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Viertes Kapitel.

Der Frühling war weit vorgerückt, als Mordaunt nach einer in Burgh Westra lustig verlebten Woche sich unter Darlegung der Notwendigkeitsgründe für seine Rückkehr nach Jarlshof von der Familie verabschiedete. Diese Notwendigkeit wurde aber von den Mädchen und noch entschiedener von Magnus Troil selbst in Frage gestellt, mit dem Bemerken, daß, wenn ihn sein Vater sehen wolle, was übrigens nicht glaubhaft sei, dieser sich ja nur in Sweyns Boot zu werfen oder, wenn er die Landkreise vorziehe, – auf einen Gaul zu setzen brauche, und dann nicht allein seinen Sohn, sondern zwanzig andere Leute noch herzlicher erfreuen würde dadurch, daß er sich endlich mal wieder sehen ließe. Mordaunt ließ das alles gern gelten, meinte aber, daß sein Vater sich nun einmal mit andern Leuten nicht zurechtfände, und daß es schon darum nicht angehe, länger zu bleiben; zumal man, wenn man warten wollte, bis sein Vater nach Burgh Westra käme, wohl eher erleben würde, Kap Sumburgh zu sehen als ihn. – »Oho, das dürfte wohl ein beschwerlicher Gast sein,« sagte Magnus; »aber wollt Ihr nicht wenigstens heute noch mit uns zu Mittag essen? Die Familien von Muneß-Quendale und Therelivoe kommen, und wohl auch sonst noch mancher, außer den dreißig, die vergangene Nacht in unserem Hause waren, so daß wir Strohschütten werden legen müssen, um allen eine Unterkunft zu bieten. – Und bei dem allen wollt Ihr fehlen?« –

»Und abends gibt's Tanzvergnügen,« fügte Brenda in neckischem Tone hinzu; »und die jungen Leute von Paba sollen den Schwertertanz tanzen; wer soll mit ihnen, Schottland zur Ehre, ringen, wenn Ihr fehlt?« – »Es gibt noch manchen guten Tänzer auf dem Festlande, Brenda,« antwortete Mordaunt, »und wo es die gibt, da wird Brenda nach wie vor den Besten finden. Ich muß mich nun schon heute abend in die Wildnis von Dunrochneß trollen.« – »Tue es nicht, Mordaunt,« sagte Minna, die inzwischen ängstlich aus dem Fenster geblickt hatte; »geh heut nicht durch die Wildnis von Dunrochneß.« – »Und warum gerade heute nicht?« fragte Mordaunt lachend.

»Der Frühnebel liegt schwer über der Inselflur. Noch haben wir seit Tagesanbruch Fitful-Head nicht sehen können. Die Vögel fliegen unruhig zur Küste, die Fuchsgans sieht im Nebel so groß aus wie der Kormoran, und die Erd- und Stoßmöwen flüchten sich zwischen die Klippen.« – »Und die halten, weiß Gott! einen Sturm besser aus als eine Fregatte,« sagte der Vater; »wenn die so stechen und fischen, Mordaunt, setzt's schlimmes Wetter.«

– »Bleib also hier,« sagte Minna. »Sieh, obgleich die Jahreszeit noch nicht weit vorgerückt ist, ist die Luft doch schwül und drückend, dabei so ruhig, daß sich kein Halm auf der Heide rührt. Bleibe bei uns, Mordaunt; denn alles läßt auf ein so schlimmes Wetter schließen, wie wir es lange nicht erlebten.« – »Desto eher muß ich gehen,« behauptete Mordaunt, dessen scharfem Blicke diese Anzeichen auch nicht entgangen waren. »Wird's zu arg, so kehr' ich nachts in Stourbourgh ein.« – »Wie,« sagte Magnus: »Ihr wollt uns verlassen, und bei des neuen Kämmerlings neuem schottischen Substituten bleiben, der uns shetländische Wilde neue Sitten lehren soll? Wenn Du aus dem Tone pfeifst, Junge, dann geh in Gottes Namen!« – »Nein,« sagte Mordaunt, »ich bin nur neugierig, die neuen Ackerbauwerkzeuge zu sehen, die er mit herübergebracht hat,« – »Ja, ja, Wunderdinge machen Narren stutzen. Mich soll's wundern, was er mit seinem neuen Pfluge gegen unsre shetländischen Felsen ausrichten wird.« – »Ich will meinen Weg über Stourbourgh nehmen,« fagte der Jüngling, um den Vorurteilen seines Gönners gegen alle Neuerungen nicht allzu schroff gegenüber zu treten; »wegblasen wird mich der Sturm wohl nicht, und wenn's Regen gibt, was wohl wahrscheinlich ist, werde ich wohl auch nicht zu Wasser werden.« – »So nimm Dich wenigstens recht in acht, da Du doch einmal gehen willst,« sagten beide Schwestern zugleich.

Aller Warnungen ungeachtet, nahm Mordaunt Abschied, doch außer stande, einen schmerzlichen Seufzer zu unterdrücken, als er auf die Behaglichkeit ringsumher zurückblickte, den dicken Rauch aus den Schornsteinen steigen sah und dann die unfreundliche, einsame Behausung in Jarlshof und die düstre Schwermut seines Vaters mit der traulichen Wohnstätte und Herzlichkeit der lieben Menschen in Parallele stellte, von denen er eben den Fuß hinweg setzen wollte. Die Zeichen für das Einsetzen des Sturmes mehrten sich. Mordaunt war noch keine drei Stunden gegangen, als die Luft, die am Morgen bleischwer gewesen war, auf einmal in wilde Bewegung geriet, und bald tobte und brüllte der Sturm mit aller Wut eines nordischen Orkanes; mit furchtbarer Gewalt schlug er gegen die Hügel und Felsen und in Strömen goß der Regen nieder, eine förmliche Wand bildend, die es dem Wanderer unmöglich machte, die Richtung seines Weges zu verfolgen, gab es doch von gebahnten Straßen noch nicht die leiseste Spur, und wurde die Wegstrecke doch von Seen, Morästen, Pfühlen und Fenns fortwährend unterbrochen. Die Bäche waren zu Strömen angeschwollen, deren Fluten vom Sturme hochgepeitscht wurden und die Luft mit einem Gestöber von Salzwasser erfüllt, das ihm ins Gesicht schlug und als Zeichen dafür gelten mußte, daß Springfluten vom rasenden Meere herüber sich mit den Wassermengen der inländischen Seen und Ströme vermischt hatten.

In diesem grausen Aufruhr der Elemente bahnte sich Mordaunt kühn den Weg. Er fühlte, daß sein Leben in der schwersten Gefahr stand, daß er alle Kraft und Klugheit daran setzen müsse, es zu retten; aber er fühlte auch den stolzen Triumph, den jedes Aufgebot von Kraft, um schwere Gefahr zu überwinden, in der menschlichen Seele weckt ... »Sie sollen in Burgh Westra von mir nicht hören,« dachte er bei sich »wie von des alten albernen Ringan Ewerson Boot, das zwischen Reede und Hafendamm verloren ging.«

So schritt er mutig weiter, bauend auf dem ihm eigenen Scharfblick für alle Kennzeichen der Naturvorgänge, denn alle örtlichen Merkmale, wie Feld, Berg und Vorgebirge waren in Nebel und Dunkelheit gehüllt; aber lange Bekanntschaft mit diesen wilden Gegenden hatte ihn selbst den kleinsten Gegenstand ins Auge fassen gelehrt, der ihm unter solchen Umständen zur Richtschnur dienen konnte. Und doch drohte all seine Erfahrung und Entschlossenheit an den wilden Umständen seiner Lage zu scheitern, da er, trotz äußerster Anstrengung, nur langsam durch die ausgetretenen Bäche und doppelt tiefen Moräste, die ihn zu häufigen Umwegen zwangen, vorwärts kommen konnte. Aber er bestand den schweren Kampf mit Sturm, Regen und Ungemach, und sah, nur ein einziges Mal vom Wege abgekommen, endlich das Haus von Stourbourgh oder Hafra vor sich, mit welchem Namen man den Aufenthaltsort des Herrn Triptolemus Yellowley bezeichnete, des erwählten Abgeordneten des Kämmerlings von Orkney und Shetland, eines sehr klugen und weitsichtigen Mannes, der in das Ultima Thule der Römer einen Geist des Fortschrittes zu verpflanzen gedachte, wie er sich in dieser früheren Zeit kaum in Schottland selbst zu äußern anfing. Das Haus des würdigen Mannes war auf einige Meilen weit der einzige Zufluchtsort, den Mordaunt vor dem wütenden Sturme zu finden hoffen durfte, und als er nun im vollsten Vertrauen, hier Einlaß zu finden, auf die Tür zuschritt und diese nicht allein eingeklinkt, (was das Wetter entschuldigen konnte), sondern sogar verriegelt fand, – ein, wie Magnus Troil schon erwähnt hatte, auf den Inseln beinahe unbekannter Fall – war er nicht erstaunt (denn der Ausdruck war zu gelind), sondern verblüfft. Er klopfte, rief, schlug gegen die Tür, warf mit Steinen dagegen – alles umsonst: Die Tür blieb verschlossen. Minute auf Minute verrann, ohne daß er aufhörte, seiner Ungeduld durch Lärm Luft zu machen, und ohne daß ihm irgend eine Antwort zu teil wurde – und diese Zeit wollen wir benutzen, den Leser über Triptolemus Yellowley, und darüber, wie er zu diesem sonderbaren Namen kam, zu unterrichten.

Der Vater von Triptolemus, der alte Jasper Yellowley, war, obgleich am Fuße des Roseberry-Gipfels geboren, von einem schottischen Grafen bewogen worden – da der Ort für den pfiffigen Yorkshirer selbst zu weit nördlich lag – einen Pachthof in den Mearns zu übernehmen; aber hier bot der rüstige Pächter umsonst alle Anstrengung und wirtschaftlichen Kenntnisse auf, dem kalten Boden und feuchten Klima Erfolge abzuringen. Gelungen wäre es ihm schließlich trotz allem, wenn ihn nicht die Lage seines Pachthofes an der Grenze vom Grampian-Gebirge unaufhörlich den Einfällen der »Plaid-Leute« ausgesetzt hätte, die im Bereiche desselben wohnten, und darüber geriet Jasper Yellowley bald in Armut. Aber seine roten Wangen unb sein kräftiger Körperbau führten ihm das Herz der Jungfer Barbara Clinkscale zu: der Tochter des verstorbenen und Schwester des jetzt lebenden Mannes dieses Namens. Da das Haus Clinkscale immer schottischen Stolz gewahrt und sich durch schottische Sparsamkeit ausgezeichnet hatte, wurde dieser Ehe in der Gegend nichts weniger als Beifall gezollt. Aber Jungfer Baby besaß ein Vermögen von 2000 Mark, über das sie schalten und walten konnte, war resoluten Sinnes und seit wenigstens zwanzig Jahren (so versicherte wenigstens der Notar, der den Kontrakt aufsetzte), major und sui juris und heiratete, allen Vor- und Nachreden zum Trotz, den wackern Freisassen aus Yorkshire. Ihr Bruder und ihre engern Verwandten kehrten sich von ihr nicht bloß verdrossen ab, sondern sagten sich fast vollständig von ihr los. Aber Haus Clinkscale hatte, wie damals jede schottische Familie, noch viele andere Verwandte – die nicht so heikel waren – Vettern im zehnten und sechzehnten Grade, die nicht nur Baby Yellowley nach wie vor als ihre Verwandte anerkannten, sondern sich auch herabließen, Bohnen und Speck mit ihrem Manne zu essen, ein Gericht, das die Schotten damals ebenso verabscheuten wie die Juden. Ja sie hätten ihre Freundschaft sogar gern durch ein Darlehen noch enger mit ihm geknüpft, hätte sich nicht seine wackere Ehehälfte, die sich, wie kaum eine Frau in den Mearns, kein X für ein U machen ließ, strikte dagegen ausgesprochen. Ebenso hatte sie die Gastfreundschaft, die der junge Deelbelicket und der alte Dougald Baresword, Laird von Bandybrawl, und andere in Anspruch zu nehmen sich erdreisteten, klugerweise nicht geweigert, sondern vielmehr dazu benutzt, Unterhandlungen mit den händelsüchtigen Leuten jenseits des Eairn anzuknüpfen, die, sobald sie inne wurden, daß Yellowleys, die sie sonst ungestraft geplündert, jetzt mit »wohlbekannten und in der Kirche und auf dem Markte begrüßten Leuten« verwandt seien, sich sofort mit einer mäßigen Abfindungssumme für Raub und Ueberfall einverstanden erklärten.

Durch diesen glücklichen Erfolg wurde Jasper mit dem Pantoffelregiment seiner Frau ausgesöhnt, trotzdem sich dasselbe noch sehr verschärfte, als sich fand, daß sie guter Hoffnung sei. In diesem gesegneten Zustande hatte Frau Jellowley nämlich einen merkwürdigen Traum: bei schwangeren Müttern vor der Geburt bekanntlich ein häufiges Vorkommnis. Sie träumte, daß sie glücklich von einem Pfluge entbunden worden, der von drei Joch Ochsen aus Angushire gezogen wurde; natürlich setzte sie sich flugs mit drei Gevatterinnen hin, um zu beraten, was solcher Traum wohl bedeuten möchte. Der alte Jasper wagte nach langem Zögern und unter vielem Stocken und Stottern sich dahin zu äußern, daß sich solch Traumgesicht wohl mehr auf vergangene Begebenheiten beziehe als auf vorhandene zu deuten sei – und wohl darauf zurückzuführen sein möge, daß die Nerven seiner Frau dadurch in Aufruhr geraten seien, daß sie seinem eigenen großen Pfluge mit den sechs Ochsen begegnete. Aber die drei Gevatterinnen erhoben gegen solche Auslegung solches Geschrei, daß Jasper die Finger in die Ohren stecken und aus der Stube laufen mußte.

»Da hör ihn einer« sagte eine Alte aus Nord-Schottland, »seine Ochsen sind ihm seine Götzen wie das Kalb von Bethel! Nein, nein – kein irdischer Pflug ist's, hinter dem der Knabe (denn ein Knabe wird's) hergehen wird, sondern ein geistiger Pflug, – den der Knabe einst auf der Kanzel führen wird.«

»Ihr seid des Teufels mit Euren überspannten Ideen,« sagte die alte Frau Glenprosing: »er soll sich wohl um seinen Kopf predigen, wie James Guthrie der Gottesmann? Nein, nein, davon darf keine Rede sein! er soll einen sichern Lebenspfad wandeln.« – Der Meinungszwist zwischen den beiden Sibyllen wurde mit jedem Augenblick heftiger (wobei das kreisende Zimmtwasser wie Oel auf die Flamme wirkte), als Jasper mit der Pflugreute hereinkam und auf eine Weile Stille schuf. Ich weiß nicht, ob aus Ungeduld, ein dem Anschein nach zu einem hohen, geheimnisvollen Berufe bestimmtes Wesen an das Licht der Welt zu bringen, geschah, was nun folgte – oder ob die arme Frau Yellowley sich über den Lärm entsetzt hatte, der in ihrer Gegenwart entstand: genug, es befiel sie ein plötzliches Unwohlsein, und bald ging die Rede, daß sie sich bei weitem schlechter befinde, als sich – wie die Redensart immer lautet – »den Umständen nach erwarten ließe,« Sie nahm, da sie noch ihr Bewußtsein hatte, diesen Zufall wahr, um von ihrem mitfühlenden Gatten zwei Versprechen zu erhalten, erstens: daß er den Knaben, dessen Geburt ihm dem Anschein nach so teuer zu stehen kommen sollte, einen Namen beilege, der mit ihrem Traum im Einklang stehe, und zweitens: daß er den Knaben für die geistliche Laufbahn bestimmte. Der kluge Yorkshirer, in der Meinung, daß die Frau unter so bewandten Umständen allerdings ein Recht zu Vorschriften habe, willigte in alles. Wirklich kam auch ein Knabe zur Welt; aber die Mutter war mehrere Tage lang so schwach, daß sie sich nicht darum bekümmern konnte, ob ihren Wünschen gewillfahrt worden sei oder nicht. Als sie sich zu erholen anfing, wurde ihr mitgeteilt, daß das Kind in der Taufe, die man schnell vornehmen zu müssen für geraten erachtet hatte, den Namen Triptolemus bekommen habe, da der Pfarrer, ein in den Klassikern belesener Herr, sich dahin geäußert habe, daß dieser Name die von ihr gestellte Bedingung erfülle, indem er auf Pflug und dreifaches Ochsengespann deute – aber Frau Yellowley war mit der Art, wie man ihrem Wunsche gerecht geworden, nicht so ganz zufrieden; da aber Brummen hier wenig half, ließ sie sich den heidnischen Namen gefallen und suchte die Wirkungen, die er auf Geschmack und Ansichten des Täuflings hervorbringen könnte, durch eine Erziehung aufzuheben, die ihm alle Gedanken an Pflugeisen, Pflugsterze und dergleichen mit dem sklavischen Pflugplacke in Bezug stehende Dinge fernhalten sollte.

Jasper, der weise Yorkshirer, lachte sich aber ins Fäustchen, denn er meinte, der kleine Trip werde wohl kaum zu jenen »Aepfeln gehören, die weit vom Stamme fielen,« vielmehr eher nach ihm, als dem wackeren Freisassen, arten, als in das zwar edle, aber scharfe Blut des Hauses Clinkscale schlagen, und nahm mit heimlicher Freude wahr, daß das bekannteste Wiegenlied nach der Melodie des Liedes: »Der Landmann hat viel Freude«, gesungen wurde, und daß die ersten Worte, die das Kind lallte, die Namen seiner drei Ochsen waren; ja daß der Knabe Hausbier gern trank und schottisches ausspuckte, – und daß, wenn kein anderes Mittel, ihn zur Ruhe zu bringen, mehr anschlagen wollte, ein Zaum, mit dem man ihm vor dem Ohre klingelte, die gewünschte Wirkung nie versagte. Auf diese Anzeichen hin verschwor er sich hoch und heilig, sein Junge würde ein echter Yorkshirer werden, und der Mutter, wie ihrer Clinkscaler Sippschaft, ein derbes Schnippchen schlagen.

Ein Jahr nach des Trips Geburt gab Frau Yellowley einer Tochter das Leben, die nach ihr Barbara getauft wurde, und schon in frühester Kindheit durch die spitzige Nase und dünnen Lippen erkennen ließ, daß sie eine echte Clinkscale werden würde, auch in der späteren Kindheit diese Erwartung durch die Gier noch rechtfertigte, mit der sie nach allem, besonders aber ihres Brüderchens Spielsachen, griff, wie auch durch die Neigung, bei der geringsten oder auch gar keiner Veranlassung zu beißen, zu kneifen oder zu kratzen. – Der junge Triptolemus bekam vom Pfarrer soviel Unterricht, wie dieser geben konnte, und wurde, als Zeit und Stunde kam, nach Saint-Andrews zur Vollendung seiner Studien gesandt. Wohl zog er dorthin, nahm aber wehmütige Erinnerungen mit an Vaters Pflug, Vaters Eierkuchen und Vaters Hausbier, wofür ihm das Dünnbier des »College,« wie schon dessen Spottname »Dünnpfiff« andeutete, nur schwachen Ersatz bot. Indessen machte er Fortschritte in der Wissenschaft, wobei sich aber eine bestimmte Vorliebe bei ihm für diejenigen alten Schriftsteller, die sich den Ackerbau zur Domäne ihrer Kunst erkoren, nicht verkennen ließ. So war die »Bucolica« des Virgil sein Lieblingsbuch, und dessen »Georgica« wußte er sogar auswendig – aber die »Aeneide« konnte er nicht ausstehen und haßte besonders die berühmte Zeile, die einen Angriff der Reiterei malt, weil er das darin vorkommende Wort »putrem« Quadrupedumque putrem sonitu quatit ungula campum so auslegte, daß die Reiterei in ihrer grimmen Hitze über ein frisch gedüngtes und gepflügtes Feld hinweggaloppiert sei. Unter den Helden und Philosophen des Altertums war der römische Zensor Cato sein ausgesprochener Liebling, doch nicht wegen seiner Sittenstrenge, sondern wegen seiner Abhandlung » de re rustica.« So hatte er auch immer die Cicero-Worte im Munde: jam neminem antepones Catoni. Von Palladius und Terentius Varro hielt er wohl was, aber Calumella kam nie aus seiner Tasche. Ebenso interessierten ihn auch in den Kalendern der Gegenwart nicht die eitlen Prophezeihungen politischer Ereignisse, sondern bloß die Nachrichten über praktischen Bodenbau, über diejenigen Düngemethoden, die eine gute Ernte erwarten ließen, über die beste Zeit zum Säen und über die Wetteraussichten für die einzelnen Monate, wie z. B. daß es, wenn es dem Himmel gefällt, im Januar schneien werde, und daß der Verfasser seinen Ruf verpfänden wolle, daß es im Juli viel Sonnenschein geben werde.

Obgleich der Rektor von St.-Leonard mit dem ruhigen, fleißigen Triptolemus zufrieden war und ihn seines viersilbigen Namens mit der lateinischen Endung nicht eben für unwürdig hielt, mochte ihm seine allzu große Vorliebe für die Ackerbauschriftsteller durchaus nicht gefallen, schmeckte sie ihm doch, wie er sagte, gar zu sehr nach Erde, wenn nicht nach etwas noch Aergerem. Aber Triptolemus Yellowley beharrte eigensinnig bei seiner Richtung, so daß ihm beispielsweise die Schlacht von Pharsalia nicht deswegen merkwürdig war, weil sie über die Freiheit der Welt entschied, sondern weil ihm die reiche Ernte vorschwebte, die die emathischen Gefilde im nächsten Jahre zufolge des starken Blutdungs gegeben haben müßten. Nie war er dahin zu bringen, von vaterländischer Dichtkunst auch nur eine einzige Zeile zu lesen, ausgenommen den alten Tusser, dessen »hundert Regeln« über gute Landwirtschaft er auswendig wußte, sowie Piers, des Pflügners »Vision«, die er, durch den Titel angezogen, begierig von einem Hausierer kaufte, aber schon nach den ersten zwei Seiten als eine freche, sich unangemessenen Namens bedienende Schmähschrift ins Feuer warf. Aus der ganzen Gottesgelahrtheit interessierten ihn bloß die Bibelworte, daß der Mensch sein Brot im Schweiße des Angesichtes zu essen verdammt sei – und dieses Bibelwort bestimmte ihn auch zu dem Entschlusse, streng danach zu handeln, fleißige Arbeit mit seinen Händen zu tun und auf geistige Grübelei zu verzichten. So kam es denn mit der Zeit, daß seine Fortschritte in der Gelehrsamkeit, und die Art, wie er die erworbenen Kenntnisse verwerten zu wollen schien, den ehrgeizigen Hoffnungen der Mutter nicht eben schmeichelten. Freilich erhob er keinen Widerspruch gegen die Zumutung, Geistlicher zu werden; nur stellte er Gewährung freien Wortes zur Bedingung und daß er sechs Tage in der Woche das Feld bauen dürfe, mithin bloß jeden siebenten zu predigen brauche, wie daß er nach der Predigt mit irgend einem fetten Vogt oder Laird zu Mittag essen, nach dem Tische eine Pfeife rauchen, einen Krug Bier trinken und dann sich insgeheim über das unerschöpfliche Thema: »Quid faciat laetas segetes,« verbreiten dürfe.

Hierzu gehörte aber, abgesehen von dem Besitz einer Pfarre, die keiner erlangen konnte, der sich nicht in die Lehren der bischöflichen Kirche und andere Greulichkeiten der Zeit fügte, Geld und andere Förderung, und ob, wenn sich Trips brave Mutter – wenn er die Förderung fand – wirklich entschlossen hätte, sich von dem Gelde zu trennen, oder ob ihr schließlich Geld doch wichtiger gewesen wäre als aller Presbyterianismus, bleibt wohl für alle Zeiten fraglich insofern, als es dem Schicksal gefiel, ihren Eifer nicht auf eine so harte Probe zu stellen. Sie starb nämlich, ehe ihr Sohn seine Studien vollendet hatte: ein Verlust, der ihren Gatten tiefer betrübte, als man erwarten konnte.

Der erste Schritt, den der alte Jasper nach endlich erlangter Haus-Autonomie tat, war, daß er den Sohn von St.-Andrews heimrief, damit er ihm bei seinen häuslichen Arbeiten zur Hand gehe. Nun hätte man meinen sollen, daß Triptolemus, der nun in die Praxis übertragen sollte, was er in der Theorie so emsig studiert, sich (um ein Gleichnis zu brauchen, das er gewiß für sehr treffend gehalten hätte) wie ein Füllen auf der Weide vorkommen würde. Doch was sind Gedanken, was sind Hoffnungen beim Geschlechte des Menschen!

Ein lachender Philosoph, der Demokrit unserer Zeit, hat einmal das menschliche Leben mit einer arg durchlöcherten Tafel verglichen, bei der für jedes Loch ein genau passender Stift vorhanden sei. Da aber diese Stifte schnell und ohne Bedacht in die Löcher gesteckt würden, bliebe dem Zufall ein so freies Spiel, daß es zu den seltsamsten Mißgriffen käme. – »Denn,« schließt der Philosoph mit kräftigem Pathos, »wie oft sehen wir nicht, daß ein runder Mensch in einem dreieckigen Loche steckt?« Diese neue Erklärung der Zufallslaunen erregte bei jedem Anwesenden ein krampfhaftes Gelächter, einen fetten Gemeindevorstand ausgenommen, der, den Fall persönlich nehmend, versicherte, mit solcher Sache sei nicht zu spaßen. Um nun dies treffliche Gleichnis weiter zu führen, muß ich sagen, daß es mir vorkommt, als sei Triptolem aus dem Sacke mit Stiften wenigstens um ein Jahrhundert zu früh ins Leben geschüttet worden. Hätte er zu unseren Lebzeiten die Weltbühne betreten, d. h. während der letzten dreißig bis vierzig Jahre, geblüht, so wäre er sicher stellvertretender Vorsitzender irgend einer großen Ackerbau-Gesellschaft geworden. Eine solche Stelle hätte ihm nicht entgehen können, und wäre von ihm auch gerecht ausgefüllt worden, denn in der Materie selbst war er gründlich zu Hause – besser als mancher Herzog oder Lord, den man zum wirklichen Vorsitzenden macht, obgleich er manchmal kaum zu unterscheiden weiß zwischen einem Karrengaul und einem Gaul mit Karren,

Aber ach! Triptolemus Yellowley war, wie schon bemerkt, wenigstens um ein Jahrhundert zu früh auf die Welt gekommen, und statt in einen bequemen Fauteuil mit bequemen Armstützen gesetzt zu werden, damit er, mit dem Hammer in der Faust und einem Glase Portwein vor sich, einen Spruch ausbringe »auf Ackerbau, Viehzucht und verwandte Zweige«, wurde er von seinem Vater an den Pflug gestellt und mußte Ochsen führen, deren Rücken er aber, statt mit der Peitsche, viel lieber mit dem Tranchiermesser bearbeitet hätte. Der alte Jasper führte bald bittere Klage, daß sein gelahrter Sohn (den er »im abgekürzten Verfahren« immer nur »Tolimus« nannte) wohl die herrlichsten Reden über Gemeindeweiden, Koppel und Wechselwirtschaft, Freizucht und Inzucht zu halten wisse, daß aber unter seinen Händen gar nichts gedeihen wolle. Schlimmer aber wurde es in dieser Hinsicht noch, als Vater Jasper nach einigen Jahren durch das Alter gezwungen wurde, dem akademischen Jünger die Zügel zu überlassen. Als ob die Natur einen untilgbaren Groll gegen ihn hegte, hatte er eine der schlechtesten, undankbarsten Pachtungen in den »Mearns« bekommen, einen Fleck tatsächlich, der alles hervorzubringen schien, nur nichts von all dem, was ein Landmann braucht. Disteln, die dürres, Farnkräuter, die sumpfiges Land, Nesseln, die Kalkboden verraten sollen, – wuchsen in Hülle und Fülle – Furchen und Steine gab es im Ueberfluß; und auch an Quellen mangelte es nicht, bloß brachen sie nur überall dort aus der Erde, wo sie wenig oder gar nicht am Platze waren. Vergebens mühte sich der arme Triptolemus, bald nach diesem bald nach jenem Rezepte, den Boden, nach Maßgabe seiner Eigenschaft, zu bewirtschaften. Aber er gewann weder die Butter aufs Brot, noch das Brot zur Butter – und abgesehen von einem halben hundert Morgen eingehegten Landes, auf das schon sein Vater all seine Arbeitskraft und Arbeitslust beschränkt hatte, gab es kaum noch einen Winkel in der ganzen Pachtung, der zu etwas anderem gut war, als Geräte darauf zu zerbrechen, oder Vieh darauf zu Tode zu schinden. Was einkam, ging für Unterhaltungskosten der Pachtung und mit Experimenten drauf, zu denen sich Triptolemus nie nötigen ließ. Hätte er in unserer Zeit gelebt, so hätte es mit ihm gar bald ein Ende gehabt. Ein sogenannter Bank-Kredit, hinter dem ein kurzer Wechselkredit, im Verein mit einem Leben in dulce jubilo gekommen wäre, hätte da Hof, Ernte und Viehstand bald unter Sequester gebracht. Zur damaligen Zeit aber ging es mit dem Zugrunderichten noch nicht so geschwind. In dieser Hinsicht standen nämlich sämtliche schottische Pächter so ziemlich auf der gleichen Stufe, so daß es ebenso schwer war, in die Höhe zu kommen wie sich den Hals zu brechen; sie befanden sich eben durchweg in jener Situation, worin es keinen Kredit, also an allen Ecken Not und Jammer gibt, worin aber, da keiner Schulden machen, auch keiner bankerott werden, also höchstens eben verhungern kann.

Was Triptolemus, trotz aller Experimente, noch leidlich vorm letzten Radikalmittel bewahrte, waren die Ersparnisse, die seine Schwester Barbara durch ihre beispiellose Praxis im Haushalt und durch ihren unverwüstlichen Fleiß machte: Eigenschaften, die jenem Philosophen, der den Satz predigte: Schlaf sei nur ein Begriff und Essen eine Gewohnheit, – als lebendige Beweismittel hätten gelten können. Barbara Yellowley war früh auf, ging spät schlafen und stand bei ihren mit Arbeit überlasteten Mägden in dem Rufe, es an Wachsamkeit mit jedem Hunde, ja jeder Katze aufzunehmen. Satt zu werden schien sie an Luft – und vermißte diese leibliche Tugend zu ihrem größten Aerger an ihrem Bruder und ihrem Instvolk. Aber nie wäre es ihr einmal eingefallen, ein Stück Vieh zu schlachten, um dem Bruder einen frohen Tag zu machen: ein Glück, daß derselbe nachgiebigern Sinnes war und sich leicht lenken ließ, mithin sich bald an diese immerwährende Karenz gewöhnte und sich schon glücklich schätzte, wenn er zu seinem Haferkuchen ein Stückchen Butter bekam und, da die Wohnung an den Ufern des Esk lag, dem schlimmen Zwange entging, an den sieben Tagen der Woche immer sechs Lachse essen zu müssen.

Trotzdem nun Barbara alle Ersparnisse zu der Wirtschaftsmasse schlug und der Brautschatz der Mutter nach und nach mit draufging, näherte sich doch endlich der Augenblick, wo es unmöglich schien, den Kampf gegen die »ungünstigen Gestirne des Triptolemus« (wie er selbst immer die natürliche Folge seiner unvernünftigen Spekulationen nannte) weiterzuführen. Zum Glück für Triptolemus und Barbara stieg im bösesten dieser bösen Momente ein Gott zu ihrem Beistand vom Himmel nieder, oder – um nüchtern zu sprechen, – dem edlen Lord, dem die Pachtung gehörte, gefiel es in seinem, von sechs Läufern bedienten Sechsspänner sich im vollen Prunk des siebzehnten Jahrhunderts nach seinem Landsitze kutschieren zu lassen.

Dieser Standesherr war der Sohn jenes Edelmannes, der den alten Jasper aus Yorkshire von den »Mearns« weg und hierher gelockt hatte, und, gleich seinem Vater ein Mann voller Pläne und Entwürfe. Er hatte aber im Zeitenlaufe insofern gut für sich gesorgt, als er sich auf eine gewisse Reihe von Jahren die selbständige Verwaltung der entfernten Orkney- und Shetland-Inseln gegen Entrichtung eines geringen Pachtgroschens, mit der Befugnis den Titel eines Lord-Kämmerlings zu führen, zu verschaffen gewußt hatte.

Seine Herrlichkeit meinte nun, und zwar ganz richtig, daß zu solchem Titel auch Mittel gehörten, und daß die Mittel erst reichlich fließen könnten, wenn der Anbau der Kronländereien aus den Orkney-Inseln und auf Shetland melioriert würde – er blies also mit unserem Freunde Triptolemus in das gleiche Horn, und da ihm Triptolemus auch sonst einigermaßen bekannt war, kam ihm der Einfall, seine Pläne durch diesen in die Praxis zu überführen. Er ließ ihn also nach dem Herrenhause holen und war mit der Art, wie unser Freund das Thema erfaßte, so zufrieden, daß er keine Minute säumte, sich solches wichtigen Beistandes zu versichern. Die Bedingungen, die er Triptolemus einräumte, der durch langjährige Erfahrung einen dunklen Begriff bekommen hatte, daß es bei aller Geschicklichkeit schließlich doch besser sei, wenn Mühe und Gefahr auf Kosten eines Unternehmers gingen, stellten denselben willig zufrieden. Dafür wußte Trip die Aussichten auf Profit so rosig zu malen, daß dem Lord-Kämmerling alle Lust, seine Beamten auf Teilnahme am Gewinn zu stellen, – abhanden kam, weil er nämlich, nach Abzug des guten Gehalts für seinen Verwalter, alles selbst zu schlucken für vorteilhafter fand. Barbara wäre, als sie von dem glücklichen Abkommen Kunde bekam, am liebsten an die Decke gesprungen, wenn sich solche Motion mit ihren Ansichten von Sittsamkeit vertragen hätte. Triptolemus seinerseits war nun, während er die nötigen Ackerbauwerkzeuge bestellte, die bei dem Inselvolk eingeführt werden sollten, eine Zeitlang Stammgast in jedem Wirtshause. Heutzutage würden sich dieselben freilich gar wunderlich ausnehmen, aber alles ist nun einmal relativ, und die schwere Karrenladung, die man den alten schottischen Pflug nennt, wäre einem schottischen Pächter jener Zeit nicht minder schnurrig vorgekommen, als Helm und Harnisch eines Soldaten aus der Zeit des Cortez den Regimentern unsrer Armee. Dennoch eroberte Cortez Mexiko, und der alte Schottenpflug wäre für den Ackerbau in Thule keine unwesentliche Verbesserung gewesen.

Weshalb Triptolemus den Aufenthalt in Shetland dem auf den Orkney-Inseln vorzog, ist nie bekannt geworden. Vielleicht hat er die Bewohner dieser Infelflur für simpler und fügsamer gehalten, als sie es sind: vielleicht hat er auch Haus und Pachtung – die in der Tat leidlich waren – denen vorziehen zu sollen gemeint, die er auf Pomona hätte wählen können. In Hafra – oder, wie es dann und wann, nach den Ueberbleibseln einer Piktenfeste, die fast dicht beim Wohnhause lagen, auch hieß, Stourbourgh – nahm des Lord-Kämmerlings Substitut in der Fülle seiner Machtvollkommenheit sein Domizil, mit dem festen Entschlusse, seinem Namen dadurch Ehre zu machen, daß er die Shetlander durch Vorschrift und Beispiel einer besseren Kultur entgegenführte.


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