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7. Kapitel

Überall im Tale sanken unter den Sicheln die goldenen Halme. Ambros blickte aus den Fenstern seines Gefängnisses auf die fleißigen Schnitter und Binderinnen und nagte verdrossen an seiner Unterlippe. Es reute ihn jetzt, daß er dem Landrichter nicht sein Wort hatte geben wollen, sich nach Beendigung der Erntearbeiten freiwillig zur Verbüßung seiner Strafe wieder zu stellen. Zuweilen überkam ihn wohl der Gedanke, daß Herr Zengerl vielleicht auch jetzt noch bereit wäre, ihn unter jener Bedingung freizulassen, allein, er brachte es nicht über sieh, nun um das zu bitten, was ihm vorher entgegenkommend angeboten worden war. Es war für den kräftigen, gesunden Burschen – seine Armwunde heilte schnell – keine geringe Pein, zur Untätigkeit und Einsamkeit gezwungen zu sein, während draußen an den sonnigen Abhängen überall die Menschen emsig schafften. Zwar handelte es sich um die Arbeit, bei der der Schweiß am reichlichsten von den Stirnen tropfte; aber es war auch die munterste, denn sie brachte den Lohn für alle Mühen und Sorgen eines ganzen Jahres. Ambros glaubte die Stimmen der Leute und die Scherzreden, die zwischen Schnittern und Binderinnen hin und her flogen, zu hören, und von Unmut und Ungeduld verzehrt, rüttelte er an seinem Gitter, um sich seiner inneren Qual zu entledigen.

Durch das westliche Fenster konnte er den Klosterhof sehen. Dort stand er die Tage über und verfolgte die fortschreitende Arbeit. Er vergegenwärtigte sich, wie es sonst gewesen, da er an ihr und den lustigen Mahlzeiten teilgenommen, nachdem das Ave-Maria den Feierabend verkündet hatte. Und dann sah er eines Tages das Gespann die letzten Garben auf den Hof fahren, und während dort das Fest des Sichelhängens fröhlich begangen wurde, wälzte er sich in der Dunkelheit unruhig auf seinem Strohsack hin und her. Unter ihm spielte die Frau Landrichter auf dem Klavier. Wenn ihn aber sonst die Töne beschwichtigt hatten, so verfehlten sie an diesem Abend ihre Wirkung auf ihn, und selbst Stasis Bild tauchte nicht wie sonst aus den melodischen Wogen auf.

Die Felder waren leer, und von den hohen Stoppeln wehte den Gefangenen die Langeweile von Tag zu Tag empfindlicher an. Er schlief viel; aber da er nicht immer schlafen konnte, blieben viele leere Stunden auszufüllen.

Der Klosterbauer ließ sich nicht sehen. Er blieb dabei, daß seinem Sohne Unrecht geschehen sei, und er wollte dem Richter, dem er deshalb grollte, kein gutes Wort geben, um Ambros besuchen zu dürfen. Ja, er redete sich mit Vefas Nachhilfe in die Überzeugung hinein, daß dieses Unrecht auch eine Folge der Neuerungen sei, die der Bayer ins Land gebracht habe. Wolf Lechner begann diese Anschauung zu spüren, wenn er auf den Klosterhof kam.

Lisei besuchte den Bruder an den Sonntagnachmittagen, der einzig freien Zeit, über die sie verfügte. Ihre Besuche bildeten für den Gefangenen eine Oase in der Wüste seiner Langenweile. Und die Stunde, die sie bei ihm zubringen durfte, verging ihm bei ihren Mitteilungen von dem, was sich die Woche über etwa auf dem Klosterhof oder im Tal zugetragen hatte, rasch genug. Von ihr erfuhr er auch, daß Hannes sein Amt in St. Martin angetreten hatte. Er nahm es mit einem Achselzucken auf.

»Der ist jetzt auch unser Bruder gewesen«, äußerte er darauf mit einem Anflug von Bitterkeit »Wann einer den schwarzen Rock anzieht, hört er auf, ein Bruder zu sein.«

Lisei begriff, worauf er hinzielte, und wandte ein, daß er dem Bruder unrecht tue. Sie wollte mehr sagen und versuchen, ob ihrer herzlicheren, weiblich sanften Vorstellung nicht gelänge, womit Hannes gescheitert war. Ambros aber unterbrach sie mit der Bemerkung, es müsse jeder seinen eigenen Acker pflügen. Stasi erwähnte er nicht, weder jetzt noch später, und Lisei stand bekümmert von ihrem Vorhaben ab.

Die Weigerung des Bruders, ihm in seiner Herzensangelegenheit behilflich zu sein, hatte Ambros' bisherige hochmütige Gleichgültigkeit gegen die Menschen in eine ebenso ungerechtfertigte Geringschätzung verwandelt. Sie sollten sehen, daß er niemandes bedürfe, um seinen Willen durchzusetzen, und darin bestärkte er sich in seinem einsamen Brüten. Um so ungeduldiger aber machte ihn die Haft, und seine Ungeduld verlangsamte wiederum von Tag zu Tag den Schneckengang der Zeit. Man konnte es an den Kerben ablesen, die er als Kalendarium täglich in die Tischkante schnitt, wie seine Ungeduld zunahm. Mit jeder Sonne, die hinter der Pfeilerspitze unterging, wurden die Schnitte tiefer und breiter.

Mit jeder Sonne aber wurde auch der Faden dünner, der Frau Larseit an das Leben knüpfte, und die Sorge und der Schmerz um die sterbende Mutter drängten in Stasis Brust alle anderen Gefühle und Gedanken zurück. Die Mutter nutzte jedes hellere Aufflackern der erlöschenden Lebenslampe, um ihr Kind zu ermahnen, daß es gut über sein Herz wache. Der Hinweis des jungen Kuraten auf die göttliche Vorsehung beruhigte sie trotz ihrer bigotten Frömmigkeit nicht; ihr praktischer Sinn mochte nicht dem Himmel überlassen, was sie selbst noch tun konnte. Auch ihr Bruder David erhielt manche Ermahnung und genaue Anweisung, wie er es nach ihrem Hinscheiden in der Wirtschaft halten solle.

Eines Tages schickte sie ihn zu dem Pfarrer von St. Vigil; denn sie fühlte, daß sie sich nicht länger gegen den Tod zu wehren vermochte, und Herr Moltenbecher sollte sie für die letzte Reise vorbereiten.

David weinte unterwegs wie ein Kind; er fühlte sich verlassener als damals, da er plötzlich aus dem Kloster in die Welt gestoßen worden war.

Unterdessen winkte die Sterbende ihre Tochter an ihr Lager, und mit fast erloschener Stimme hauchte sie: »Wein nit, ich bin bald erlöst. Aber du … aber du …« All ihre Kräfte sammelnd, fuhr sie fort:

»Du bist immer ein gutes Kind gewesen, ich kann's nit anders sagen. Aber die Welt ist so hart. Ach, womit hab ich's verdient, daß ich dich schon jetzt verlassen muß? – Wann dein Vater noch lebte, könnt ich ruhig sterben. Ach, daß er sich zu Tod hat stürzen müssen! Wie sie ihn damals heimbrachten, und er war tot …«

»O Mutter, denk doch jetzt nit daran!« schluchzte Stasi auf.

Frau Larseit war aus Erschöpfung verstummt. Nach einer Weile begann sie wieder: »Ich hab dir alles vorgestellt, was ich konnt. Versprich mir, daß du mit dem Ambros Falkner nix mehr zu schaffen haben willst!«

Stasi fiel erschrocken an dem Bett auf die Knie.

»Versprich's mir, damit's dir wohlgeh auf Erden!« mahnte die Kranke eindringlicher. »Laß ab von ihm, Stasi! Versprich das deiner sterbenden Mutter.«

»O Mutter, Mutter!« jammerte das Mädchen händeringend, das Gesicht von Tränen überströmt

»So soll ich denn in die Grube fahrn mit dieser Angst um dich auf dem Herzen?« stöhnte die Mutter. »Wie willst du leben ohne meinen Segen? Stasi, Stasi, Gott wird's rächen, daß du dein Herz den Bitten deiner sterbenden Mutter verschließt!«

Stasi krümmte sich in unsäglichem Weh. Durfte sie die Mutter mit der Angst, die sie in ihren abgezehrten Mienen, in ihren brechenden Augen las, dahinscheiden lassen? Die Pflichten des kindlichen Gehorsams der Schmerz um die Sterbende, der Nachdruck, den die schreckliche Majestät des Todes ihren Vorstellungen und Beschwörungen verlieh – all das stürmte auf Stasi ein, betäubte, überwältigte sie. Verzweifelt, völlig außer sich rief sie:

»Verwünsch mich nit, Mutter! Ich versprech's.«

Schwer fiel ihre Stirn auf die Kante der Bettstelle. Aus den Zügen der Sterbenden schwand die Angst, und ihre matten Augen blinkten auf. Mühsam legte sie die Rechte auf das Haupt ihres Kindes.

Das Geläut des Totenglöckleins trug seine Trauerbotschaft auch in das Gefängnis. Ambros ahnte jedoch nicht, daß ihn die Botschaft so nahe anginge.

»Da ist wer gestorben ...«, sprach er gleichgültig vor sich hin und stellte sich vor, daß jetzt überall, wo der Glockenton vernommen würde, die Leute die Hände falteten. Er selbst aber tat es nicht.

Erst abends, als der Schließer noch einmal nach seinem Gefangenen sah und ihm einen Krug mit frischem Wasser zum Nachttrunk in die Zelle stellte, erfuhr er, wer gestorben war.

»Aber das kann nit sein!« behauptete er gereizt, und als jener, der inzwischen wieder zu Atem gekommen war, die Nachricht redselig bestätigte, wandte er sich still ab und hörte nicht weiter auf ihn. Die plötzliche Einmischung des Todes in seine Herzensangelegenheit durchschauerte ihn unheimlich. Er hatte daran nie gedacht, daß Stasis Mutter sterben könnte, bevor er seinen Willen gegen sie durchgesetzt hätte. Dann erfaßte ihn ein Groll gegen den Tod, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte er mit der Faust zornig den Tisch eingeschlagen. Der Tod hatte ihm hinterrücks den Sieg entwendet, ihn betrogen! Die Frau hätte noch nicht sterben dürfen!

»Jetzt hat sie wahrhaftig gemeint, sie hätt mich untergekriegt«, murrte er. Erst als Frau Zengerl unter ihm auf ihrem Instrument zu spielen begann, löste sich seine ungebärdige Stimmung allmählich, und er dachte an die arme Stasi, die an der Leiche ihrer Mutter weinte. Und er konnte nicht fort und sie trösten! Noch dreimal mußte die Sonne mit ihren ersten Pfeilen den Wetterhahn auf dem Kirchturm von Pleiken über der Schlucht von Zwischenwasser treffen, ehe er frei wurde. So lange hätte der Tod doch wohl noch auf seine Beute warten können!

Am nächsten Morgen hatte er einen glücklichen Einfall. Er ließ durch den Schließer um Feder, Tinte und Papier bitten, da er einen wichtigen Brief zu schreiben habe. Sein Gesuch wurde anstandslos bewilligt. Er wollte an Stasi schreiben; nun, da ihre Mutter tot war, würde der Brief ja wohl an seine richtige Adresse gelangen. Mit Eifer ging er an die Arbeit, und sich mit beiden Armen breit auf den Tisch lehnend, begann er:

»Herzallerliebste Stasi!«

Da stand es mit großen, ungelenken Buchstaben auf dem groben Conzeptpapier. Zufrieden las er sich die beiden Worte laut vor. Aber nun weiter? Tief beugte er sich auf das Blatt, als sei er kurzsichtig, und endlich malte er langsam weiter:

»Da mir vermellt worden iß, das Deine Mutter tot ist …«

Hier folgte ein Klecks, der ihn ärgerlich die Feder wegwerfen ließ. Aber der Klecks durfte nicht bleiben, und so leckte er ihn, wie er als Schulbube getan, mit der Zunge auf. Darauf wühlte er eine gute Weile in seinem Haar, und dann stolperte die Epistel weiter:

»... und ich nit rauß kann was mich gans wilt macht so schreib ich Dir. Liebste Stasi ...«

»Himmel, Herrgott, ist das ein saures Stück Arbeit!« seufzte er, und als ihm der engbrüstige Zerberus das Mittagessen brachte, das ihm täglich von Lisei geschickt wurde, war er noch nicht über die »liebste Stasi« hinaus. Er kam auch nicht weiter. Zwar wußte er ganz genau, was er dem Mädchen sagen wollte – nämlich, daß er sie liebe und daß die Liebe sie über ihren schweren Verlust trösten würde – aber die geeigneten Worte für seine Gefühle wollten nicht kommen, obgleich er sich das Haar zerwühlte und die Feder zerkaute. Es war aber auch der erste Brief, an dem er sich in seinem Leben versuchte, ja es war anzunehmen, daß er weder Griffel noch Feder zur Hand genommen hatte, seit er der Gelehrsamkeit des Meisters Ruthler körperlich entwachsen war. Was hätte er auch zu schreiben gehabt?

Er gab die Korrespondenz auf, und nachdem sich der Schließer mit dem Rest des Essens – seiner Beute – entfernt hatte, zerriß er das Geschreibsel und streute die Fetzen zum Fenster hinaus. Die Kinder, die unten auf dem Anger spielten, haschten jauchzend nach den weißen Papierstückchen, die wie Schmetterlinge in der Luft flatterten.

Von Tinte und Feder machte Ambros aber noch Gebrauch. Er malte seinen Vor- und Zunamen mit großen Buchstaben auf die Tischplatte. Wenn der Klosterbauer um diese Verewigung gewußt hätte, so hätte er den Tisch auf seine Kosten abhobeln lassen. Denn war und blieb er auch davon überzeugt, daß seinem Sohne Unrecht geschehen, so ging es ihm doch gegen den Strich, daß man dem Erben des Klosterhofes nachsagen könnte, er habe im Gefängnis gesessen. Ambros dachte sich wohl nichts dabei, als er seinen Namen seinen etwaigen Nachfolgern überlieferte.

Das Nachdenken in der Einsamkeit hatte ihn nur noch in seiner Ansicht bestärkt, daß er seine Strafe nicht verdient habe. War er doch kein Dieb oder Mörder! Und diese Auffassung ließ ihn seine Haft nicht als einen Fleck auf seinem Namen betrachten – so empfindlich er auch sonst hinsichtlich dessen war, was er seine Ehre nannte.

Er trat denn auch, als endlich die Stunde seiner Freiheit schlug, mit dem alten, stolzen Gleichmut unter seine Freunde, die sich unter den Weiden auf dem Hofe des Gerichtshauses zu seinem Empfang versammelt hatten. Innerlich wünschte er sie an einen Ort, der nicht das Paradies war.

Wohl hatte er mit der Erinnerung an sie manchen langweiligen Augenblick seiner Gefangenschaft getötet, hatte sich unter sie auf die Kegelbahn und in den »Stern« versetzt, war mit seinen Gedanken sonnabends im Sängerkränzchen unter ihnen gewesen und hatte sie zu den Lustbarkeiten des großen Viehmarktes begleitet, der, wie gewöhnlich, unmittelbar nach der Kornernte in Bruneck stattgefunden. Allein, nicht die Sehnsucht nach ihnen trieb ihn so hastig die Treppen hinunter, nachdem ihm der Schließer mit wehmütigem Gesicht angekündigt, daß er frei sei. Kaum daß er sich die Zeit genommen, dem Manne zum Abschied die Hand zu reichen, der nun in der leeren Zelle droben auf dem Schemel saß und trübselig der Tatsache gedachte, daß es nun zu Ende wäre mit den guten Bissen vom Klosterhof, an denen Ambros ihm stets den Löwenanteil hatte zukommen lassen.

Die jungen Burschen begrüßten den Freigelassenen mit einem kräftigen Hurra. Sie wollten ihn mit sich in das Wirtshaus schleppen, um das frohe Ereignis beim Wein zu feiern. Da er sich aber entschieden hiergegen wehrte, schickten sie sich an, ihn nach dem Klosterhof zu begleiten. In das Lachen und Scherzen hinein warf plötzlich die Kirchenglocke ihr Trauergeläute.

»O weh!« rief Sebi. »Das ist ein schlimmer Angang!«

Jerg, der sich vor den anderen mit glückwünschendem Handschütteln an Ambros gedrängt hatte, raunte diesem mit einem lauernden Blick zu: »Sie begraben die alte Larseit.«

Alle schauten nach dem Zuge aus, von dem jedoch noch nichts zu sehen war. Schon aber vernahm man die Sänger durch das Geläute hindurch. Dann tauchte die hagere Gestalt des Schullehrers auf, der den aus Knaben und einigen Männern bestehenden Sängerchor leitete. Hinter den Sängern ragte ein mächtiges Kreuz auf und kam näher und näher. Der pausbäckige, flachshaarige Junge des Mesners, ausstaffiert mit einem nachschleppenden roten Rock und einem weißen Hemd darüber, trug es dem greisen Pfarrer voran. Die Burschen vor dem Gerichtshause nahmen ehrerbietig die Hüte ab. Auf den Schultern von vier kräftigen Männern, deren braune Knie sich zwischen Strümpfling und Hose vordrängten, schwankte der Sarg. Sie hatten neue, rotbunte Baumwolltücher um die Hüte gebunden, die mit künstlichen Blumensträußen geschmückt waren. Tuch und Strauß waren der Dank, den sie für den letzten Liebesdienst erhalten, den sie der Toten erwiesen. Den Sarg verhüllte eine Decke von ausgebleichtem rotem Manchestersamt mit einem großen goldenen Kreuz und einer breiten goldenen Borte. Die Decke war Eigentum der Kirche, und diese breitete sie über jeden auf seiner letzten Erdenfahrt. Dem Sarge folgte paarweise das kleine Trauergeleit, das mit Ausnahme David Fenchlers nur aus Frauen und Mädchen bestand. David und Stasi, die den kleinen Zug anführten, trugen brennende Kerzen in der Hand. Dem Ohm rollten unaufhörlich die Tränen über die Wangen; Stasi schritt bleich und gesenkten Hauptes neben ihm, und die Art, wie sie die Kerze hielt, verriet, daß sie auf nichts, was außer ihr vorging, achtete. Ein Murmeln des Mitleids erhob sich bei ihrem Erscheinen unter den Burschen, und als der Zug auf den Kirchhof schwenkte, empfingen die Frauen, die die Neugierde dort hingelockt hatte, das Mädchen mit lauten Ausrufen des Bedauerns. Alle mochten sie wegen ihres freundlichen, stillen, bescheidenen Wesens gern. Die Burschen hatten vergessen, weshalb sie zusammengekommen waren – nur Jerg nicht; er blickte sich verstohlen nach Ambros um, um den Eindruck zu beobachten, den Stasis Anblick auf ihn machen würde. Ambros aber war verschwunden.

Die Zeremonie ging ihren Gang, und dann war alles vorüber. Stasi reichte den Frauen, die ihrer Mutter die letzte Ehre erwiesen, stumm ihre eiskalte Hand. Den Kopf auf die Brust gesenkt, ging sie mit David nach Hause, langsam, gebrochen und von einem fieberfrostartigen Zittern durchschüttert. Tränen hatte sie keine mehr; als die Grube über dem Sarge zugeschaufelt worden war, waren sie noch ein mal gewaltsam hervorgebrochen und dann versiegt. Tränenlos blickte sie sich in der Stube um, die nach den frischen Tannenzweigen auf dem Fußboden roch. Dann setzte sie sich auf ihren gewohnten Platz, legte die Hände im Schoß zusammen und starrte mit brennenden Augen vor sich hin. David ertrug den jammervollen Anblick nicht; er schlich in den Kuhstall, wo er sich auf einer umgestürzten Karre niederhockte. Stasi beherrschte nach all der schmerzlichen Aufregung und Geschäftigkeit voller Tränen, gedämpfter Worte und Gebete, die die letzten Tage erfüllt hatten, nur ein Gefühl: das der Leere. Jetzt gab es nichts mehr zu tun. Keine Arbeit wurde mehr von ihr gefordert, keine Pflege, keine Liebe. Alles war zu Ende, alles leer in ihr und um sie herum, leer, kalt und öde die ganze Welt.

Da hörte sie ihren Namen rufen. Sie erkannte die Stimme, obwohl sie zitterte. Aber sie blieb regungslos sitzen; sie war ja tot. Ambros war blaß wie sie, und nicht allein seine Stimme zitterte bei ihrem Anblick. Erst als er ihren Namen wiederholte, wandte sie langsam den Kopf zu ihm hin, sah ihn mit einem langen, traurigen Blick an und flüsterte: »Armer Ambros!«

Er wollte sich ihr nähern; sie aber winkte mit einer matten Gebärde ab, und nach einer Weile sagte sie leise, ohne die traurigen Augen von ihm zu wenden: »Du armer Mensch, siehst du nit das Grab?«

»Stasi!« rief er erschrocken.

Sie sah wieder auf ihre gefalteten Hände. »Es ist das Grab meiner Mutter«, murmelte sie.

Er starrte sie mit weitgeöffneten Augen an und stammelte: »Jesus Maria, was ist dir?«

Sie bewegte die Lippen, aber erst nach einer Weile gelang es ihr, sich verständlich zu machen. »Ich hab's ihr gelobt, daß es aus sein soll zwischen uns«, sagte sie, und während sie den Kopf auf die Brust sinken ließ, fügte sie tonlos hinzu: »Es ist alles aus.«

»Aus soll's sein zwischen uns?« fuhr Ambros jetzt auf. »Das hast du gar nit geloben können, denn du hast dich vorher mir versprochen. Du gehörst mir!«

Eine matte Röte zeigte sich auf Stasis Wangen und verschwand sogleich wieder. Sie schüttelte stumm den Kopf, ohne ihn zu erheben.

Ambros aber fuhr ungestüm fort: »Ich bitt dich um aller Heiligen willen, Stasi, das kann ja nit sein! Wir haben Hand in Hand vor deiner Mutter gestanden, und sie hat kein Recht gehabt, uns auseinanderzureißen. Du hast mir dein Herz geschenkt, und ich geb's nimmer heraus. Ich will ohne dich nit leben!«

Wie sollte sie ohne ihn leben? Der Schmerz sprengte die Erstarrung ihres Herzens, und sie klagte: »Ich hab's gelobt, und jetzt kann's nit anders sein. Sie hätt sonst nimmer ruhig sterben können, und jetzt bitt ich dich: geh fort!« Sie hob die gefalteten Hände bittend zu ihm auf und sah ihn mit ihren sanften Augen wie ein sterbendes Reh an.

Er aber stampfte mit dem Fuß auf und rief: »Sie hat dich gezwungen! Das gilt nit«

»O sei doch ruhig!« flehte sie und stand mühsam auf. »Es hat ja sein müssen. Verzeih mir doch, daß ich dir wehtu!«

»Verzeihn soll ich dir, daß du mir das Herz zertrittst?« grollte er und schleuderte seinen Hut fort »Jesus, Stasi, bist mir denn gar nit mehr gut?«

Sie zitterte, schwieg aber und bedeckte die Augen mit den Händen. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er eindringlich fort: »Ich will gehn, wann du mir nit mehr gut bist; aber sag's mir! Sieh mich an und sag's mir mit demselbigen Mund, der mich geküßt hat!«

Ihre Brust wogte auf, aber sie schwieg noch immer. Da zog er ihr die Hände vom Gesicht weg, und nun stotterte sie unter hervorquellenden Tränen: »O Ambros, frag mich nit, laß mich! Gott wird's rächen, wann ich meineidig bin.«

»Aber meineidig gegen mich kannst sein! Das rächt Gott nit?« rief er vorwurfsvoll »Ein abgezwungenes Gelöbnis gilt nit Stasi, Stasi, ist denn die rechtschaffene Lieb was Unrechtes, daß der liebe Gott sie strafen soll?«

Stasi blickte ratlos um sich.

Ambros aber fuhr leidenschaftlich fort: »Da schau her, Stasi! Da ist die Schwellen, auf die deine Mutter ihre Verwünschung gelegt hat, wann ich nit von dir lassen würd! Und hier steh ich und bin nit drüber gefalln oder auch nur gestolpert! Du siehst: wann sich zwei Herzen lieben wie meins und deins, nachher ist alles Drohn und Verwünschen nix wie Wind.«

»Ich hab's gelobt!« jammerte Stasi und rang die Hände.

»Du hast gelobt, mich liebzuhaben!« rief er und legte seine Arme zärtlich um ihren Leib. »Das hast gelobt Wann die Lieb nit Treue halten will, dann müßt ja die Welt in Stücke gehn. Und ich weiß, daß du mich liebhast wie ich dich. Gelt, Stasi, es ist so! Schau mir doch nur einmal ins Gesicht! Bin ich denn nit mehr dein lieber Ambros?«

Scheu blickte sie ihn an. Da war es um ihre letzte Widerstandskraft geschehen. Schluchzend lehnte sie den Kopf an seine Brust. Er atmete rasch und heiß und ließ sie weinen. Sanft drückte er ihren Kopf an sich, streichelte ihr Haar und flüsterte zärtliche Worte.

So fand David sie. Er trat so leise auf, als ob seine Schwester noch krank läge. Beim Anblick des Liebespaares stutzte er und öffnete seine verschwommenen Augen so weit er konnte. Stasi löste sich verwirrt aus den Armen des Burschen; der aber hielt sie bei der Hand fest und rief: »Schau, Ohm, die Stasi ist jetzt meine Braut!«

»Ja, ich weiß nit ...«, murmelte David mit einem fassungslosen Blick auf seine Nichte, worauf er sich auf die Ofenbank setzte und nach der Bettstelle der Verstorbenen starrte.

Stasi ging zu ihm und bat leise: »Ohm, lieber Ohm, sei doch gut mit mir. Ich hab ihn so lieb.«

»Ach ja, Kind«, stammelte er und sah sie kläglich an. Sofort aber wanderten seine Augen wieder nach dem Sterbelager seiner Schwester, und er ächzte: »Ach, wann das deine Mutter wüßt!«

Stasi fuhr erschrocken zurück. Ambros tröstete sie; sie sei seine Braut vor den Lebendigen und den Toten, und er fragte den Alten herausfordernd, ob er etwas dagegen einzuwenden hätte. »Deine Schwester mußt froh sein, daß die Stasi nit verlassen ist, sondern einen hat, der fester zu ihr steht, als du's auf deinen alten Beinen kannst, alter Ohm!« Er umfaßte Stasi und zog sie an sich.

Als David seine Nichte so innig an den hübschen, stattlichen Burschen geschmiegt sah, mußte er dessen letzten Worten beipflichten, und er murmelte: »Freilich, ich bin alt, und du bist jung!«

»Aber jetzt muß ich zu meinen Leuten, die sich gewiß wundern, daß sie noch nix von mir zu sehn gekriegt haben«, sagte Ambros nach einer Weile. »Adjes, herzliebster Schatz! Jetzt sind wir Bräutigam und Braut!« Er preßte Stasi fest an seine Brust und küßte sie trotz ihres Sträubens wieder und wieder. David sah verlegen zur Seite.

»Adjes, Ohm!« Und schon war Ambros zur Tür hinaus.

Auf dem Klosterhof hatte Lisei schon mehrere Male nach dem Bruder ausgeschaut. Sie hatte sein Leibgericht bereitet und mußte es auftragen lassen, obgleich er noch nicht da war. Die Jungmagd hatte das Glockenbrett auf dem Hofe angeschlagen, und der Vater hatte Liseis Namen bereits scharf zur Tür herausgerufen.

Er tat sich auf seine pedantische Pünktlichkeit etwas zugute. Er wußte ebensogut wie Lisei und das Gesinde, daß Ambros heute aus der Haft entlassen worden war; aber das war kein Grund, um von der gewohnten Ordnung abzuweichen. Ja er hielt heute fast noch strenger darauf als sonst und gedachte des Sohnes mit keiner Silbe. Ambros' Rückkehr sollte nicht als etwas Außergewöhnliches aufgefaßt werden; denn er wollte dessen Gefangenschaft in absolutes Schweigen gehüllt wissen.

Niemand sollte jener unerfreulichen Tatsache gedenken, und als nun Ambros während des Essens mit einem lebhaften: »Grüß Gott allerseits!« in die Stube trat, Lisei von ihrem Sitz aufsprang und ihn bei beiden Händen faßte und das Gesinde grinsend und kichernd seinen Gruß erwiderte, führte der Klosterbauer erst den Löffel, den er eben aus der Schüssel geschöpft hatte, zum Munde und sagte dann, seinen Dienstboten einen strengen Blick zuwerfend, gleichmütig: »Grüß Gott! Setz dich und iß!«

Er selbst aß anscheinend ruhig weiter. Seine Verstellung half ihm jedoch nichts; denn Ambros rief, indem er zulangte: »Schau, mein Leibessen! Ja, wann's nach der Lisei gegangen wär, würd ich mit einem Bauch wiedergekommen sein. – Na, Vater, daß du mich nit ein einzigs Mal besucht hast! Warum bist denn nimmer gekommen?«

»Iß erst!« entgegnete dieser. Ambros war indessen zu aufgeregt, als daß er die Ablenkung verstanden hätte. Er aß zwar, doch kam er dabei immer wieder auf die Zeit seiner Abwesenheit von Hause zu sprechen, bald durch eine Frage nach den Vorgängen auf dem Hof, bald durch eine Bemerkung über seine Gefangenschaft. Sie lag ja nun hinter ihm, und in dem Frohgefühl darüber erschien ihm manches in einem komischen Licht, selbst die peinigende Langeweile; und der Humor, mit dem er sie schilderte, brachten seine Zuhörer oftmals zum Lachen. Auch der Klosterbauer konnte gelegentlich ein Schmunzeln nicht unterdrücken, und in seinen stählernen Augen gewann mehr und mehr der Stolz auf Ambros die Oberhand. Wenn man dem Burschen zuhörte, mußte es ein Vergnügen sein, eingesperrt zu sein, und nichts konnte lustiger sein als der Verdruß, mit dem er den Leuten, die mit ihren Kühen, Pferden, Schweinen und Ziegen aus dem Tal nach dem Brunecker Markt gezogen waren, von seiner festen Burg aus nachgeschaut haben wollte.

»Ja«, sagte der Klosterbauer, indem er die Augen schlau zusammenkniff und schmunzelte, »ich hab in Bruneck auch an dich gedacht; und auch was mitgebracht hab ich dir.«

»Was denn?« fragte Ambros, und der Vater erwiderte, während er dem Kuhbuben einen Wink gab, das Dankgebet zu sprechen: »Im Stall steht's.« Er schmunzelte auch behaglich, als er sich daraufhin zur Mittagsruhe in den Sorgenstuhl setzte, dessen Lederbezug durch Alter und Gebrauch schwarz und blank geworden war.

Ambros war unterdessen dem Großknecht gefolgt, der ihn nach dem Pferdestall führte.

»Das ist's«, sagte der Großknecht und klopfte einem Apfelschimmel auf den prallen Schenkel. Es war ein kräftiges Gebirgspferd, das sich bei der Liebkosung mit leisem Schnauben umsah. Ambros betrachtete und untersuchte es mit Kennermiene, und der Knecht lobte, daß es so sicher gehe wie eine Katze auf einem Dachfirst. Der Bauer habe es billig erstanden. Es seien überhaupt wenig Käufer in Bruneck gewesen, fügte er hinzu; aus Österreich und dem Reiche draußen hätten sie ganz gefehlt, und daher habe mancher sein Vieh unverkauft wieder nach Hause treiben müssen.

»Dann ist's wohl nit so lustig wie sonst dort gewesen?« fragte Ambros, während er dem Apfelschimmel das Maul öffnete und die Zähne untersuchte.

Der Großknecht schüttelte verneinend den Kopf. Alle Welt habe darüber geklagt, daß die Zeiten so teuer seien und daß man kein Geld kriegen könne. »Und sie würden noch schlechter werden, hat es geheißen«, berichtete er und lehnte sich mit beiden Armen auf den Rücken des Pferdes. »Es ist viel davon gered't worden, daß wir noch mehr Steuern zahln solln und daß eine neue Getränksteuer soll aufgelegt werden.«

»Oho!« rief Ambros, und der andere fuhr fort: »Ja! Und da hat sich jeder nochmal rechtschaffen satt trinken wolln, dieweiln der Wein und Schnaps noch billig ist; aber lustig ist keiner dabei geworden. Den Bayern und Franzosen mögen da wohl die Ohren geklungen haben; denn sie sind doch an allem schuld. Besonders in dem Peter Hueber seiner Wirtschaft, da ist's immer wie in einem Bienenkasten aus- und eingegangen und hat einer vor Summen sein Wort nit hörn können. Ist aber kein Lachen und Singen gewesen. Unten in dem gewölbten Hausraum, in der Schenkstuben und auch auf dem Tanzboden über zwei Stiegen, da hat einer kaum einen Platz kriegen können. Der Peter Hueber ist aber auch ein Mann, der Bescheid weiß in der ganzen Welt und besser noch, sagen sie, als es in den Zeitungen geschrieben steht. Ja, der ist gescheit, und auf sein Wort kann einer getrost ein Haus baun.«

»Ich kenn ihn schon«, schaltete Ambros ein und ließ das Auge noch einmal wohlgefällig über das neuerstandene Tier gleiten.

»Ja, wer kennt ihn nit!« meinte der Großknecht. »Der Hofer vom Sand im Passeier kann nit bekannter sein im ganzen Land, als es der Peter Hueber hier herum ist in allen Tälern. Wann das aber wahr ist von der neuen Steuer, wo soll da unsereins für seine paar Kreuzer noch zu einem guten Trunk kommen? Das Wetter soll die sakrischen Bayern erschlagen!«

Ambros klopfte dem Schimmel lachend auf den Hals und verließ den Stall. Draußen dehnte und reckte er seine kräftige Gestalt und betrachtete nachdenklich die Zacken und Schroffen, Schroffen – Felsklippen die in der klaren, schon herbstlich getönten Luft mit scharfen Linien über den Wäldern standen. Er dachte aber weder an die neue Getränkesteuer noch an die Bayern, sondern daran, daß jetzt die Zeit sei, auf Gemsen zu pirschen; und er überlegte, ob er nicht Sampogna, das Gamsmanndl, auffordern sollte, morgen in der Frühe mit ihm ins Hochgebirge zu steigen.

Er sprang auf seine Stube und zündete sich die lang entbehrte Tabakspfeife an; dann rüstete er sich, um das Gamsmanndl in Monthan aufzusuchen. Als er wieder herunterkam, trat auch der Klosterbauer eben aus seiner Stube, und beide verließen zusammen das Haus.

Der Alte erkundigte sich nach Ambros' Vorhaben, und als er es erfahren, äußerte er: »Kann's mir schon vorstelln, daß dich's nach einer rechtschaffenen Bewegung verlangt, nachdem du so lang stillgelegen hast. Jetzt, was sagst zu dem Schimmel?« Die Antwort erwartend, stellte er sich breitbeinig hin.

Ambros lobte das Pferd und meinte: »Mit so einem Gespann, da könnt sich einer schon sehn lassen vor den Leuten.«

»Das will ich meinen!« nickte der Klosterbauer, und mit einem lauernden Blick fuhr er fort: »Wann du zweispännig fahrn willst, wär wohl Rat zu finden. Zu St. Georgen im Tauferstal, Taufers – gem., das Taufertal in Südtirol da soll ein Apfelschimmel zu haben sein, der zu dem unsrigen paßt, wie ich in Bruneck gehört hab. Könntest ja mal hin und ihn dir ansehn; das kostet nix.«

»Das wär 'ne Sach!« rief Ambros erfreut. »Da will ich doch gleich am nächsten Sonntag nach St. Georgen. Wer ist denn der Eigentümer?«

»Eckschlager heißt er und ist der reichste Bauer von St. Georgen. Wir sprechen schon noch weiter drüber. Will dich jetzt nit weiter aufhalten.« Er nickte Ambros mit zusammengekniffenen Augen zu und wandte sich zur Tenne, aus der der Taktschlag des Dreschflegels klang. Um seinen breiten Mund lag wieder das Schmunzeln wie am Mittag.

Das Gamsmanndl, das Ambros am Schabebock damit beschäftigt fand, Ziegenfelle von den Haaren zu befreien, war ein zu leidenschaftlicher Jäger, um nicht auf dessen Vorschlag sofort einzugehen; und es wurde zwischen ihnen verabredet, daß sie sich am nächsten Morgen um zwei Uhr bei dem Monthaner Kapellchen treffen wollten.

Sampognas Gerberei war bachabwärts das letzte Haus im Orte. Auf der Landstraße kam dem heimkehrenden Ambros ein Wagen entgegen, vor dem des Sägemüllers Schweißfuchs trottete. Arigaya selbst lenkte den Gaul, und neben ihm saß seine Frau. Der Alte hatte geschäftlich in Zwischenwasser zu tun, und dorthin ging die Fahrt.

»Schau, schau, der Ambros!« rief er schon von weitem und hob den rechten Arm mit der Peitsche in die Höhe. Er hätte nicht nötig gehabt, seine Frau darauf aufmerksam zu machen, denn sie hatte Ambros schon längst erspäht; ihr Gesicht war von einer jähen Röte überzogen. Als ihr Mann dann anhielt und in seiner gutherzigen Weise Ambros zu seiner wiedererlangten Freiheit beglückwünschte, zeigte Afras Miene jene Lauigkeit, mit der man einem gleichgültigen Bekannten zu begegnen pflegt. Stumm und zerstreut hörte sie der Unterhaltung der beiden Männer zu. Sie hatte sich in ihren Sitz zurückgelehnt und ihre schönen Augen blickten bald auf das Pferd, das von Zeit zu Zeit mit Hinterfuß oder Schweif die Herbstfliegen von sich abwehrte, bald glitten sie über die Äcker, die, bereits frisch eingesät und eingeeggt, nun braun zwischen den noch grünen Wiesen lagen, oder aber sie verfolgten die dahinziehenden weißen Wölkchen. Kaum daß ihre Augen einmal flüchtig über Ambros hinstreiften, der auf der Seite ihres Mannes stand und den rechten Fuß auf eine Speiche des Hinterrades gesetzt hatte. Unbefangen plauderte er mit dem gesprächigen Alten. Er hatte sich nie Skrupel gemacht über die rauhe Art, in der er mit Afra gebrochen; kaum daß er während der langen Zeit, die seitdem verflossen, einmal an sie gedacht hätte. Nun war es ihm dennoch lieb, daß ihr Zorn gegen ihn verraucht war – fühlte er sich selbst doch durch die wiedergewonnene Freiheit und den Sieg seiner Liebe gegen die ganze Welt versöhnlich gestimmt Er sagte daher auch zu, als ihn Arigaya schließlich einlud, sich bald einmal auf der Mühle sehen zu lassen. Afra unterstützte die Einladung nicht; sie mochte sie überhört haben, denn sie war eben damit beschäftigt, den Regenschirm, der auf den Boden des Wagens geglitten war, aufzuheben. Aber sie reichte Ambros die Hand und nickte, die Lippen bewegend, als er, glückliche Verrichtung wünschend, von dem Wagen zurücktrat.

Der Müller war durch die Begegnung heiter gestimmt. Zwar erkannte er die Schwächen und Fehler in dem Charakter des jungen Klosterbauern sehr gut, doch dessen offenes und frisches Wesen – mochte es auch nur zu leicht in Rücksichtslosigkeit und Sturm ausarten – tat ihm wohl, und das im Augenblick um so mehr, je weniger er mit seinem eigenen Sohn zufrieden war. Er war überzeugt, daß Ambros seinem Vater, wenn dieser noch einmal geheiratet hätte, nicht gleich nachrechnen würde, was er seiner Frau zufließen ließe, und daß er sich noch weniger, wie es Jerg tat, dafür durch hämische Anspielungen und spitze Bemerkungen an seiner Stiefmutter rächen würde.

Erst vor einigen Tagen war es deshalb zwischen ihm und seinem Sohn zum Streit gekommen. Er hatte geglaubt, sich durch eine offene Aussprache mit Jerg verständigen zu können; und er hatte ihm vorgehalten, daß das Vermögen sein durch mühevolle Arbeit erworbenes Eigentum sei, mit dem er schalten und walten könne, wie ihm beliebe, daß Mühle und Äcker nach seinem Tode Jerg zufallen würden und daß es gewissenlos wäre, wenn er nicht dafür Sorge trüge, daß seine Frau nach seinem Ableben nicht mittellos zurückbliebe. Jerg sei mit Geld von ihm nie knappgehalten worden; er könne aber nicht verlangen, daß er, der Vater, sich um seinetwillen Entbehrungen auferlege. All das war jedoch in den Wind geredet gewesen, weil der Alte sich entschieden geweigert hatte, auf den Vorschlag, mit dem Jerg nun offen herausgekommen war, einzugehen und sich auf den Altenteil zu setzen. Wäre er allein gewesen, so hätte er vielleicht um des Friedens willen die Zügel aus der Hand gegeben; aber der Gedanke an Afra steifte seinen Widerstand. – »Was redst du denn davon, daß mir alles einmal gehörn soll, die Mühle und die Landwirtschaft?« hatte Jerg darauf giftig gerufen und die Tür hinter sich zugeschlagen. »Bis es dahin kommt, sind wir durch die Mutter und ihre Leut verlumpt! Seh ich denn nit, was sie ihnen alles zusteckt an Mehl und Butter und Speck und was weiß ich alles?«

Diesen Gegensatz vor Augen, sang jetzt der Alte Ambros' Lob. Seine Frau blieb stumm. Sie hatte ihre vollen Lippen zusammengepreßt, und ihre dunklen Brauen zuckten von Zeit zu Zeit wie vor Ungeduld.

Plötzlich sagte sie: »Du hättst ihn nit einladen solln!«

»Wieso denn nit?« fragte er verwundert, und als sie dumpf zurückfragte, was er in der Mühle solle, versetzte er: »Wann nix andres, so bringt er frische Luft in die Mühl. Du weißt schon, wie ich's mein. Es ist schon was, mal einen Menschen zu sehn, der nach unserm Herrgott und der ganzen Welt nix fragt, sowenig wie die Tannen, die dort auf dem Berg wachsen. Wann ich tot bin – und lang werd ich's ja nit mehr machen – und du heiratst wieder – denn das wirst du ja doch – dann wollt ich, du könntst den Ambros kriegen. Da würdest deines Lebens froh werden.«

Afra stieß einen Laut aus, den er für Lachen hielt, und er lachte selbst. Ihn, Ambros, heiraten! Schreck und Zorn erfüllten ihr Herz – Zorn gegen sich selbst. Und er machte sie einen Augenblick blaß. Sie hatte dem wilden Burschen seine Unart vergeben und ihre verletzte Eitelkeit niedergerungen. Ambros sollte und mußte ihr gleichgültig sein, und sie hatte ihm auch eben erst gezeigt, daß er es war. Ihr Stolz litt nicht, daß ein anderes, wärmeres Gefühl für ihn in ihr aufkam.

Ihn heiraten! Sie hätte ihn erwürgt, wenn er in diesem Augenblick zwischen ihren Händen gewesen wäre.

Ambros war noch nicht lange wieder zu Hause, als sich Jerg mit einigen Freunden auf dem Klosterhof einfand. Da sich Ambros am Morgen heimlich von ihnen fortgeschlichen hatte, sollte er nun mit ihnen in den »Stern« kommen; denn der Tag seiner Freiheit mußte doch gefeiert werden. Dem Klosterbauern war es nicht recht, daß die Gefängnisstrafe seines Sohnes den Leuten gar durch ein Gelage ins Gedächtnis geprägt werden sollte. Deshalb lud er die Burschen ein, als seine Gäste auf dem Hof zu bleiben.

»Potz Stern, ich will doch auch was von meinem Buben haben!« rief er. »So viel Wein, wie ihr auf seine Gesundheit trinken mögt, hab ich wohl noch im Keller. Und ihr könnt mir glauben, daß es kein Schabser Schabser – der in Tirol als sauer bekannte Wein aus der Gegend um Schabs (zwischen Valser- und Lüsental). ist, wo einer, der davon getrunken hat, sich nachher nachts immer im Bett umkehrn muß, damit ihm der Krätzer kein Loch in den Magen frißt«

Lisei mußte ein gehöriges Abendessen zubereiten. Der Wein, den der Klosterbauer dazu auftischte, war zwar kein saures Gewächs aus Schabs, aber von dem besten Faß, das der Keller barg, war er auch nicht Von diesem zapfte der Alte nur eine Halbe für sich selbst. Das junge Volk hatte keine Weinzunge. Es ließ sich denn auch Essen und Trinken munden und war fröhlich und guter Dinge. Jerg hatte sich bei Tisch neben Lisei gesetzt und holte sie geschickt aus, wann Ambros am Vormittag nach Hause gekommen sei. Er argwöhnte, weshalb sich Ambros am Morgen von seinen Freunden fortgestohlen hatte, und Lisei bestärkte ihn ahnungslos in seinem Verdacht. Es war immer gut, sich in die Geheimnisse der anderen einzubohren! Man konnte nicht wissen, wozu solche Kenntnisse einmal brauchbar waren!

Nach dem Abendessen erschien noch mehr Besuch: Bekannte des Klosterbauern – Herrenbauern wie er. Die einen kamen allein, die andern mit ihren Frauen, und einige brachten auch ihre Töchter mit. Sie erwähnten nicht, daß sie Ambros' wegen kämen, und begnügten sich, diesem und dem Vater die Hand zu schütteln. Nach ihrer Ansicht war ihr bloßer Besuch an diesem Tage ein hinlänglicher Beweis für den Klosterbauern, daß sie an allem, was ihn betraf, Anteil nähmen.

Auch Vefa und Lechner stellten sich ein, und Ambros tat, was er noch nie getan: Er ging dem Schmied entgegen und schüttelte ihm die Hand – zur stillen Freude Liseis. Vefa war ganz Süßigkeit, als sie ihrem Neffen zu seiner Freiheit gratulierte. Bei ihrem Bruder allerdings fuhr sie mit ihrem Glückwunsch übel ab, und es dauerte eine Weile, bis sie über dem »dummen Gänsegeschnatter«, das er ihr zum Dank an den Kopf geworfen, ihre Fassung wiedergewann.

Während sich nun die älteren Leute zusammensetzten, bedächtig über Haus, Hof, Vieh, Kind, Magd und alles, was ihrer war, redeten und über die bösen Zeitläufte klagten, gab Jerg dem jungen Volk Rätsel auf, erzählte Schnurren, machte Kunststücke und ließ seine Witzbolzen durch den Tabakrauch sausen, mit dem die Pfeifen von alt und jung die Stube füllten. Die Lichter glühten nur noch wie rote Pünktchen durch die blauen Wolken. Die Lungen aber schien der Qualm nicht anzufechten; denn das Brausen der Stimmen und das Gelächter wurden immer lauter und ausgelassener, und es bedurfte nur noch der Andeutung eines Scherzes – mochte er beschaffen sein, wie er wollte – um die Gitschen und Frauen vor Lust aufkreischen zu lassen.

Ambros neckte sich mit den hübschen Dirnen, und Lisei hatte sich mit Wolf in eine stille Ecke gesetzt, wo sie ungestört ein verständiges Wort miteinander reden konnten. Vefa versuchte, ihre Nichte durch Blicke und Winke aus der Ecke zu locken, um Jerg Gelegenheit zu geben, sich dem Mädchen angenehm zu machen. Sie hatte ihren Plan, aus den beiden ein Paar zu machen, keineswegs aufgegeben, und Jerg selbst hatte sich ihren dahin zielenden Andeutungen gegenüber nicht ablehnend verhalten. Vefa hatte deshalb sogar ihre Abneigung gegen Afra überwunden – die sie beschuldigte, ihr das Herz des alten Angaya hinterlistig entwendet zu haben – und war in der letzten Zeit häufig auf die Mühle gekommen. Noch aber war es ihr nicht gelungen, den zähen Jerg völlig in Fluß zu bringen. Er wollte eine reiche Frau, und es war bekannt, daß Liseis Heiratsgut nur gering war. Vefa hoffte freilich, daß es ihren Vorstellungen und Schmeichelkünsten, die dem Bruder stets das Bild seiner Unübertrefflichkeit vor Augen hielten, gelingen würde, den Klosterbauern zu einem großmütigen Auftun seines Beutels zu bewegen; allein, Jerg rechnete nur mit Tatsachen. Liseis Verhältnis zu dem Schmied kümmerte ihn nicht. So frei von Eitelkeit war er nicht, daß er nicht davon überzeugt gewesen wäre, Wolf Lechner, der ja überdies ein Bayer war, mit Leichtigkeit aus dem Sattel heben zu können, sobald nur die Geldfrage in Ordnung sein würde.

Eben wegen der Geringschätzung, mit der er auf den Schmied herabsehen zu können glaubte, reizte es ihn nun aber, daß Lisei seinen Darbietungen keine Aufmerksamkeit schenkte, und von dem genossenen Weine angeregt, begann er allerlei Gesalzenes und Gepfeffertes von den Bayern zu erzählen. Wem die Sticheleien galten – darüber war niemand im Zweifel; auch Wolf wurde aufmerksam. Liseis bittender Blick ließ ihn sich ruhig verhalten, und er kehrte Jerg seinen breiten Rücken zu. Sein ehrliches Gesicht aber nahm einen traurigen Ausdruck an. – Die feindselige Stimmung gegen ihn war im Wachsen; die Leute überlegten nicht, daß Wolf unter der Fremdherrschaft ebenso schwer zu leiden hatte wie sie selbst. In der letzten Zeit war es wiederholt vorgekommen, daß kleine Buben in die Schmiede hineingeschrien hatten: »Bayer! Bayer!« – Der Klosterbauer hielt ihn nach wie vor hin. »Ich halt dich nit, wann du nit länger warten willst«, hatte der Alte ihre letzte Unterredung abgeschlossen.

Jerg stellte Lechners Geduld auf eine harte Probe. Jetzt erzählte er eine Geschichte, wie ein altes Weiblein den Teufel überlistet habe, obgleich er, um es zu schrecken, in einer grimmigen Gestalt erschienen sei: Er habe ausgesehen wie ein rußiger Schmied. Und des weiteren beschrieb ihn Jerg so boshaft deutlich, daß sich alle Augen nach der Stelle richteten, wo Wolfs rotblonder Löwenkopf durch den Tabakqualm dämmerte. Vefa schlug mit einem jauchzenden Aufschrei die Hände zusammen.

Wolf stand langsam auf. Ehe er jedoch den Mund öffnen konnte, rief Ambros: »So hat er nit ausgeschaut; das ist nit wahr.«

Als Jerg die gewaltige Figur des Schmiedes sich erheben sah, bekam er um das Herz herum ein unbehagliches Gefühl. Rasch wandte er sich zu Ambros und sagte: »Du mußt's freilich besser wissen als wie ich. Weil du nit an ihn glauben willst, hat er dich an einen Ort gelockt, wo es keinem gefalln mag, und hat dich gründlich festgesetzt.«

»Ja!« rief Ambros in das aufflatternde Gelächter hinein. »Er schaut halt aus wie ein Aff, und langweilig ist er auch. Ich hab ihn zuerst gar nit erkannt und ihm zugerufen: Grüß Gott, Jerg!«

Alle lachten, selbst die Alten, die durch die Sticheleien auf die Bayern allmählich aufmerksam geworden waren und zugehört hatten. Deutlich vernehmbar war in dem Chor das kurze, harte Lachen des Klosterbauern. Nur Vefa und Lisei stimmten nicht ein. Jerg aber warf Ambros aus seinen kleinen Augen einen bösen Blick zu. Vefa, die nicht begriff, weshalb ihr Neffe die Partei Lechners nahm, versuchte Jerg über seine Abkanzelung zu trösten, und auch Lisei kam zu ihm, um des Bruders Unart gegen den Gast durch ein freundliches Wort gutzumachen. Jerg nutzte die Gelegenheit aus, um feurige Kohlen auf Ambros' Haupt zu sammeln. Es sei freilich kein feines Stücklein von Ambros gewesen, äußerte er zu Lisei; aber einem Freunde, mit dem zusammen er schon oft Maikäfer von den Bäumen geschüttelt habe, könne er nichts nachtragen. Er habe nun einmal so ein gutes Herz; und wen er lieb hätte, der könnte mit ihm machen, was er wollte. Wolf aber hegte einigen Zweifel an seinem guten Herzen; denn er sagte später zu Lisei: »Deinem Bruder ist es zwar gleich, ob ihm einer freund oder feind ist, aber glaub mir: der Jerg vergißt ihm das nimmer.« Er ahnte nicht, daß er selbst die größte Ursache hätte, sich vor Jerg zu hüten.

»Hast ja dem Lechner seine Kant gehalten«, sagte der Klosterbauer, als sich die Gäste entfernt hatten und Ambros ihm eine gute Nacht Wünschte, um auf seine Kammer zu gehen.

»Er ist doch mein Schwager«, erwiderte dieser.

»Meinetwegen, was geht's mich an!« versetzte der Vater. »Aber von Wegen der Schwagerschaft – hm!« Er schloß die offene Stubentür, zu der Lisei eben die leeren Flaschen und Gläser hinausgetragen hatte, und fuhr dann fort: »Hat wohl noch gute Weg mit der Verwandtschaft, wann du nix dazu tust.« Als ihn Ambros daraufhin fragend ansah, sagte er, indem er sich bequem in seinem Armstuhl niederließ: »Bevor du der Lisei nit den Ehsprung vorgemacht hast, wird aus ihrer Heirat nix – das weißt du.«

»Wann's weiter nix ist! Dazu könnt wohl Rat werden!« lachte Ambros. »Ja?« fragte der Klosterbauer mit zwinkernden Augen. »Das ist gescheit. Eine junge Söhnerin im Haus, das tät mir schon gefallen. Und sie würd's gut treffen, da keine Schwieger Schwieger – Schwiegermutter auf dem Klosterhof nit da ist. So eine Schwieger – und ist sie noch so klug – kann's halt nit lassen, sich in der jungen Frau ihre Sachen einzumengen. Katz und Hund kommen eher in Fried miteinander aus als Schwieger und Söhnerin. Also, was meinst?«

Ambros stieg das Blut ins Gesicht, und mit einem tiefen Atemzug fragte er, ob der Vater wirklich im Ernst spreche.

»Ein Spaß ist das Heiraten schon nit!« versuchte dieser zu scherzen. »Deswegen mein ich, wann du am nächsten Sonntag nach St. Georgen fahrst, schau dir auch dem Eckschlager seine Tochter an. Hab den Hartwanger in Bruneck auf dem Markt getroffen; der kennt den Eckschlager. Er hat dreißig Küh winters im Stall stehn, und hübsch ist die Gitsche auch, hat mir der Hartwanger gesagt«

»So?« rief Ambros gedehnt »Jetzt, wann ich heiraten will, brauch ich dazu nit den Hartwanger. Ich kann mir schon allein eine aussuchen.«

»Der Hartwanger kommt weit im Land herum und schaut den Leuten in die Töpf«, bemerkte der Vater. »Er hat auch bloß gemeint, der Eckschlager in St. Georgen, der wär einer, wo das Anklopfen lohnt. Du schaust dir seinen Apfelschimmel an, und gefallt dir die Gitsche nit, nachher tut's wohl eine andre. Aber sie wird dir schon gefalln.«

»Nein, Vater, sie gefallt mir nit!« sagte Ambros entschieden.

Der Klosterbauer machte verwunderte Augen. »Ja, kennst sie denn?«

»Das braucht's gar nit«, antwortete Ambros. »Aber da wir mal davon reden: ich hab mir schon selbst eine ausgesucht, die mir paßt.«

Der Alte blickte ihn eine Sekunde lang mit zusammengekniffenen Augen an; dann fragte er trocken: »Also, du hast schon gefunden, was dir paßt? Wer ist denn die Reiche und Feine?«

»Eine Feine ist's freilich, und bildsauber ist sie auch«, rief der Sohn. »Ob sie reich ist oder nit, danach hab ich nit gefragt. Nein, Geld hat sie nit.«

»Jetzt, wer ist's?« fragte der Vater, die Stirn krausend.

»Ja, das rätst wohl nimmer. Die Stasi Larseit ist's!«

Der Klosterbauer glaubte im ersten Augenblick, nicht richtig gehört zu haben; dann schnellte er auf und schrie: »Bist du toll?« Sein Gesicht glühte wie in Feuer getaucht.

»Weshalb sollt ich denn toll sein?« fragte Ambros gelassen.

»Verrückt bist – ganz verrückt!« schnob der Alte und rannte in der Stube hin und her. »Die Stasi Larseit!« Er lachte höhnisch auf. »Nein, Geld hat die freilich nit, und die nennt er fein!«

»Vater!« drohte Ambros.

Der Klosterbauer trat mit einer kurzen Wendung dicht vor ihn hin und funkelte ihn mit zornglühenden Augen an.

Ambros hielt den Blick standhaft aus und sagte: »Ich weiß gar nit, weshalb du so wütig bist? Komm, setz dich daher, Vater, und laß uns vernünftig von der Sach reden.«

Der Alte prallte zurück, als ob er einen Stoß vor die Brust bekommen hätte, und knickte dabei auf die hinter ihm stehende Fensterbank. Er starrte Ambros an, als zweifle er wirklich an dessen Verstand.

Der aber legte den einen Schenkel über die Tischkante und begann:

»Schau, Vater, lieber wär's mir schon gewesen, wann dir die Stasi angestanden hätt. Aber ich getröst mich, daß sie dir gefallen wird, wann du sie erst kennengelernt hast. Sie ist kreuzbrav, und sie wird dich liebhaben, als ob du ihr eigner Vater wärst. Alleweil ist doch die Hauptsach, daß sie mir gefallt« Er machte eine Pause. Da aber der Vater, der inzwischen beide Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt hatte und, die Hände in seinem strohgelben, mit Grau gemischten Haar vergraben, regungslos vor sich hin stierte, fuhr er fort: »Ja, das ist die Hauptsach, denk ich. Denn ich will mit ihr leben, und nit du. Geld hat sie freilich keins; aber das braucht's auch nit Geld allein macht nit glücklich, und ich bin ja reich genug.«

»Du?« warf der Klosterbauer jäh den Kopf auf. »Und du meinst, damit wär alles gut? Eine Betteldirn als Söhnerin – dazu soll ich ja und amen sagen? Es ist ums Haar auszuraufen! Ins Narrenhaus lass' ich dich sperrn samt deiner Betteldirn!«

»Eins will ich dir doch gesagt haben, Vater«, flammte Ambros auf. »Die Stasi schimpfieren, schimpfieren – beschimpfen das leid ich nit, Vater! Von keinem nit, auch von dir nit!«

»Jetzt aber ist's genug!« schrie der Klosterbauer und schlug mit der Faust wild auf den Tisch. »Willst du deinem Vater Vorschriften machen und ihm drohen, du – du – du …« Der Zorn nahm ihm die Sprache, und es mochte auch der heiße Blick des Sohnes sein, der ihn das Scheitwort unterdrücken ließ.

Ambros hatte das Bein vom Tisch genommen und sagte mit erzwungener Ruhe: »Ich hab dir nur bekanntgeben wolln, daß ich so was nit leiden tu. Es ist nit der Stasi ihre Schuld, daß sie arm ist, und keine Schand ist's auch nit! Jetzt, was hast du gegen sie?«

»Was ich gegen sie hab?« knirschte der Alte. »Himmel, Herrgott, ist's denn nit tausendmal genug, daß sie nix hat? Und wann du noch mehr wissen willst: ich mag sie nit, und wann sie dem Kaiser seine Tochter wär!«

»Daß du sie nit magst, ist doch kein Grund für mich«, entgegnete der Sohn, indem er die Brauen zusammenzog. »Darin ist ja kein Verstand nit. Ich bin kein Kind mehr, und also verlang ich ordentlichen Bescheid, weshalb du die Stasi nit magst.«

»Was, ist's nit genug, wann ich als dein Vater sag: ich mag sie nit? Oder bin ich nit mehr Herr in meinem eignen Haus? Bist du dein eigner Herr, daß du mich nit mehr zu fragen brauchst? Denkst, du kannst tun und lassen, was du willst, und ich müßt nach deiner Pfeif tanzen? Oho!«

»Schon gut!« versetzte Ambros mit ungeduldigem Achselzucken. »Mit dir ist heut nit zu reden. Morgen ist auch noch ein Tag.«

Er wollte die Stube verlassen. Der Klosterbauer aber rief: »Mensch, Willst denn dein ganzes Lebensglück mit Gewalt in den Brunnen werfen? Ganz Vigil und jeder, der dich kennt, wird sich über dich lustig machen. ›Schau, da geht der Ambros!‹ werden sie sagen. ›Hat immer zu höchst hinauswolln und hat jetzt die Betteldirn geheiratet, ha, ha!‹«

»Laß's nur einen probiern!« schrie Ambros mit geballten Fäusten.

»Alle werden's!« entgegnete der Klosterbauer heiser und lockerte sein Halstuch. Er stand auf und stellte sich an eines der Fenster, auf dessen kleine Scheiben er heftig zu trommeln begann.

»Keiner wird's!« protestierte Ambros und fuhr gemäßigter fort: »Warum sollt er's auch? Die Stasi steht in einem Ansehn, daß sie mich beneiden werden. Das kannst mir glauben, das ist gewißlich wahr. Schau, Vater, wir zwei beid, du und ich, sind ja immer gute Freund zusammen gewesen und werden auch in diesem Stück gut miteinander auskommen. Überleg's dir nur erst recht. Ich kann schon noch warten.«

»Und wann du bis in die Ewigkeit wartst – ich werd nimmer ja sagen«, wandte sich der Vater zu ihm um, und mit einer Ruhe, die in schneidendem Gegensatz zu seinen blutunterlaufenen Augen stand, fuhr er fort: »Du meinst, ich hab Geld genug? Ja, das hab ich, Gott sei Dank! Und du hast bis jetzt davon gelebt wie ein Graf. Aber ich werd für dich keins mehr haben, wann du auf deinem Stück bestehst. Noch bin ich der Klosterbauer! Und mit meinem Willen kommt mir die – Larseit nit auf den Hof! Das ist mein letztes Wort.«

»Und ich nehm's nit an!« rief Ambros energisch zurück. »Die Stasi wird meine Frau – das beschlaf dir!«

»Nein, nein und nochmal nein!« überschrie ihn der Klosterbauer und hämmerte dazu mit beiden Fäusten auf den Tisch.

Ambros verließ die Stube. Lisei, die die laut streitenden Stimmen gehört hatte, kam ihm ängstlich fragend entgegen. Er schob sie jedoch beiseite, ohne ihr Rede zu stehen. In der Stube regte sich nichts, und als Lisei die Tür öffnete, sah sie den Vater zusammengesunken auf seinem Lehnstuhl sitzen, dessen Arme er mit beiden Händen umfaßt hielt. Das Haar war ihm über die Stirn gefallen, und das breite Kinn ruhte auf seiner Brust. Besorgt eilte Lisei zu ihm und rief seinen Namen. Er hob langsam den Kopf, blickte sie wie geistesabwesend an und ging dann, ohne ein Wort zu sagen, in seine nebenan liegende Schlafkammer. Wie sollte er es auch fassen und begreifen, daß sein einziger Sohn, sein Erbe, sein Stolz, die Tochter seines Todfeindes zur Klosterbäuerin machen wollte!


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