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Der beiden Töchter Magnus Troils, Minna und Brenda mit Namen, haben wir schon erwähnt. Ihre Mutter hatte das Zeitliche vor vielen Jahren gesegnet. Sie waren inzwischen zu stattlichen Mädchen herangewachsen, von denen die ältere achtzehn Jahre alt, also etwa zwei Jahre jünger als Mordaunt Mertoun war, die zweite siebzehn Jahre zählte. Sie waren die Freude des Vaters und das Licht seiner Augen, und wenn er ihnen auch auf so nachsichtige Weise Freiheit und Willen ließ, daß seiner Ruhe leicht hätte Gefahr entstehen können, so hatte doch bisher die grenzenlose Liebe, mit der sie ihm anhingen, jeglichen Anlaß hierzu im Keime erstickt. So verschieden sie ihrem Gemüt und ihrer Gestalt nach waren, war doch die Familienähnlichkeit nicht zu verkennen. Die Mutter der Mädchen war eine Schottin, aus den Hochlanden von Sutherland, und Tochter eines edlen Häuptlings, der während der Fehden des 17. Jahrhunderts aus seinem Lande vertrieben wurde und Schutz auf diesen friedlichen Inseln gefunden hatte, wo, trotzdem Armut das Erbteil und Abgeschiedenheit das Los der Bewohner war, doch Hader und Zwietracht fremde Gäste waren. Dem alten Saint-Clair – so hieß der Häuptling – ging der Verlust seiner heimatlichen Burg mit ihren Clansleuten und allen ritterlichen Ehren tief zu Herzen, so daß er bald, nicht lange nach seiner Ankunft in Shetland, in das Grab stieg. Die Schönheit seiner Tochter hatte Magnus Troil in Fesseln geschlagen. Er fand Gehör, und sie wurde die Seine, starb jedoch schon im fünften Jahre ihrer glücklichen Ehe. Minna hatte von der Mutter die hohe Gestalt und die dunklen Augen, die rabenschwarzen Locken und die feingeschwungenen Brauen geerbt: Merkmale dafür, daß sie nach einer Seite hin mit dem alten Blut von Thule nicht in Verwandtschaft stand. Auf ihrer Wange – weiß, doch nicht bleich – lag ein so leiser, zarter Hauch von rosiger Röte, daß bei vielen die Rede ging, sie erinnere zu stark an die Lilie. Aber in dieser Vorherrschaft der blassern Blume,lag nichts von Krankhaftigkeit, sondern es war die wahre, natürliche Farbe der Gesundheit, die zu den Gesichtszügen, aus denen ein hochsinniger Geist sprach, so recht zu passen schien. Brenda, die jüngere, war eine andere, aber ebenso liebliche, ebenso reine, unschuldige Schönheit. Ihre reichen Locken hatten jenes lichte Braun, dem der vorübergehende Sonnenstrahl einen Goldglanz verleiht, das aber sogleich wieder verdunkelt, sobald der Strahl verschwunden ist. Ihre Augen, ihr Mund, die schönen Zähne, die frische, doch nicht zu dunkle Glut einer jugendlichen Gesundheit, welche ihre schneeweiße Haut färbte, gaben Zeugnis von ihrer echt skandinavischen Abkunft. Ihre feenhafte Gestalt, nicht zu hoch, wie die ihrer Schwester, aber von größerem Ebenmaß, ein sorgloser, kindlich-leichter Schritt, ein Auge, das auf jedem Gegenstand wahrer Fröhlichkeit mit Freude weilte, waren Vorzüge, die jene der Schwestern – trotzdem dieselben wahrlich nicht geringer waren – doch in Schatten stellten. Bei aller Verschiedenheit der Gemütsart dieses lieblichen Schwesternpaares konnte aber in der Liebe zum Vater keine der andern den Vorrang streitig machen. Brendas Frohsinn übertrug sich auf jede Verrichtung, auf jedes Vorkommnis des täglichen Lebens, während die stillere Art der Schwester eher dazu neigte, dem Vergnügen und der Freude, wenn nicht Einhalt zu tun, so doch nicht Förderung angedeihen zu lassen. Bücher waren ihr liebere Freunde als Menschen, und ihre Kenntnisse gingen über ihre Sphäre; Shetland bot damals nur geringe Gelegenheit, sich Wissen anzueignen, und Magnus Troil war, wie wir ihn beschrieben haben, nicht der Mann, in dessen Hause sich die Mittel zum Erwerbe desselben fanden. Aber das Buch der Natur, dieses edelste der Bücher, das der Mensch immer anstaunen und bewundern muß, selbst wenn er es nicht versteht, lag vor Minna offen dar. Die Pflanzen dieser wilden Gegenden, die Muscheln an der Küste und die an Gattungen überreiche gefiederte Welt, die diese Klippen und Horste bewohnt, waren Minna Troil ebenso bekannt, wie dem erfahrensten Jäger. Sie hatte eine scharfe Beobachtungsgabe, ein sehr gutes Gedächtnis und ließ sich von anderen Gefühlen nicht ablenken, wenn sie sich mit etwas Bestimmtem befaßte. Für die einsame düstere Naturschönheit der shetländischen Inselwelt hatte sie eine tiefe Empfindung. Das Meer in all seinen Gestaltungen erhaben-grauser und doch wieder heilig-stiller Art; die von dem endlosen Wogengebraus widerhallenden furchtbaren Klippen; das Schnarren, Krächzen, Schreien und Quieken der Seevögel hatte fast in jedem Wechsel der Jahreszeit für Minna besonderen Reiz; in der dem romantischen Geschlechte, aus dem ihre Mutter entsprossen, eigentümlichen Schwärmerei gestaltete sich die Liebe zur Natur bei ihr zu einer Leidenschaft, die nicht allein ihre Seele auszufüllen, sondern zuzeiten in die stärkste Begeisterung versetzen konnte ... Was ihre Schwester nur mit momentanem Schauer oder einem geringen Grade von dauernder Erregung ergriff, beschäftigte Minnas Phantasie tage- und wochenlang, und zwar nicht allein in dem Stillschweigen der Nacht, sondern auch in den der Unterhaltung geweihten Stunden, so daß sie mit ihren Gedanken, wenn sie, wie ein schönes Marmorbild, in ihrem häuslichen Kreise dasaß, in weiter Ferne, an der wilden Seeküste und in den noch wilderen Bergen ihrer Inselflur schweifte. Und dabei verstand sie es doch, wie nur wenige, die Unterhaltung eigentümlich lebendig zu gestalten, so daß man ihr unwillkürlich, wenn auch vielleicht nicht so ungeteilte Liebe, wie ihrer jüngeren fröhlichen, lieblichen Schwester, so doch eine hohe Achtung, unter ihrer schlichten Umgebung fast Ehrfurcht, entgegenbrachte. So waren Minna und Brenda nicht allein aller Bekannten Lust und Freude, sondern der Stolz der ganzen Inselflur, deren Bevölkerung durch die Abgeschiedenheit ihrer Lage und die schöne Sitte der Gastfreiheit zu einer echten Gemeinschaft mit biblischem Sinne vereinigt war. Lord Byron hätte seine herrlichen Verse
Sie wallt in Schönheit, gleich der Nacht,
Wenn am reinen Himmel blinkt Sternenlicht,
Des Schattens Reiz, des Lichtes Pracht
Vereint sich in ihrem schönen Gesicht.
Sie hat, was die Nacht so zauberisch macht,
Den sanften Schein, der dem Tage gebricht.
auf Minna Troil dichten können.
Der Vater liebte beide Mädchen so zärtlich, daß niemand zu sagen vermocht hätte, welche von beiden er lieber hätte, es sei denn, daß er auf Spaziergängen die ernstere Tochter lieber um sich hatte, sein fröhlicheres Kind dagegen lieber am häuslichen Herde sah; oder daß er Minnas Gesellschaft vorzog, wenn er traurig, Brendas, wenn er fröhlich war.
Seltsamer aber war es noch, daß Mordaunt Mertoun seine Neigung mit derselben Unparteilichkeit, wie der Vater, zwischen den zwei lieblichen Schwestern zu teilen schien. Von seinem Knabenalter an war er, wie oben erzählt, ein häufiger Gast in Magnus Troils Haus in Burgh Westra, obgleich es an zwanzig Stunden vom Jarlshof entfernt war. Die Gegend zwischen diesen beiden Orten war hügelig und teilweis von lockerem, weichem Moor bedeckt, auch häufig von Buchten oder Meresarmen zerrissen, die auf beiden Seiten in die Insel einschnitten, so daß der Weg in der späteren Jahreszeit sehr beschwerlich, ja gefährlich war; dennoch konnte man, sobald es seines Vaters Gemütszustand ihm zum Bedingnis machte, sicher sein, Mordaunt am nächsten Tage in Burgh Westra zu finden, wohin er seinen Weg in weit kürzerer Zeit zurücklegte, als der flinkste Eingeborene gebraucht hätte.
So gewöhnte man sich auf Shetland, ihn für einen Verehrer einer der Töchter Magnus Troils anzusehen, und wenn man erwog, mit welcher Liebe der alte Udaller an dem Jüngling hing, so konnte niemand zweifeln, daß er ihm eine seiner Töchter zur Frau geben würde, mit soviel Grund und Boden, felsigem Moorland und Küstenfischereien, als ihr an Mitgabe zufiele, mit Aussicht bei seinem Ableben auf das halbe Barvermögen des alten Hauses Troil, eine Beigabe, die gewiß nicht zu verachten war, so daß sich niemand dagegen verschloß, eine sehr vernünftige Spekulation darin zu erblicken. Aber den Hauptpunkt, für welche der beiden Jungfrauen Mordaunt sich eigentlich erklären werde, konnten auch die scharfsinnigsten Köpfe nicht ausfindig machen, schien er sich doch im allgemeinen nicht anders gegen sie zu benehmen wie ein zärtlicher und liebevoller Bruder gegen zwei gleich liebe Schwestern.