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Dem Apotheker Baldesar Nurfürdich, wohnhaft in der berühmten Stadt Schilda, war vor etlichen Monaten die Ehefrau gestorben. Er hatte sie dereinst wegen ihres Mammons geheiratet; insgeheim war sie ihm in den zweiundzwanzig Jahren gemeinsamen Lebens immerdar unausstehlich gewesen. Es wußte nur niemand; nicht einmal seine sogenannten Freunde. Die in der Kleinstadt unerläßliche Heuchelei hatte ihm den Mund verschlossen; und so hatte man seine Musterehe gepriesen. Jetzt, da er Witwer war, schmeckte ihm das Mittagessen nicht mehr. Er kam sich einsam und verlassen vor. Und jeden Sonntag trug er der Hingegangenen einen schönen Blumenstrauß aufs Grab.
Kleinmütig war er lebenslang gewesen und bei allem Wohlstande niemals daseinsfreudig. Jetzt ward er ein Griesgram. Und mehr noch verbitterte ihn. Sein einziger Sohn ging plötzlich eine Mißheirat ein. Und es fügte sich, daß Baldesar aus bürgerlichem Anstand einem Logenbruder tausend Taler borgen mußte, ohne daß der Mann dadurch vor dem Bankrott bewahrt wurde. Offenbar war das Geld verloren.
Tag und Nacht jammerte Baldesar: Läge ich nur schon neben meiner lieben Agnes draußen im Friedhofe!
Da kam seine Schwiegertochter auf einen guten Gedanken. Wenn der alte Esel wirklich abfahren will, sagte sie zu ihrem Manne, so sollten wir ihm doch dazu ein wenig helfen.
Sie besprachen sich und machten sich ans Werk.
Zusammen gingen sie zu dem Apotheker und sagten zu ihm: Vater, wie siehst du schlecht aus! Blaß, krank und ganz verändert. Was mag dir fehlen?
Ich habe den Arzt noch nicht holen lassen, erwiderte der Hypochonder. Aber ich weiß schon, was mir fehlt; ich habe die Gallenverdoppelung. Ich habe in meinem Hausdoktor über die Symptome nachgelesen; es stimmt alles. Betet für mich, meine Kinder; es geht mit mir zu Ende.
Anderntags kam ein Verschworener der beiden in die Apotheke. Verehrter Herr Nurfürdich, begann er, wie seht Ihr schlecht aus, blaß, krank und ganz verändert! Laßt Euch den Puls fühlen! Bei allen Heiligen, Ihr habt Fieber! Ihr solltet Euch zu Bette legen.
Ihr habt recht, entgegnete der Apotheker, zu Tod erschrocken. Ich sage es ja immer: Mit mir gehts zu Ende.
Sprachs, ging in den Oberstock und legte sich in sein Bett.
Wie der Arzt kam, ein Schelm, der es dem reichen Spießbürger von Herzen gönnte, daß ihn der Satan auch endlich einmal am Kragen erfaßt hatte, erklärte er nach umständlicher Beklopferei feierlich, denn es sollte wirken wie die Verkündung des Todesurteils über einen armen Sünder: Alter Freund und verehrter Apotheker, Ihr habt die Gallenverdoppelung.
Und was ist dagegen zu tun? fragte der alte Giftmischer entsetzt.
Einpacken bis über die Ohren! Tüchtig schwitzen! Diät! Strengste Diät! Nur noch trocken Brot und Ungarisch Wasser! Sonst garantiere ich für einen baldigen gottseligen Abgang.
Mutlos sank Baldesar in seine Kissen zurück. Jetzt naht mein letztes Stündlein! sagte er sich, voll des Grauens, das jeder Philister vor dem bösen Sensenmanne verspürt. Was will ich aber auch noch vom Leben? Soll ich länger leiden? Genug! Es komme, was kommen will!
Als der Arzt fort war, stellte sich eine Krankenschwester ein, entsandt von Baldesars Schwiegertochter, um ihm in seinen letzten Tagen beizustehen. Die erste Handlung der klapperdürren Frömmlerin war, dem alten Sünder seine Todesängste ordentlich zu verstärken. Hoffen wir, sagte sie, daß Ihr erlöst seid, ehe der Teufel Euch holt. Baldesar fühlte sich ganz totsterbensmatt.
Er schickte das fatale Weib auf ein paar Stunden fort und ließ sich sodann eine Bouteille Rotspohn ans Bett bringen, nicht von der Marke, die er in seinem Laboratorium immer um die Herbstzeit selber zu brauen pflegte, und die in Schilda hochbeliebt war, nein, eine Flasche veritablen alten Bordeaux, den er sich media in vita aus Geiz nur selten gegönnt hatte. Nun, in seiner tiefen Melancholie, labte der gute alte Wein ihm noch einmal Leib und Seele; bei Ungarisch-Wasser wäre es mit ihm aus gewesen.
Schließlich stellte sich der Herr Pfarrer ein.
Da wußte Baldesar: Jetzt ist unfehlbar das Ende da. Auch der Rotspohn hilft nun nichts mehr. Und ergeben lispelte er vor sich hin: Wie Gott will, ich halte still.
Gegen Abend eröffnete ihm die Samariterin: Eure Füße sind eiskalt; Eure Augen trüben sich; Eure Zunge lallt nur noch. Der Todeskampf beginnt. Seid auf alles gefaßt!
Da ließ der Sterbende den Notar holen. Bisher hatte er die drei Taler auszugeben sich gescheut.
Der Mann kam.
Ich setze meinen Enkel Fridolin zum alleinigen Erben ein. Bis er mündig wird, soll die hohe Obrigkeit den ganzen Kram verwalten. Amen!
Damit hatte er sich mit Leben und Sterben abgefunden. Herzhaft klappte er die Augen zu. Nun war er für die Welt tot.
Sein Sohn kam, seine Schwiegertochter, alle Anverwandten, eine Schar Freunde, der Provisor und der Lehrbub, etliche Skat- und Logenbrüder, der Vize-Vorstand vom Verein Heimatschutz, dessen Vorstand er gewesen war, und zuletzt der Oberbürgermeister.
Ehre, wem Ehre gebühret! sprach das Stadtoberhaupt, seiner Würde und Wirkung bewußt.
Baldesar hörte den Spruch mit tiefer Befriedigung. Nicht minder ergriffen war er, als Tante Kornelia – im Leben hatte er die böse Klatschbase nicht ausstehen mögen und sie dementsprechend schlecht behandelt – an ihn herantrat und ihm die gefalteten Hände streichelte mit den Worten: Wir haben einen edlen Mann verloren!
Am liebsten wäre er aufgesprungen und der alten Jungfer um den Hals gefallen. Zum erstenmal in seinem Leben empfand er etwas wie Reue. Donnerwetter, sagte er sich, ich hätte der Tante Kornelia doch wohl dreißig Taler vermachen sollen. Aber kannte ich ihre mir zu spät offenkundige, edle Gesinnung? Ach, ich Tor! Die Furie heuchelt bloß, aus Angst vor ihrem eigenen baldigen Ende.
Einer der Skatbrüder sank vor dem Bette nieder und schluchzte: Guter, von uns jäh geschiedener Freund, die Skatregeln hast du zwar nie kapiert; aber es spielte sich famos mit dir, und ich habe manchen Groschen eingesackt. Werde dir dafür die Erde leicht!
Wiederum wäre Baldesar am liebsten aufgesprungen, um dem allzu ehrlichen Freunde eine kräftige Maulschelle zu stiften; aber das dürfen Tote nicht.
Schließlich, nach Zeremonien, Leichenreden und Lobeshymnen nagelte man ihn ein. Der etwas zu billig gekaufte Sarg war schlecht gebaut; am Kopfende drang rechtschaffen viel Luft ein. Dieser Glücksumstand rührte den nun bald Begrabenen. Es muß einem frommen Manne genügen – sagte er sich – wenigstens im allerletzten Stündlein die Götter gnädig zu sehen!
Alsbald trug man ihn hinaus; die enge Stiege hinunter; und dann ging der Zug nach dem Friedhofe, der ziemlich weit vor der Stadt lag. Eine Viertelstunde vernahm er stillauschend die schlürfenden Tritte der stattlichen Trauergesellschaft, die ihm das letzte Geleit gab, weil es so Sitte war, wenn ein ehrbarer Bürger gestorben ist, in Schilda wie überall. Zwölf kräftige Jünglinge schleppten Baldesars Holzgehäuse und zwölf zarte Jungfrauen sangen ein weinerliches Lied.
Kurz vor dem Friedhofe ward Rast gehalten, am Gasthofe zum Grünen Jäger. Baldesar wußte, daß man es zumeist so hielt, und er war durchaus mit dem Halt einverstanden, denn es dünkte ihn, nie im Leben ein so miserables und unbequemes Verkehrsmittel benutzt zu haben.
Plötzlich vernahm er eine ihm wohlbekannte, eine ihm ganz besonders wohlbekannte Stimme.
Es war der Logenbruder, der unlängst pleite gegangen war. Er kam aus dem Grünen Jäger, trat an die hingesetzte Bahre, und was sagte er?
Ach, unser lieber Bruder vom Gelben Apfel, wie würde er sich gefreut haben in seiner menschenfreundlichen Seele, wenn ich ihm noch hätte vermelden können: Denke dir, Baldesar, meine Frau Schwiegermutter ist vor acht Tagen gestorben; ich bin wieder zahlungsfähig – und morgen wollte ich dir deine tausend Taler zurückbringen!
Das war zuviel! Der Lebensmüde, schon beinahe Begrabene stieß mit gewaltigem Stoß den Sargdeckel auf, steckte den Kopf vergnügt aus seinem Kerker und reckte dem braven Schuldner die Rechte hin, indem er ausrief:
Hole dich der Fuchs, wenn du mir nicht auf der Stelle meine tausend Taler aufzählst! Nun lebe ich weiter.
Es war in Ragusa, wo eines schönen Tags die Ehefrau eines wohlangesehenen Bürgers beichten ging. Ich weiß im Augenblicke nur nicht, welcher geistliche Orden damals dort segensreich wirkte; nehmen wir an, jene wackere Bruderschaft ist inzwischen längst ausgestorben. Kurz, ein Mönch bekam die Sünden dieser Eva anvertraut, und was dem ehrwürdigsten Manne widerfahren kann, es suchten ihn dabei unstatthafte Lüste heim. Und schließlich geschah es, daß sich zwei Entflammte eifrigst berieten, wie sie sich ein Schäferstündchen schaffen könnten. Man verabredete folgendes. Die Zuspruchsbedürftige sollte sich zu Haus alsbald totkrank stellen und den Beichtvater an ihr Schmerzenslager erbitten. Fromme Ergüsse pflegen unter vier Augen vor sich zu gehen; somit war das Stelldichein gewährleistet.
Am andern Morgen tat die Frau als gehe es ihr hundemiserabel. Sie blieb im Bett, erheuchelte gräßliches Bauchweh und verlangte gegen Mittag mit kreuz erbärmlicher Stimme nach ihrem Seelentröster. Rasch ergeben in das ihm so jäh drohende Witwertum, erfüllte ihr der gutmütige Ehemann diesen letzten Wunsch. Der Mönch kam und spendete reichlich Trost, bis nach einer geschlagenen Stunde die Magd ins Gemach trat, nach etwaigem Begehr der kranken Herrin zu fragen. Würdevoll empfahl sich da der Mönch, nicht ohne laut zu versprechen, anderntags wieder zu kommen, um die Beichte zu vollenden.
Wiederum gegen Mittag erschien er zum zweiten Male. Abermals fiel es keinem Hausgenossen ein, die weihevolle Zwiesprache zu stören. Der Mönch setzte sein menschenfreundliches Amt emsig fort; um es sich bequemer zu machen, zog er diesmal die Hose aus und hing sie über das Bettgestell. Stiller Gottesfriede waltete im Gemach; da trat plötzlich der Ehemann in die Stube, wahrlich nicht, weil ihm die Trösterei zu lange dauerte, vielmehr aus reinem Mitleid um seine dem Jenseits verfallene Eheliebste. Der Mönch erschrak; aber es gelang ihm, sich mit Anstand zu erheben und seine Kutte unauffällig zusammenzuschlagen. Unter wiedergewonnener Sicherheit empfahl er sich, vergaß aber in der Eile seine ausgezogene Hose zu ergreifen.
Der Ehemann gewahrte die merkwürdige Reliquie erst, nachdem der Mönch das Haus verlassen hatte. Jetzt übermannten ihn übler Verdacht und maßlose Wut. Er rannte auf die Straße, immerfort schreiend: Wahrlich, ein trefflicher Beichtvater! Der Schelm hat mir mein Weib verführt. Ich werde es ihm besorgen. Sein Lebtag soll er seine Hose an kein Ehebett mehr hängen!
Die Nachbarn strömten herbei; die Vorübergehenden blieben stehen; der Vorfall ward zum öffentlichen Ärgernis. Im Zorn über sich selber lief nun der geprellte Bürgersmann zum Abt des Klosters und brachte ihm den erlittenen Schimpf vor. Hundertmal beteuerte er dabei: Den Lüdrian bringe ich eigenhändig um. Ich knüpfe ihn an seiner Hose auf.
Der Abt, ein weltweiser alter Mann, versuchte alles mögliche, den Ergrimmten zu beschwichtigen. Derlei hängt kein Besonnener an die große Glocke, meinte er. Stillschweigen müßt Ihr und Gras über die Geschichte wachsen lassen. Was ist übrigens daran erwiesen? Die Hose wird dem Barmherzigen ganz nebenbei hinuntergerutscht sein.
Damit gab sich der schwer Gekränkte nicht zufrieden. Wer wird mir das glauben? jammerte er. Schon spricht die ganze Gasse, die ganze Stadt, die ganze Gegend von der fremden Hose an meinem Ehebette. Herr Abt, schafft bessern Rat! Sonst geschieht ein Unglück.
Eine Weile überlegt sich der hilfsbereite Abt das schlimme Ding. Und schon schmunzelt er gemütvoll.
Hört mich an! sprach er. Eigentlich ist das mein Amtsgeheimnis. Aber um Euer Eheglück zu retten, verkündige ich Euch: Es war die Hose des heiligen Antonius, die wir seit Jahrhunderten im Klosterschatze verwahren. Unser Bruder, dein Beichtvater, hat sie ohne mein Vorwissen mitgenommen, um Euerm Weibe zu helfen. In der Tat: Eure Frau ist wieder gesund. Schmückt Euer Haus! Morgen in der Frühe wird die Prozession kommen und ich in Persona, um die heilige Hose vor aller Welt zurückzuholen.
Ergriffen sank der Bürger in die Knie. Und anderntags kamen die Mönche feierlich gezogen. Der Abt begab sich an den Ort des Vorfalls, hob die verlassene Hose ehrfurchtsvoll auf, legte sie auf ein goldbesticktes Seidentuch und trug sie hinab. Wer ihr begegnete, küßte die köstliche Reliquie, und unter dem Gesänge der Chorknaben ward sie zur Schatzkammer ins Kloster geleitet.
Erhobenen Hauptes wandelte fortan der Gerechtfertigte wieder durch die Gassen der Stadt, innigst dankbar dem heiligen Antonius, daß er ihm wiedererstattet hatte, was jedem Spießbürger das Allerhöchste ist: sein Ansehen bei den Anderen.
Fremdling, der du nach Ragusa kommst, verfehle nicht, dir die heilige Hose zeigen zu lassen!
(Nach einer Facezie des Florentiners Poggio, zuerst gedruckt 1496.)