz Magnus Troil von Burgh-Westra und dessen liebliches Töchterpaar auf ihn sein würde!

Oft stand Mordaunt auf dem Punkte, seinem Vater die Unterredung mitzuteilen, die er mit Cleveland gehabt, ihm die Vorschläge auseinanderzusetzen, die ihm der Seemann gemacht habe; allein die kurze, allgemeine Auskunft, die er am ersten Morgen über den Lebensgang des Mannes gegeben, war von so nachteiligem Eindruck auf das Gemüt des Vaters gewesen, daß Mordaunt den Mut nicht mehr fand, darauf zurückzukommen, sondern so lange zu warten sich vornahm, bis das andere Schiff ankäme, von dem der Kapitän gesprochen hatte.

Aber Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten, und noch immer verlautete nichts wieder von Cleveland; bloß von Bryce Snailsfoot hörte er gelegentlich einmal, daß Cleveland in Burgh-Westra sei und dort wie zur Familie gehörig angesehen werde. Diese Kunde hatte ihn, trotzdem die auf den Inseln übliche Gastfreiheit es bei Magnus Troils Vermögen und Neigung als etwas ganz Natürliches erscheinen ließ, daß der Kapitän bei der Familie blieb, bis er sich für etwas anderes entschied, nicht wenig in Verwunderung gesetzt, zumal es ihm nicht recht erklärlich war, weshalb Cleveland nicht nach einer der nördlichen Inseln gegangen, um sich nach jenem andern Schiffe zu erkundigen, oder seinen Aufenthalt nicht lieber in Lerwick nähme, wohin Fischerboote oft Nachrichten von den Küsten und Häfen von Schottland und Holland brachten. Und warum ließ er die Kiste nicht holen, die er in Jarlshof zurückgelassen? Und dann, meinte Mordaunt, wäre es doch der Höflichkeit angemessen gewesen, wenn der Fremde ihm, wenn auch nur kurzen, Bescheid hätte zukommen lassen zum Beweise dafür, daß er sich seiner noch erinnere.

Dazu kamen noch andere, nicht minder unangenehme Betrachtungen, zu denen sich ebenfalls kein Schlüssel finden ließ. Bis zur Ankunft des fremden Mannes war nicht eine Woche vergangen, ohne daß Mordaunt einen freundlichen Gruß oder ein Andenken von Burgh-Westra erhielt, und es hatte nie an einem Vorwande seitens der Schwestern, den Verkehr aufrecht zu erhalten, gefehlt, wie auch der biedre alte Udaller für ihn immer einen Gruß, wenn nicht gar eine kleine Spende, übrig gehabt oder ihn hatte einladen lassen, so bald wie möglich nach Burgh-Westra zu kommen und so lange wie möglich in Burgh-Westra zu bleiben. Das war in den letzten Wochen alles anders geworden, und kein Bote mehr war von Burgh-Westra nach Jarlshof gekommen, Mordaunt hatte diese Veränderung schmerzlich empfunden und hatte es schließlich nicht verwinden können, Bryce Snailsfoot auszufragen, – allerdings mit Gleichgültigkeit und Kälte – was es Neues im Lande gäbe.

»Viel, gar viel,« versetzte der Gefragte, »und gar Großes, Wichtiges! Der verrückte Kerl, der neue Verwalter, will andre Bismars und Ließpfunde einführen, aber Magnus Troil, unser würdiger Vogt, hat geschworen, ehe er sie gegen die Schnellwage eintauschte, lieber den Verwalter vom Brassa-craig in die Tiefe zu schleudern.«

»Weiter nichts?« fragte Mordaunt teilnamhslos.

»Nun, ich dächte, das wäre genug,« rief der Hausierer. »Wie sollen die Leute kaufen und verkaufen, wenn sich die Gewichte ändern?«

»Freilich,« sagte Mordaunt; »aber von fremden Schiffen an der Küste habt Ihr nichts gehört?«

»Sechs holländische Dogger liegen vor Brassa, und, wie ich höre, eine Art von Galliote, mit hohem Verdeck und Obergaffsegel, wahrscheinlich aus Norwegen, in der Bucht von Scalloway.«

»Keine Kriegsschiffe oder Schaluppen?«

»Nein, nicht daß ich wüßte,« sagte der Hausierer, »seitdem das Transportschiff, der Geier, mit den gepreßten Leuten unter Segel gegangen ist,«

»Gibt es in Burgh-Westra nichts Neues? Ist die Familie wohlauf?«

»Alles wohl und munter; es scheint sogar, manchmal zu munter, denn mit dem fremden Kapitän, der vor einiger Zeit in Sumbourgh-Head auf den Sand geriet – wo es ihm wohl nicht so lustig zu Mute gewesen sein mag, – nimmt der Jubel kein Ende – und das Tollen und Tanzen die ganze Nacht nicht!«

»Tollen und Tanzen die ganze Nacht!« wiederholte Mordaunt, und es überkam ihn nicht eben die rosigste Laune – »und mit wem tanzt der Kapitän?«,

»Ei, ich denke, mit wem's ihm paßt,« antwortete lachend der Hausierer; »tanzt doch jeder dort nach seiner Pfeife! Ich freilich kann nicht viel davon reden, denn mir ginge es wider mein Gewissen, Tanz und Spiel lange mit anzusehen. Die Leute sollten doch bedenken, daß alles Leben nur an dünnem Faden hängt . . . Aber,« lenkte er ein, »ich sollte wohl auch nicht vergessen, daß Ihr selbst jung seid, und selbst gern tanzt und spielt, Herr Mertoun? Ich bin nun einmal ein alter Mann und muß mein Gewissen rein halten. Aber bei dem Tanze, den es am Johannis-Abend in Burgh-Westra geben wird, seid Ihr wohl dabei – wie? und ohne einigem Zierat wird's dabei dann wohl nicht abgehen – he? ich meine, Beinkleider, Westen und dergleichen. Ich habe Zeug aus Flandern!« und damit legte er seinen Kram auf den Tisch und fing an auszupacken.

»Tanz?« wiederholte Mordaunt; »am St.-Johannis-Abend? Sollt Ihr etwa mich einladen, Bryce?«

»Daß ich nicht wüßte,« fagte der Hausierer –, »aber Ihr wißt ja, daß Ihr dort immer willkommen seid. Der Kapitän macht den Vortänzer, wie sie es nennen, den Rädelsführer sozusagen.«

»Hol' ihn der Teufel!« sagte Mordaunt, zornig auffahrend.

»Alles zu seiner Zeit,« sagte der Hausierer; »nur nichts übereilen; der Teufel kommt schon an die Reihe – laßt's nur gut sein! Aber wenn Ihr auch so ungebärdig dabei ausseht wie eine Wildkatze – wahr bleibt's doch, was ich sage. Hat mir der Kapitän doch – – ich weiß nicht recht, wie er heißt – schon eine Weste abgekauft, von einer Sorte, die ich Euch zeigen will, Purpur mit goldenem Paspel, und schön gestickt; und für Euch hätte ich ein Stück, das dazu paßt, mit grünem Grunde; und wenn Ihr neben ihm Euch sehen lassen wollt, dann müßt Ihr gerade so etwas kaufen, denn das Gold glänzt, selbst jetzt noch, am meisten in den Augen der Mädchen. Seht einmal her,« fügte er hinzu, »wie es im Lichte aussieht; ... kommt direkt von Antwerpen... und ist doch billig – kostet nur vier Taler; dem Kapitän gefiel das Zeug so, daß er mir einen Jakobsd'or hinwarf mit den Worten, ich möchte den Rest nur in Teufels Namen behalten!«

Mordaunt wandte ihm den Rücken, schlug die Arme übereinander und ging im Zimmer auf und ab ... »Nicht einmal eingeladen,« sprach er vor sich hin, »und ein Fremder als König des Festes....«

Er sprach die Worte so oft und so laut, daß Bryce den Sinn wohl oder übel erraten mußte.

»Na, die Einladung, Herr Mordaunt, wird wohl noch kommen,« meinte er.

»Es ist also gesprochen worden von mir?« fragte Mordaunt,

»Ganz bestimmt sagen kann ich's nicht,« versetzte Bryce, »aber warum den Kopf so finster wegwenden wie ein Seehund, wenn er vom Ufer geht? Ich hab doch deutlich gehört, daß alles junge Volk aus der Gegend dort sein wird – da werden sie doch Euch alten, wohlbekannten Freund und leichtfüßigsten Tänzer nicht zurücklassen? Ich glaube bestimmt, daß Ihr so gut als eingeladen seid! Versorgt Euch nur mit einer Weste, denn schmuck und stattlich wird dort sicher alles sein, – der Herr sei der Gesellschaft gnädig!« Mit seinen grünen, gläsernen Augen folgte er allen Bewegungen Mordaunts, der, in tiefes Nachdenken versunken, auf und ab schritt. Der Hausierer mochte wohl mit Claudio denken, daß der meiste Grund zu Kummer im Leben Geldmangel sei, und sagte deshalb nach einer abermaligen Pause: »Ihr braucht deshalb nicht den Kopf hängen zu lassen, Herr Mordaunt, denn, wenn mir auch der Kapitän gezahlt hat für die Ware, was sein mußte, so werde ich es doch mit Euch als einem guten Freunde und Kunden nicht so scharf nehmen, sondern den Preis nach Eurem Beutel einrichten, wenn's sein muß, mit der Bezahlung auch bis St. Martin oder Lichtmeß warten, Leben und leben lassen, Herr Mordaunt, – der Himmel bewahre mich davor, jemand zu drücken, am wenigsten einen, der mich auch schon hat verdienen lassen. Schließlich könnt Ihr mir ja für den Wert auch Federn oder Otternhäute oder Pelzwerk liefern; versteht es doch niemand besser als Ihr, dergleichen aufzutreiben. Vielleicht habt Ihr auch von dem Schießpulver noch, das ich Euch vor ein paar Jahren verkaufte? Es war von der besten Marke, und ich verkaufe es nur an gute Schützen. Wenn Ihr also etwas habt, das Ihr gegen die Weste geben wollt, so bin ich zum Tauschen bereit; werdet Ihr doch gewiß auf St.-Johannis nach Burgh-Westra geladen und dann nicht schlechter aussehen wollen als der Kapitän. Das schickte sich wenigstens nicht recht.«

»Dort sein will ich wenigstens, ob ich geladen werde oder nicht,« sagte Mordaunt, plötzlich stehen bleibend und dem Hausierer das Stück Zeug aus der Hand reißend – »und wie Ihr ganz richtig sagt, Ehre will und muß ich dort schon einlegen!«

»Nur sachte, Herr Mordaunt,« rief der Hausierer; »Ihr geht ja mit dem feinen Seidenzeuge um, als ob es ein Stück grober Wadmoral wäre! Dabei kostet's vier Taler; soll ich's ankreiden?«

»Nein!« rief Mordaunt heftig, nahm seine Börse heraus und warf Bryce Snailsfoot das Geld hin.

»Der Himmel segne Euch das Zeug und mir das Silber,« sagte der Hausierer, vergnügt sein Geld einstreichend, »und bewahre uns beide vor irdischer Eitelkeit und Begierde!..... Aber, Herr! – warum drückt Ihr denn das Seidenzeug so zusammen wie ein Heubündel?«

In diesem Augenblick trat Swertha herein, und Mordaunt, als ob er das gekaufte Zeug schnell wieder los sein wolle, warf es ihr nachlässig hin und hieß sie es wegpacken, nahm aus der Ecke seine Jagdflinte, riß sein Jagdzeug von der Wand und stürzte aus dem Zimmer, ohne dem Hausierer, der noch Seehundsfell, »so Weich wie Rehleder, aus dem sich Riemen und Futteral zu der Flinte fertigen ließe,« anpreisen wollte, noch einen Blick zu schenken.

Mit seinen grünen blinzelnden Augen sah der Hausierer dem unwirschen Jüngling eine kurze Weile nach . .

Auch Swertha war verwundert, daß er so wild hinausstürmte, und meinte, »der junge Herr müsse nicht recht bei Sinnen sein!«

»Nicht recht bei Sinnen?« wiederholte der Hausierer, »der wird noch so wild werden wie sein Vater nur je gewesen . . . Das merkt man doch wohl schon, wenn jemand mit einem Stück Zeug, das vier Taler kostet, so herumwirft, als wenn es Quark wäre!«

»Vier Taler der grüne Lappen?« rief Swertha, den Händler bei dem Worte fassend, das ihm so unversehens entschlüpft war; »Na, da habt Ihr Euer Heu ja herein! Da weiß man wirklich nicht, über wen man sich mehr wundern soll, über den Betrogenen oder über den Betrüger.«

»Ich habe ja nicht gesagt, daß es ihn ganze vier Taler kostet,« sagte Bryce, »und wenn auch nun, so ist es doch, meine ich, dem jungen Herrn sein Geld, und alt genug, um sich zu kaufen, was ihm gefällt, ist er, meine ich, auch – zudem ist das Zeug unter Brüdern wert, was er dafür gegeben, und mehr.«

»Nun, nun,« versetzte Swertha kaltblütig, »der Vater ist ja auch noch da – wollen doch 'mal hören, was der dazu sagt.«

»Hoffentlich tut Ihr mir so etwas nicht an, Frau Swertha,« rief, klein beigebend, der Händler – »das wäre zum wenigsten ein schlimmer Dank für den schönen Oberrock, den ich Euch von Lerwick mitgebracht habe.«

»Und für den Ihr gewiß einen schönen Batzen fordern werdet,« sagte Swertha; »was Ihr mit schönen Worten und guten Werken im Schilde führt, weiß man ja doch!«

»Na, gebt mir dafür, was Euch recht scheint – oder wir lassen's anstehen, bis Ihr 'mal etwas für die Wirtschaft oder den gnädigen Herrn zu kaufen habt, dann kann ja alles auf eine Rechnung kommen.«

»So will ich's mir gefallen lassen, Bryce Snailsfoot;« sagte Swertha, »zumal wir bald neues Tischzeug brauchen werden; denn da keine Frau im Hause ist, können wir nicht spinnen, mithin auch nicht eigenes Zeug fertigen.« »Das heißt man,« sagte der Hausierer, »nach den Worten leben: »Gehet zu denen, die da kaufen und verkaufen« – Bibeltexte haben doch immer guten Nutzen.«

»Und mit einem klugen Manne, der aus allem sein Pfeifchen zu schneiden weiß, im Verkehr zu sein, ist, – wenn nicht von Nutzen, doch eine Freude,« erwiderte lachend die Hausverwalterin; »und wenn ich mir das Westenzeug genauer ansehe – na, so möcht ich jetzt selber sagen, daß es seine vier Taler wohl wert ist.«


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