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1811
1778 – 1842
Bruder der Bettina v. Arnim,
bekannt durch seine Liedersammlung:
Des Knaben Wunderhorn.
Brentanos schönste Gedichte hat Albrecht Schaeffer zu einem Bändchen gesammelt
Um sagen zu können, was der Philister, ehe er in der Geschichte aufgetreten, in der Idee war, muß ich ihn erst als das betrachten, was er jetzt als die allegorische Figur seines Wesens ist, und ich sage daher: Ein Philister ist ein steifstelliger, steifleinerner oder auch lederner, scheinlebiger Kerl, der nicht weiß, daß er gestorben, und sich ganz unnötigerweise noch auf Erden aufhält. Ein Philister ist ein, mit allerlei lächerlichen äußerlichen Lebenszeichen behängter, umwandelnder Leichenbitterstock seines eigenen inneren ewigen Todes. Ein Philister ist ein Kerl, dem alle Spiegel und so auch die Schöpfung, Gottes Spiegel, blind sind von Ewigkeit. Ein Philister ist der geborene Feind aller Idee, aller Begeisterung, alles Genies und aller freien göttlichen Schöpfung. Er ist die Karikatur des Teufels in ewiger Nüchternheit.
Gott ist die ewige Einheit außerhalb von Natur und Kreatur, in sich selber; und in seinem Aussichwallen ist das Wollen. Die ewige Einheit wohnt im unergründlichen Nichts, und das Ich des Nichts ist Gott; und indem sich die Einheit auftut, ist sie das lautere Wollen, das nur sich selber wollen kann. Dies Bewegen, das Wallen des Wollens und die Empfindung seiner selbst in der Lust des Wollens, ist der Geist des göttlichen Lebens, der Ausgang der wollenden Liebe, das ewige Ja, die ewige Einheit, die sich aber im Willen wollend zurückzog, um sich zu empfinden, und dieses ist das ewige Nein oder die ewige Eigenheit. Ja und Nein sind eins, haben aber zwei Zentra. Als die Eigenheit nur sich wollte und nach der Einheit nicht mehr fragte, entstand der erste Philister, Luzifer, der Leuchter, der als Bild, gebildet, eingebildet und ausgebildet, als geneintes Nein, sich über das Ja erheben wollte und zur Hölle niedergestürzt ward. Und ist dieser Sturz des Leuchters samt der Kerze die Trennung des Schweren vom Leichten, die Gründung der Erde, die Finsternis, die Materie, das ewige Nein, der Feind der Idee als ewiger Einheit, das bloß sich selber bedeuten Wollende, der Satan, und in seinen weiteren Ausgeburten die Sünde, der Philister.
So hätte ich denn nach vorherigen seltsam klingenden Worten den Philister bei den Ohren. Nun aber, verehrte Tischgenossen, erlaube ich Ihnen, von Herzen zu lachen. Sie werden vielleicht mit einiger Ehrfurcht gemerkt haben, daß mir der erleuchtete Jakob Böhme gütig unter die Arme gegriffen hat. Aber, was ich gesprochen, das glaube ich, und das Lächerliche ist nur, daß das Wort an allen Ecken und Enden zu kurz ist; das Bewundernswerte aber ist die heilige Begierde der Erkenntnis. Der Philister philosophiert umgekehrt, er als das geborene Nein.
Ich komme zu dem vom Himmel gestürzten Philister zurück, mit dem Wunsche, er möchte sich alle Rippen im Leibe gebrochen haben. Aber siehe da! Er befindet sich vortrefflich, oder vielmehr, seine Ärzte, die Moral-Theologen, wenn sie nicht logen, sagen, es bessere sich täglich mit ihm. Jener Sturz des Philisters Luzifer war die Entstehung der Materie, war die Erbsünde der neugeborenen Erde; denn das ist die Sünde, daß sie eine ewige Zurückziehung aus dem Ja ist, ein immer sich verstärkendes Nein im Nein. Der Sündenfall ist unendlich wiederkehrend, denn Luzifer fiel aus der Idee ins Bild, aus dem Bild in die Materie. Da aber nichts aus dem ewigen Gott herausfällt, so empfand Gott Mitleid mit der Erde und berührte sie mit dem Hauche Ja, und er machte sie erblühen in Adam, einem Geschöpfe, in dem er von neuem in niederer Ordnung sein Ebenbild frei ausstellte. Und als Adam sich sehnte, war er wieder das bloß ausfließende Ja, und Gott stellte ihm das Nein abermals gegenüber in der Eva. Er warnte sie vor dem Fall durch den verbotenen Baum, aber das Weib ließ sich durch die Schlange, durch das Nein, verführen, sich abermals über Gott erheben zu wollen, und wir sehen einen neuen Fall aus der Unschuld in die Schuld, aus der Einheit des Lebens in die Eigenheit des Todes.
Wenn der Philister morgens aus seinem traumlosen Schlafe, wie ein ertrunkener Leichnam aus dem Wasser, auftaucht, so probiert er sachte mit seinen Gliedmaßen herum, ob sie auch noch alle zugegen. Hierauf bleibt er ruhig liegen.
Wenn er schließlich aufgestanden, kaut er einige Wacholderbeeren, während er an das gelbe Fieber denkt. Er hält seinen Kindern eine Abhandlung vom Gebet, und wenn er sie in die Schule geschickt hat, sagt er zu seiner Frau: Man muß den äußeren Schein wahren. Das erhält einem den Kredit. Sie werden früh genug den Aberglauben einsehen. Sodann raucht er seine Pfeife; denn Tabak ist des Philisters höchste Leidenschaft, wenn er sie nicht übertrieben haßt. Im allgemeinen ist der Rauchtabak dem Philister unsagbar lieb und wert; er sagt, beim Zuge der Rauchwolken stelle er Betrachtungen über die Vergänglichkeit aller Dinge an; also hängt die Pfeife mit seiner Philosophie zusammen.
Zweifelsohne zieht der Philister nun alle Uhren im Hause auf. Beim Kaffee spricht er von Politik. Kränkend wäre es ihm, wenn seine Eheliebste ihm nicht ein Dutzendmal sagte: Trinke doch! Er ist so schöne warm. Trinke, ehe er kalt wird! – Wenn er ihm aber nicht warm gebracht worden wäre, wehe dann der armen Hausfrau! Seine Kaffeekanne ist von Bunzlauer Steingut; und ist er ein langsamer Trinker, so hat sie ein schöngesticktes Kaffeemäntelchen um.
Sodann geht der Philister zu seinen Geschäften. Doch ich will ihn seinen weiteren Tageslauf ad libitum führen lassen.
Bei den unbedeutendsten Gesprächen macht der Philister Gesichter von größter Bedeutung, die aussehen wie Sintemalen, Alldieweilen, Quemadmodum und Quamobrem. Wenn er schlau ist, macht er ein paar Äugelchen wie Sicsic und Etiamsi. Nichtsdestoweniger schaut er nie aus wie Nichtsdestomehr, sondern immer wie Nihilominus.
Hat ein begeisterter Mensch das Unglück, mit dem Philister ins Gespräch zu geraten, so horcht der ihn ruhig aus und meint zuweilen: Ei, ei, was Sie nicht sagen! Und zuletzt sagt er: Es wird wohl so arg nicht gewesen sein.
Er sammelt Zeitungen und Komödienzettel, weiß immer, wer predigt, geht aber nur des öffentlichen Ansehens halber in die Kirche, wo er schläft, woran er recht tut, denn der Prediger ist auch ein Philister. Übrigens ist er einer der Knopfmacher (Cicisbeo) seiner Eheliebsten.
Der Philister hatte nichts dagegen, wie sich eine Weile nach der Hochzeit einige Knopfmacher in seinem Hause einsiedelten, weil sie mit ihm Tabak rauchen und ein Partiechen mit ihm machen, wovon alle Philister große Freunde sind. Wenn diese Gesellschaft beisammen sitzt, wozu noch ein Leutnant der Landmiliz und ein Kandidat der Philosophie gehört, alle dreie Knopfmacher, so kommen die schönsten Philistereien aufs Tapet. Sie sind alle vier einer Meinung; gleichwohl schreien sie gewaltig. Ich will ihre Eigenschaften und Meinungen lieber zusammenfassen, denn sie haben alle dieselben.
Wenn sie vom Genuß einer schönen Gegend sprechen, sagen sie gern, sie hätten ihren Horaz mitgebracht, aber aus der Tasche gezogen haben sie ihn nicht. Sie erzählen gern ihre Jugendstreiche, die in der Art sind wie die des Friedensrichters Schaal in Shakespeares: Heinrich der Vierte. Nie sind sie berauscht gewesen, ohne zu trinken, dann aber immer stockbesoffen. Sie können kein ursprüngliches Dichterwerk begreifen; sie verspotten und parodieren es, und schreiben dann doch wässerige Nachahmungen. Sie haben dem Werther die empfindsamen Romane, dem Götz die Ritterstücke, dem Ardinghello die Künstleromane, der Lucinde die transzendentalen Lubrica, dem Novalis honigseimleimschleimschlingende Sonette und Kanzonen nachfolgen lassen, und Schillers Trauerspielen die kaltjambischen sentenziösen Schicksalsdramen.
Sie nennen Natur, was in ihren Gesichtsraum fällt; alles andre ist widernatürliche Schwärmerei. Sie begreifen kein Symbol und halten viel auf Brotstudien. Eine schöne Gegend ist ihnen die, durch die eine bequeme Chaussee führt. Voltaire ist ihnen lieber als Shakespeare. Sie glauben, mit der Welt sei es aus, weil es mit ihnen nie angegangen ist. Sie belächeln alles von oben herab, halten Scherz für Dummheit, bedauern, daß wir keine römischen Klassiker sind, und gratulieren einander, in einer Zeit geboren zu sein, in der so treffliche Leute wie sie leben. Sie behaupten, man müsse die Festungen übergeben, um die Städte zu schonen, und sie lassen gern uralte Eichen umhauen, um irgendeinen Pflaumenbaum zu pflanzen. Sie glauben, die Deutschen seien kein herrlich Volk; sie müßten von Ausländern gebildet werden; doch schwatzen sie immer vom Deutschtum. Sie würden aber gar nichts gegen die Franzosen haben, wenn ihnen nur die Einquartierung nicht so viel kostete. Die Engländer nennen sie Englishmen, und sie lieben sie wegen der Pfund Sterling. Sie bilden sich ein, ein Heer könne etwas wert sein ohne Begeisterung, und sie verstehen nicht, wie ein solider Monarch den tollen Dante zu verdeutschen vermochte. Sie rezensieren Dinge, die sie nicht begreifen, und treiben ihren Spott mit den Notformeln der Philosophie. Enthusiasten schelten sie Verrückte, Märtyrer Narren, und sie können nicht begreifen, warum der Herr für unsre Sünden gestorben und nicht lieber zu Apolda eine kleine Schnapsfabrik angelegt hat. Nie trifft Regen sie ohne Regenschirm.
Mit dem Zustande des Theaters in Deutschland sind sie vollkommen zufrieden. Das sind dieselben Leute, die nicht verstehen, daß unsere Vorfahren so töricht waren, ungeheure Kirchen zu bauen. Nie aber hat ein Philister geschaudert, wenn man ungeheure Schauspielhäuser errichtete, um dann bei unzähligen Kerzen dargestellt zu sehen, was der eben fließende gemeine Strom der Literatur an gemeinstem Flößholz heranschwemmt. Ich glaube, daß kaum irgendwo die Philistern der modernen Zeit mehr zutage getreten ist als im Theater. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, Dummheit oder Wahnwitz, daß es so weit hat kommen können, daß diese eine und einzige Kunstausübung, in der der Mensch mit seinem ganzen Dasein Künstler ist, daß diese Kunst, die das Leben selber dem Leben hinstellen soll, so unbegreiflich elend getrieben wird. Hieraus sieht man allerdings auch, wie nah die Schauspielkunst dem Herzen der ganzen Welt steht, so nah, daß sie, sogar elendst betrieben, noch mit allen Händen begrüßt wird. Wer hat dies Elend verschuldet? Der Philister, sage ich, der Schlendrian, der Wahn, daß er meint, was ihm gerade genügt, sei genug und damit Holla! Liebte der Philister das Schauspiel nicht, so wäre es anders; so wäre der gute Geist über ihm. So aber, wie es jetzt mit dem Theater steht, ist es die einzige Kunst, die nie von neuem erstanden ist; sie trägt alle Krankheit, alle Schande, alle Armut der Geschichte an sich und ist dem besseren Zuschauer nur das deutlichste Wahrzeichen des allgemeinen Weltzustandes. Wie ein Nilmesser steht sie da; wir können sehen, wie hoch das Wasser jeder Zeit gestanden. Der Schlamm aber, der auf unsern Feldern zurückbleibt, düngt sie nicht; er verpestet uns.
Der Philister hat nur Sinn für platte, tändelnde oder bocksteife Musik. Den Beethoven hält er für verrückt. Schlechte Gemälde hält er für hübsch, und ein Tempelchen im griechischen Gartenstile ist sein Bau-Ideal. Er verachtet die alten Volksfeste und Sagen und was an einsamer Stelle, vor moderner Frechheit gesichert, altersgrau geworden ist. Er unterhält sich besonders gern von Vaterland und Patriotismus; wenn man ihn aber genauer fragt, warum er sein Vaterland liebt, so fängt er an, sich selber darüber zu wundern, denn in Wahrheit geht er immer damit um, alles zu vernichten, was sein Vaterland zu einem individuellen Lande macht. Wo sie können, vernichten die Philister alte Sitten und Herkömmlichkeiten; sie brechen die Wappen und Schilder von ehedem. Alles, was kein Geschick, was sogar der Tod nicht raubt, die imaginären Fußtapfen, die die alten Geschlechter ihren Nachkommen vererben, den Bann der Liebe und Treue zu dem Flecken Landes, den sie bewohnen, auch das wetzen sie aus, damit bald kein Philister mehr wisse, wo er zu Hause ist. Ihre Absicht dabei ist, das Eigenartige als den Ackerboden der genialen Menschen zu zerstören, um auch sie unter den Hut des Teufels zu bringen. Alle Welt soll einerlei Rock tragen. Ich aber preise den selig, der den seinen zeichnet, sei es mit einem Kreuz über dem Herzen oder sonstwie, damit ihm die Andern darnach einen Namen geben, den er selber ehrt und seinen Kindern und Enkeln hinterläßt. Selbst diesen Namen wollen ihm die Philister kaum lassen. Arm wollen sie uns des Volkes Mund machen. Ihr höchster Plan, ein Land zu beglücken, ist der, es in ein sauber gewürfeltes Damenbrett zu verwandeln; es ist dann leichter ins Kleine zu reduzieren. Alles möchten sie in gleicher Weise anstreichen, übertünchen, numerieren, paginieren. Alles Vorurteil muß weg, das heißt alles, was die Ur- und Vorwelt geteilt oder verbunden hat. Diese Narren radieren sogar an Gottes Namen die ihnen überflüssigen Buchstaben aus.
Nur zu, meine Herren Philister! Der Teufel wird schon durchschlagen.