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Achtzehntes Kapitel.

Um nun den Angeklagten zu vernehmen, wozu ihm die Befugnis erteilt worden war, hielt es der Altertümler für besser, sich nach dem Zimmer zu begeben, in das Ochiltree gebracht worden war. Er wollte nicht, daß die Vernehmung irgendwelchen amtlichen Anstrich hätte, deshalb ließ er ihn nicht in das Zimmer des Beamten bringen. Er sah den alten Mann am Fenster sitzen, das aufs Meer hinaussah. Während er auf die Landschaft herabblickte, traten ihm unwillkürlich große Tränen in die Augen und rollten ihm über die Wangen hinab in den grauen Bart.

Sein Gesicht war dabei friedlich und ruhig, und seine Haltung sprach Geduld und Ergebung aus. Oldbuck war an ihn herangetreten, ohne bemerkt zu werden, und weckte ihn jetzt aus seinen Betrachtungen mit den freundlichen Worten:

»Es tut mir leid, Edie, daß ich Euch in so tiefer Niedergeschlagenheit wegen dieser Sache finde.«

Der Bettler fuhr auf, trocknete sich hastig die Augen mit dem Rockärmel, und indem er versuchte, im gewöhnlichen Tone der Gleichgültigkeit und Spottlust zu sprechen, sagte er mit trotzdem merklich zitternder Stimme:

»Hätt' mirs denken können, daß Sie es wären, Monkbarns, oder doch so einer wie Sie, der mich hier stört – denn es ist ein großer Vorteil der Gefängnisse und Gerichtshöfe, daß die Herren jederzeit hereindürfen, wenn es ihnen Spaß macht und daß die, die drin sind, gar nicht einmal fragen dürfen, was sie drinnen zu suchen haben.«

»Na, Edie, ich hoffe,« sagte Oldbuck, »was Euch augenblicklich Kummer macht, das läßt sich wieder aus der Welt schaffen.«

»Und ich hätte gehofft, Monkbarns,« erwiderte der Bettler in vorwurfsvollem Tone, »Sie hätten mich besser gekannt, als daß Sie glauben könnten, ich würde wegen einer solchen Lappalie Tränen vergießen. Haben doch meine Augen schon ganz andres Leid gesehn! – Über ich habe nämlich das arme Mädel, Caxon seine Tochter, gesehen, die suchte Trost, aber es könnt ihr niemand keinen geben. Seit dem letzten Sturm hat man nichts mehr von Leutnant Taffril seiner Brigg gehört. Und im Hafen geht das Gerücht, ein königliches Schiff sei am Riff von Rattray gescheitert und versunken mit Mann und Maus. Gott verhüts! Denn dann war auch der arme junge Lovel, den Sie so gern hatten, Monkbarns, mit zu Grunde gegangen.«

»Jawohl! Gott verhüts!« wiederholte der Altertümler angstvoll. »Lieber wollt ich, in Monkbarns flöge der rote Hahn auf! Mein armer teurer Freund und Mitarbeiter! – gleich will ich nach dem Hafen gehen.«

»Ich weiß, Sie werden dort nichts weiter hören, als was ich Ihnen sagte, Herr,« entgegnete Ochiltree. »Die Gerichtsdiener hier waren nämlich sehr freundlich (soweit das überhaupt solche Leute sein können) und sie haben alle Zeitungen und Berichte durchgesehen und doch nichts genaues herausbringen können.«

»Es kann nicht der Fall, sein – es soll nicht sein,« sagte der Altertümler, »und ich will es nicht glauben. – Taffril ist ein ausgezeichneter Seemann – und Lovel (mein armer Lovel!) hat alle Eigenschaften eines vernünftigen und liebenswürdigen Gefährten zu Lande und Wasser. – Er ist ein so vornehmer edler Charakter, daß ich mit ihm, wenn ich das überhaupt je täte, selbst eine Seereise machen könnte – aber allerdings werde ich das nie tun, höchstens fahr ich mal über den Forth, fragile mecum solvere phasclum. Aber wie gesagt, mit ihm riskierte ichs, denn er ist so einer, an dem die Elemente ihre Rache nicht auslassen würden. Nein, Edie, es ist nicht der Fall und es kann nicht sein. Es ist eine Erfindung der nichtsnutzigen Weibsperson, der Fama, die ich am liebsten mitsamt ihrer Trompete am Galgen sehen würde, denn sie bringt mit

ihren Unkenrufen, nur ehrliche Leute aus der Ruhe. – Nun aber sagt mir, wie Ihn in diese Teufelsküche geraten seid.«

»Fragen Sie mich, Monkbarns, als Magistratsperson, oder tun Sie es bloß aus persönlichem Interesse?«

»Lediglich aus persönlichem Interesse,« versetzte der Altertümler.

»Dann tun Sie Ihr Notizbuch und Ihren Bleistift weg, denn ich sage Ihnen nicht ein Sterbenswörtchen, solange Sie das Schreibzeug bei der Hand haben. Die sind für Leute wie unsereinen ein Greuel. Hols der Henker! So ein Federfuchser wie der da drüben, kann schwarz auf weiß was hinschreiben, wofür man dann baumeln kann, ehe man noch überhaupt weiß, was man gesagt hat.«

Monkbarns willfahrte der Grille des alten Mannes und steckte sein Notizbuch ein.

Nun berichtete Edie mit großem Freimut, was dem Leser an der Geschichte schon bekannt ist. Er erzählte ihm, was in den Ruinen von St. Ruth zwischen Dusterschieler und dessen Gönner vorgefallen war und was er selber mitangesehen hatte. Er gestand offen ein, daß er der Versuchung nicht habe widerstehen können, den Schwarzkünstler noch einmal zu dem Grabe Schwarzrocks zu locken, weil er ihm einmal seine Schwindeleien gründlich habe versalzen wollen. Den Steenie, der ja ein leichtsinniger Bursche gewesen wäre, hätte er ohne Schwierigkeiten dazu bestimmt, ihm behilflich zu sein. So hätten sie beide sich den Jux gemacht, aber die Sache sei zu einem bösern Ende gekommen, als sie beabsichtigt hätten. Was die Brieftasche Dusterschielers anbetreffe, so habe er gleich am Abend noch Steenie gesagt, daß es ihm gar nicht lieb, sei, sie in seinen Händen zu wissen; der Fischer hätte sie aber ganz ohne Absicht an sich genommen, hätte auch vor allen Bewohnern der Hütte fest versprochen, sie am folgenden Tage wieder abzuliefern. Daran hätte ihn dann sein unerwarteter Tod gehindert.

Der Altertümler überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Euer Bericht klingt sehr nach Wahrheit, und soweit ich die beteiligten Personen kenne, glaube ich auch daran in allen Stücken. Aber ich glaube auch, daß Ihr noch weit mehr wißt, als Ihr sagen wollt, das heißt, was die Schatzgräberei anbelangt. Ich vermute, Ihr habt die Rolle des lar famaliaris im Plautus gespielt, das ist so eine Art Kobold, um ihm einen Namen zu geben, der Euch plausibel ist – der wacht über verborgenen Schätzen. Ich kann mich erinnern, daß Ihr der erste wart, den wir getroffen haben, als Sir Arthur seinen erfolgreichen Fischzug in Schwarzrocks Grab getan hatte, und daß auch Ihr, als die Arbeiter die Sache aufgeben wollten, der erste wart, der in die Grube sprang und den Schatz dann erst entdeckte. Dies alles müßt Ihr mir nun erklären, wenn ich Euch nicht so übel mitspielen soll, wie Euclio der Staphyla in der Aulularia des Plautus.«

»Du meine Güte, Herr,« erwiderte der Bettler, – »was weiß ich von Hauluhraria? Das klingt ja wie Hundesprache, aber nicht wie Menschen reden.«

»Ihr habt aber doch gewußt, daß die Kiste mit dem Schatz da war?« fuhr Oldbuck fort.

»Werter Herr,« antwortete Edie und nahm eine Miene großer Einfalt an, – »wie sollte denn das wohl möglich sein? Meinen Sie denn, ein so armer, alter Kerl hätte von so einer Kiste voll Silber etwas wissen können, und hätte nicht dabei sein Profitchen gemacht? Und Sie wissen doch selber, daß ich gar nichts davon verlangt und auch nichts gekriegt habe? Wie sollte also ich etwas damit zu tun haben?«

»Das eben solltet Ihr mir erklären,« sagte Oldbuck, »denn ich bin überzeugt, Ihr habt gewußt, daß der Schatz da war.«

»Euer Ehren sind freilich einer, dem man kein X für ein U machen kann, Monkbarns, und ich muß allerdings zugeben, Sie treffen sehr oft den Nagel auf den Kopf.«

»Ihr gebt also zu, daß meine Annahme begründet ist?«

Edie nickte bejahend.

»Dann bitte erklärt mir die ganze Sache von Anfang bis zu Ende,« sagte der Altertümler.

»Wenn es mein Geheimnis wäre, Monkbarns,« erwiderte der Bettler, »dann sollten Sie nicht zweimal fragen, denn hinter Ihrem Rücken hab ich's oft gesagt, abgesehen von so einem bißchen Humbug, was Sie sich bisweilen in den Kopf setzen, sind Sie der vernünftigste, klarste Kopf hier unter unserm Landadel. Aber ich will offen zu Ihnen sein und Ihnen sagen, es ist das Geheimnis eines Freundes, und lieber mögen die Richter mich von wilden Pferden zerreißen lassen oder mich auseinander sägen, wie sie's mit den Kindern Ammons getan haben, ehe ich ein Wort weiter über die Sache verrate. Nur das will ich noch sagen, es ist keine böse Absicht dabei, sondern nur ein guter Zweck, und es sollte damit jemand geholfen werden, der mehr wert ist als zweitausend solche Kerle wie ich. Aber so ein Gesetz gibt's doch wohl nicht, daß es einem als Verbrechen ausgelegt werden kann, wenn man weiß, wo andrer Leute ihr Silber liegt, streckt man nur selber nicht die Hände danach aus.«

Oldbuck durchmaß ein paarmal das Zimmer in tiefem Sinnen. Er suchte eine Erklärung für so geheimnisvolle Vorkommnisse zu finden. Aber diesmal ließ ihn sein Scharfsinn im Stich. Dann trat er wieder vor den Gefangnen.

»Eure Geschichte, Edie, ist ein Rätsel durch und durch, und es müßte erst ein zweiter Ödipus geboren werden, es zu lösen. Wer Ödipus gewesen ist, das sag ich Euch ein andermal, wenn Ihr mich daran erinnern wollt. Aber ob ich es nun der Klarheit im Kopf oder dem Humbug zu danken habe – um im Tone Eures liebenswürdigen Kompliments zu reden – ich fühle mich stark bewogen, zu glauben, daß Ihr die Wahrheit gesagt habt, um so mehr, weil Ihr dabei keine jener Berufungen auf höhere Mächte eingeflochten habt, wie Euresgleichen immer tut, wenn es gilt, andre Leute anzuführen.« (Bei diesen Worten mußte Edie unwillkürlich lächeln.) – »Wenn Ihr mir daher noch auf eine Frage Auskunft geben wollt, so werde ich dafür sorgen, daß Ihr wieder auf freien Fuß gesetzt werdet.«

»Die Frage lassen Sie mich doch erst hören,« sagte Edie, mit der Vorsicht eines pfiffigen Schotten, »und dann will ich Ihnen sagen, ob ich drauf antworten will.«

»Die Frage ist sehr einfach,« sagte der Altertümler. »Hat Dusterschieler etwas über den Versteck der Silberkiste gewußt?«

»Der niederträchtige Schurke!« versetzte Edie im offenherzigsten Tone, »wenn Dusterschieler was davon gewußt hätte, dann wär wohl wenig davon übrig geblieben. Da wär wohl der Bock der Gärtner gewesen. Da wär's wohl gegangen, wie verschwinde, verschwinde, wie die Wurst im Spinde.«

»Das hatte ich mir gedacht,« sagte Oldbuck. »Schön, Edie, wenn ich Euch nun auf freien Fuß setzen lasse, dann müßt Ihr auch pünktlich an dem Tage der Vorladung erscheinen, damit ich die Kaution, die ich stellen muß, nicht verliere, denn die Zeiten sind jetzt schlecht, und eigentlich sollte ein vorsichtiger Mann sich gar nicht auf sowas wie eine Kaution einlassen, sofern Ihr verraten könntet, wo noch eine aula auri plena, quadrilibem verborgen ist – eine zweite Suche Nr. I.«

»Ach!« sagte der Bettler und schüttelte den Kopf, »ich fürchte, der Vogel, der diese goldnen Eier gelegt hat, ist davon geflogen – denn eine Gans mag ich ihn nicht nennen, wenn er auch im Märchenbuche so heißt. Aber ich werde mich pünktlich, einstellen, Monkbarns, an mir sollen Sie nicht einen Pfennig verlieren. Allerdings wär ich gern wieder draußen, jetzt, wo das Wetter so schön ist – und dann hab ich auch die besten Chancen, von unsern Freunden was zu hören.«

»Na, Edie, unten wird nicht mehr gestampft und gedonnert, und so wird wohl der Amtmann Kleinhaus seinen militärischen Lehrmeister wieder weggeschickt haben und nun von der Arbeit des Mars zum Dienste der Themis zurückkehren. Ich will mit ihm reden. Aber von Euern Hiobsbotschaften kann und will ich keine glauben.«

»Gott geb's, daß Euer Ehren Recht haben!« sagte der Bettler, als Oldbuck hinausging.

Der Altertümler fand den Amtmann erschöpft von den Exerzitien, er lehnte in seinem Sorgenstuhl und summte die Melodie: »'s gibt kein schöner Leben als Soldatenleben!« und nach jeder Zeile nahm er zur Stärkung einen Löffel Mockturtlesuppe.

Er ließ für Oldbuck auch eine Portion zur Erfrischung kommen, der aber schlug es ab mit dem Bemerken, er sei kein Militär und Pflege außer seinen regelmäßigen Eßzeiten nichts zu sich zu nehmen.

»Soldaten, wie Sie, Amtmann, müssen im Fluge ihre Brocken aufschnappen, wie sie eben kommen. Aber es tut mir leid, daß schlimme Nachrichten von der Brigg des jungen Taffril im Umlauf sind.«

»Ach ja! der arme Bursche! die Stadt konnte stolz auf ihn sein,« sagte der Amtmann, »hat sich am ersten Juni sehr ausgezeichnet.«

»Ich glaube nicht eine Silbe davon,« sagte Oldbuck. »Doch nun zu meiner Angelegenheit! Sie müssen für den Alten da Kaution annehmen, Amtmann– hoch, darf sie allerdings nicht sein, verstehen Sie.«

»Sie bedenken nicht, was Sie da verlangen,« sagte der Amtmann. »Die Anklage lautet auf Raub und Überfall.«

»Pst! gar keine Rede davon!« sagte der Altertümler. »Ich ließ doch vorhin schon so eine Andeutung fallen. Ich werde Ihnen die Sache später noch näher erklären – es ist ein Geheimnis dabei im Spiele, das kann ich Ihnen versichern.«

»Aber, Herr Oldbuck, wenn es den Staat betrifft, da habe doch ich, der hier die ganze Plackerei auf sich hat, wirklich einen kleinen Anspruch darauf, mit zu Rate gezogen zu werden, und ehe nicht das –«

»Still doch!« sagte der Altertümler, indem er ihm zublinzelte und den Finger an die Nase legte, »Sie sollen die ganze Sache in die Hand bekommen, wenn's erst soweit ist. Aber das ist ein starrsinniger Alter, der nichts davon wissen will, daß zwei Männer in sein Geheimnis eingeweiht sind, und er hat mir noch nicht völligen Einblick in die Schurkereien Dusterschielers verschafft.«

»Gut, die Sache soll gemacht werden. Wollen Sie mit Vierhundert Mark für den Alten bürgen?«

»Vierhundert Mark für einen alten Blaurock? Nein, streichen Sie eine Null! Mit vierzig Mark will, ich mich einverstanden erklären.«

»Na, Herr Oldbuck, jedermann in Fairport tut gern Ihnen einen Gefallen. Ich weiß, Sie sind ein vorsichtiger Mann und würden ebenso ungern vierzig wie vierhundert Mark verlieren. Ich will also Ihre Kaution annehmen – meo periculo

»Dann mag Ihr Schreiber den Schein aufsetzen und ich will ihn unterschreiben.«

Nach Erledigung dieser Förmlichkeit machte der Altertümler Edie die erfreuliche Mitteilung, daß er wieder auf freiem Fuße sei, und forderte ihn auf, sich sogleich in Monkbarns einzufinden, wohin er sich selber nach Vollendung des guten Werkes mit seinem Neffen begab.


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