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Fünfzehntes Kapitel.

Nach dem Kaffee ersuchte Lord Glenallan den Altertümler um eine Unterredung unter vier Augen und wurde von dem alten Herrn in die Bibliothek geführt.

»Ich muß Sie dem Kreise Ihrer freundlichen Familie entziehen,« sagte der Graf, »um Sie in die Wirrungen eines unglücklichen Mannes hineinzuziehen. Sie wissen Bescheid in der Welt, aus der ich seit langer Zeit verbannt bin. Denn Glenallan-Haus ist für mich mehr ein Gefängnis als eine Wohnung gewesen, ein Gefängnis, aus dem auszubrechen ich weder die Lust noch die Kraft gehabt habe.«

»Lassen Sie mich Eure Lordschaft zunächst fragen, was Sie in dieser Angelegenheit wünschen und beabsichtigen?«

»Ich wünsche vor allen Dingen,« antwortete Lord Glenallan, »meine unglückliche Heirat anzuerkennen und den Ruf der armen Eveline wiederherzustellen, das heißt, sofern Sie eine Möglichkeit sehen, wie sich das machen ließe, ohne das Verhalten meiner Mutter bekannt zu geben.«

» Suum cuique tribuito,« sagte der Altertümler, »tu recht gegen jedermann! Das Andenken dieser unglücklichen Dame hat lange gelitten, und ich denke, es kann gereinigt werden, ohne daß ein Fleck auf das Andenken Ihrer Mutter gebracht zu werden brauchte. Nur müßte allerdings zugestanden werden, daß sie die Verbindung in hohem Maße mißbilligte und sich ihr energisch widersetzt hat. Und alle – verzeihen Sie, Mylord, – alle, die die verstorbene Gräfin von Glenallan gekannt oder bloß von ihr gehört haben – wird eine derartige Eröffnung nicht sonderlich wunder nehmen.«

»Aber Sie vergessen einen entsetzlichen Umstand,« sagte der Graf mit bewegter Stimme.

»Nicht daß ich wüßte,« versetzte der Altertümler.

»Das Schicksal des Kindes – es ist ja mit der treuen Dienerin meiner Mutter verschwunden, und nach Elsbeths Worten muß das Schrecklichste angenommen werden.«

»Wenn Sie meine freie Ansicht hören wollen, Mylord,« antwortete Herr Oldbuck, »und sich nicht zu vorschnell daran klammern als an eine Hoffnung, dann möchte ich sagen, es ist sehr wohl anzunehmen, daß das Kind noch am Leben sei. Denn soviel ich bei meinen früheren Nachforschungen in dieser beklagenswerten Sache erfahren habe, so hat ein Weib mit einem Kinde in jener Nacht die Hütte bei Craigburnfoot verlassen in einem vierspännigen Wagen, und zwar zusammen mit Ihrem Bruder, Edward Geraldin Neville, und er ist mit ihnen zusammen nach England gereist – ich habe seine Reise eine Strecke weit verfolgen können. Ich war damals der Meinung, die Familie hätte sich dahin entschlossen, ein Kind, das als illegitim gelten sollte, fortzubringen, damit es nicht später Schutz finden und Anspruch auf seine Rechte erheben könnte. Aber ich denke, Ihr Bruder hat das Kind nur entfernt gehalten, teils aus Rücksicht auf die Ehre des Hauses, teils wegen der Gefahr, der es in Nahe der Lady von Glenallan ausgesetzt gewesen wäre.«

Bei diesen Worten wurde Lord Glenallan sehr bleich und wäre fast von seinem Stuhle gesunken. Der bestürzte Altertümler rannte hin und her und suchte Arzenei, aber obwohl sein Museum mit tausend unnützen Sachen angefüllt war, so fand sich darin doch nicht das geringste, was bei dieser oder anderen Gelegenheiten zu brauchen gewesen wäre. Als er hinauseilte, um seiner Schwester Hausapotheke zu holen, konnte er sich nicht enthalten, ein paar brummige Worte der Betrübnis und Verwunderung zu äußern, daß sein Haus in letzter Zeit so manchen Handlungen unterworfen gewesen sei und daß es erst einem verwundeten Duellanten zum Krankenzimmer gedient habe und jetzt für einen todwunden Edelmann das Sterbezimmer hergeben müsse.

»Und doch,« sagte er, »habe ich mir alles Soldatentum und alles Adelstum immer zehn Schritt vom Leibe gehalten, mein Coenobitium braucht nun bloß noch eine Entbindungsanstalt zu werden, dann ist die Umwandlung vollkommen.«

Als er mit der Arzenei wiederkam, befand sich Lord Glenallan wieder viel wohler. Das neue unerwartete Licht, das Herr Oldbuck in die traurige Geschichte seiner Familie gebracht hätte, habe ihn fast überwältigt.

»Sie denken also, Herr Oldbuck – denn Sie sind imstande zu denken, und das bin ich nicht – Sie denken also, es ist möglich – das heißt, es ist nicht unmöglich, daß mein Kind noch am Leben ist?«

»Ich denke,« sagte der Altertümler, »daß durch Ihres Bruders Hand ihm unmöglich ein Leid angetan worden sein kann. Er war als flott und verschwenderisch bekannt, aber nicht als grausam oder unehrenhaft – auch ist es, wenn er Schlimmes im Schilde geführt hat, nicht anzunehmen, daß er sich selber so für das Kind verwendet hätte, wie er es getan hat – und das will ich Eurer Lordschaft beweisen.«

Mit diesen Worten öffnete Oldbuck einen Schubkasten am Schranke seines Ahnherrn Aldobrand und nahm ein Päckchen Papiere heraus, die mit einem schwarzen Bändchen umschnürt waren und die Aufschrift trugen: »Untersuchungen etc., angestellt von Jonathan Oldbuck über den 18. Februar, 17 ....« – ein paar Zeilen tiefer standen in winziger Schrift geschrieben: »Eheu Evelina!«

Dem Grafen rannen die Tränen rasch aus den Augen, als er vergebens versuchte, den Knoten zu lösen, der diese Schriftstücke zusammenhielt.

»Eure Lordschaft tun besser,« sagte Herr Oldbuck, »das nicht jetzt zu lesen – Sie sind schon sehr erregt und haben noch viel vor sich, da sollten Sie Ihre Kraft nicht vorzeitig erschöpfen. Sie sind, vermute ich, nun der Erbe Ihres Bruders und es wird Ihnen ein leichtes sein, unter den Dienern und Lehnsleuten Nachfrage zu halten, wo das Kind geblieben ist, wenn es eben das Glück will, daß es noch am Leben ist.«

»Das wage ich kaum zu hoffen,« sagte der Graf mit einem tiefen Seufzer, »warum sollte denn mein Bruder es mir verschwiegen haben?«

»Nein, Mylord! warum hätte er im Gegenteil Eurer Lordschaft mitteilen sollen, daß ein Wesen noch lebt, welches Sie für den Abkömmling ....«

»Sehr wahr – er hat offenbar in guter Absicht geschwiegen. Wenn in der Tat irgend etwas das Grausen des gespenstischen Traumes, der mir das Dasein vergiftet hat, noch hätte erhöhen können, so wäre es das Bewußtsein gewesen, daß ein solches Kind des Elends noch am Leben sei.«

»Also,« fuhr der Altertümler fort, »wenn es auch voreilig wäre, wenn man jetzt nach über zwanzig Jahren die Überzeugung aussprechen würde, daß Ihr Sohn, noch am Leben sein müsse, weil er als kleines Kind nicht umgebracht worden wäre, so meine ich doch, Sie sollten ohne Säumen mit den Erhebungen beginnen.«

»Das soll geschehen,« versetzte Lord Glenallan und griff schnell nach der ihm so gebotenen Hoffnung, der ersten, die er seit vielen Jahren wieder hegte. »Ich will an einen treuen Verwalter meines Vaters schreiben, der in derselben Stellung auch bei meinem Bruder Neville gewesen ist – aber, Herr Oldbuck, ich bin nicht Erbe meines Bruders.«

»Nicht! – das ist ja schade, Mylord – es ist ein ansehnliches Gut, und die Ruinen des alten Schlosses von Neville-Burg allein – die stolzesten prächtigsten Reste der anglo-normannischen Architektur, die wir in dieser Gegend überhaupt haben – sind ein Besitz, der sehr hoch zu halten ist. Ich dachte, Ihr Vater hätte keinen Sohn oder nahen Verwandten sonst.«

»Das hatte er auch nicht, Herr Oldduck,« erwiderte Lord Glenallan; »aber mein Bruder hat sich zu andern politischen Parteien geschlagen und auch eine andere Religion angenommen, als bisher in unserm Hause üblich gewesen ist. Wir waren schon lange durch entgegengesetzte Gesinnungen auseinander gekommen, und auch meine unglückliche Mutter hat nicht hinreichend Einfluß über ihn gewinnen können. Kurz, es gab einen Familienstreit, und mein Bruder, der über seine Besitzungen frei verfügen konnte, hat die ihm erteilte Befugnis sich zu nutze gemacht und einen Fremden zu seinem Erben erkoren. Das ist mir bisher völlig gleichgültig gewesen, denn wenn weltliches Besitztum das Elend leichter machen könnte – ich habe ja genug, ja übergenug! Aber jetzt sollte es mir doch leid tun, wenn deswegen sich irgendwelche Schwierigkeiten in unsern Nachforschungen ergeben sollten. Und ich ahne schon, daß das der Fall sein wird. Denn wenn ich einen gesetzlichen leiblichen Sohn habe, und mein Bruder ohne Nachkommen gestorben ist, so fielen jetzt meines Vaters Besitztümer diesem meinem Sohne zu. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der von meinem Bruder gewählte Erbe, wer er auch sein mag, uns bei einer Untersuchung behilflich sein dürfte, die so sehr zu seinen Ungunsten ausfallen könnte.«

»Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch der Verwalter, von dem Eure Lordschaft gesprochen hat, auch bei ihm in Dienst,« sagte der Altertümler.

»Das ist sehr wahrscheinlich, und da der Mann Protestant ist, so wird er einem protestantischen Erben günstiger gesonnen sein als einem Katholiken – wenn allerdings mein Sohn im Glauben seines Vaters erzogen worden ist – oder wenn er überhaupt noch lebt!«

»Wir müssen uns ganz genau darüber informieren,« sagte Oldbuck, »ehe wir uns in die Sache einlassen. Ich habe einen Freund in York, mit dem ich wissenschaftlich korrespondiere, ich will an diesen Herrn, Dr. Dryasdust, sofort schreiben und mich ganz genau über den Charakter des Mannes, der Ihren Bruder beerbt hat, erkundigen, und wer für ihn die Geschäfte besorgt, und was sonst noch Klarheit in die Angelegenheit Eurer Lordschaft bringen kann. Inzwischen kann Eure Lordschaft die Beweise für die Ehe aufbringen, die sich doch wohl noch beschaffen lassen werden.«

»Ohne Frage,« versetzte der Graf, »die Zeugen, die vor Ihren Nachforschungen seinerzeit zurückgezogen wurden, sind noch am Leben. Mein Erzieher, der die Ehe eingesegnet hat, war nach Frankreich geschickt worden und ist vor kurzem als Emigrant, als ein Opfer seiner Königstreue und seiner Religion, wieder in seine Heimat geflüchtet.«

»Das ist eine glückliche Folge der französischen Revolution, das müssen Sie zum mindesten zugeben, Mylord,« sagte Oldbuck; »aber nichts für ungut, ich will mich Ihrer Sache so warm annehmen, als wenn ich in Politik und Glauben eines Bekenntnisses mit Ihnen wäre. Und hören Sie auf meinen Rat – wenn Sie irgend eine Sache sauber und sorgfältig besorgt haben wollen, so legen Sie sie in die Hände eines Antiquars, denn da ein Antiquar stets seine Begabung und seinen Forschereifer an kleinen Dingen betätigt, so ist er wichtigen Dingen stets trefflich gewachsen, denn Übung macht den Meister.«


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