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Siebentes Kapitel.

Kommissar Fischer, der Leiter und Vorstand der Abteilung sieben des Frankfurter Polizeipräsidiums, war erst gegen einhalb elf Uhr in sein Bureau gekommen.

Er warf einen kurzen Blick auf die Neueingänge, die sich auf seinem Schreibtisch angehäuft hatten, denn über Arbeitsmangel hatte die Frankfurter Kriminalpolizei nicht zu klagen. Dann stopfte er sich gemächlich seine Pfeife, ohne die er, wie er stets behauptete, keine geistige Arbeit leisten konnte.

Ein uniformierter Schutzmann war eingetreten und hatte einen neuen Stoß Akten leise auf den Tisch vor Fischer niedergelegt.

Der Kommissar griff nach dem obersten Faszikel.

»Fall Denkandi!« – Dann rief er in das Nebenzimmer:

»Ist Kommissar Rademacher anwesend –?«

»Jawohl!« tönte es zurück.

»Bitten Sie ihn mal herüber.«

Kurz darauf betrat Kommissar Rademacher das Zimmer seines Vorgesetzten.

»Morgen, Herr Rademacher«, begrüßte ihn Fischer. »Ich habe hier die Akten Denkandi. – Wie weit ist die Sache eigentlich gediehen?«

»Von unserer Seite fertig, – –« antwortete Rademacher, der sich einen Stuhl herbeigezogen und auf die Aufforderung Fischers hin Platz genommen hatte. »Das weitere ist nun Sache der Staatsanwaltschaft. –«

»Die Schuld des türkischen Assistenten scheint also erwiesen?«

Rademacher zuckte leise die Achseln.

»Er leugnet nach wie vor. Behauptet, keine Ahnung zu haben, wie der Ermordete dazu kommen konnte, ihn als Mörder anzugeben. Aber sein Leugnen wird ihm wenig nützen. – Gestern wurde die Sektion der Leiche vorgenommen, die unsere Vermutung, daß es sich um ein Verbrechen, und zwar tatsächlich um einen Giftmord handelt, bestätigt hat.«

»Gut«, – sagte Fischer. »Dann geben wir die Akten gleich weiter. Was weg ist, ist weg. – –«

Er griff nach einem andern Aktenstück, als ein Beamter eintrat.

»Herr Kommissar, Sie werden am Telephon verlangt, –« meldete er.

Fischer verschwand im Nebenzimmer und kam nach kurzer Zeit wieder zurück.

Ein leises Lächeln lag auf seinen Lippen.

»Wir bekommen gleich Besuch, Rademacher«, sagte er. »Raten Sie mal, wer – –?«

»Der Angeredete sah seinen Vorgesetzten fragend an.

»Dr. Lutz – –« antwortete dieser und holte das zur Seite gelegte Aktenstück wieder herbei. »Er interessiert sich für den Fall Denkandi. – – Schon faul – –!«

»An dem Ergebnis unserer Ermittelungen wird auch Herr Lutz nichts ändern können«, – meinte Rademacher ruhig.

Fischer lachte leise: »Frohlocken Sie nicht zu früh, – Lutz ist imstande und wirft Ihre schönste Beweisführung über den Haufen. – Den Herrn kenne ich ein wenig besser als Sie. – –«

»Die Schuld Denkandis liegt so klar auf der Hand,« antwortete Rademacher, »daß sogar Herr Doktor Lutz sich mit dieser Tatsache abfinden muß.«

»Wollen's abwarten« meinte Fischer skeptisch. »Wenn Lutz irgendwo seine Hände drinnen hat mache ich mich stets auf Überraschungen gefaßt. –«

Wenige Minuten später erschien Dr. Lutz im Bureau.

Er grüßte Fischer, mit dem er seit längerer Zeit gut bekannt war, herzlich, reichte Rademacher die Hand und nahm Platz.

Fischer hatte, ohne ein Wort zu verlieren, das Aktenstück vorgenommen und das Protokoll des Untersuchungsrichters aufgeschlagen.

»Sie haben ja die Akten schon zur Hand,« sagte Lutz lächelnd, »das nenne ich prompte Arbeit.«

»Die Akten lagen bereits hier und sollten gerade an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben werden. Wenn Sie noch schnell Einblick nehmen wollen?«

»Es wird wohl kaum nötig sein«, meinte Lutz. »Vorerst wenigstens nicht. Fräulein Brentano, die mich vor einigen Minuten verließ, hat mir so ziemlich alles erzählt, was mich vorläufig interessiert. – Wer von Ihnen hat die Untersuchung seitens der Kriminalpolizei geführt – –?«

»Hier, Herr Rademacher.«

»Sie sind natürlich von der Schuld des Türken fest überzeugt, Herr Rademacher – –?« fragte Lutz.

»Kein objektiver Beurteiler wird daran zweifeln können, um so weniger als eine schriftliche Anklage des Ermordeten vorliegt.«

»Kann ich den ominösen Zettel einmal sehen?«

Fischer blätterte schon in den Akten und wies mit dem Finger auf das Stück Papier, das Denkandi so schwer belastete.

Lutz hatte den Brief Hannas aus der Tasche gezogen und verglich prüfend die beiden Schriften, während die zwei Polizeibeamten ihre Blicke gespannt auf den Privatdetektiv richteten.

Dieser hatte nach Untersuchung des Schriftstückes die Stirn in ernste Falten gelegt und sah schweigend vor sich hin.

»Wer hat die Öffnung der Leiche vorgenommen?« fragte er schließlich.

Dr. Marx und Dr. Hitzinger«, antwortete Fischer.

»Welchen Befund hat die Sektion ergeben –?«

»Tod durch ein schnellwirkendes, äußerst starkes Gift. Es wurde die sogenannte Hämolyse festgestellt, d. h. die Blutuntersuchung hat ergeben, daß die roten Blutkörperchen aufgelöst wurden. Das Gift scheint in die Pulsader der rechten Hand eingespritzt worden zu sein. –«

»Das Instrument, das wahrscheinlich zu dem Verbrechen benutzt wurde,« schaltete Rademacher ein, »befindet sich übrigens in den Händen der Staatsanwaltschaft. Es ist eine kleine, präzis gearbeitete Injektionsspritze von vielleicht drei Kubikzentimetern Inhalt. Die Spritze gehörte Dr. Denkandi und enthielt noch einige Tropfen einer farblosen, wässerigen Flüssigkeit, die dem Gerichtschemiker zur Untersuchung gegeben wurde. – –«

»Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen?«

»Nein. –«

»Wollen Sie mir bitte das Gutachten der Gerichtsärzte vorlesen, –« bat Lutz.

Fischer blätterte von neuem in den Akten und schlug einen dichtbeschriebenen Bogen auf.

»Die einleitenden Angaben, Größenverhältnisse der Leiche und andere Messungen interessieren Sie wohl kaum?« meinte er. »Aber hier. – Wichtig erscheint vor allem, daß keine Leichenstarre eingetreten ist. – Weiter, die linke Herzkammer ist leer. Die rechte Herzkammer ist mit teerartigem, locker geronnenem Blut angefüllt. – Die Leber und Lunge erscheinen sehr blutreich. – Erstere ist stark geschwollen und dunkel gefärbt. – Die Gefäße der Hirnhäute und das Gehirn selbst sind mit dunklem Blut strotzend gefüllt. – –«

»Die Symptome einer Vergiftung sind wohl gegeben«, meinte Lutz nachdenklich.

»Gewiß«, sagte Rademacher. »Und der beste Beweis für die Schuld Denkandis scheint mir das Aussehen der rechten Handwurzel zu bieten. Direkt auf der Pulsader fand sich bei der Sektion der Leiche eine kleine, blaue Stelle, die stark angeschwollen war. Dort wurde nach Ansicht der Ärzte die Injektionsspritze mit dem tödlichen Gift eingeführt. – Die Schuld Denkandis, lieber Herr Doktor, liegt zu klar. – –«

»Doch nicht so ganz, meine Herren, – –« meinte Lutz ruhig.

Die beiden Kriminalisten sahen den Detektiv überrascht und erwartungsvoll an.

»Vor allen Dingen eine Frage, – eine sehr wichtige Frage: Das Motiv zur Tat? – Warum soll Denkandi Seyler ermordet haben.«

»Um das Serum allein ausbeuten zu können, –« antwortete Rademacher, »beziehungsweise um den Ruhm der Erfindung für sich in Anspruch nehmen zu können.«

»Daran glauben Sie doch selbst nicht – –!« meinte Lutz ruhig. »Alle interessierten Kreise wußten, daß Seyler und Denkandi monatelang zusammen an der Entdeckung gearbeitet haben. Denkandi des Mordes zu verdächtigen wäre ein um so größerer Nonsens, als das Serum am Abend zuvor fertiggestellt wurde, und am folgenden Morgen stirbt der eine der Entdecker an Gift. – Das wäre die eine große Unwahrscheinlichkeit. – Nun kommt aber die Hauptsache. – Wie denken Sie sich eigentlich, Herr Rademacher, die Ausführung des Verbrechens, wenn wir daran einmal festhalten, daß überhaupt ein Verbrechen begangen wurde. – – Das Gift soll nach dem Gutachten der beiden Sachverständigen, zweier Autoritäten auf dem Gebiet der gerichtlichen Medizin, ein sehr starkes, schnellwirkendes gewesen sein. – Nun hat die Haushälterin Herrn Dr. Seyler um 9 Uhr noch lebend gesehen, um ½10 Uhr muß er auch noch gesund, sogar in bester Laune gewesen sein. Beweis: das splendide Trinkgeld an den Postboten. Wenige Minuten später lag er tot am Boden und neben ihm ein Zettel, der seinen Assistenten Denkandi des Mordes bezichtigt. – – Nun ist aber erwiesen, daß der Türke um diese Zeit in seiner Wohnung war. Die Haushälterin hat ihn selbst am Telephon gesprochen, und seine Wirtsleute werden diese Tatsache auf Befragen wohl auch bezeugen können. Als er in die Wohnung Seylers kam, war dieser längst tot. – Nun frage ich Sie. Herr Rademacher, wann hätte Denkandi Seyler das Gift beibringen können? Vielleicht am Abend vorher, als er ihn verließ –? Das erscheint aber doch bei dessen mörderischen und schnellen Wirkung als ganz ausgeschlossen.«

Fischer warf Rademacher einen schnellen Blick zu. Rademacher war den Ausführungen Dr. Lutz's mit Spannung gefolgt, ohne eine Entgegnung finden zu können. –

»Ja, – aber die Anklage Seylers – der Zettel – –.«

Über dessen Sinn und Bedeutung bin ich mir nicht klar,« meinte Lutz, »noch nicht klar«, fügte er hinzu. »Denn ich hoffe, bald mehr zu wissen. Soviel möchte ich Ihnen jetzt schon bemerken, daß ich entgegen Ihrer Ansicht Seyler nicht für den Schreiber halte. – Sehen Sie, bitte. Ich habe hier einen Originalbrief von ihm, den mir seine Tochter vorhin mitbrachte. –«

Die beiden Kriminalbeamten beugten sich interessiert über den Briefumschlag, den Lutz auf den Tisch gelegt hatte.

Dieser fuhr fort:

»Die Größe der Buchstaben, die flüchtige Art uns die Lage stimmen mit der Schrift auf dem Zettel ziemlich überein. Auch die beiden großen M hier in Mörder und dort in Villa Monrepos haben eine gewisse Ähnlichkeit zusammen. Was mich aber stutzig macht und starke Zweifel aufsteigen läßt, daß Seyler der Schreiber sein soll, sind die lateinischen Buchstaben auf dem Zettel. – Seyler bedient sich, wie fast alle Gelehrten, durchweg der deutschen Lettern. – Warum soll er ausgerechnet in seinem Todeskampf, wo doch eine freie Willensäußerung mehr oder weniger ausgeschaltet scheint, gerade von dieser Gewohnheit abgewichen sein –?«

Fischer konnte, trotz des Ernstes der Lage, ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.

»Na, Herr Rademacher –? sagte er zu seinem Kollegen. »Was habe ich Ihnen vorhin gesagt –? Wo bleibt Ihre Beweisführung? – Wenn Lutz irgendwo seine Nase hineinsteckt, dann lasse ich schon die Finger davon. –«

Lutz schüttelte leise den Kopf.

»Überschätzen Sie meine Arbeit nicht, lieber Fischer. Das wäre der größte Fehler. Noch ist das Verbrechen in keiner Weise aufgeklärt. – Noch ist nicht die geringste Spur entdeckt. – –«

Rademacher hatte seinen Kneifer abgenommen und bearbeitete mit seinem Taschentuch nervös die Gläser.

»Verbrechen!« wiederholte er, das Wort aufgreifend. »Von einem Verbrechen sind Sie aber auch überzeugt. Daß ein Unglücksfall oder ein Selbstmord vorliegen könnte, halten Sie wohl auch für ausgeschlossen?«

»Eine Meinung jetzt schon zu äußern wäre verfrüht und vielleicht auch verfehlt,« antwortete Lutz, »aber,« fuhr er ernst fort, nachdem er den Zettel noch einmal genau betrachtet hatte, »ich glaube mich Ihrer Ansicht, daß ein Verbrechen vorliegt, anschließen zu können, wenn ich auch schon beinahe überzeugt bin, daß der Täter ganz wo anders zu suchen ist als da, wo Sie ihn zu finden glaubten. Ich befürchte, daß uns noch große Überraschungen bevorstehen. – –«

»Was geschieht nun – –?« fragte Rademacher.

»Lokalaugenschein, –« meinte Lutz und stand auf. »Ich gehe heute nachmittag in Seylers Wohnung.«

»Darf ich mit –?« fragte Rademacher.

»Selbstverständlich!« antwortete Lutz.

»Und ich komme natürlich auch«, meinte Fischer entschieden.

»Die Versicherung, daß ich auf Ihre Gegenwart ganz besonderen Wert lege, erübrigt sich wohl, –« meinte Lutz lächelnd.

»Dann sind wir wieder einmal einig. –« sagte Fischer und strich sich seinen blonden Vollbart. »Soll ich die Akten mitbringen.«

»Ich hätte sie gerne vorher noch einmal studiert, vielleicht kann ich sie bis heute nachmittag haben«, meinte Lutz.

Fischer lächelte. »Eigentlich ist das ja verboten. Aber wenn Sie mir versprechen wollen, die Akten bis heute nachmittag wieder mitzubringen, – so lange kann ich sie schon entbehren.«

»Einverstanden«, sagte Lutz. »Darf ich die Herren dann um zwei Uhr bei mir erwarten –?«

»Einverstanden«, sagte Fischer. – –


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