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8. Kapitel

Ambros saß auf dem Stuhl am Kopfende des Bettes, in dem die Witwe Kaspar Larseits gestorben war. Er hatte sich bequem zurückgelehnt, die Hände in den Taschen und die Füße weit von sich gestreckt. In einer Ecke stand sein Stutzen mit der darüber gehängten Jagdtasche, und daneben auf dem Fußboden lag ein Gemsbock.

Draußen schienen die Kalkfelsen in dunkle Flammen verwandelt, die über dem Walde still zum Himmel lohten. Ambros war eben von der Jagd gekommen; auf der Mur, die einst St. Vigil zerstört, hatte er sich von Sampogna getrennt und Stasi dann seine Jagdbeute gebracht. Es war sein Wunsch gewesen, daß sie gleich einen Teil davon zum Abendessen herrichtete. Da die Zubereitung aber zuviel Zeit in Anspruch genommen hätte und er sehr hungrig war, hatte ihn Stasi zu ihrem Abendbrot, das gleich fertig sein würde, eingeladen.

Nun ging sie geschäftig zwischen Küche und Stube hin und her und deckte den Tisch. Ambros sah ihr mit einem Wohlgefallen zu, das sich deutlich in seinem Gesicht ausdrückte. Er kam sich vor, als sei Stasi bereits seine Frau. Stasi lächelte ihm hin und wieder herzlich zu, und es freute sie, ihn bewirten zu können; aber über ihrem Lächeln und ihrer Freude lag ein Flor. Wie hätte sie auch vergessen können, daß aus dieser Stube erst gestern ihre Mutter hinausgetragen worden war? Ihre Liebe erschien ihr wie ein Diebstahl, so daß sie dem Zuge ihres Herzens nicht frei zu folgen wagte.

Ambros bemerkte davon nichts; denn ein müder und hungriger Mensch ist ein schlechter Beobachter. Und als das Essen kam, zu dem er durch einen kleinen Burschen, den David vom nächsten Gehöft requiriert, eine Maß Wein aus dem »Stern« hatte holen lassen, dachte er zunächst nur daran, sich zu sättigen. Er aß stumm wie David und nickte nur dann und wann zu Stasi hinüber, die ihre Speisen selbst kaum berührte. Ihn anzuschauen und zu sehen, wie vortrefflich es ihm schmeckte, war für sie die beste Nahrung.

»So! Jetzt bin ich wieder ein Mensch!« rief er, als er den letzten Bissen mit einem Trunk hinuntergespült hatte. Dann zog er Stasi zu sich, um sie zu küssen. Sie aber bog mit einem bedeutungsvollen Blick auf David den Kopf weg.

Der Ohm hatte nichts bemerkt; er aß noch immer, und zwar mit ungewöhnlich nachdenklicher Miene.

»Ach was, sind wir nit Brautleut?« sagte Ambros. »Der Ohm muß sich dran gewöhnen.«

Dieser blickte auf, hatte jedoch nicht gehört, wovon die Rede war; und als er keine Erklärung erhielt, aß er weiter.

»Ich selbst kann mich noch nit dran gewöhnen«, äußerte Stasi errötend. »Laß mir Zeit!«

»Ist's so schwer?« scherzte Ambros.

»Weißt du noch«, fragte sie mit einem wehmütigen Lächeln, »wie du eines Abends da draußen zornig gesungen hast, daß du erst wiederkommen würdst, wann's schneit rote Rosen, wann's regnet kühlen Wein?«

»Ja, freilich«, erwiderte er. »Aber ich hab damals nit gewußt, daß du nit zu mir herauskommen konntest.«

»Ich denk auch nur daran, wie das Lied ausgeht«, sagte sie leise. »Wie der Bub nachher einen Spaß aus der Drohung machen will und mit Wein und Rosen wiederkommt, da fallt er über des Madls Grab. – Jetzt bist du wiedergekommen, und auch zwischen uns ist ein Grab. Ich wollt, es wär das meinige!« Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Laß doch das! Du lebst ja und sollst leben«, bat er, und zu seinem Glase greifend, fuhr er lebhaft fort: »Sind auch die Rosen im Garten draußen abgeblüht, hier ist Wein! Den trinken wir auf unsre Lieb, und Sie wird blühn und gedeihn!«

Stasi und David mußten mit ihm anstoßen und ihre Gläser bis auf den letzten Tropfen austrinken; denn jedes Tröpflein, so meinte der Bursche, enthielte einen Segen und dürfte ihrer Liebe nicht verlorengehen.

»Ich will schon dafür sorgen, daß du glücklich wirst, Stasi«, begann er wieder, »und deine Mutter im Himmel kann sich über nix mehr freuen, als daß du glücklich bist auf Erden.«

Der Streit mit dem Vater hatte seine Zuversicht nicht erschüttert. Wenn ihm eine unangenehme Empfindung davon zurückgeblieben war, so hatte er sie bei den Anstrengungen und der Lust der Jagd im Hochgebirge von sich abgeschüttelt wie der Falke den Regen. Das Gefühl der Kraft, die er so lange nicht gebraucht, hatte ihn gleichsam berauscht und zu Tollkühnheiten getrieben, so daß ihn selbst das Garnsmanndl, das wahrlich vor keiner Gefahr zurückschreckte, einige Male hatte warnen und zurückhalten müssen. Seinem Kraftgefühl war nichts unmöglich erschienen, und einem Adler gleich hatte er sich gedünkt, als er von den Höhen des Monte Sella herabgeschaut in die Täler und auf die Ferner und Gletscher, die sie mit ihren Armen umspannten – von der gewaltigen Brust der Hohen Tauern bis zu den Dolomiten des Ampezzotales im Süden, von den silbern funkelnden Alpen des Zillertales im Norden bis zu den leuchtenden Fingern der Stubaier-, Ötztaler- und Ortlergletscher, die sich im Westen dem Engadin entgegenstreckten. Er hatte seinen Fuß auf den Nacken der Welt gesetzt, während tief, tief unter ihm in dumpfer Kluft der Klosterbauer atmete!

»Ja, ich weiß nit«, krächzte David, die Augen auf die Bettstelle seiner verstorbenen Schwester gerichtet.

»Was weißt nit, alter Ohm?« fiel ihm Ambros ins Wort

»Was deine Leute … was der Klosterbauer zu der Stasi als deiner Braut sagen wird?«

»Laß ihn sagen, was er will!« rief Ambros. »Ihr könnt euch schon denken, daß er sich sperrt und sperrn wird; aber das tut nix. Er wird sich schon geben, wie er sich immer gegeben hat, wann ich was von ihm gewollt hab!«

David schüttelte den Kopf. Aus Stasis Mienen wich die ängstliche Spannung, in die sie dessen Frage versetzt hatte. Ambros sprach ja so zuversichtlich, und er mußte doch seinen Vater besser kennen als sie. Wie hätte sie seine Zuversicht nicht teilen sollen? Dennoch seufzte sie: »Ich wollt, du wärst ein armer Bub, Ambros!«

»Dank schön«, lachte er. »Mir ist's lieber, daß es ist, wie's ist!«

Es war spät, als er nach Hause kam. Der Klosterbauer lag noch wach im Bett und hörte die Stiege unter Ambros' Tritt ächzen. Der Alte selbst ächzte unwillkürlich auf; denn der Gedanke an Stasi war es, der ihn nicht schlafen ließ, und er ahnte, daß Ambros von ihr käme. Er war voll Erbitterung gegen das Mädchen und blieb es. Wenn ihm die Zumutung, eine arme Schwiegertochter willkommen zu heißen, unter allen Umständen schon unerträglich gewesen wäre, so erhielt sie in dem gegenwärtigen Falle noch einen besonders scharfen Stachel dadurch, daß es sich um die Tochter des Mannes handelte, über den er zwar vor der Welt triumphiert, gegen dessen Überlegenheit er sich aber innerlich aufgebäumt hatte und dem er die Schuld daran beimaß, daß seine Ehe unglücklich gewesen war. Stasi selbst zieh er der niedrigsten Denkungsart: Eine rechtschaffene Maid hätte es seinem Sohne nie vergeben, daß er sich an dem Grabe ihres Vaters vergangen hatte. Liebe? – Er glaubte an keine Liebe; sie war ein Unsinn. Die Frau des reichen Ambros Falkner zu werden – das freilich konnte eine solche Bettlerin schon reizen! Hatte Kath ihn selbst nicht auch bloß um des Geldes willen geheiratet? Er merkte nicht – wie es Leute seines Schlages nie gewahren – in welchen Widerspruch er sich verwickelte, indem er, der selbst keine Macht auf Erden als die des Geldes anerkannte, es Stasi als Verbrechen anrechnete, daß sie, wie er voraussetzte, aus Geldgier handelte. Aber er wollte die Netze, in denen sie Ambros gefangenhielt, schon zerreißen. Denn daß sie den Burschen mit allerlei Künsten schlau umgarnt haben müßte – daran zweifelte er keinen Augenblick. Oh, sie sollte ihn kennenlernen, die schlaue Verführerin! Den Widerstand seines Sohnes würde er schon brechen. Wem war es denn bisher gelungen, seinem Willen mit Erfolg zu trotzen? Niemandem! Ambros hatte er bisher zu sehr verwöhnt; wenn er ihm den Brotkorb höher hängte, müßte er zu Kreuze kriechen. Ambros mit leerer Tasche war eine Unmöglichkeit!

Den Weg der Güte bei Ambros zu versuchen, fiel ihm nicht ein. Wo er die Macht zum Befehlen zu besitzen glaubte, gab es für die anderen nur ein Gehorchen. Seine Haltung wurde noch steifer und hochmütiger als sonst, und seine Anordnungen gab er kurz und mit harter Stimme. Es sollte jeder erkennen, daß er ein eiserner Mann sei. Die Heiratsangelegenheit erwähnte er gegen Ambros mit keinem Wort; er wartete, bis sie an ihn käme, und Ambros, der ihm Zeit lassen wollte, sich mit dem Stand der Dinge auszusöhnen, tat das gleiche. Schwerlich wäre er so geduldig gewesen, wenn ihn nicht die Trauerzeit Stasis zu warten genötigt hätte. Im übrigen verhielt er sich in der Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang dem Vater gegenüber, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen. Er verrichtete guten Mutes seine Arbeit, und wenn er früher die Abende im Wirtshaus versessen hatte oder mit den anderen ledigen Burschen durch die umliegenden Bergwälder gestrichen war, so verbrachte er sie jetzt bei Stasi. Weder die Finsternis noch der Regen oder die Stürme des Herbstes hielten ihn davor zurück, und bei dem Unwetter war es um so traulicher in dem Stübchen. David, inzwischen zum Vormund seiner Nichte bestellt, war stets zugegen, aber er störte das Paar nicht. Er schaukelte sich auf der Ofenbank, betete leise seinen Rosenkranz oder schlief. Übrigens hatte er an Ambros wieder einen Halt gewonnen; denn dieser riet ihm jetzt, welche Arbeit in der Wirtschaft vorzunehmen wäre, und besprach alles Nötige mit ihm. Freilich wurde Ambros leicht ungeduldig; aber David war es von seiner Schwester her gewohnt, in dieser Beziehung nicht sanft behandelt zu werden, und das Gefühl, daß ihn eine starke Hand lenke, tat ihm wohl.

Lisei sah dem Kommenden mit innerer Unruhe entgegen. Zwar sagte sie sich, daß Ambros der Liebling des Vaters sei – und sie konnte auch nicht leugnen, daß ihm der Vater zuletzt immer nachgegeben hatte, wenn beide einmal in Zwiespalt miteinander geraten waren – doch in einem solchen Zustand wie nach dem jüngsten Streit hatte sie den Vater noch nie gesehen, und es entging ihr nicht, daß es fortwährend in ihm gärte. Sie selbst hatte bei dem geringsten Anlaß unter seiner Gereiztheit zu leiden.

Gerade jetzt empfand sie es wieder besonders schmerzlich, daß sie dem Vater so gar nichts galt, und Wolf hatte wohl recht, wenn er ihr von jeder Einmischung abriet. Er stellte ihr vor, daß sich nur der mit einiger Aussicht auf Erfolg einmischen könnte, der Einfluß auf den Klosterbauern hätte, und das sei am Ende Ambros selbst. Aber es liege kein Grund vor, Ambros zum Verzicht auf Stasi zu bewegen, denn an dem Ernst seiner Neigung könne man jetzt nicht mehr zweifeln, und von Stasi höre man nur Gutes. Überdies sei keine Gefahr im Verzuge; denn es müßten noch sechs bis sieben Monate verstreichen, ehe Ambros mündig würde.

Stasi selbst bat Ambros, den Vater nicht zu drängen. Sie beobachtete den Klosterbauern in der Kirche, und sein hartes Gesicht flößte ihr Furcht ein. Ambros scherzte und koste ihre Beklommenheit hinweg. Sein Selbstvertrauen und ihre Liebe verliehen ihm eine unbegrenzte Macht über sie.

Am Abend vor Allerseelentag bat sie Ambros, am nächsten Nachmittag mit ihr auf den Kirchhof zu kommen. »Wann meine Mutter dich so gut kennengelernt hätt wie ich«, sagte sie, »so würd sie mir nit das Versprechen abgenommen haben, von dir zu lassen.«

Der Allerseelentag brachte klares, kaltes Wetter. Die Höhen hatten bereits ihre weißen Wintermäntel umgenommen, und die Tannen auf den Bergen waren leicht bepudert. Auf dem Kirchhof fanden sich viele Menschen. Sie schmückten die Gräber ihrer Lieben mit Schnüren von roten Vogelbeeren und stellten brennende Lichter darauf. Andere beteten oder standen in wehmütig sinnender Betrachtung an den Hügeln. Die Flämmchen der Kerzen flackerten nur leise in der stillen Luft. Sie flimmerten golden oder rötlich wie Schmetterlinge über den gezierten Gräbern, als wollten sie sich emporschwingen.

Es erregte großes Aufsehen, als Ambros und Stasi auf dem Kirchhof erschienen. Das Gerücht, daß der Erbe des Klosterhofes um die arme Stasi Larseit würbe, war bereits überallhin gedrungen; jetzt erhielt es seine Bestätigung. Ambros begegnete den neugierigen Blicken mit stolzer Abweisung. Stasi und David schmückten den Grabhügel der Verstorbenen, und Ambros pflanzte dann mit ihnen eine brennende Kerze, die ihm Stasi gab, auf das Grab seiner Widersacherin. Den Hut in den Händen, blickte er auf die leise zitternden Flämmchen, während Stasi betete. Er gedachte nicht der Verstorbenen; die drei Lichter erinnerten ihn an drei andere, die er einst ebenfalls auf einem Grabe hatte brennen sehen und auf deren Flammen er genauso geblickt hatte wie auf diese jetzt, sich wundernd, daß der Wind sie nicht auslöschte. Es war auch am Tage Allerseelen gewesen, an dem ersten nach dem Tode seiner Mutter. Lisei hatte ihn an deren Grab geführt, auf dem sie dann ihre Kerzen abgebrannt hatten. Das dritte Licht hatte seine Großmutter aus Pleiken entzündet. Es war das erste- und letztemal gewesen, daß er mit der Ahne zusammengetroffen war, und während der ganzen Zeit hatte er nicht mehr an sie gedacht. Jetzt sah er sie ganz deutlich vor sich und erinnerte sich der Ungebärdigkeit, mit der er sich ihrer Liebkosungen erwehrt hatte. Seltsam, wie einem dergleichen nach so vielen Jahren plötzlich wieder einfällt!

Stasi erhob sich. Sie sah Ambros an und sagte leise: »Jetzt gehn wir erst zu deiner Mutter und nachher zu meinem Vater.«

Ambros willigte schweigend ein. Das Grab seiner Mutter befand sich auf der entgegengesetzten, südlichen Seite der Kirche. Lisei stand dort, bemerkte aber die Herankommenden nicht sogleich, weil sie ihnen im Gespräch mit einer Frau den Rücken zuwandte. Die Frau trug einen schwefelgelben Mantel und eine hohe, bienenkorbförmige Mütze von schwarzer Schafwolle. Das wenige Haar, das die Mütze sichtbar werden ließ, war schneeweiß, während die starken Brauen, die bei der Nasenwurzel zusammenflossen, noch ganz schwarz waren. Unter ihnen leuchteten große, dunkle Augen aus einem schwarzgelben Gesicht, das voller Runzeln, Falten und Fältchen war. Über dem eingesunkenen Mund sprang eine scharf gekrümmte Nase vor. Die Alte, die sich mit beiden Händen auf einen Krückstock stützte, war von einer hexenartigen Häßlichkeit; diese vergaß man jedoch, sobald man ihr in die schwarzen, noch lebhaft glänzenden Augen blickte.

Als sie Ambros gewahrte, hörten ihre vertrockneten Lippen auf, sich zu bewegen, und ihre Augen wichen nicht mehr von ihm. Er aber machte ein verwundertes Gesicht und fragte sich, ob er wache oder träume. Die Alte konnte niemand anders sein als diejenige, an die er gerade gedacht hatte, und Lisei, die sich jetzt umdrehte, bestätigte es dadurch, daß ihr beim Anblick des jungen Paares ein Schatten übers Gesicht huschte.

»Na, grüß Gott, Ahne!« sagte Ambros und streckte ihr lässig die Hand hin.

Die Alte hielt sie fest und rief, während sie ihn fortwährend anschaute, tiefbewegt: »Ich wußt es gleich, daß du meiner armen Kath ihr Sohn bist. Wie aus den Augen geschnitten bist ihr. Und hier an ihrem Grab muß ich ihre Kinder endlich einmal wiederfinden! Nach der Ahne hat keins von euch gefragt, und hab doch eure Mutter unterm Herzen getragen.«

Ambros zuckte die Achseln, und Lisei blickte verlegen zur Seite. Sie mochte der Greisin, die sie auf dem Hügel ihrer Mutter angetroffen, nicht sagen, daß die eigene Tochter in der Vergällung ihres Gemüts nur mit Bitterkeit ihrer Eltern gedacht und besonders die Mutter als an ihrer unglücklichen Ehe schuldig verklagt hatte.

Frau Strasser wartete auf keine Erklärung, sondern fuhr fort: »Ihr braucht mir nix zu sagen, ich kenn ja euern Vater, ja, den kenn ich! O ja! O ja! Nit einmal den Tod Kathis hat uns der Klosterbauer vermelden lassen, und wir haben es lang nit gewußt, mein Mann und ich, daß sie gestorben war. Und sie ist unser einzigs Kind gewesen. Mein Mann hat aus dem Leben gehn müssen, ohne seine Enkelkinder mit seinen leiblichen Augen geschaut zu haben. Jetzt schlagt mein letztes Stündlein wohl auch; da hab ich noch ein letztesmal an dem Grab meiner armen Kathi beten wolln.« Sie wischte sich mit dem Rücken ihrer knöchernen Hand eine Träne aus dem Auge und fuhr, ohne die Zeichen der Ungeduld, die Ambros gab, zu beachten, fort: »Und du hast deine Mutter nit vergessen, Ambros? Willst ihr eine Kerzen aufs Grab stecken? Ach, mein Heiland, wie du ihr doch gar so ähnlich bist!«

»Ist schon recht, Ahne!« rief er ungeduldig.

»Bist kurz angebunden? Ja, das war meine selige Kath auch«, versetzte die Großmutter mit einem zärtlichen Blick.

Unterdessen war Lisei, dem Zuge ihres guten Herzens folgend, zu Stasi getreten die sich verlegen hinter Ambros versteckt hielt, und hatte ihr die Hand geboten. Sie konnte doch Stasi für die Unvorsichtigkeit ihres Bruders, sich öffentlich mit ihr zu zeigen, nicht verantwortlich machen! Und zudem wollte sie den Leuten, die sich neugierig in der Nähe des Grabes sammelten, dadurch, daß sie Stasi unbeachtet ließe, nicht noch mehr Stoff zum Gerede geben, als sie so schon hatten. »Ja, wer ist denn die Gitsche da, mit der du gekommen bist?« fragte Frau Strasser nun ihren Enkel, und Lisei nannte ihren Namen, indem sie Stasi näher heranzog.

»Die Stasi Larseit?« wiederholte die Ahne, wobei sie die verlegen Errötende mit großen Augen ansah. »Dem Kaspar Larseit seine Tochter?«

»Freilich!« rief Ambros. »Was ist denn da Verwunderliches bei? Und damit du's gleich weißt, Ahne, die Stasi Larseit ist meine Braut.« Damit faßte er das Mädchen bei der Hand.

Die Greisin schlug die dürren Hände zusammen, wobei ihr der Krückstock entfiel, und starrte abwechselnd ihren Enkel und Stasi an. »Seine Braut!« murmelte sie. »Dem Kaspar seine Tochter und dem Klosterbauer sein Sohn sind Brautleut! O du mein Heiland, wie soll ich denn das verstehn?«

»Was ist denn dabei weiter zu verstehn?« fragte Ambros ungeduldig, und Lisei bat die Ahne, indem sie ihr den aufgehobenen Krückstock reichte, daß sie sich um der Leute willen beruhigen möge.

»Ja, kommt fort!« sagte Ambros. »Die Maulaffen brauchen nit zu hörn, was wir miteinander zu reden haben.«

Er ging mit Stasi voran, und die Großmutter folgte, auf den Arm ihrer Enkelin gestützt, unter fortgesetztem Kopfschütteln. Sie konnte es nicht fassen, daß die Kinder der beiden Männer, die sich um ihrer Tochter willen so bitter gehaßt, in Liebe zueinander gefunden hätten, und sie gönnte dem Klosterbauern einen solchen Ausgang keineswegs. Wenn es einen Menschen gab, dem sie alles Üble gönnte und wünschte, so war es der Klosterbauer. All die langen Jahre hindurch, seit ihre Tochter der Rasen deckte, hatte sie in sich den Gedanken genährt, daß dem Klosterbauern das Böse, das er ihrer Kath angetan, eines Tages vergolten würde. Sie hatte bis jetzt in der Hoffnung gelebt, daß sie nicht eher sterben würde, als bis ihn die Vergeltung ereilt hätte. Und nun hatte sie seinen Sohn und Kaspars Tochter als Brautleute an Kathis Grab gefunden! – Ihr Leib war morsch geworden; aber die siebzig und einige Jahre hatten die Glut ihres südlichen Blutes nicht gekühlt. Nur einmal sagte sie: »Und der Kaspar Larseit ist auch tot! Es ist dazumalen viel davon gered't worden, als er verunglückte.«

Lisei bemerkte, daß Stasi kürzlich auch ihre Mutter verloren habe. »Ja, ja!« meinte die Ahne. »Wann einer alt wird, hat er nix wie Gräber um sich herum.«

Ambros führte die Frauen zu dem Bäcker, dessen Haus am Kirchplatz stand und mit dem Rücken an den Bach grenzte. Der Bäcker besaß Schankgerechtigkeit; jedoch verkehrten bei ihm fast ausschließlich Knechte, Holzfäller und Gesellen. Ambros wählte diese Trinkstube, weil dort um diese Tageszeit kaum Gäste – zumindest niemand von seiner Bekanntschaft – zu vermuten waren. Er fand sich darin auch nicht getäuscht: die Stube war leer. Er ließ roten Wein und Brot bringen. Die Großmutter wandte, während sie sich das weiße Brot schmecken ließ, kein Auge von ihrem Enkel und Stasi, die ihr gegenübersaßen. Sie nickte dem Mädchen freundlich zu und sagte: »Das begreift sich schon, daß der Ambros dich liebhat. Ach, wann meine Kathi und der Kaspar noch lebten, die würden an eurer Brautschaft wohl ihre Freud haben!«

»Die solln ihre Freud dran haben! Wieso verwundert's dich so sehr, daß wir Brautleut sind?« rief Ambros. »Jetzt sag's, Ahne!«

»Wie der ungeduldig ist!« sagte diese, sich zu Lisei wendend. »Laßt eine alte Frau nit mal in Frieden das gute Brot essen! So gut wird's mir nit alle Tag geboten. Kann freilich auch nix mehr schaffen als stricken«

Ambros stürzte hastig sein Glas Wein hinunter. Er faßte die Äußerung der Großmutter als einen Vorwurf gegen seinen Vater auf und schämte sich dessen vor Stasi, die die alte Frau mit mitleidigen Blicken betrachtete. Lisei seufzte.

»Und du bist dem Klosterbauer als Söhnerin recht?« fragte die Greisin jetzt Stasi.

Diese sah verwirrt zu Boden. Ambros aber rief: »Was fragst noch, o sie mir als Frau recht ist?«

Der eingefallene Mund der Alten verzog sich zu einem Grinsen, und ihre schwarzen Augen blitzten schadenfroh. »Ich hab's gewußt!« rief sie triumphierend. »Jetzt zahlt's unser Herrgott dem Klostersepp heim, was er an meinem Kind gesündigt hat! Durch sein eignes Kind und Herzblatt zahlt er's ihm heim!« Sie atmete tief auf und lachte höhnisch.

»Ahne, wie kannst nur so reden?« rief Lisei erschrocken.

»Geh doch!« zischte die Alte, wobei sie mit der Schulter eine Bewegung gegen die neben ihr sitzende Lisei machte, als wolle sie sie fortdrängen. »Du hältst's mit dem Klosterbauer! Das hab ich schon auf dem Kirchhof aus deinem Reden gemerkt. Aber der da« – sie zeigte mit dem hageren, schwärzlichen Finger auf Ambros – »der wird seine Mutter an ihm rächen! All das gebrannte Herzeleid, was der hochmütige Klosterbauer meiner Kathi und mir angetan hat – der wird's ihm vergelten! Der reiche Mann hat gemeint, er könnt dem Armen sein Lamm wegnehmen. Jetzt mag er zusehn, wie er vor dem Kaspar Larseit seiner Tochter besteht! Ich hab gebetet, daß ich diesen Tag noch erleben möcht, und jetzt ist er da! Ach! Ach! Ach!«

Ihre Augen glühten, und Stasi fürchtete sich vor ihr wie vor einer Wahnsinnigen. Lisei saß in banger Erwartung da. Ambros aber rief mit finsterem Gesicht: »Aus dem Gered da werd der Teixel klug! Jetzt, Ahne, will ich wissen, was das alles zu bedeuten hat! Heraus damit! Was hatte mein Vater mit dem Kaspar Larseit zu schaffen?«

»Was sie miteinander zu schaffen hatten?« fragte die Großmutter dagegen, und ihr Blick flimmerte heiß auf Ambros und Stasi. Dann legte sie ihre beiden mageren Hände mit gespreizten Fingern auf den Tisch und sagte, indem sie sich gegen Ambros vorbeugte: »Dein Vater hat dem Kaspar die Braut abwendig gemacht, und das war deine Mutter!«

Lisei stieß einen zitternden Seufzer aus, während ihr Bruder feuerrot wurde. Stasis Augen hingen weit geöffnet an den welken Lippen der greisen Frau, die mit aufgeregter Hast fortfuhr: »Nit geruht hat er, bis er uns das Herz vergiftet gehabt hat mit seinem verfluchten Reichtum! Geliebt hat er sie nimmer, aber sie war die Schönste im ganzen Tal, und weil sie ihn nit mocht, hat er zeigen wolln, daß er für sein Geld alles haben kann. Jetzt weißt, weshalb er sich keine liebere Söhnerin wünschen kann als dem Kaspar seine Tochter! Die Kathi war dem Kaspar so zugetan, und erwar auch ein so guter Mensch! Wie glücklich würden sie miteinander geworden sein! – Ach du mein Heiland …!« fuhr sie bewegter fort. »Wann wir das Unglück hätten voraussehn können – die Zung würden wir uns eher abgebissen haben, mein seliger Mann und ich, als daß wir ihr zugered't hätten, den Klosterbauer zu nehmen! Aber wir warn gar so arm, und was hat er uns nit für goldene Berg versprochen! Da hat sie denn zuletzt ja gesagt um unsertwilln.«

Große Tränen begannen ihr über die runzligen Wangen zu rollen. Auch Lisei und Stasi weinten. Ambros starrte finster vor sich hin; ihn beschäftigte nur ein Gedanke, und er hörte kaum hin, als die Ahne nach einer Weile wieder das Wort nahm.

»Und wie hat's ihr der Klosterbauer gelohnt!« begann sie mit einem Zittern der Stimme, in dem sich das Neuerwachen ihres Zornes verriet. »Da, die Lisei weiß's noch besser wie ich, wie der rohe Mensch sie mißhandelt hat! Die Lisei hat's ja mit ansehn müssen, Tag für Tag, wie schlecht er oft gegen sie gewesen ist und was sie hat aushalten müssen! Und das soll ihm alles so hingehen? Er soll mein Kind und den Kaspar unglücklich gemacht haben, bloß um seinen Willn zu haben? Da könnt einer ja den Respekt vorm lieben Gott verliern! Aber nein, jetzt zahlt's ihm sein eigner Sohn heim, und ich kann's mir vorstelln, wie's seinem Hochmut ins Herz stößt, daß er dem Kaspar seine Tochter als Söhnerin auf dem Klosterhof wird leiden müssen!«

Sie lachte schrill auf. Lisei aber, deren Wangen sich vor Erregung gerötet hatten, rief, wodurch sie Ambros, der bei den letzten Worten der Großmutter fragend aufgeblickt hatte, zuvorkam: »Ach, Ahne, wie kannst du das verantworten, daß du den Ambros noch mehr gegen seinen eignen Vater aufwiegelst? Recht hast, daß der Vater gegen dem Ambros seine Heirat ist, und ich versteh jetzt auch, warum. Aber wann der Ambros sein Stück gegen den Vater durchsetzen könnt und dein rachsüchtiger Wunsch geht in Erfüllung, Ahne – wer hat nachher drunter zu leiden als wir alle und die Stasi am meisten?« Sie reichte dieser über den Tisch hin die Hand und sagte herzlich: »Leg's mir nit übel aus, daß ich so red. Ich bin dir nit gram, ach, ganz gewiß nit! Aber ich muß reden, wie ich's für recht halt und wie mir ums Herz ist. Ja, Stasi, mir sollt als Schwester keine lieber sein als du. Aber das wirst einsehn, daß du nit glücklich sein kannst, wann dir der Vater so zuwider gesinnt ist«

Stasi zog leise ihre Hand zurück, begrub ihr Gesicht in der Schürze und schluchzte.

»Ist das ein Weibergetratsch!« brauste Ambros auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß die Großmutter zusammenschreckte und vergaß, was sie hatte sagen wollen.

Gleich darauf rief sie: »Ja, die Lisei hat kein Herz. Wann's nach ihr ging, kämen der Ambros und die Stasi ebensowenig zusammen wie ihre Mutter und der Kaspar, und sie würden unglücklich, bloß damit dem Klosterbauer sein Wille geschieht!«

Lisei antwortete nicht hierauf. Sie ging zu Stasi und versuchte sie zu beruhigen.

Ambros aber rief: »Mag die Lisei wolln, was sie will – ich weiß, was ich will!«

»Freilich! Ich hab's dir auch gleich angesehn, daß du dir nit die Butter vom Brot nehmen laßt«, entgegnete die Alte und streichelte mit ihren hageren Fingern seine auf dem Tisch liegende Faust, die er jedoch zurückzog.

»Ach, Stasi!« wandte sich Lisei unterdessen an das schluchzende Mädchen. »Dazumalen, wie wir aus St. Lorenzen zurückgekommen sind, hast mir erzählt, daß du deinen Vater gar so liebgehabt hast. Es kann dich daher nit kränken, daß ich den meinigen auch liebhab.«

Stasi hatte die Schürze vom Gesicht genommen und erwiderte leise, ohne Lisei anzusehen: »Ach nein, kränken tut's mich nit.«

Lisei legte den Arm um ihre Schulter und küßte sie auf die Wange, während Ambros nachdrücklich sagte: »Jetzt laß das Weinen, Stasi! Der Vater wird sich geben, so wahr ich hier sitz.«

»Ja, du wirst deinen Willen schon durchsetzen«, nickte die Ahne und wischte sich mit dem Rücken der rechten Hand den Mund. Darauf trank sie.

Stasi blickte scheu zu Lisei auf, und diese meinte mit dem Versuch eines Lächelns: »Er ist ja dem Vater sein Liebling.«

Stasi sah wieder vor sich nieder. Sie weinte nicht mehr, aber sie war ganz blaß. Lisei streichelte ihr leise das Haar und kehrte dann auf ihren Platz zurück.

Eine Weile hörte man nur das Brausen des Vigilbaches, auf den die Fenster der Schenkstube hinausblickten. Ambros brach das allgemeine Schweigen zuerst, indem er die Großmutter fragte, ob sie zu Fuß von Pleiken heruntergekommen sei.

»Ja, wann ich noch so rüstig wär!« antwortete sie. »Als ich noch eine junge Gitsche war und wir kamen aus dem Venetianischen herauf zu den Erntearbeiten im Pustertal, ja, da hab ich nimmer gewußt, was Müdigkeit ist. Wann die andern kein Glied mehr rührn konnten nach dem Ährenschneiden – den lieben, langen Tag über, in den Tälern oder auf den Bergen – und in die Stadeln krochen, sobald sie den letzten Löffel Polenta Polenta – italienisches Nationalgericht; ein dicker Brei aus Maismehl und Salz, der nach dem Erkalten gewöhnlich in fingerdicke Schnitten zerteilt und meist mit einem Zusatz von Käse gebacken wird. verschluckt hatten, dann haben wir, unser drei oder vier lustige Dirnen, die wir immer zusammenhielten, noch bis in die halbe Nacht hinein gesungen und gesprungen. Ach ja! Ach ja!«

Ein Bauer aus Pleiken, der Leinwand nach St. Vigil gebracht, um sie blau färben zu lassen, hatte die Alte mitgenommen und sein Fuhrwerk dann im »Stern« untergestellt. Ambros erbot sich, dem Mann zu sagen, daß er die Ahne auf der Heimfahrt vom Bäcker abholen solle, und verließ die Stube.

»Gelt, Stasi, das ist ein Bub!« nickte die Ahne hinter ihm her. Das Mädchen wurde rot.

»Der wird sich durch den Klosterbauer nit unglücklich machen lassen, wie es meine Kathi geworden ist. Laß den Kopf nit hängen, Kind! Den Ambros kriegt der Klosterbauer nit unter. Ja, es gibt keinen in der Welt, der nit zuletzt seinen Meister findet!«

Stasi schüttelte mit einem traurigen Blick auf sie leise den Kopf. »Ahne«, fragte Lisei, indem sie sich mit einem Seufzer ihrem Nachdenken entriß, »kannst denn deinen Haß auf den Vater nit fahrn lassen? Jetzt erst weiß ich's, wie unglücklich meine Mutter gewesen ist. Ich hab's mir ja nimmer so vorstelln können, denn der Name von dem Kaspar Larseit ist nimmer über ihre Lippen gekommen. Aber tragt denn der Vater allein die Schuld an ihrem Unglück? Hast du nit mitgeholfen dazu? Du hast's ja vorhin selbst erzählt! Ach, Ahne, wie wär doch alles so ganz anders gekommen, wann du meine arme Mutter nit zur Untreu gegen den Kaspar Larseit bered't hättst! Und glaubst du denn, daß der Vater glücklich gewesen ist? Wann beide nit frei von Schuld gegeneinander warn – ach, mein Gott, mein Gott, ich gäb ja mein Herzblut dafür, daß ich sie davon reinigen könnt! – dann haben sie's beide schwer gebüßt durch die langen Jahr ihres unfriedlichen, unglücklichen Lebens. Und jetzt, Ahne, kannst du deinen Haß nit begraben, sondern säst neuen Haß und neuen Unfrieden aus und bist doch selber nit rein von Schuld! Laß ihn fahrn, den Haß, ich bitt dich, Ahne!«

Sie streckte der Großmutter, die ganz in sich zusammengesunken war und in einem fort stöhnte, ihre Hand hin.

»Ich kann nit, ich kann nit!« ächzte sie. »Ach, wie kannst so grausam reden, daß ich schuld bin an dem Unglück meiner Kathi! Den blauen Himmel hätt ich ihr unter die Füß breiten mögen!«

»Ja, Ahne«, entgegnete Lisei, »du hast sie glücklich machen wolln, aber es ist zu ihrem Unglück ausgeschlagen. Als die Mutter schon dem Tod nah gewesen ist, da hat sie noch zu mir gesagt: ›Lisei, laß dein Herz nimmer vom Reichtum verlocken!‹«

Da schrie die alte Frau auf und umschlang den Hals ihrer Enkelin und küßte sie unter gewaltsam hervorstürzenden Tränen. »Ich will ihn nit mehr hassen!« schluchzte sie. »Aber, oh, das ist gar so schwer!«

Stasi stand sacht auf und stellte sich ans Fenster. Die Rechte auf das Herz gepreßt, blickte sie mit trüben Augen auf die nahe vorbeistrudelnden Wellen, und allmählich neigte sich ihre Stirn gegen die kleinen, kalten Scheiben. Sie hörte weder das Rauschen des Baches noch die Worte Liseis und ihrer Großmutter, die sich über die verstorbene Klosterbäuerin unterhielten. Erst Ambros' Stimme weckte sie wieder aus ihrem Sinnen und Träumen. Aber seltsam, die Stimme hatte etwas Hartes, das ihr fremd war! Selbst bei starker Erregung hatte sie nicht diesen trockenen, scharfen Ton. Stasi rückte an ihrem Hut und drehte sich um.

Ambros hatte der Ahne mitgeteilt, daß der Mann aus Pleiken reisefertig sei und mit seinem Wagen vor der Tür stehe. Dann nahm er ein paar zerknitterte Bankozettel aus der Tasche und reichte sie der Großmutter mit den Worten: »Ich werd mit dem Vater reden, daß du nit mehr zu darben brauchst. Nimm das einstweilen und kauf dir gutes weißes Brot dafür.«

Die Alte stieß seine Hand zurück und rief leidenschaftlich: »Ich will von deinem Vater kein Geld nit! Ich nehm nix; ich brauch nix!« Auf einen vorwurfsvollen Blick Liseis hin setzte sie hinzu: »Ich kann das nit; es würd mir auf der Seel brennen. Meinen Haß will ich ja gern begraben; aber sein Geld nehm ich nit!«

Ambros machte weiter keinen Versuch, ihr das Geld aufzudrängen. Er rief den Bäcker und bezahlte die Zeche. Die Ahne bat Lisei unterdessen, recht bald nach Pleiken zu kommen. Auch Stasi und Ambros bat sie darum und küßte dann alle drei.

»Kommt ja bald!« wiederholte sie vor der Tür. »Denn jetzt hab ich auf der Welt nix mehr zu tun, als auf den Tod zu warten. – Und für dich will ich den lieben Gott bitten«, wandte sie sich an Stasi und küßte sie noch einmal, »daß du glücklich wirst mit dem Ambros. Du hast ein liebes Gesicht«

Stasi lächelte wehmütig.

Ambros half der Ahne auf das einspännige Wägelchen. »Wir kriegen Schnee«, meinte der Bauer und trieb den schwerfälligen Gaul an.

Lisei, Ambros und Stasi gingen den Anger am Spitzhörndlbach entlang. Alle drei blieben stumm, und als sie die gekrümmte Landstraße erreichten, trennten sie sich – Stasi und Lisei, indem sie sich die Hand reichten und dabei einander in die Augen sahen. Plötzlich warf sich Stasi an Liseis Brust, und dann lief sie Ambros nach, der schon den Pfad aufwärts zu ihrer Hofstätte eingeschlagen hatte. Der Pfad war zu schmal, um beiden nebeneinander Platz zu lassen, und so ging Stasi mit gesenkter Stirn hinter Ambros her, der fortwährend an seinem Schnurrbart fingerte. Eine Krähenschar zog krächzend über ihnen hin. Ambros blieb stehen, drehte sich um und sagte: »Herr Gott, Stasi, wer hätt das gedacht!« Er nahm den Hut ab, strich sich durch das Haar, wandte sich, den Hut wieder aufsetzend, nach vorn und ging weiter, ohne sich näher zu erklären. Stasi fragte auch nicht.

Als sie den breiteren Weg erreicht hatten, der sich hinter der bereits entlaubten Hecke hinzog, blieb Ambros, auf Stasi wartend, wieder stehen und sagte: »Jetzt haben wir das Grab von deinem Vater ganz vergessen.«

»Ich hab's nit vergessen; aber es ist besser so«, gab Stasi leise zur Antwort.

Er faßte sie leicht an der Hand, und sie gingen weiter. Nach einer Weile fragte er, indem er sich von dem Gedanken, der ihn beschäftigte, gewaltsam losriß, warum sie so still sei.

»Oh, wir haben ja so viel gehört, Brosi«, versetzte sie.

»Ja, aber ich will nit dran denken. Himmel, Sakrament, ich will nit!« rief er und stampfte dazu mit dem Fuß.

»Ach, was nützt denn das?« fragte sie und blickte ihn scheu von der Seite an. »Ich bitt dich, sei nit so wild! Ich muß an alles denken, was deine Ahne erzählt hat, an alles, alles – und daß die Lisei recht hat«

»Ich hab auf der Lisei ihr Reden nit groß achtgegeben«, versetzte er. »Womit hat sie recht?«

Stasi antwortete nicht sogleich. »Ich hab's mir nit vorgestellt, daß dein Vater mir so zuwider gesinnt ist«, sagte sie endlich ganz leise.

»Ach was!« Er machte eine geringschätzige Handbewegung.

Stasi bemerkte sie nicht; denn sie hatte den Kopf abgewendet und sah über die kahle Hecke auf den Kirchhof hinunter, wo noch hier und da die Lichtlein auf den Gräbern flimmerten. Große, eisigweiße Wolken mit grauen Rändern zogen von Westen her das Tal herauf.

»Es kann ja auch nit anders sein; jetzt versteh ich's«, sagte Stasi so leise wie vorher und pflückte mechanisch ein vereinsamtes, noch grün gebliebenes Blättchen von der Hecke. »Es wird auch nimmer anders werden nach dem, was zwischen deinem und meinem Vater geschehn ist Er wird mich nimmer als Söhnerin annehmen.«

»Darauf willst hinaus?« rief Ambros mit einem rauhen Lachen. »Deshalb laß dir kein graues Haar nit wachsen. Ich sag dir, er wird!«

»Nit im Guten!« erwiderte sie und hob die Augen, die voll Tränen standen, zu ihm auf. »Ach, Brosi, es ist ja schon so viel Hader und Feindschaft auf dem Klosterhof gewesen, und jetzt soll ich dich gar mit deinem Vater verfeinden? Das kann ich nit!«

Die Wimpern vermochten ihre Tränen nicht mehr aufzuhalten, und sie tropften langsam ihre Wangen hinunter.

»Was meinst denn, was geschehn soll?« fragte Ambros, der bei ihren Worten stehengeblieben war, mit dumpfer Stimme.

»Es ruht kein Segen auf unsrer Lieb«, antwortete Stasi mit zitternden Lippen. »Ich bitt dich, Brosi, laß ab von mir! Denk nit mehr an mich!«

»Was braucht's einen andern Segen, als daß wir zwei uns liebhaben?« Seine Brauen zogen sich zusammen. »Auf alles übrige pfeif ich!«

Sie legte ihre Hände beschwörend gegen seine Brust. »Wann du deinen Vater auch zu deinem Willen zwingst – mir wird er nimmer das Unrecht vergeben, das er meinem Vater angetan hat. Er wird immer dran denken, sooft er mich sieht, und du wirst's nit dulden wolln. Ich bitt dich, Ambros, wie können wir das ertragen? Laß uns in Freundschaft voneinander scheiden! Es war unrecht, daß ich dir damals nachgegeben hab.«

»Voneinander scheiden – in Freundschaft?« brach nun das Gewitter aus ihm hervor. Wenn es ihr so leicht fiele, ihn aufzugeben, ihn, der um ihretwillen der ganzen Welt die Stirn zu bieten bereit wäre, dann wolle er nur gleich gehen. Er sehe ja daraus, daß sie ihn nicht liebhabe, ihn nie geliebt habe. An ihrer Freundschaft sei ihm nichts gelegen.

»Allmächtiger Gott, wie kannst mir so grausam aufs Herz schlagen?« klagte sie, die Hände ringend. Nur an ihn allein denke sie ja, fuhr sie verzweifelt fort. Ihn nicht lieben? Sähe er denn nicht ein, daß sie ihn nur freilassen wolle, damit er nicht unglücklich würde? Was läge ihr an dem eigenen Glück und Leben? Um sein Glück wolle sie mit Freuden sterben; aber sein Zweifeln an ihrer Liebe sei bitterer als der Tod.

Sie wollte ihm entsagen, ihn von sich weisen, und umklammerte nun seinen Hals, um durch seine Augen auf den Grund seiner Seele zu dringen. Ihr tränenverschleierter Blick war so angst- und verzweiflungsvoll, daß sein ungerechter Zorn entwaffnet wurde. Leidenschaftlich drückte er sie an sich.

Lisei war unterdessen zu Hause angekommen. Der Klosterbauer brummte über ihr langes Ausbleiben. Schon seit einer halben Stunde habe er auf seine Jause gewartet. Das war ihr Lohn dafür, daß sie eben erst so warm und erfolgreich für ihn gegen die Großmutter eingetreten war! Aber sie hatte es nicht um des Dankes willen getan, und sie dachte auch nicht daran, wenngleich ihr seine Schelte heute noch weher tat als sonst. Sie beeilte sich, ihm Brot und geräucherten Schinken aufzutragen, und stellte die Flasche mit Kirschgeist dazu. Darauf setzte sie sich ans Fenster und sah den Weg hinunter, auf dem ihr Bruder nach Hause kommen mußte.

Das Herz war ihr schwer. Sie hätte um des Vaters willen gewünscht, daß Ambros und Stasi nicht mit der Ahne zusammengetroffen wären. Ja, in ihr selbst entwickelte sich aus dem Schmerz, den ihr die Mitteilungen der Großmutter verursacht hatten, ein tiefes Mitleid mit dem Vater. War er doch für seinen Eigensinn, ihre Mutter durchaus besitzen zu wollen, so hart bestraft worden! Und sie glaubte nun selbst zu verstehen, weshalb er ihre eigene schüchterne Liebe stets zurückgewiesen hatte. Seine unglückliche Ehe hatte ihm den Glauben an die Liebe überhaupt genommen. Denn aus welchen Gründen er ihre Mutter auch geheiratet – er hatte doch wohl im stillen gehofft, daß ihm mit ihrem Besitz auch ihre Neigung zufallen würde. Lisei vermochte es sich nicht anders vorzustellen. Und wer war nach ihrer Denkungsart bemitleidenswerter als ein Mensch, der den Glauben an die Liebe verloren hatte? Doch nein, noch hatte er sie nicht völlig verloren! Sein Herz hing ja noch an Ambros! Aber nun hatten die Enthüllungen der Ahne wohl gar die Achtung ihres Bruders vor dem Vater unterwühlt!

Der Klosterbauer stieß bei seiner Jause dann und wann einen knurrenden Laut aus. Ein Zeichen von Wohlbehagen war das nicht. Der Allerseelentag hatte seine Galle aufgeregt. Das Grab seiner Frau hatte er an diesem Tage nie besucht, und ohne den Zwiespalt mit Ambros hätte er den Tag auch heuer wie immer unbeachtet vorübergehen lassen. Diesmal aber hatte der Tag seine Erinnerungen an seine Frau und Kaspar Larseit neu belebt. Während Lisei das Grab ihrer Mutter geschmückt, hatte er der Zeit seiner Brautwerbung gedacht, als ob nur Wochen und nicht viele, viele Jahre seitdem verflossen wären, und der alte Haß gegen Kaspar hatte sich mit frischen, scharfen Stacheln in sein Fleisch gebohrt. – Und die Tochter dieses Menschen wollte Ambros heiraten, während er die reichste Partie machen konnte!

»Was sitzt denn da wie ein Bildstockl« murrte der Alte nach einer Weile, warf das Messer geräuschvoll auf den Tisch und schlug mit der flachen Hand den Pfropfen in die Flasche. »Gibt's nix zu tun?«

»Ich hab nur warten wolln, bis du gegessen hättst«, gab Lisei sanft zur Antwort.

»Ich hab gegessen«, nörgelte er weiter.

Lisei blieb jedoch still. Sie trug die Überbleibsel der Jause fort und kam mit einem brennenden Licht zurück; denn es war, während der Klosterbauer vesperte, in der Stube allmählich dunkel geworden. Sie stellte die Branntweinflasche in den Eckschrank, säuberte den Tisch und ging dann auf die Vortreppe hinaus, um auf ihren Bruder zu warten. Die schlechte Laune des Vaters war wenig dazu geeignet, ihr das Herz leichter zu machen.

Ambros erschien bald darauf; er sprang aber nicht wie sonst elastisch die Vortreppe hinauf, sondern trat auf jeder Stufe fest auf.

»Ich bitt dich, Ambros!« flüsterte Lisei, ihn aufhaltend. »Sprich doch nur heut nit von deinen Angelegenheiten mit dem Vater.«

»Ob heut oder morgen – es ist alles eins!« entgegnete er rauh und ging in die Wohnstube. Lisei folgte ihm besorgt.

»Guten Abend, Vater!« In seiner Stimme war wieder jener harte Ton, der Stasi zuvor in der Schenkstube des Bäckers aufgefallen war.

Der Klosterbauer, der, seine Pfeife rauchend, im Lehnstuhl saß, erwiderte den Gruß unverständlich. Ambros setzte sich auf die Bank an der Tischkante und starrte ins Licht. Lisei hielt sich im Hintergrund.

»Schaust ja aus, als ob du auch Allerseelen gefeiert hättst!« äußerte der Klosterbauer, nachdem er einige Sekunden lang durch die Rauchwolken seiner Pfeife nach dem Sohn geschielt hatte.

»Ja, ich bin auf dem Kirchhof gewesen«, versetzte Ambros, ohne den Blick von dem Licht zu wenden.

»Scheinst ja seit einiger Zeit ein absonderliches Gefallen an dem Ort zu haben«, spöttelte der Vater.

Ambros richtete die Augen scharf auf ihn und sagte gedehnt: »Ich hab dort die Frau Strasser aus Pleiken, unsere Ahne, getroffen.« Der Klosterbauer zuckte kaum merklich zusammen, rauchte aber schweigend weiter. Ambros fuhr fort: »Ihr Mann ist tot, und sie muß sich gar kümmerlich behelfen. Du mußt was für sie tun, Vater.« Er warf den Hut neben sich auf den Tisch.

»Das sollt mir einfallen!« rief der Klosterbauer verächtlich. »Was geht sie mich an?« Er blies große Rauchwolken von sich.

»Sie ist doch die Mutter von deiner verstorbenen Frau!« entgegnete Ambros, und seine Augen, die fest auf den Vater gerichtet waren, hatten einen noch schärferen Ausdruck als seine Worte. »Es kann dir wenig Ehr vor den Leuten einbringen, daß du sie hungern laßt.«

Die Zornader auf der Stirn des Alten schwoll dick an. »Meine Ehr?« schnob er. »Ich will dir raten, mir nit an den Wagen zu fahrn! Schämen solltst dich, daß du dich von der alten Vettel gegen deinen eignen Vater hast aufhetzen lassen! Aber freilich – Bettelpack ist jetzt deine liebste Gesellschaft.«

»Vater!« schrie Ambros auf und erblaßte.

Der Vater jedoch fuhr in schneidendem Ton fort: »Meinst, ich kenn den Vogel nit, der aus dir pfeift? Wann du deinen Vater ehrn würdst, wie's deine Pflicht ist, dann hättst der alten Strasser das Schandmaul gestopft, statt auf das zu horchen, was ihr der Haß auf mich eingegeben hat. Gleich bist mit der Faust parat, wann dich einer nur schief anschaut. Aber wann dir einer fein um den Bart geht, da laßt du selbst deinen eignen Vater schimpfiern! Ich hab dich für einen klugen Menschen gehalten, aber du bist dumm, ganz dumm. Du merkst nit, daß sie durch dich ihren Vorteil suchen, sie und die andre, die doch wohl auch dabei gewesen ist.«

»Ich bitt dich, laß die Stasi aus dem Spiel!« rief Ambros mit wogender Brust.

Der Klosterbauer aber ging schonungslos weiter vor. Ambros solle endlich den Meister in ihm erkennen. Wenn er nicht völlig den Verstand verloren hätte, würde er erkennen, daß Stasi nur ihr Spiel mit ihm treibe. Auf sein Geld allein habe sie es abgesehen; Klosterbäuerin wolle sie werden, und dazu wäre ihr kein Mittel zu schlecht.

Ambros saß eine Sekunde regungslos und buchstäblich mit offenem Munde da – so unfaßlich war ihm die gegen Stasi erhobene Verdächtigung. Dann schnellte er von der Bank hoch und rief mit einer durch die Aufregung anfangs noch gequetschten Stimme: »Das ist alles erlogen! Das red't der Haß aus dir, den du auf ihren Vater hast! Jesus, hast denn nit schon Unrecht genug getan, Vater? Du zwingst mich dazu, daß ich davon reden muß. Erst hast meine Mutter dem Larseit abwendig gemacht – das war schlecht – nachher hast meine Mutter wie einen Wurm mit Füßen getreten – das war erst recht schlecht – und jetzt drängst dich mit Lügen zwischen mich und die Stasi, bloß weil du ihr nit rechtschaffen ins Gesicht sehn kannst – das ist das schlechteste von allem!«

Hier konnte sich Lisei nicht länger zurückhalten; entsetzt über die schonungslosen Worte des Bruders, eilte sie zu diesem hin, packte mit einem starken Griff seinen Arm und rief, ihn rüttelnd: »Um Gottes willen, wie kannst so zu deinem Vater sprechen?«

Der Klosterbauer war im Begriff gewesen, sich von seinem Stuhl zu erheben; die Vorwürfe des Sohnes aber hatten ihn zurückgeworfen. Wie eine Lawine, die ins Rutschen kommt, waren sie immer schneller und heftiger auf ihn niedergestürzt. Die Pfeife war ihm entfallen. Er war darauf gefaßt gewesen, daß ihn die Mutter seiner verstorbenen Frau bei Ambros verlästert hätte – auf ihre Enthüllung seines Verhältnisses zu Kaspar jedoch nicht. Und da er selbst erst kurz vorher an all jene Umstände gedacht hatte, so war ihm jetzt, als wäre plötzlich ein Gespenst vor ihm aus dem Boden aufgestiegen. Die Ähnlichkeit des Sohnes mit seiner verstorbenen Frau, namentlich die seiner zornsprühenden Augen mit den ihren, war ihm nie so zum Bewußtsein gekommen wie jetzt. Sie verursachte ihm fast ein Grauen, und er starrte Ambros mit weitgeöffneten Augen aus einem fall gewordenen Gesicht an.

Lisei eilte von dem Bruder zu ihm und legte ihm, was sie noch nie gewagt, den Arm um den Nacken. »Vater, liebster Vater, rechne ihm doch seinen Zorn nit an! Er ist ja dein Ambros, der dich liebhat!«

Der Klosterbauer achtete ihrer nicht. Sein Anblick aber brachte Ambros wieder zu sich. Mit offen ausgestreckter Hand auf den Vater zugehend, sagte er: »Nun ja, Vater, wir beide wohn uns nit verzürnen. Gib mir dein Jawort von wegen der Stasi, und was du meiner Mutter und dem Kaspar Larseit Übles getan hast, das soll alles vergeben und vergessen sein.«

Der Vater stieß die Hand zurück und schüttelte den Arm seiner Tochter von sich. Er sprang auf und rang schwer atmend nach Worten. Lisei kam ihm zuvor, und dem Bruder einen beschwörenden Blick zuwerfend, flehte sie mit leiser, zitternder Stimme: »Oh, liebster Vater, hör doch bloß ein Wort von mir: Red't doch jetzt nit weiter miteinander! Du weißt ja, was der Ambros für ein Hitzkopf ist. Und von wegen der Ahne, so hab ich ihr vorgestellt, was für ein Unrecht sie gegen dich hat, und sie hat's auch eingesehn.«

Ambros schwankte einen Augenblick und schickte sich dann an, die Stube zu verlassen. Der Klosterbauer aber herrschte ihn an, er solle dableiben. Und während er Lisei mit einer ungeduldigen Armbewegung von sich wies, rief er heiser: »Ich will ein End machen. Ich hab dir zu sehr den Willn gelassen; jetzt will ich doch sehn, ob's noch Zeit ist, dich zu meistern! Meine Einwilligung kriegst du nimmer, und ich sag dir: Du gehorchst, oder es geht übel aus!«

»Droh mir nit, Vater! Es nützt dir nix«, versetzte Ambros mit finsterer, entschlossener Miene und kreuzte die Arme über der Brust.

Der Blick des Klosterbauern war wie spitzes, weißglühendes Eisen auf ihn gerichtet. »Lisei!« rief er nach einer Weile dumpf, ohne jedoch die Augen von Ambros abzuwenden. »Du hast gehört, was ich ihm gesagt hab; du sollst mir's bezeugen! – Du willst also nit gehorchen?« fuhr er zu Ambros fort.

»Nit in dem Stück, Vater. Ich kann's nit!« entgegnete Ambros, die Arme über der Brust lösend. »Nein!«

»Gut!« keuchte der Klosterbauer. »Dann hör mein letztes Wort: Der Donner soll mich erschlagen, und verwünscht will ich sein hier und ewiglich, wann du auch nur einen Kreuzer von mir kriegst. Über meine Schwell kommt mir die Betteldirn nimmer. Jetzt heirat sie oder heirat sie nit – mir ist's gleich. Wir zwei beide sind fertig miteinander.«

»O Vater, Vater, sei doch nit so hart!« rang Lisei angst- und qualvoll die Hände und wandte sich darauf an den Bruder, er möge den Vater um Gottes willen bitten. Aber beide achteten nicht auf sie.

Ambros griff nach seinem Hut und fragte mit einer äußerlich eisigen Ruhe: »Ist das wirklich dein letztes Wort?«

»Ja, so wahr mir Gott helfe!« rief der Vater und schlug sich beteuernd mit beiden Fäusten auf die Brust.

Ambros ging zur Tür. Lisei flog ihm nach und versuchte ihn zurückzuhalten, indem sie mit beiden Händen seinen Arm ergriff. Er riß sich mit Gewalt los und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Seine Schwester schrie verzweifelt auf. Der Klosterbauer stand stumm und steif wie eine Säule.

Draußen knarrte die Stiege. Ambros ging auf seine Kammer und packte seine Sachen zusammen. Wie sie ihm in die Hand fielen, so warf er sie ungeordnet in eine Lade, die er dann verschloß.

Darauf verließ er den Klosterhof.

Keine Nacht mehr wollte er unter dem väterlichen Dach zubringen. Er lenkte seine Schritte nach St. Vigil. In der Schmiede wollte er nächtigen.


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