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Erstes Kapitel.

Professor Jules Delacoste, Privatdozent der Medizin an der Universität Lausanne, schloß sein Vormittagskolleg. Seine Hörer und Hörerinnen nahmen ihre Bücher und Kolleghefte auf und drängten nach der Tür. Die männlichen Studierenden hatten es offensichtlich eiliger als ihre weiblichen Kommilitonen. Der Frühschoppen der Verbindung Italia im Café Vaudois oder die Vormittagszusammenkunft der Frankonia im Hotel de la Paix lockte die letzteren nicht, außerdem suchte jede von ihnen noch einen freundlichen Blick oder wohl gar noch ein paar liebenswürdige Worte des beliebten Dozenten zu ergattern, denn Delacoste, für den sie alle schwärmten, war jung und ledig und hatte so gar nichts von der sprichwörtlichen Zerstreutheit und dem Sichgehenlassen des Universitätsprofessors an sich. –

Delacoste war inzwischen zu einem neben dem Seziertisch angebrachten Waschbecken getreten. »Ah, Mademoiselle Brentano«, sagte er zu einem jungen Mädchen in weißem Mullkleide, das gerade am Arm einer anderen Studentin den Hörsaal verlassen wollte. »Darf ich Sie noch einen Augenblick zurückhalten?«

»Gern, Herr Professor«, erwiderte die Angeredete freundlich lächelnd, indem sie ihre Ledermappe vor sich auf die Bank niederlegte; dann tauschte sie einen kurzen Blick mit ihrer Begleiterin. »Erwarte mich draußen, Leonie!« sagte sie leise in deutscher Sprache.

»Mache es kurz und schmerzlos«, sagte diese ebenso. »Ich werde inzwischen Tenor de Souza Miranda unterhalten, damit ihm die Zeit nicht allzu lange wird«, fügte sie ein wenig spitzbübisch lächelnd hinzu. – Dann nahm sie ihre Büchertasche auf und verließ den Raum. –

Professor Delacoste hatte sich inzwischen seines weißen, mit Blutspritzern befleckten Operationskittels entledigt. Ein gutsitzender, eleganter, schwarzer Anzug kam zum Vorschein. Der dunkelbraune Vollbart, den er nach französischer Mode trug, ließ ihn älter erscheinen als er in Wirklichkeit war. Für einen Gelehrten, an den lediglich die goldene Brille, die er jetzt mit einem Kneifer vertauschte, erinnerte, sah er beinahe etwas zu weltmännisch aus.

» Chère demoiselle«, sagte er nun zu der jungen Dame, die langsam näher getreten war. »Nehmen Sie doch bitte Platz.« Dann fuhr er in deutscher Sprache, die er fast akzentfrei beherrschte, fort. »Wie mir Kollege Brandt gestern berichtete, wollen Sie uns nun tatsächlich verlassen. – – Und dieses welterschütternde Ereignis erfahre ich erst durch einen Zweiten – –?«

»Meine Abreise hat sich erst gestern definitiv entschieden, Herr Professor«, erwiderte die junge Dame.

»So wollen Sie wirklich das schöne Lausanne ganz sang- und klanglos verlassen – –?«

»Ich wäre gern noch geblieben, und der Abschied von Lausanne fällt mir auch gar nicht leicht. – Aber mein Vater besteht darauf, daß ich nach Frankfurt zurückkehre und mein Studium in Deutschland beende. – Er ist nicht mehr der Jüngste, mon cher papa, und ich kann es verstehen, daß er mich gern in seiner Nähe hat, um so mehr, als mein Bruder, außer an den Feiertagen, nie nach Hause kommen kann. – –«

»Ihr Bruder ist Marineoffizier –?«

»Jawohl, Herr Professor. Beim Seebataillon in Wilhelmshaven.«

»Wilhelmshaven liegt allerdings von Frankfurt auch eine tüchtige Strecke entfernt«, meinte der Professor, »und so ungern ich Sie und noch mancher andere,« fügte er lächelnd und bedeutungsvoll hinzu, »wohl auch hier missen werden, der Standpunkt Ihres Herrn Vaters ist voll zu verstehen. – Sind Sie sich in der Wahl einer deutschen Hochschule schon im klaren – –?«

»Mein Vater meint, Gießen oder Marburg. –«

»Ich würde Ihnen zu Gießen raten, Fräulein Brentano«, sagte Delacoste. »Belegen Sie dort bei Hartmann. Ich selbst habe bei ihm vor Jahren in Freiburg gehört und stehe heute noch in Korrespondenz mit ihm. – Wenn Ihnen einige Empfehlungszeilen an ihn erwünscht sind, Je suis à votre disposition, Mademoiselle. – –«

»Aber gern, Herr Professor. – –«

Delacoste machte sich eine Notiz in sein Taschenbuch. »Wann gedenken Sie zu reisen, Fräulein Brentano?«

»Mittwoch oder Donnerstag der nächsten Woche, Herr Professor. Das Semester hier schließt ja mit dem heutigen Tage ab, und meine Effekten sind schnell eingepackt. – –«

»So eilig haben Sie es, von hier wegzukommen, und Ihren armen Hidalgo lassen Sie gebrochenen Herzens allein zurück. – Wollen Sie wirklich so grausam sein – –?« fragte er, seine Schülerin lächelnd ansehend.

»Seien Sie darüber ohne Sorge, Herr Professor«, sagte diese ruhig und ernst. »Herr de Souza Miranda, dem ihre Anspielung wohl gelten mag, wird meine Abwesenheit leicht überwinden, aus dem einfachen Grunde, weil er eigentlich gar nichts zu überwinden hat. – Wir sind gute Kameraden, treue Freunde, wenn Sie wollen, aber nichts mehr. –«

»Na, na,« meinte Delacoste, fein lächelnd, Freundschaft zwischen Mann und Frau ist etwas so Außergewöhnliches. Ich möchte sogar beinahe behaupten, auf die Dauer etwas Unmögliches. Es sei denn, daß die Frau nicht mehr allzu jung, ohne äußere Reize und sehr klug sei, und selbst in einem solchen Falle – –.« Er brach kurz ab und sah auf die Uhr. »Ich will Sie nicht länger aufhalten, verehrtes Fräulein«, sagte er dann kurz und sachlich. »Meine Empfehlungen an Ihren Herrn Vater, vielleicht sagen Sie ihm, daß ich seine vorzügliche Abhandlung über den Magenkrebs mit großem Interesse gelesen habe und an seinen Experimenten den allergrößten Anteil nehme. – Wenn es einem gelingen wird, das fragliche Serum, an dessen Entdeckung die gesamte leidende Menschheit ein brennendes Interesse hat, zu entdecken, – dann niemand eher als Ihrem Herrn Papa. – –«

Hanna Brentano streifte wortlos ihre Handschuhe über.

»Hat Ihr Herr Vater immer noch seinen bewährten türkischen Assistenten –?« fuhr der Professor fort.

»Herrn Denkandi?« fragte Hanna. »Ich glaube wohl.«

»Das freut mich für ihn. Na, dann au revoir für heute«, sagte Delacoste, die Hand des Mädchens ergreifend, die er für eine Weile festhielt. »Leben Sie wohl, Fräulein Brentano, und wenn Sie später an Ihre Lausanner Studienzeit zurückdenken, so erinnern Sie sich bitte auch ab und zu Ihres alten Professors, der seiner lieben, kleinen, fleißigen Hörerin stets ein treues Andenken bewahren wird und jederzeit zu ihrer Verfügung steht, worin es auch sein mag. – Ihr Leben, liebes Fräulein Brentano, liegt klar und heiter vor Ihnen und Ihrer sonnigen Jugend, aber es kommen vielleicht auch einmal düstere Tage, und wenn es Sie jemals nach einem treuen Freund und Ratgeber sehnt, dann verfügen Sie voll und ganz über Ihren alten Professor und aufrichtigen Freund Delacoste. – Wollen Sie mir das versprechen, Fräulein Brentano – –?«

Seine Stimme hatte bei den letzten Worten einen warmen, herzlichen Klang angenommen, und als er sah, daß das Mädchen mit der Rührung zu kämpfen schien und die aufsteigenden Tränen kaum zurückzuhalten vermochte, fuhr er schnell, ohne eine Antwort abzuwarten, in gesucht heiterem Tone fort:

» Encore quelque chose, chère demoiselle. Falls es in Ihrer Absicht lag, mir morgen, Sonntag vormittag, einen steifen Abschiedsbesuch zu machen oder Ihre Karte abzugeben, so möchte ich Sie bitten, von dieser › formalité‹ abzusehen. Derartiger gesuchter Höflichkeiten bedarf es bei uns beiden wohl nicht, aber,« fuhr er in herzlichem Tone fort, »falls Sie vor Ihrer Abreise noch einmal den Weg zu mir fänden, sagen wir am Dienstag- oder Mittwochnachmittag, dann würden Sie mir eine aufrichtige Freude bereiten. Wollen Sie – –?«

Hanna Brentano nickte nur. Sprechen war ihr unmöglich. Sie kämpfte tapfer die aufsteigenden Tränen hinab. Weinen wie ein kleines Schulmädel durfte sie als angehende Ärztin nicht.

Der Professor hatte ihr zum Abschied die Hand gereicht. Eine feine, schmale Hand mit wohlgepflegten, kurzgeschnittenen Nägeln.

»Also au revoir, Mademoiselle.«

Hanna Brentano war entlassen. – Im Vorraum wischte sie sich schnell, wie verstohlen, einige Tränen aus den Augen, setzte sich vor dem Spiegel ein kleines, weißes Strohhütchen mit taubenblauer Bandschleife auf das blonde Haar und verließ schnellen Schrittes das Universitätsgebäude, nicht ohne gewohnheitsmäßig noch einen schnellen Blick auf das schwarze Brett geworfen zu haben. –

Nun war sie draußen im strahlenden Sonnenschein des herrlichen Sommermorgens und schritt schnell die breite Treppe des monumentalen Palais de Rumine hinab, in dem die Lausanner Universität untergebracht war.

An dem Gaskandelaber vor dem Café Vaudois standen wartend zwei Personen. Ein junges Mädchen, ihre Freundin Leonie Delers und ein junger Herr in elegantem grauen Sommeranzug, der Student der Chemie Juan de Souza Miranda.

Als Hanna Brentano in der offenen Tür erschien und mit dem rechten Arm grüßend winkte, kamen die beiden schnell über die Place de la Riponne, und der Herr hielt ihr, indem er seinen Strohhut lüftete, den freien rechten Arm entgegen, auf den sich Hanna stützte und leichtfüßig wie ein kleines Mädchen die letzten drei Stufen der Treppe herabsprang.

» Buenos días Juan – –!« rief sie, schon wieder lachend. » Como esta Usted –?«

» Muy obligado, Juanita«, antwortete de Souza Miranda ruhig und ernst. » Bueno, y Usted – –?«

»Vorzüglich«, antwortete sie, den Arm der Freundin ergreifend, in deutscher Sprache, während der Herr langsam an ihre linke Seite ging.

»Sie sagen das Bueno,« fuhr sie mit einem Seitenblick auf das ernste Gesicht ihres Begleiters fort, »mit so jammervoller Miene, daß man eher das Gegenteil glauben muß. – Haben Sie schlecht geschlafen, Juan. – Hat Ihnen Madame Jeannille das Zimmer gekündigt oder ist Ihre filia hospitalis wieder einmal eifersüchtig auf mich. – Sie könnten wirklich auch etwas liebenswürdiger zu der armen Suzanne sein. – –«

Beide Mädchen brachen in ein unterdrücktes, doch lustiges Lachen aus.

»Spotten Sie nicht, Juanita,« erwiderte de Souza Miranda in gutem Deutsch, »mir ist es gar nicht zum Lachen. Der bevorstehende nahe Abschied von Ihnen geht mir näher als ich dachte und wie mir lieb ist.«

»Wirklich?« fragte Hanna Brentano und sah ihren Begleiter lächelnd von der Seite an.

Dieser antwortete nicht. Den Strohhut trug er unter dem linken Arm, nun zog er aus dem Ärmelaufschlag ein seidenes Taschentuch und fuhr sich damit über Stirne und Schläfen. –

Die drei waren langsam in die steil abfallende Rue Neuve eingeschwenkt und bogen durch die Rue Mauborget nach dem Grand Pont ein, der großen Brücke, die den Stadtteil St. Francois mit dem höher gelegenen St. Laurent, in welchem auch die Universität liegt, verbindet.

»Wann reisen Sie nun definitiv, Juana?« fragte der Herr seine Begleiterin.

»Nicht vor Donnerstag. – Noch ganze fünf Tage bleibe ich in Lausanne. – –«

»Wie war der Abschied von Delacoste?« fragte nun Fräulein Delèrs gespannt.

»Kurz und lieb«, antwortete Hanna Brentano. »Du kennst die herzliche, verbindliche Art unseres Professors. Den steifen Abschiedsbesuch hat er mir geschenkt, statt dessen besuche ich ihn am Dienstagnachmittag noch einmal ganz zwanglos. Er war reizend und nimmt auch an den Arbeiten meines Vaters großes Interesse. – Übrigens, Juan, auch nach Ihnen hat er sich erkundigt. – –«

»So – –«, sagte der Angeredete gleichmütig. »Er kennt mich ja gar nicht persönlich. – – – –«

»Desto mehr habe ich ihm aber schon von Ihnen erzählt. – Natürlich nur das Allerbeste. Daß Sie so ein ernster Brummbär sind, weiß er nicht und ahnt er nicht. – – Nun lachen Sie endlich einmal, Juan. – Wenn Sie brav sind, dürfen Sie mich auch nach Hause, nach Ouchy, begleiten. – – Einverstanden – –?«

Juan de Souza Miranda nickte schweigend und setzte seinen Hut wieder auf.

Am Ende des Grand Pont verabschiedete sich Leonie Delèrs von den beiden. Sie wohnte in der Rue du Bourg bei einer Verwandten. Leonie selbst stammte aus Solothurn und war trotz des welsch klingenden Namens mehr Deutschschweizerin als Französin, wenn sie dies auch selbst nie zugestehen wollte. Beide Sprachen beherrschte sie gleichmäßig gut.

Hanna Brentano und ihr Begleiter gingen schweigend nebeneinander her.

»Wollen wir nicht lieber zu Fuß gehen?« fragte de Souza Miranda, als Hanna Miene machte, rechts nach dem kleinen Bahnhof einzubiegen, wo die Drahtseilbahn nach Onchy abfuhr.

» Bueno,« meinte diese, »aber unter der Bedingung, daß Sie endlich ein etwas freundlicheres Gesicht machen. Daß Sie für Ihre Jahre und Ihre spanisch-amerikanische Abkunft viel zu ernst sind, weiß ich, und gerade dieses Ernstes wegen haben Sie mir eigentlich stets so gut gefallen, aber heute dürfen Sie sich, Ihrer Freundin Juanita zuliebe, auch einmal etwas temperamentvoller und besonders etwas lustiger geben. Sagen Sie mir doch einmal etwas recht Liebes, Juan. – –«

»Danach steht mir wahrlich nicht der Sinn«, antwortete de Souza Miranda gequält. »Ich kann keine faden Komplimente machen, Ihnen schon gar nicht, und wenn ich daran denke, daß Sie in wenigen Tagen abreisen und dann die schönen Tage von Aranjuez für mich ein. für allemal zu Ende sind, dann, liebe Juana, steht mir das Weinen näher als das Lachen.«

»Glauben Sie, mir fällt der Abschied von Lausanne und besonders von Ihnen so leicht?« fragte Hanna sanft. »Aber ich fahre ja erst am Donnerstag. Noch ganze fünf Tage bleibe ich hier bei Ihnen. Und wenn ich auch in Frankfurt bin und Sie hier, damit soll doch nicht gesagt sein, daß Unsere freundschaftlichen Beziehungen zu Ende sein müssen. Warum denn auch – –? Wir wollen uns regelmäßig schreiben, Juan. Sie erzählen mir von Lausanne, von dem herrlichen Genfer See, von Ihrer Arbeit; und ich von meinem Studium, von meinem Tun und Treiben in Frankfurt und dem Leben in der großen Stadt, die ich kaum kenne.«

Juan de Souza Miranda schüttelte abweisend den Kopf.

»Wenn Sie fort gehen, Juana, dann sind Sie für mich verloren. Ich fühle das zu genau, und die eifrigste Korrespondenz kann mir Ihre Gegenwart nicht ersetzen. – Nein, Juanita, ich kenne diese Art Korrespondenz zu genau. – Zuerst schreibt man sich regelmäßig und ausführlich, dann werden die Briefe seltener und kürzer, schließlich wird der Briefwechsel für Sie zu einer lästigen Pflicht und beschränkt sich auf Gratulationen zu den großen Festen und zu meinem Geburtstage, und eines schönen Tages flattert mir eine gedruckte Anzeige ins Haus: Als Verlobte empfehlen sich – Hanna Brentano und – Doktor – sagen wir mal – Meier oder vielleicht auch Lehmann. – –«

»Puh – –!« machte Hanna und schüttelte sich lachend. »Was reden Sie für einen Unsinn, Juan. Ich denke gar nicht ans Heiraten, und einen Mann, der den prosaischen Namen Meier oder Lehmann trägt, nehme ich schon gar nicht. – Frau Hanna Meier? – Wie das klingt. – Juanita de Souza Miranda – –? Wie gefiele Ihnen das –?«

Lachend hängte sie sich bei ihrem Begleiter ein und sah ihn schelmisch von der Seite an.

Juan mußte nun, angesteckt durch die Lustigkeit Hannas, gegen seinen Willen auch lachen. »Juanita de Souza Miranda, –« wiederholte er dann leise, mehr für sich als für Hannas Ohren bestimmt.

»Sehen Sie, Juan,« meinte diese heiter, »nun lachen Sie endlich. Der Gedanke, wir beide Mann und Frau, ist auch zu komisch. Nein –! Nein –! Juan –!« rief sie aus, »so prosaisch soll unsere Freundschaft nicht zum Abschluß kommen, – ich will Ihre Freundin bleiben. Ihre beste und aufrichtigste Freundin, aber zur Ehe habe ich kein Talent, und gerade wir beide würden totunglücklich zusammen werden.«

» Quien sabe –«, meinte der andere nur, schon wieder ernst.

Schnell ausschreitend, näherten sich die beiden ihrem Ziel, der durch eine ununterbrochene Reihe von Straßen und Häusern mit dem Zentrum Lausannes verbundenen Vorstadt Ouchy, wo Hanna in der direkt am See gelegenen Pension, Mon Repos, wohnte.

»An der Funicolaire setze ich Sie ab, Juan«, sagte Hanna, »Sie kommen sonst zu spät zum Deujeuner. – –«

»Was liegt daran. – Ich will die letzten Tage, die Sie hier sind, noch so lange mit Ihnen zusammen sein, wie nur irgend möglich. Es ist auch noch früh am Tag und das Mittagessen läuft mir nicht davon. – –«

Auf einer Bank am Kai, die den Blick auf den dunkelblauen Lac Léman freiließ, nahmen sie beide schweigend Platz.

Juan de Souza Miranda hatte die Arme über der Brust verschränkt, und blickte ernst auf das Wasser hinaus, auf dem kleine Boote, deren weiße Segel in der Sonne blinkten, hin und her schaukelten. Hanna zeichnete mit dem Absatz ihres kleinen braunen Halbschuhes gedankenvoll Kreise in den Sand.

»Was machen Sie heute nachmittag?« fragte Juan endlich.

»Nichts. Ausruhen«, erwiderte das Mädchen. »Um vier Uhr treffe ich mich mit Leonie in der Confiserie Old India, wie immer.«

»Und morgen, Sonntag?«

Hanna dachte einen Augenblick nach.

»Der ganze morgige Tag ist für Sie, Juan«, sagte sie dann entschieden. »Wie wäre es mit einem Ausflug nach Evians-les-Bains oder nach Montreux. Ja, das machen wir«, rief sie lustig. »Wir fahren morgens mit dem Dampfer nach Evians, essen dort zu Mittag und sind am Abend wieder zurück. – Wie gefällt Ihnen mein Vorschlag?«

Juan nickte leise. »Das wäre eine gute Idee –«, sagte er dann.

Hanna Brentano erhob sich von der Bank und trat dicht vor ihren Begleiter, der ruhig sitzenblieb.

»Also, es bleibt dabei, und nun, Juan«, sagte sie herzlich, indem sie, vor dem jungen Mann stehend, beide Hände auf seine Schultern legte. »Ich muß jetzt nach Hause. Machen Sie kein so trauriges Gesicht, caro amigo. Mir ist es auch gewiß nicht zum Lachen, aber ich tröste mich damit, daß der Abschied ganz bestimmt kein Abschied für das ganze Leben sein wird. – Wir wollen jetzt nicht mehr davon reden, und morgen nochmals so recht, recht lustig sein. – –«

Sie nahm den Strohhut von seinem Kopf und fuhr ihm leicht über das dichte, schwarze, glattgescheitelte Haar.

»Also ich erwarte Sie morgen früh. Und nun, Adios Juan. Asta, mañana! – –«

Sie strich ihm noch einmal zärtlich über das Gesicht, dann nahm sie ihre Büchermappe auf, und schritt, leichtfüßig, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Kai hinab, ihrer Wohnung zu.

De Souza Miranda blieb noch eine Weile schweigend auf der Bank sitzen, in tiefe Gedanken versunken. Dann drehte er sich, mit leichten Fingern eine Zigarette und schlug langsam den Weg nach der Drahtseilbahn ein, die ihn nach Lausanne zurückbrachte. – –


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