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Der Mord des Iphitos, obgleich im Wahnsinne verübt, lag schwer auf Herakles. Er wanderte von einem Priesterkönige zum andern, um sich reinigen zu lassen; erst zum Könige Neleus von Pylos, dann zu Hippokoon, König von Sparta: aber beide weigerten sich dessen; der dritte endlich, Deïphobos, ein König zu Amyklai, übernahm es, ihn zu entsühnen. Nichtsdestoweniger schlugen ihn die Götter zur Strafe der Untat mit einer schweren Krankheit. Der Held, sonst von Kraft und Gesundheit strotzend, konnte das plötzliche Siechtum nicht ertragen. Er wandte sich nach Delphi und hoffte bei dem pythischen Orakel Genesung zu finden. Aber die Priesterin verweigerte ihm, als einem Mörder, ihren Spruch. Da raubte er im Heldenzorn den Dreifuß, trug ihn hinaus aufs Feld und errichtete ein eigenes Orakel. Erbost über diesen kühnen Eingriff in seine Rechte, erschien Apoll und forderte den Halbgott zum Kampfe heraus. Aber Zeus wollte auch diesmal kein Bruderblut fließen sehen; er schlichtete den Kampf, indem er einen Donnerkeil zwischen die Streitenden warf. Jetzt erhielt endlich Herakles einen Orakelspruch, welchem zufolge er von seinem Übel befreit werden sollte, wenn er zu dreijährigem Knechtsdienste verkauft würde, das Handgeld aber als Sühne dem Vater gäbe, dem er den Sohn erschlagen. Herakles, von Krankheit überwältigt, fügte sich in diesen harten Spruch. Er schiffte sich mit einigen Freunden nach Asien ein und wurde dort von einem derselben mit seiner Einwilligung als Sklave verkauft an Omphale, die Tochter des Iardanos, die Königin des damaligen Mäoniens, was später Lydien hieß. Den Kaufpreis brachte der Verkäufer, dem Orakel gemäß, dem Eurytos, und als dieser das Geld zurückwies, übergab er es den Kindern des erschlagenen Iphitos. Jetzt wurde Herakles wieder gesund. Im Vollgefühle der wiedergewonnenen Körperkraft zeigte er sich anfangs auch als Sklave der Omphale noch als Held und fuhr fort, in seinem Berufe als ein Wohltäter der Menschheit zu wirken. Er züchtigte alle Räuber, welche das Gebiet seiner Herrin und der Nachbarn beunruhigten. Die Kerkopen, die in der Gegend von Ephesus hausten und durch Plünderung viel Schaden anrichteten, wurden von ihm teils erschlagen, teils gebunden der Omphale überliefert. Den König Syleus in Aulis, einen Sohn des Poseidon, der die Reisenden auffing und sie zwang, ihm die Weinberge zu hacken, erschlug er mit dem Spaten und grub seine Weinstöcke mit den Wurzeln aus. Den Itonen, die wiederholt ins Land der Omphale einfielen, zerstörte er ihre Stadt von Grund aus und machte sämtliche Einwohner zu Sklaven. In Lydien trieb damals Lityerses, ein unechter Sohn des Midas, sein Wesen. Er war ein reichbegüterter Mann und lud alle Fremden, die bei seinem Sitze vorüberreisten, höflich zu Gaste. Nach dem Mahle zwang er sie, mit ihm in seine Ernte zu gehen, und des Abends schlug er ihnen die Köpfe ab. Auch diesen Tyrannen brachte Herakles um und warf ihn in den Fluß Mäander. Einmal fuhr er auf einem dieser Züge die Insel Doliche an und sah hier einen Leichnam, von den Wellen herangespült, am Gestade liegen. Es war die Leiche des unglücklichen Ikaros, der mit den wachsgefügten Flügeln seines Vaters auf der Flucht aus dem Labyrinthe zu Kreta der Sonne zu nahe gekommen und in das Meer gefallen war. Mitleidig begrub Herakles den Verunglückten und gab der Insel, ihm zu Ehren, den Namen Ikaria. Für diesen Dienst errichtete der Vater des Ikaros, der kunstreiche Dädalos, das wohlgetroffene Bildnis des Herakles zu Pisa. Der Held selbst aber, als er einst dorthin kam, hielt das Bild, von der Dunkelheit der Nacht getäuscht, für belebt. Seine eigene Heldengebärde erschien ihm als das Drohen eines Feindes, er griff zu einem Steine und zerschmetterte so das schöne Denkmal, das seiner Barmherzigkeit vom Freunde gesetzt worden war. In die Zeit seiner Knechtschaft bei Omphale fiel auch die Teilnahme des Helden an der Jagd des Kalydonischen Ebers.
Omphale bewunderte die Tapferkeit ihres Knechts und mochte wohl ahnen, daß ein herrlicher, weltberühmter Held ihr Sklave sei. Nachdem sie erfahren, daß er Herakles, der große Sohn des Zeus sei, gab sie ihm nicht nur in Anerkenntnis seiner Verdienste die Freiheit wieder, sondern sie vermählte sich auch mit ihm. Aber Herakles vergaß hier im üppigen Leben des Morgenlandes der Lehren, die ihm die Tugend am Scheidewege seines Jugendlebens gegeben; er versank in weibische Wollust. Dadurch geriet er bei seiner Gemahlin Omphale selbst in Verachtung; sie kleidete sich in die Löwenhaut des Helden, ihm selbst aber ließ sie weichliche lydische Weiberkleider anlegen und brachte ihn in seiner blinden Liebe so weit, daß er, zu ihren Füßen sitzend, Wolle spann. Der Nacken, dem einst bei Atlas der Himmel eine leichte Last gewesen war, trug jetzt ein goldenes Weiberhalsband; die nervigen Heldenarme umspannten Armbänder, mit Juwelen besetzt; sein Haar quoll ungeschoren unter einer Mitra hervor; langes Frauengewand wallte über die Heldenglieder herab. So saß er, den Wocken vor sich, unter den ionischen Mägden, spann mit seinen knochigen Fingern den dicken Faden ab und fürchtete das Schelten seiner Herrin, wenn er sein Tagewerk nicht vollständig geliefert. War sie aber guter Laune, so mußte der Mann in Weibertracht ihr und ihren Frauen die Taten seiner Heldenjugend erzählen: wie er die Schlangen mit der Knabenhand erdrückt, wie den Riesen Geryones als Jüngling erlegt, wie der Hyder den unsterblichen Kopf abgeschlagen, wie den Höllenhund aus dem Rachen des Hades heraufgezogen. An diesen Taten ergötzten sich dann die Weiber, wie man an Ammenmärchen Freude hat.
Endlich, als seine Dienstjahre bei Omphale vorüber waren, erwachte Herakles aus seiner Verblendung. Mit Abscheu schüttelte er die Weiberkleider ab, und es kostete ihn nur das Wollen eines Augenblicks, so war er wieder der krafterfüllte Zeussohn, voll von Heldenentschlüssen. Der Freiheit zurückgegeben, beschloß er, zuallererst an seinen Feinden Rache zu nehmen.