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Zweites Kapitel.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Hanna am nächsten Morgen erwachte. Sie sprang auf die Füße, schlüpfte in ein weißes Matinee und zog die Vorhänge zurück.

Draußen dehnte sich der See, dessen tiefblauer Spiegel in der Morgensonne glitzerte. Am Horizont hoben sich leicht die Gipfel der schneebedeckten französischen Alpen im Nebel ab. Eine Schar grauer Möwen trieb ihr neckiges Spiel und umflatterte Hanna mit schrillem Gekreisch, sobald diese am geöffneten Fenster erschien. Mit großer Virtuosität schnappten die flinken Vögel nach den Brotstücken, die das Mädchen unter die muntere Schar warf.

Unten zog majestätisch ein Dampfer vorüber und ließ einen langen weißen Streifen hinter sich. Die Passagiere winkten der lieblichen Mädchengestalt Grüße zu, und Hanna ließ ihr Taschentuch zum Gegengruß im Morgenwinde flattern, solange die Leute auf dem Schiffe noch erkennbar waren. – Dann schloß sie langsam das Fenster. –

Sie ließ sich leicht in einen Schaukelstuhl fallen und nahm einen Brief vom Tisch, den sie schon zu wiederholten Malen gelesen hatte und dessen knappen Inhalt sie fast auswendig kannte.

Der Vater verwöhnte sie mit Schreiben nicht, und wenn er schrieb, faßte er sich kurz. Trotzdem hing sie mit großer Verehrung an dem stillen, verschlossenen Gelehrten in Frankfurt am Main, den sie Vater nannte.

Ihren eigentlichen Vater, den Oberleutnant Karl Brentano, hatte sie nie gekannt. Er verunglückte tödlich bei einem Manöver, als die kleine Hanna drei und ihr Bruder Hartwig sieben Jahre alt war. Gerade als Hanna zur Schule kommen sollte, heiratete die Mutter zum zweiten Male, und zwar den damals schon fünfzigjährigen, bekannten Bakteriologen Dr. Seyler. Was die Mutter, deren Vermögensverhältnisse durchaus geregelte waren, veranlaßt hatte, ihr noch junges Leben an den alternden, etwas verbissenen und menschenscheuen Gelehrten zu hängen, hatte Hanna nie erfahren, übrigens mit ihren achtzehn Jahren sich auch noch nie die Mühe genommen, darüber ernsthaft nachzudenken. – Nach knapp einjähriger Ehe starb die Mutter an den Folgen einer Lungenentzündung.

Während der Bruder in einem norddeutschen Kadettenhause zum Offizier herangebildet wurde, besuchte Hanna ein Berliner Gymnasium, und als Seyler seinen Wohnsitz Charlottenburg mit Frankfurt am Main vertauschte, wurde das Mädchen erst nach Vevey in ein Pensionat und dann nach Lausanne auf die Universität geschickt. Nun war es der Wunsch des Vaters, der sie nach Deutschland zurückrief. In dem Briefe stand es deutlich schwarz auf weiß.

So ungern sie Lausanne auch verließ, so freute sie sich andrerseits doch, den Vater wiederzusehen, an dem sie, trotzdem er sich persönlich nie viel um seine heranwachsende Tochter gekümmert hatte, mit großer Verehrung hing, die sicher auch in einem gewissen Maße in Stolz auf ihm begründet lag, da sich Dr. Seyler in medizinischen Kreisen eines großen Ansehens erfreute.

Auf welcher Hochschule ihr Vater eigentlich seine medizinischen Kenntnisse erworben hatte, wußte Hanna nicht einmal genau. Soviel war ihr nur bekannt, daß er in seinen jungen Jahren sich lange Zeit im Ausland, in Amerika aufgehalten hatte. Er sollte sogar in Mexiko, unter Juarez, gegen den Kaiser Maximilian gekämpft haben. Als Kind hatte sie einmal eine martialische Photographie von ihm, in einer mit Goldschnüren überladenen Fantasieuniform, langem Schleppsäbel und statt einer Mütze in einem breitrandigen Panamahut, in einem Kasten mit alten Familienbildern entdeckt. Aber von seiner Jugendzeit hatte der verschlossene Vater nie gern gesprochen, im Gegenteil, auf eine direkte diesbezügliche Anfrage seines Sohnes, der als angehender Offizier, auf seinen Vater, der mexikanischer Kapitän gewesen sein sollte, sehr stolz war, hatte er in seiner barschen Art und Weise so wenig Entgegenkommen gezeigt, daß, Hartwig und Hanna ihn niemals mehr über diesen Punkt um Auskunft angingen. –

Hanna hatte sich langsam aus ihrem Sessel erhoben und mit ihrer Morgentoilette begonnen. Wenige Schritte von ihrer Pension entfernt lag die Badeanstalt, die um diese frühe Zeit noch nicht sehr frequentiert war. Diese suchte sie nun auf, um dann vor dem Frühstück ihren Vater von der Absicht, die Heimreise am Donnerstag vorzunehmen, in Kenntnis zu setzen. Den Brief brachte sie selbst zum Kasten, frühstückte, und nahm darauf auf einer Bank am See Platz, um dort die Ankunft ihres Freundes Juan zu erwarten.

Auf die ihr liebgewordenen täglichen Zusammenkünfte mit ihm mußte Hanna nun verzichten. Schade. Sie hatte sich so schön an ihren aufmerksamen Ritter Don Juan gewöhnt. – Der Abschied von ihr schien dem armen Kerl auch nahe zu gehen. – Warum auch nicht. Auch er sollte von nun an auf eine ihm liebgewordene Gewohnheit Verzicht leisten.

Eigentlich war sie ein wenig stolz darauf, daß der schöne, elegante, für seine Jahre eigentlich etwas zu ernste Südamerikaner sich fast ausschließlich mit ihrer Person beschäftigte. –

Die einheimischen Backfische und auch ältere Semester drehten sich auf der Straße um, wenn das Paar, das sie alle kannten, vorüberging.

Bewundernde, und mehr oder weniger sehnsüchtige Blicke galten dem schwarzhaarigen Mann, mit dem leicht gelbgefärbten Teint, der sie stolz ignorierte. Neidische, dem schlanken, blonden Mädchen, das sich der alleinigen Liebe des bildhübschen, stolzen Spaniers zu erfreuen schien. –

Liebe – –? – Ein leichtes Lächeln huschte über Hannas Mund. War es wirklich Liebe – –? Nein –! Von Liebe war in der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft noch kein Wort gefallen. Die beiden jungen Menschen waren sich in inniger Freundschaft zugetan. – Nicht weniger und nicht mehr. – Kein Kuß. – Keine, wenn auch nur scherzhaft gemeinte Zärtlichkeit hatte sich der stolze Südamerikaner Hanna gegenüber jemals erlaubt. –

Juan Miguel de Souza Miranda besaß die argentinische Staatszugehörigkeit. Sein Vater, der in Buenos Aires wohnte, hatte in Fray Bentos (Uruguay) ein bedeutendes Etablissement stehen, das sich mit der Herstellung von Fleischkonserven befaßte, und einen Weltruf genoß. – Genaueres über die Familienverhältnisse ihres Freundes wußte Hanna eigentlich nicht. Er sprach nicht viel davon und sie war zu taktvoll, um sich nach Dingen zu erkundigen, die ihr nicht von selbst vertrauensvoll mitgeteilt wurden. Sie nahm ihren Freund Juan so, wie er war.

Der würdevolle Ernst, der mit seiner Jugend, er zählte noch nicht ganz neunundzwanzig Jahre, so seltsam kontrastierte, ließ ihn von seinen und ihren Kommilitonen aufs vorteilhafteste abstechen.

Die studentischen Unsitten, den maßlosen Konsum von Alkohol und die kindischen Raufereien, denn anders nannte er die regelmäßigen Mensuren nicht, verachtete er aufs tiefste. Nie hatte ihn Hanna betrunken oder auch nur angeheitert gesehen. Seine Studentenzeit schien nur ernster Arbeit gewidmet, und ein Spaziergang in Gottes freier Natur nach dem, zu einem reizenden Park geschaffenen Wald von Sauvabelin; oder eine Segelbootfahrt auf dem herrlichen Lac Léman, bedeutete ihm weit mehr als der Besuch der Kneipe, die er nur gezwungen, wenn es sich gar nicht umgehen ließ, aufsuchte. –

Die Familie Juans mußte in vorzüglichen Vermögensverhältnissen leben. Der Wechsel, den er allmonatlich auf der Banque Fédéral einkassierte, lautete auf eine beträchtliche Summe, und das Studium der Chemie betrieb er eigentlich nur aus Liebhaberei, denn eines Broterwerbes schien er nicht zu bedürfen.

Die aufrichtige herzliche Freundschaft, die Hanna mit dem Argentinier verband, reichte bis auf den Anfang ihrer gemeinsamen Studienzeit in Lausanne zurück. Beide verstanden sich glänzend und ergänzten sich aufs beste.

Juan brachte seiner Freundin in kurzer Zeit soviel von der spanischen Sprache bei, daß die Unterhaltung auch von ihrer Seite ohne große Schwierigkeit im kastilischen Idiom geführt werden konnte, Während er sich durch Hanna im Deutschen, welches er schon vorher leidlich beherrschte, so vervollkommnete, daß er, die für einen Romanen doch bekanntlich sehr schwerfaßliche deutsche Sprache, fließend und fast akzentfrei zu gebrauchen lernte.

Ihren Vornamen Johanna änderte er in die spanische Übersetzung Juanita um, und nannte sie nie anders, hingegen wollte er nicht dulden, daß Hanna seine beiden Vornamen Juan Miguel in Johannes Michel germanisierte, wobei sie ihm lächelnd zustimmen mußte, daß seine Namen im Spanischen tatsächlich bedeutend besser klangen als im Deutschen.

Beide sahen sich täglich. Wer zuerst das Kolleg verließ, wartete auf den anderen. – In ganz Lausanne, auf der Rue du Bourg oder der Rue Haldimand, auf dem Grand Pont oder der Passage St. Francois, überall kannte man das Paar, und wie die Menschen nun einmal gewöhnt sind, von ihrem lieben Nächsten immer nur das Schlechteste zu denken, so hätte man keinen Lausanner, und vor allem keine Lausannerin davon überzeugen können, daß, die Beziehungen der beiden jungen Menschen die denkbar reinsten und harmlosesten waren, und wenn behauptet wird, daß eine rein platonische Freundschaft zwischen zwei jungen, gesunden Menschen verschiedenen Geschlechts ein Ding der Unmöglichkeit sei, so bewiesen diese eben, daß es keine Regel ohne Ausnahme gibt.

Nun sollte diese ideale Freundschaft durch die Abreise Hannas ein Ende finden. – –

Ein flüchtiger Schatten fiel plötzlich über die Bank, auf der Hanna in tiefe Gedanken versunken saß. Als sie sich umwenden wollte, wurde ihr der Kopf leicht festgehalten und zwei schmale Hände legten sich über ihre Augen.

Das goldene Kettenarmband an der Hand, die ihr rechtes Auge bedeckte, hatte Hanna die Person leicht erraten lassen. Mit sanfter Gewalt befreite sie sich von der Umklammerung und sah lachend in das Gesicht Juans, der in einem dunkelblauen Rock und weißen Flanellhosen hinter ihr stand, und nun einen Strauß roter Nelken, die er neben Hanna auf die Bank gelegt hatte, auf ihren Schoß legte.

»Ach wie schön«, sagte das Mädchen, die Blumen aufnehmend, und schüttelte ihrem Freund herzlich die Hand. »Lassen Sie sich anschauen, Juan. – Sehen Sie, – heute gefallen Sie mir wieder so gut, wie immer. – Die Unmutsfalten von gestern sind glücklicherweise heute aus Ihrem Gesicht verschwunden. – Sie scheinen gut geschlafen zu haben, Juanito – –«

»Auch das, Juana, – aber erst, nachdem ich mich vorher zu einem großen Entschluß durchgerungen hatte. –«

Hanna wurde neugierig und sah den Argentinier fragend an.

» Pacienza«, sagte dieser. »Ich beichte Ihnen später«, und in der Absicht, alle weiteren Fragen abzuschneiden, zog er seine Uhr und sagte, auf den See hinausblickend: »Wollen wir nicht hinab zur Débarcadère – –? Das Schiff ist schon zu sehen.«

Richtig. – Aus der Richtung vom Morgen her, noch klein, aber schon deutlich erkennbar, steuerte der erwartete Dampfer auf Ouchy zu.

Hanna ergriff die Blumen, sprang leichtfüßig ins Haus und kam bald darauf mit ihrem Strohhut, den sie über den rechten Arm gehängt hatte, zurück. – Die Nelken Juans steckten an ihrem Gürtel und bildeten den einzigen Schmuck auf dem sommerlich hellen und leichten Kleid.

» Vamos nos companero«, sagte Hanna lustig und hängte sich bei ihrem Begleiter ein, dann gingen beide die Allee hinab, nach der Débarcadère, wo die Dampfer nach Thonons- und Evians-les-Bains anlegten.

Auf dem Kai erregte das Paar unter den vielen sonntäglich geputzten Menschen, die gleichfalls das Schiff erwarteten, die Aufmerksamkeit, die ihnen nichts Neues war.

In Französisch, Englisch und Deutsch schwirrte es um sie herum. – Blumen- und Ansichtskartenverkäufer boten ihre Waren an. Ein kleiner Junge rief mit schriller Stimme: »La Tribune de Genève, La Suisse, La Gazette de Lausanne.« Ein anderer, mit der gleichen Kraft seiner Lungen: »Le Matin, Le Journal, Excelsior.« –

Juan hatte zwei Fahrkarten nach Evians-les-Bains gelöst. – Inzwischen kam der Dampfer »General Dufour« heran. Als die Landungsbrücke ausgeworfen wurde, entstand ein fast lebensgefährliches Gedränge, denn jeder wollte zuerst die Planken des Schiffes betreten.

Juan und seine Begleiterin hatten keine Veranlassung, sich vorzudrängen. Sie befanden sich unter den letzten, die über die Laufbrücke schritten. Kurz darauf wurden die Seile gelöst, die das Dampfschiff an die Prellbocks der Kaiwand festhielten. – Ein kurzes Kommando, ein Zittern des Schiffskörpers und schon griffen die Schaufeln der beiden großen Räder ins Wasser und peitschten den weißen Schaum in großen Wellen auf. –

Hanna stieg mit ihrem Begleiter die Treppe zum oberen Deck hinauf, dort ließen sich beide auf zwei niedrigen Bordstühlen nieder, und sahen nach der Küste, die langsam hinter dem vorwärtsstrebenden Schiff zurückblieb.

»Adios Lausanne – –!« rief Hanna übermütig und winkte mit dem Taschentuch dem kleinen Schreier auf dem Kai zu, der immer noch »Le Matin, Le Journal, und Excelsior« anpries.

Juan hatte sich mit seinem Luntenfeuerzeug eine Zigarette angezündet und sah träumerisch den blauen Rauchwölkchen nach, die zuerst langsam senkrecht in die Höhe stiegen, und dann von dem scharfen Luftzug, den das vorwärtsstampfende Schiff verursachte, erfaßt und in alle Winde zerrissen wurden.

Hanna hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah, die Hände leicht über den Knien verschränkt, ihren Begleiter wortlos von der Seite an. – Juan lächelte.

»Sie sind neugierig, wie alle Frauen, Juana«, sagte er. »Ich will Sie auch nicht auf die Folter spannen. – – Also am Donnerstag reisen Sie. – Das ist definitiv –?«

»Definitiv!« wiederholte Hanna.

»Dann reise ich mit Ihnen«, sagte der Argentinier ruhig.

In des Mädchens Zügen malte sich eine lebhafte Überraschung.

»Mein Entschluß scheint Sie nicht allzusehr zu erfreuen –?« sagte nun Juan leise, fast ein wenig enttäuscht.

»Aber Juan – –!« rief Hanna aus, »ich möchte Ihnen vor Freude am liebsten um den Hals fallen. –«

»Lieber nicht –«, lächelte der Argentinier. »Denken Sie an die Aufregung, die Ihr Freudenausbruch hier hervorrufen würde. – Die Hauptsache für mich ist, daß Ihnen mein Entschluß nicht allzu unangenehm kommt. – –«

»Ich freue mich maßlos; – – Sie wollen also Ihre Ferien in Frankfurt verbringen – –?«

»Vielleicht bleibe ich auch noch länger dort, möglicherweise für dauernd, – das hängt ganz von Ihnen ab. – –«

»Von mir – –?« fragte Hanna erstaunt.

»Ja, von Ihnen –«, antwortete Juan ernst mit Betonung. »Sehen Sie, Juanita,« fuhr er schnell fort, um dem Mädchen jede weitere Frage abzuschneiden, »ich kenne nur die deutsche Schweiz, aber Deutschland selbst noch gar nicht. – Den Rhein möchte ich für mein Leben gern sehen, und die Umgebung von Frankfurt; der Taunus, Homburg und Wiesbaden sollen ja herrlich sein. – Außerdem ist das Semester hier zu Ende, und ob ich meine ferneren Studien in Lausanne oder einer deutschen Hochschule betreibe, ist ganz gleichgültig. – –«

»Es wäre zu schön;« meinte Hanna, »wenn wir auch noch fernerhin zusammenbleiben könnten.«

»Es ist bei mir bereits entschieden,« sagte Juan, »ich fahre am Donnerstag mit Ihnen. –«

»Werden Ihre Eltern aber Ihren Entschluß auch billigen –?« fragte Hanna, eigentlich nur, um etwas zu sagen, die unerwartete Eröffnung Juans hatte sie, so sehr sie sich freute, doch etwas überrascht. –

Ein plötzlicher Schatten zuckte über des Argentiniers bisher so heiteren Züge. »Meine Mutter,« sagte er sinnend, »ja, meine Mutter, sie wird überrascht sein, vielleicht sogar unangenehm überrascht. Ihre Sympathien für alles, was Deutsch ist, sind nicht groß. – Au contraire. – Aber, que importa – was tut's«, fuhr er in einem so leichten Tone fort, wie ihn Hanna an ihrem ernsten Freund gar nicht gewöhnt war. – »Sie muß sich fügen und wird sich fügen. – Ich habe meine Zelte hinter mir abgebrochen. – Meine Wohnung ist gekündigt. – Meine Koffer werden morgen gepackt und durch einen Spediteur nach Frankfurt dirigiert. – Es bleibt bei meinem Entschluß. – Ich reise am Donnerstag mit Ihnen. –«

»Und Ihre Schlangen –?« fragte Hanna. Die schenken Sie wohl Ihrer Wirtin Madame Jeannille – –?«

» Valga me dios – –!« rief Juan lachend aus. Das fehlte noch. Seit sie weiß, daß gerade die Elaps corallinus, deren Farbenpracht ihr so gut gefiel, mit das giftigste Reptil ist, das in den amerikanischen Wäldern haust, schlägt sie immer erst drei Kreuze, bevor sie mein Arbeitszimmer betritt, und ihrer Suzanne hat sie bei Todesstrafe verboten, beim Reinigen des Zimmers meinem Arbeitstisch auch nur nahe zu kommen. – Ich kann Krafft-Ebings » Psychopatia sexualis« oder Forells »Sexuelle Frage« vierzehn Tage lang, ruhig frei auf meinem Tisch liegenlassen; die kleine, neugierige Suzanne wird die Bücher nicht berühren, solange sie weiß, daß die Schlangen auf dem gleichen Tische stehen.

»Wenn ich offen sein will, Juan, der Anblick der Giftschlangen ruft bei mir auch immer ein mit Furcht und Abscheu gemischtes Grausen hervor. – –«

»Sehr zu Unrecht. Zur Serumbereitung sind Giftschlangen unerläßlich, und wenn sie, wie bei mir, unter sicherem Verschluß stehen, sind sie auch harmlos. Allerdings möchte ich im brasilianischen Urwald keiner Jararaca- oder Labariaschlange allein gegenüberstehen, denn ein Biß dieser höchst gefährlichen Grubenottern bedeutet den sicheren Tod. –«

Hanna schüttelte sich leicht. »Vor Ihrer Abreise werfen Sie die Ottern in den See, Juan. – Nicht wahr. Ich fürchte mich auch vor ihnen.«

»Das wäre zwecklos amiga mia, denn die Schlangen schwimmen gut, außerdem benötige ich sie zu meinen Versuchen und muß sie mitnehmen. Aber haben Sie keine Bange, die Reptilien werden während und nach der Reise so gut verwahrt, daß nichts passieren kann. – –«

Ein Schiffskellner ging gerade mit einem Tablett, auf dem sich mehrere Weinflaschen befanden, darüber. »Wie wäre es, Juana,« meinte der Argentinier, »wenn wir meinen Entschluß, Sie ins ›Ausland‹ zu begleiten, mit einer besonders guten Flasche feiern würden – –?«

»Nicht hier«, antwortete Hanna. »Sehen Sie, dort liegt schon Evians deutlich vor uns und in wenigen Minuten sind wir im Hafen.«

»Sie haben recht, wie immer«, antwortete Juan. »Gehen wir hinunter.«

Beide griffen nach ihren Hüten und stiegen langsam Arm in Arm die Treppe hinab. Ein großer Teil der Passagiere stand an der Reeling des Schiffes, von wo aus man einen prächtigen Anblick auf den kleinen, starkfrequentierten französischen Badeort genoß, dessen schattige Platanenallee sich über einen Kilometer weit am Strande des Sees entlang zog.

Jetzt fuhr der Dampfer schaumwerfend in den Hafen ein und schleuderte mächtige Wellen von sich, welche sich an den Mauern des Kais brachen und die dort verankerten zahlreichen Ruder- und Segelboote auf und nieder tanzen ließen.

Ein betäubendes Stimmengewirr empfing Juan und Hanna beim Betreten des Landeplatzes. Bootsleute priesen mit französischer Lebhaftigkeit ihre Segel- und Ruderboote an. Die Angestellten der verschiedenen Hotels empfahlen ihre Häuser: »Hotel Royal, Beau-Rivage, Splendid, Grand Hotel d'Evians«, schwirrte es um die Ankommenden herum. –

Juan und Hanna, die Evians beide gut kannten, stiegen gar nicht erst die steile Straße, die in die Stadt führte, hinauf, sondern bogen gleich rechts in die schattige Platanenallee ein, die sich über eine Viertelstunde lang am Seeufer entlang hinzog.

»Was sollen wir jetzt schon in der Stadt«, meinte Juan. »Für Evians ist es nämlich noch reichlich früh. – Vergessen Sie nicht, kleine Juanita, daß wir nach französischer Zeit, die hier maßgebend ist, erst dreiviertel neun Uhr haben. –«

Hanna lächelte. An die Tatsache, daß das südliche savoyische Ufer des Genfer Sees, das politisch zu Frankreich gehörte, eine volle Stunde gegen die Schweizer Zeit zurück war, konnte sie sich nie gewöhnen. – Zum Schrecken ihrer Wirtin in Ouchy mußte sie vor einigen Monaten einmal in Thonons-les-Bains übernachten, weil sie vergessen hatte, ihre Uhr umzustellen, und daher das letzte Schiff versäumte, das pünktlich, aber nach Schweizer Zeit nach Ouchy – Lausanne abfuhr.

Da es nach dem Spaziergang am See entlang noch zu früh war, das Mittagessen einzunehmen, beschlossen Juan und Hanna, eine längere Segelbootfahrt auf dem Lac Léman zu unternehmen.

An der Débarcadère lagen die Boote verankert, die mit kleinen Flaggen in allen möglichen Landesfarben dekoriert waren.

Neben der französischen Trikolore, waren das amerikanische Sternenbanner und der englische Union Jack am meisten vertreten. Das deutsche Schwarz-Weiß-Rot suchte Hanna vergebens. Die beiden bestiegen nach kurzer Unterhandlung mit dem Führer ein kleines Boot mit lateinischen (dreieckigen) Segeln, das die gelb-rot-gelben Streifen Spaniens trug, und kehrten von ihrer Tour erst gegen zwölf Uhr zurück, um dann im Savoyhotel das Mittagessen einzunehmen.

Der ungewohnte schwere, wie Öl aus der Flasche fließende Chablis, den Juan zum Abschied, wie er sagte, auffahren ließ, verbunden mit der Sommerhitze, und der Arbeit, sich durch ein französisches Dejeuner von sieben Gängen hindurchzuessen, hatten Hanna schläfrig gemacht, und während sie sich auf einem Liegestuhl im schattigen Hotelpark für kurze Zeit niederlegte, ging Juan in die Stadt hinauf. Als er, beladen mit einer großen Bonbonniere, nach Verlauf einer halben Stunde zurückkehrte, war Hanna sanft eingeschlafen.

Um die Ruhe des Mädchens nicht zu stören, nahm Juan schweigend neben ihm Platz und bewunderte diskret die leicht hingegossene Elfengestalt seiner geliebten Freundin. –

Ihre Brust hob und senkte sich leise, unter dem dünnen weißen Mullkleid, das ihre zarten Glieder kaum verhüllte und als einzigen Schmuck die roten Nelken im Gürtel aufwies. Der ziemlich kurze Rock ließ einen Teil des zart und feingeformten Beines frei, dessen kleine Füße in weißen, wildledernen Halbschuhen mit dunkelbraunen Absätzen steckten.

Eine kleine, widerspenstige Strähne des lockigen Haares, das wie flüssiges Gold in der Sonne schimmerte, hatte sich gelöst und war neckig auf die Stirn herabgesunken. Das schmale, feine Gesicht mit dem halbgeöffneten Mund, der einen Teil der regelmäßigen kleinen Zähne sehen ließ, war im Schlaf mit einem zarten Inkarnat wie übergossen.

Einem unwiderstehlichen Drange folgend, ergriff Juan die am Stuhl herabgesunkene Hand des Mädchens und drückte einen langen innigen Kuß darauf.

Hannas Gestalt zuckte unter der Berührung Juans leicht zusammen. Mit ihrer linken Hand fuhr sie über das Gesicht und strich sich die Locke aus der Stirn. Dann schlug sie die großen blauen Augen weit auf und sah Juan etwas erstaunt und verwirrt an.

»Ich habe fest geschlafen – –«, sagte sie, und wollte sich erheben. »Fast schäme ich mich. – –«

Juan drückte sie sanft in den Stuhl zurück.

»Bleiben Sie doch, kleine Juanita – –«, sagte er leise und innig. »Nehmen Sie das Bild der ruhenden »Fé printannière« nicht brüsk von mir. – Stundenlang könnte ich so neben Ihnen sitzen und Sie nur schweigend bewundern. – Sie sind so schön – –«

»Nein, nein«, sagte Hanna, leicht errötend, und stand auf. »Ich habe lange genug, viel zu lange geschlafen. – –«

»Bleiben Sie doch, liebe kleine Juana«, sagte der Argentinier bittend. »Wir sind ganz allein im Park. – – Ich will auch keinen Menschen sehen, nur Sie allein, Juana. – – Ich fühle mich heute so glücklich, – so grenzenlos glücklich. – –«

Verwirrt stand Hanna diesem spontanen Gefühlsausbruch ihres sonst so reservierten Freundes gegenüber.

»Zürnen Sie mir nicht, Juanita – –,« fuhr dieser flehend fort, die Hand des Mädchens ergreifend, »aber ich habe Sie so lieb, Juanita, so furchtbar lieb. – –«

Er war dicht neben Hanna getreten und zog sie sanft an sich. Durch die dünne Bluse fühlte er den warmen, weichen, gertenschlanken Mädchenkörper, der unter seiner Berührung leise erbebte. – Hannas Kopf war sanft auf Juans Schulter gesunken. Sie wußte, was kam, was endlich einmal kommen mußte. – – »Ich habe dich so lieb, Juanita«, wiederholte er leise. Die Nelken an ihrem Gürtel strömten einen betäubenden Duft aus, sie fühlte den Herzschlag Juans an ihrer Brust und schloß langsam die Augen. – –

» Juana, cara divina Juanita. – – Yo te adoro –«, hörte sie Juan stammeln; – dann fühlte sie ihren Kopf zurückgebogen, – zwei warme Lippen suchten ihren Mund, den sie willig bot, und in dem ersten Liebeskuß, den sie empfing, versank alles um sie her. – –


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