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Das Titelblatt hat sich verloren und ich kann ohne alle Amorbinde und Blende recensiren: denn Namen machen unfrei, und Personalienkenntniß vollends. Sollten die Etuden daher von Moscheles sein, so fürchte ich nicht, sie zu sehr tadeln zu müssen wegen Charakterschwäche, – oder von Chopin, so soll mich sein schwärmerisch Auge nicht verführen, – oder von Mendelssohn, den spür' ich tausend Schritte weit in den Fingern und sonst, – oder von Thalberg, so soll er die Wahrheit erfahren, – oder gar von dir, Florestan, der du uns am Ende einmal mit »Violinetuden für Clavier« überraschen wirst, wie du deren schon orchesterartige gesetzt, so soll unsern Goliathen nichts verschwiegen bleiben. Nachdem ich einen prüfenden En-Gros-Blick in das Heft geworfen (ich halte viel von der Notengestaltmusik für's Auge), so gesteh' ich, daß es wohl nicht allein an den sehr scharfen, einzeln stehenden, wie in Stein gehauenen Köpfen liegt, daß ein jeder etwas zu bedeuten und die lose verschlungenen Stimmfäden immer in einen klaren Büschel zusammen zu wachsen scheinen. Sodann sieht mich etwas ungemein Solides an, dabei Säuberliches, Geputztes, in der Art, wie sich alte Leute noch Sonntags gern anziehen, vor Allem aber etwas Wohlbekanntes, dem man schon im Leben einmal begegnet zu haben meint. Bon romantischen Gießbächen hör' ich nichts, wohl aber von zierlichen Springbrunnen in verschnittenen Taxusalleen. Doch sind dies alles optische Ahnungen und bei Weitem sicherer schlag' ich gleich S. 30 auf – » Moderato en carillon«:
Carillon heißt jedenfalls Glockenspiel und vergleiche ich die Etude einem klingenden chinesischen Thurm, wenn der Wind unter die närrischen Glöckchen fährt. Sehr hübsch find' ich sie und erachte sie eines guten Musikers würdig: ja sie hat etwas Cramer'sches. Weiter – S. 32:
Melodie scheint mir deine Stärke nicht, verschleierter Künstler, aber wie kannst du auch S. 34 innig werden! Ist es doch, als glühe in ein greises Gesicht ein Blitz von früher hinein und verkläre es eine Weile, und es sinke dann wieder ermattet auf's Ruhebett zurück. Von Chopin ist die Etude nicht: darauf schwör' ich. Zurück – S. 20:
Hier könnte Moscheles seine Hand im Spiel haben, wenn sie sich nicht gar zu lang in der ursprünglichen Tonleiter bewegte: aber wie glücklich geräth sie in einer neuen Bewegung an ein Ziel:
Weiter finde ich S. 23:
Ludwig Berger feilt seit langen Jahren an einem Heft: ich bekomme ihn hier stark in Verdacht. Das geht so fest durch den Harmoniestrom, ohne Bangen, auf eine seichte Stelle oder eine Untiefe zu gerathen; ja im E dur steigt es an's Land und sonnt sich auf grünem Rasen, dann aber flugs wieder in die Wellen hinein. Zurück S. 18:
– die mich irre am Componisten macht und einen fernen südlichen Anflug, ja Aehnliches von einem Quartett aus einer Bellini'schen Oper hat. Ich vermuthete schon auf ein Oeuvre posthume von Clementi: aber hier fühl' ich jüngste Einflüsse. Dagegen scheint mir S. 2 sehr altväterisch, S. 28 und 42 trocken und langweilig.
Was aber funkelt hier, S. 26, und duftet auf mich ein:
Ein webendes Tonspiel von sechs und mehren Stimmen, ein glückliches Durcheinander, ein Plaudern von geliebten Lippen – und wahrhaftig, hier senk' ich meinen Degen, denn nur ein Meister kann solches. Noch dazu macht mich dieser Gang stutzig:
– und gar zu meiner Verwunderung steht über einer der Etuden Nr. 97. – Sollten sie am Ende gar vom alten J. B. – – –
Freilich, Eusebius, sind sie's und ich übersetze schon seit lange an dem Titel, welcher lautet: 16 nouvelles Etudes pour le Pianoforte, composées et dédiées à Mr. A. A. Klengel, organiste à la cour de sa Majesté le Roi de Saxe, par son ami J.B. Cramer, membre de l'académie royale de Musique à Stockholm. Oeuv. 81 (Nro. 85-100.) Propriété des éditeurs. Enrégistré dans l'archive de l'union. Vienne, chez T. Haslinger, éditeur de musique etc.
Eusebius.
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J. C. Keßler, drei Polonaisen. W. 25. – Sigism. Thalberg, zwölf Walzer. W. 4. – Clara Wieck, Valses romantiques. W. 4 – L. Edler von Meyer, Salon, sechs Walzer. W. 4 – Franz Schubert, erste Walzer. W. 9 Heft 1. – Derselbe, deutsche Tänze. W. 33.
– »Und nun spiele, Zilia! Ich will mich ganz untertauchen in den Tönen und nur zuweilen mit dem Kopf vorgucken, damit ihr nicht meint, ich wär' ertrunken an der Wehmuth; denn Tanzmusik stimmt schmerzlich und schlaff wie umgekehrt Kirchenmusik froh und thätig, wenigstens mich«, – sprach Florestan, während Zilia schon in der ersten Keßler'schen Polonaise schwebte. »Freilich wär' es schön«, fuhr jener fort halb hörend halb sprechend, »ein Dutzend Davidsbündlerinnen machten den Abend zum unvergeßlichen und umschlängen sich zu einem Grazienfest. Jean Paul hat schon bemerkt, wie Mädchen eigentlich nur mit Mädchen tanzen sollten (wo es dann freilich manche Brautfeste weniger gäbe), und Männer (setz' ich hinzu) überhaupt nie.« – »Geschähe es aber dennoch (fiel Eusebius ein), so müßte man beim Trio zu der Davidsbündlerin sagen: »so einfach bist auch du und so gut« – und beim zweiten Theil wäre sehr zu wünschen, daß sie den Blumenstrauß fallen ließe, um ihn im Fluge aufheben und aufsehn zu dürfen in's dankende Auge.« Dies alles aber stand mehr in Eusebs seinem und in der Musik, als er es geradezu wörtlich sprach. Florestan reckte nur manchmal den Kopf in die Höhe, namentlich bei der dritten Polonaise, die sehr glänzend und voll Hörner- und Geigenklang.
»Jetzt etwas Rascheres und spiel' du den Thalberg, Euseb, Zilias Finger sind zu weich dazu«, sagte Florestan, hielt aber bald auf und bat, die Theile nicht zu wiederholen, da die Walzer zu wasserhell, namentlich der neunte, der auf eine Linie ginge, ja in einen Tact »und ewig Tonica und Dominante, Dominante und Tonica. Indeß ist's gut genug für den, der unten zuhorcht«. Der aber unten stand (ein Student) schrie nach dem Schluß im Ernst Da Capo und alle mußten viel lachen über Florestans Wuth darüber und wie er ihm hinunterrief, er möge sich fortscheren und nicht durch ähnliche Aufmunterungen stören, sonst würde er ihn durch einen stundenlangen Terzentriller zum Schweigen bringen u. s. w. –
Also von einer Dame? (würde ein Recensent bei den Valses romantiques anfangen). Ei ei, da werden wir die Quinten und die Melodie nicht zu weit zu suchen brauchen.
Zilia hielt vier leise Mondschein-Accorde aus. Alle horchten aufmerksam. Auf dem Flügel lag aber ein Rosenzweig (Florestan hat an der Stelle der Leuchter immer Vasen mit Blumen), der von der Erschütterung nach und nach auf die Tasten geglitten war. Wie nun Zilia nach einem Baßton haschte, berührte sie ihn zu heftig und hielt inne, weil der Finger blutete. Florestan fragte, was es wäre? – »Nichts«, sagte Zilia, – »wie diese Walzer sind's noch keine großen Schmerzen, und nur Blutstropfen von Rosen hervorgelockt.« Die aber dieses sagte, möge nie andre kennen lernen! –
Nach einer Pause stürzte sich Florestan in den Meyer'schen Salon voll glänzender Gräfinnen und Gesandtinnen. Wie einem das wohlthut, Reichthum und Schönheit im höchsten Stand und Schmuck und oben droben die Musik; alle sprechen und niemand hört vom andern; denn die Töne überschlagen in Wellen! »Dabei (preßte Florestan heraus) verlangt's einem ordentlich nach einem Instrument mit einer Octave mehr links und rechts, damit man nur recht ausholen könne und schwelgen.« Man hat keine Vorstellung, wie Florestan so etwas spielt und wie er fortstürmt und fortreißt. Auch waren die Davidsbündler ganz erhitzt und riefen in der Aufregung (eine musikalische ist unersättlich) nach »mehr und mehr«, bis Serpentin zwischen den Walzern von Schubert und dem Bolero von Chopin zu wählen vorschlug. »Treff ich«, – rief Florestan und stellte sich in eine Ecke weit vom Flügel – »mich von hier aus auf die Claviatur stürzend, den ersten Accord aus dem letzten Satz der D moll-Symphonie, so gilt Schubert.« Natürlich traf er. Zilia spielte die Walzer auswendig.
Erste Walzer von Franz Schubert, kleine Genien, die ihr nicht höher über der Erde schwebt als etwa die Höhe einer Blume ist, – zwar mag ich den Sehnsuchtswalzer, in dem sich schon hundert Mädchengefühle abgebadet, und auch die drei letzten nicht, die ich als ästhetischen Fehler im Ganzen ihrem Schöpfer nicht verzeihe; – aber wie sich die übrigen um jenen herumdrehn, ihn mit duftigen Fäden mehr oder weniger einspinnen und wie sich durch alle eine so schwärmerische Gedankenlosigkeit zieht, daß man es selbst wird und beim letzten noch im ersten zu spielen glaubt, – ist gar gut.
Dagegen tanzt freilich in den »deutschen Tänzen« ein ganzer Fasching. »Und trefflich wär's«, schrie Florestan dem Fritz Friedrich Dem tauben Maler. in's Ohr, »du holtest deine Laterna magica und schattetest den Maskenball an der Wand nach«. – Der mit Jubel fort und wieder da.
Die folgende Gruppe gehört zu den lieblichsten. Das Zimmer matt erleuchtet – am Clavier Zilia, die verwundende Rose in den Locken – Eusebius im schwarzen Sammetrock über den Stuhl gelehnt – Florestan (desgleichen) auf dem Tisch stehend und Ciceronesirend – Serpentin, Walts Nacken umschlingend mit den Beinen und manchmal auf und ab reitend – der Maler à la Hamlet, mit Stieraugen seine Schattenfiguren auskramend, von denen einige spinnenbeinigte schon von der Wand zur Decke liefen. Zilia fing an und Florestan mochte ungefähr so sprechen, obgleich alles viel ausgearbeiteter:
Nr. 1. A dur. Gedränge von Masken. Pauken. Trompeten. Lichtdampf. Perückenmann: »es scheint sich alles sehr gut zu machen«. – Nr. 2. Komische Figur sich hinter den Ohren kratzend und immer »pst pst« rufend. Verschwindet. – Nr. 3. Harlekin die Arme in die Hüften gestemmt. Kopfüber zur Thür hinaus. – Nr. 4. Zwei steife vornehme Masken, tanzend, wenig miteinander redend. – 5. Schlanker Ritter, eine Maske verfolgend: habe ich dich endlich, schöne Zitherspielerin. – »Laßt mich los«. – Entflieht. – 6. Straffer Husar mit Federstutz und Säbeltasche. – 7. Schnitter und Schnitterin, selig miteinander walzend. Er leise: »Bist du es?« Sie erkennen sich. – 8. Pachter vom Land zum Tanz ausholend. – 9. Die Thürflügel gehn weit auf. Prächtiger Zug von Rittern und Edeldamen. – 10. Spanier zu einer Ursulinerin: »sprecht wenigstens, da ihr nicht lieben dürft«. Sie: »dürft' ich lieber nicht reden, um verstanden zu sein! ...«
Mitten aber im Walzer sprang Florestan vom Tische zur Thür hinaus. Man war so etwas an ihm gewohnt. Auch Zilia hörte bald auf und die Andern zerstreuten sich hierhin und dorthin.
Florestan pflegt nämlich oft mitten im Augenblick des Vollgenusses abzubrechen, vielleicht um dessen ganze Frische und Fülle mit in die Erinnerung zu bringen. Diesmal erreichte er auch, was er wollte, – denn erzählen sich die Freunde von ihren heitersten Abenden, so gedenken sie allemal des achtundzwanzigsten Decembers 18**. –
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Etuden für das Pianoforte.
Kein Genre der Pianofortemusik hat so viel Treffliches aufzuweisen, als das der Etuden. Die Ursache liegt nah': die Form ist eine der leichtesten und anziehendsten, der Zweck, für den gearbeitet wird, so klar und festgesetzt, daß man nicht fehlen kann. Wir stellen unten übersichtlich Etuden mehrer Componisten zusammen, theils ältere, die zum Theil übersehen, theils neuere, die noch nicht öffentlich besprochen worden sind. Im Allgemeinen schicken wir voraus, daß die zu besprechenden nur als Specialitäten anzusehen sind, als Verbindungsfäden, die sich zwischen den Epochen bezeichnenden Meister-Etuden von Cramer, Clementi, Moscheles und Chopin hindurchziehen, im Einzelnen aber manches Vorzügliche enthalten, weshalb sie von Zeit zu Zeit vorzunehmen sein möchten.
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I. P. Pixis, Etuden in Walzerform.
Werk 80.
Im weitesten Sinne ist jedes Musikstück eine Etude und das leichteste oft die schwerste. Im engen müssen wir aber an eine Studie die Forderung stellen, daß sie etwas Besonderes bezwecke, eine Fertigkeit fördere, zur Besiegung einer einzelnen Schwierigkeit führe, liege diese in der Technik, Rhythmik, im Ausdruck, im Vortrage u. s. w.; finden sich untermischte Schwierigkeiten, so gehört sie dem Genre der Caprice an; dann thut man ebenso wohl und besser, das Studium auf größere zusammenhängende Concertsätze zu verwenden, die in neuerer Zeit, wie bekannt, alle Arten Difficultäten enthalten und vollauf zum Studiren geben.
Die obige Forderung festgehalten, so kommen ihr, wie sich von dem auch als Lehrer geschätzten Componisten erwarten ließ, diese Miniaturetuden fast immer nach. Sollten Manche solchen pädagogischen Schmeichelmitteln nicht hold sein, so sollen sie doch bedenken, daß man ein Kind, ein Mädchen nicht täglich mit Tonleiter- und Fingerübungen – Spiele quäle, sondern zur rechten Zeit etwas Tanzliches einstreue. Im Gegensatz daher zu manchem berühmten Claviermeister greifen wir den berühmten Satz, »junge Seelen sollen keine Tänze spielen, sondern wo möglich gleich Beethoven«, als falsch an (ebenso wie den, daß sie nichts auswendig lernen sollen) und empfehlen diese Walzer als nützliche Intermezzis, als fingergut, artig, lebhaft und musikalisch. – Unter den Bässen des 9ten Walzers steht das Wort Cornemuse. Wir erinnern uns genau, wie uns das Wort früher beunruhigte (die Etuden sind schon 8-10 Jahr alt), da wir etwas Musenartiges dahinter vermutheten, bis wir endlich im Lexikon einen »Dudelsack« fanden. Es scheint dies Wort eine Bereicherung der kritischen Terminologie, von dem nicht einmal Herr Gollmick in seiner weiß und das sich unter manche –sche Composition gehörte. Dabei (wir sind einmal im Kleinlichen) fällt uns die »Iris« ein, die neulich hinter dem Worte Ecco, das im letzten Satze des zweiten Herz'schen Concertes vorkömmt, einen lateinischen Fingerzeig, aufzumerken, über die Schönheit der Composition nachzusinnen, sehen wollte, – während das Wort wohl kaum mehr als Echo bedeutet, d. h. Wiederholung einer Phrase, wie aus der Ferne.
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J. Pohl, Divertissements oder Exercices in Ecossaisenform.
Die Divertissements sind dieselben, die wir schon früher unter dem Titel: Caprices en forme d' Anglaises anführten und dort nach Gebühr lobten. Wir wiederholen nachdrücklich, was wir von ihnen rühmten, obgleich sie allerdings mehr in die Allgemeinheit des Capriccio ausschweifen und nur einige (1. 4. 6. 15. 16. 21) ausgeprägte Etudenphysiognomieen tragen. Für das Ueberschlagen der Hände und das Eingreifen der Finger in die andern, wodurch eine so besondere Färbung hervorgebracht wird, ist am meisten gesorgt, übrigens für alle Gattungen von Schwierigkeiten, wie sie freilich nur Spielern erster Classe geboten werden dürfen. Als Composition muß man das Heft dem Besten der Genremusik gleichstellen, – ein wahrer Brillantenschmuck, wo jeder einzelne eine besondere Farbe trägt und alle aus derselben Mine gekommen scheinen, – Geist und Originalität auf jeder Seite, daneben schöner freier Satz und innige Kenntniß der Mittel des Instruments. Ob der Componist auch über größere Formen herrsche, wissen wir leider nicht, da wir von seinen andern Compositionen, die der Hofmeister'sche Katalog aufzählt, nichts zu Händen bekommen konnten. Erfahren wir etwas darüber, so soll es der Leser auch. Noch berichtigen wir einen Irrthum mit großer Freude. Wir führten an der oben bezeichnten Stelle an, daß der Verfasser gestorben sein solle. Nach andern guten Nachrichten lebt er indeß noch in Paris, soll sich jedoch von aller weltlichen Musik losgesagt haben und nur dem Studium des Contrapunkts leben. Wir führen dies an, da nach den obigen Ecossaisen die Zukunft des Componisten mehr der glänzenden Welt als dem engen Kloster anzugehören schien, – jene müßten denn, wie es auch vorkömmt, in einer besonders aufgeregten Lebensepoche entstanden sein.
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Maria Szymanowska, 12 Etuden.
(Heft 1. 2.)
Der Name wird vielen eine schöne Erinnerung sein. Wir hörten diese Virtuosin oft den weiblichen Field nennen, worin, diesen Etuden nach zu schließen, etwas Richtiges liegen mag. Zarte blaue Schwingen sind's, die die Wagschale weder drücken noch heben und die Niemand hart angreifen möchte. Muß man es schon hoch anschlagen, wenn Frauen Etuden nur spielen, so noch mehr, wenn sie sie schreiben; dazu sind diese wirklich gut und bildend, namentlich für Erlernung in Figuren, Verzierungen, Rhythmen u. s. w. Sieht man auch überall das unsichre Weib, besonders in Form und Harmonie, so auch das musikalisch fühlende, das gern noch mehr sagen möchte, wenn es könnte. An Erfindung und Charakter heißen wir sie jedenfalls das Bedeutendste, was die musikalische Frauenwelt bis jetzt geliefert, wobei noch zu bedenken, daß sie schon vor langer Zeit geschrieben sind und deshalb Vieles für neu und außerordentlich geschätzt werden muß, was nach und nach gewöhnlich und allgemein geworden. –
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J. C. Keßler, Etuden.
Werk 20. Heft 1-4.
Es wundert uns, daß wir in so vielen Heften eines Componisten, den wir anderweitig als einen Mann von Geist, sogar poetischem Geist schätzen gelernt haben, fast nichts als Fingerübungen, Trocknes, Formelles und Verstandesmäßiges fanden. Denn sie sind sämmtlich so nach einer Weise zugeschnitten, dabei so in die Länge und Quere gezogen, daß man sie nur sehr phantasievollen Spielern zur Abkühlung anempfehlen kann, daß minder feurigen, blos mechanischen Spielern hingegen für die wenige Fertigkeit mehr, die sie durch deren Studium erlangen, vollends die letzten Tropfen Blutes ausgezogen würden. – Der Schreibstyl an und für sich ist übrigens rein, ausgebildet, kräftig und nähert sich dem Cramer'schen, ohne dessen Reize zu besitzen. Besäße man nur immer Faustmäntel, um in der Stunde, wo Componisten ihre Manuscripte an die Verleger absenden, zu ihnen fliegen zu können! – Diesmal hätten wir nur Nr. 1, 3, 15, 18, 22 und 24 fortgelassen, die andern stehen kürzer und bündiger im Cramer, – und nehmen wir nur noch Nr. 5 aus, vor der wir, hat sie der Componist wirklich mit kreuzweis über einander geschlagenen Händen am Claviere componirt und nicht etwa auf dem Papiere transponirt, im Staube niederfallen; man wird so einen Fall nur durch Zuziehung der Noten begreiflich finden.
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H. Bertini, 25 Capricen oder Etuden.
Werk 94.
Der Componist schlägt hier zwei Weltsaiten an, die tiefe pathetische und die hohe frivole, und vereinigt somit die Krone Bellini's und Auber's unter einem Hut. Im Grunde halten wir jedoch diesen jungen Componisten für einen etwas faden Patron, der wohl nach der ersten Bekanntschaft (durch seine älteren Etuden) einen angenehmen Eindruck hinterließ, in der Länge aber unausstehlich wird. So ist denn in diesen Etuden ziemlich Alles nur aufgewärmt, coquett, studirt, – Lächeln, Seufzen, Kraft, Ohnmacht, Anmuth, Arroganz. Wir leben des Trostes, daß sich solcher Flitter nie lange in der Welt halten kann, und fallen weiter nicht darüber her: – aus gewissen Gründen empfehlen wir sogar denen, die sich in der großen Welt nicht zu benehmen wissen und doch in ihr leben wollen und leben müssen, diese Etuden als vorzüglich, da allgemeine Redensarten kaum mit mehr Eleganz und scheinbarer Tiefe ausgesprochen werden können, als es Bertini versteht, d. h. da er so außerordentlich claviergemäß und wohlklingend setzt, daß man sein Glück machen muß – bei reichen Wittwen und auch sonstig.
Wenden wir uns zu edleren Werken, zu den Etuden von C. Mayer, F. W, Grund, C, E, F, Weyse, F. Ries und L, Berger.
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C. Mayer, 6 Etuden.
Werk 31.
Dem Achilles gibt man einen Centauren zum Lehrer; schöne Spiele jedoch wollen wir bei den Grazien lernen. Die obigen Etuden sind welche, – Grazien von anmuthiger Gestalt und hellem Angesichte.
Wir Alle wissen noch von der Schule her, wie wir uns vor gewissen Lehrern ihrer Kälte und Strenge wegen beinahe fürchteten, während wir uns auf die »Stunden« anderer ordentlich freuten, Aehnlich verhalten sich andere Etuden zu unsern; man bleibt mit Freude über die Zeit bei ihnen und sucht sie recht inne zu werden, da sie einen gleich vorneherein freundlich ansehen und durch nichts Schwierigverwickeltes abschrecken. Und dann stoßen wir oft auf traurige Gestalten, welche die Schulstube zusammen gedrückt, stumm und scheu gemacht hat. Sie wissen, sind sie sich selbst überlassen, weder rechts noch links, – wissen nicht, wie sie es anfangen sollen, weiter zu kommen, – gehen zwei Schritte vor und wieder einen zurück. In solche erkältete Naturen Leben und Ton zu bringen, gebe man ihnen diese und ähnliche Etudencompositionen in die Hand, deren Schwierigkeiten der Möglichkeit der freien Darstellung nicht im Wege stehen.
Als Etuden besonders besehen, so erkennt man in ihnen den gründlichen Virtuosen, der sein Instrument, wenn auch nicht nach vielen Seiten hin, doch dessen eigentlichen charakteristischen Ton studirt hat, der dem Spieler nichts zumuthet, was er nicht nach und nach mit Sicherheit ausführen lernen könnte, der, mit einem Worte, etwas Unclaviermäßiges gar nicht mehr erfinden kann. Erwarte man also keine gefährlichen Zickzackläufe oder Riesensprünge, sondern eben Graziengänge und Windungen, welche die Glieder minder kräftigen, als frei und geschmeidig machen. – Die erste und dritte erscheinen etwas aufgeregter, doch wallt nichts über den Rand. Die zweite ist durchaus liebenswürdig, vom zweiten Theil an gut gesetzt, übrigens nützliche Uebung. Der Charakter der vierten erinnert an eine von Moscheles in E; sie würde durch Verkürzung gewinnen, indeß bleibt sie auch lang lieblich genug. Mit der fünften scheint ein Rondo angelegt, das wir ausgeführt wünschten. Die letzte gefällt uns als Composition am wenigsten; es fehlt ihr ein rhythmischer belebender Gedanke, den wir der linken Hand gegeben hätten; als Uebung für die Geläufigkeit der rechten Hand rathen wir sie oft zu spielen. –
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F. Ries, 6 Exercices.
Werk 31.
Wir genügen hier nur der Pflicht der Pietät gegen das Jugendwerk eines Meisters, dessen hohe Verdienste um die Ausbildung des Clavierspiels nicht vergessen werden müssen. Mit Lust erinnere ich mich noch des Tages vor länger als zehn Jahren, wo mir dieses Heft in die Hände fiel. Alles dünkte mir riesig, unüberwindlich, namentlich die erste sonderbar verschränkte, ausgezackte, und die in D dur, wo Achtel, Triolen und Sechszehntheile über einander gebaut sind und bei der mein Lehrer äußerte: »sie sei zehnmal leichter zu componiren als zu spielen«, was ich damals nicht verstand. Die Schwierigkeit betreffend, änderte sich nachmals meine Meinung und ist nur der Respect vor diesen Etuden derselbe geblieben. Wir legen sie von Neuem Jedem und Allen an's Herz.
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F. W. Grund, 12 große Etuden.
Werk 21.
Vielleicht daß mancher die Hand sieht, mit der wir diese Etuden (wie die nachfolgenden von Weyse und Berger) hoch über die Fläche mittelmäßiger Werke halten, welche Ausgezeichnetes weniger namhafter Künstler so oft zurückdrängen, öfters ganz überdecken. – Sie sind dem Meister Moscheles gewidmet, und dürfen es sein; denn wir haben einen Künstler vor uns, der, was ihm von höherer Hand verliehn, auf die würdigste Weise ausgebildet und, seiner Kräfte und Mittel sich bewußt, diese in ihrer Ausdehnung angewandt hat. Was uns die Etuden vorzüglich werth macht, ist, daß sie, ebenso charakteristisch als technisch bildend, Nahrung für Hand und Geist zugleich bieten. Wir erinnern uns nirgends eine ausführliche Anzeige gelesen zu haben und geben diese. In der ersten ist eine Figur durchgeführt, die Finger der rechten Hand, namentlich die schwächern zu stärken. Ein Zug, der dem Componisten beinahe Manier geworden, zeichnet diese Etude wie ziemlich alle andern aus, daß nämlich nach dem Ende hin gewöhnlich ein neuer melodischer Gedanke auftritt, wodurch die eigentliche Uebung wie etwas zurückgedrängt scheint, ohne jedoch ganz still zu stehn; es gefällt uns diese Weise ausnehmend. – Nr. 2. Uebung in Octaven und mehr als das: – poetisches Bild von einer zarten Künstlerhand entworfen. – Nr. 3. Sanft und eben, ohne besondere Auszeichnung. Das Pedal heben wir erst zu Ende des Tactes auf, da die Vorhalte durch die vielen Hauptaccordnoten doch im Augenblicke zum Schweigen gebracht werden. In Bach's Exercices Heft 1 Nr. 2 steht eine ganz ähnliche Etude. – Nr. 4. Leichtfertiges und Coquettes gelingt dem Componisten nur wenig, er ist zu deutsch dazu und mag's getrost Anderen überlassen. – In Nr. 5 lebt er wieder in seiner Sphäre, doch verliert das Stück auf S. 14 System 3 an Spannung. – Nr. 6. In den Etuden von Cramer Nr. 4 (in C moll), Moscheles (Nr. 17 in Fis moll) und Ries (Nr. 1 in C moll) finden sich welche zu gleichem Zwecke. Die vorliegende scheint uns nicht frei genug geschaffen, mag aber, rasch, scharf Note auf Note gespielt, Effect machen. – Nr. 7. Gehört in die Gattung von Nr. 4. Als Uebung war sie uns ein alter Bekannter, der uns früher oft zu schaffen machte. – Nr. 8. Trefflich, Ossianischen Charakters. Die vorkommenden Quinten stören uns nicht; wir schätzen es sogar, daß er ihnen nicht pedantisch auszuweichen suchte. – Nr. 9. In Hummel'scher Art. Die Fiorituren sind etwas steif und können wir namentlich den schmachtenden Ausgang wie Seite 25 im letzten Tact, Seite 26 Tact 5, gar nicht ausstehen. Die Art der Bearbeitung, wie Seite 26 bei dem Wiederauftreten des Hauptgesanges, steht dem Verfasser viel edler an. – Nr. 10. Die geistvollste und eigenthümlichste und zwar durchweg vom ersten bis zum letzten Tact. Wir streichen sie roth an. – Nr. 11. Schwierig, aber nützlich und dankbar. – Die letzte wird im Verlauf monoton, zumal schon die Figur in Nr. 7 verbraucht. Geistreicher, lebhafter Vortrag würde das Elftere vergessen machen.
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C. E. F. Weyse, 8 Etuden.
Werk 8.
Leider kennen wir von den Arbeiten dieses Componisten (der auch Symphonieen, Opern und Kirchenstücke geschrieben) nichts als die obigen Studien und Bravour-Allegros für Pianoforte. Bei den letzteren fällt uns der Ausspruch eines competenten Richters (Moscheles) ein, nach welchem Weyse durch dies eine Werk sich einen Platz unter den ersten lebenden Claviercomponisten gesichert hätte. Ein lobendes Privaturtheil darf wohl veröffentlicht werden, zumal hier, wo jeder Unbefangene ohne Weiteres einstimmen muß. –
Die meisten der neu erscheinenden Etuden neigen sich mehr oder weniger der Schule dieses oder jenes Meisters zu (der Field'schen, der Hummel'schen, Cramer'schen u. s. w.); die vorliegenden stehen durchaus selbstständig und abgeschlossen da und vielleicht nur dem Styl Beethoven's in etwas verwandt. Am liebsten (schreibt Eusebius irgendwo) möchte ich sie jenen einsamen Leuchtthürmen vergleichen, die über das Ufer der Welt hinausragen, während es freilich Geniusse höherer Art gibt, leicht und stolz wie Segel schwebend und neue Länder aufsuchend. Anders ausgedrückt: es finden sich einzelne Talente, die weder der Allmacht des gerade herrschenden Genius, noch der der Mode unterthan, nach eigenem Gesetze leben und schaffen; vom ersteren haben sie allerdings das an sich, was kräftigen und edlen Naturen überhaupt gemein: die Mode verachten sie aber geradezu, – und an dieser Unbeugsamkeit, ja Hartnäckigkeit, mit der sie Alles, was einem Werben nach Volksgunst ähnlich sähe, von sich weisen, liegt es wohl, daß ihre Namen gar nicht bis zum Volke dringen, vielleicht zum Schaden Beider, obwohl das letztere natürlich am meisten verliert.
Was uns also hier geboten wird, rührt von einem Originalgeiste her, wie wir nicht viele aufzeigen können. Die erste Etude gleich, wie gesund, deutsch und ritterlich! Die Farben sind ihm zu wenig zum Gemälde, er haut wie in Stein und jeder Schlag trifft sicher. – In der zweiten singt eine Ballade, über welche tiefere Stimmen auf- und absteigen. Hier, wie in manchen andern des Heftes, unterbricht der Componist den Faden der Etude durch einen freien Gedanken; wir bemerkten etwas Aehnliches schon in den Grund'schen Etuden, hier geschieht es indeß kühner und phantastischer. Die ganze Nummer ist ausgezeichnet. – In der dritten Nummer müssen Gesang und Begleitung vorsichtig geschieden werden; sie scheint uns jedenfalls zu lang und namentlich da, wo die linke Hand die Figur aufnimmt, melodieenleer: dagegen bietet sie eine gute Uebung im Staccato und im Eingreifen in die Obertasten. – Nr. 4 ist durchaus eigenthümlich, in der Form etwas roh, aber phantastisch und überall Funken sprühend. – Die fünfte sticht nicht hervor, wird aber, sehr rasch, obwohl innerlich ruhig vorgetragen, der schönen reichen Harmonieen halber wohlthun. – Nr. 8 denken wir uns besser im Zweivierteltact; sie ist uns an Zartheit und Frische des Colorits die liebste. So wenig wir die Gefühlswegweiser der delirando u. a. leiden mögen, so wünschten wir doch für weniger lebhaft auffassende Spieler einige Schattirungen mehr angezeigt, namentlich in dieser, wo die ganze Wirkung von schöner Licht- und Schattenvertheilung abhängt. – Bei Nr. 7 fiel uns die Angabe des Metronoms auf: die der Zahl beigefügte halbe Note muß in eine Viertelnote corrigirt werden, und auch dann wird sie selbst einem guten Meister noch zu schaffen machen. Im Uebrigen zeichnet sich die Etude wie durch Schwierigkeit so durch Glanz aus. – In Nr. 8 würden wir die Anfangsmelodie so spielen wie nachher, d. h. in Octaven; sonst klingt es zu dünn. Die Bemerkung ist klein gegen das, was uns die Etude im Ganzen bietet, – was man je eher je besser selbst kennen lernen möge. –
Mit wahrer Hochachtung schlagen wir die Etuden auf dem Clavier auf und erlaben uns daran. – –
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Louis Berger, 12 Etuden.
Werk 12.
Es kömmt uns nicht in den Sinn, heute ein Werk empfehlen zu wollen, das, schon vielleicht vor 20 Jahren erschienen, von den ersten Autoritäten als ein muster- und meisterhaftes erklärt worden. – Unbegreiflicher Weise aber sind die Etuden nicht weit über die Kreise gedrungen, in denen Berger unmittelbar als Lehrer selbst wirkte, – gerade diese Studien, die jeder Lernende auswendig, wissen müßte, – ordentliche Platogespräche, wo das Wort der Weisheit zugleich aus dem Mund eines Dichters gekommen. – Was für Hoffnungen gründeten sich auf dieses Werk! – nicht als ob nicht in ihm selbst schon keine erfüllt lägen (denn schriebe nur jeder Mensch ein solches Heft, so stünde es gut um Alle), sondern weil man in diesen einzelnen Gedichten die Keime zu künftigen größeren Schöpfungen geborgen erblickte. Wem der Vorwurf zu machen ist, daß diese ausgeblieben, – der Kritik, dem Publicum oder dem Componisten, entscheiden wir nicht; nur das wissen wir, daß der verehrte Meister Vieles fertig geschrieben und namentlich ein zweites Heft Studien. So sprechen denn auch diese Zeilen weiter nichts als den Wunsch aus. sie nicht länger der Oeffentlichkeit vorzuenthalten. Als seine herzlichen Verehrer bitten wir. –
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VI Etudes de Concert comp, d'après des Caprices de Paganini par R. S.
Oe. X.
Eine Opuszahl setzte ich auf obige Etuden, weil der Verleger sagte, sie »gingen« deshalb besser, – ein Grund, dem meine vielen Einwendungen weichen mußten. Im Stillen hielt ich aber das X (denn ich bin noch nicht bis zur IXten Muse) für das Zeichen der unbekannten Größe und die Composition, bis auf die Bässe, die dichteren deutschen Mittelstimmen, überhaupt bis auf die Harmoniefülle und hie und da auf die geschmeidiger gemachte Form für eine echte Paganini'sche. Ist es aber löblich, die Gedanken eines Höhern mit Liebe in sich aufgenommen, verarbeitet und wiederum nach Außen gebracht zu haben, so besitze ich vielleicht darauf einen Anspruch. –
Paganini selbst soll sein Compositionstalent höher anschlagen als sein eminentes Virtuosengenie. Kann man auch, wenigstens bis jetzt, hierin nicht vollkommen einstimmen, so zeigt sich doch in seinen Compositionen und namentlich in den Violincapricen, Der Titel des Originals lautet: 24 Capricci per il Violino solo, dedicati agli Artisti. Op. I. Milano, Ricordi. denen obige Etuden entnommen und die durchgängig mit einer seltenen Frische und Leichtigkeit empfangen und geboren sind, so viel Demanthaltiges, daß die reichere Einfassung, welche das Pianoforte erheischte, dies eher festen als verflüchtigen möchte. Anders aber, als bei der Herausgabe eines früheren Heftes von Studien nach Paganini, Studien f. d. Pfte. nach Violincapr. v. Paganini. Mit einem Vorwort etc. Leipzig, Hofmeister. wo ich das Original, vielleicht zu dessen Nachtheil, ziemlich Note um Note copirte und nur harmonisch ausbaute, machte ich mich diesmal von der Pedanterie einer wörtlich treuen Uebertragung los und möchte, daß die vorliegende den Eindruck einer selbstständigen Claviercomposition gäbe, welche den Violinursprung vergessen lasse, ohne daß dadurch das Werk an poetischer Idee eingebüßt habe. Daß ich, dieses zu erlangen, namentlich in Hinsicht der Harmonie und Form, Man muß wissen, auf welche Weise die Etuden entstanden und wie schnell sie zum Druck befördert wurden, um Manches im Original zu entschuldigen. Hr. Lipinski erzählte, daß sie in verschiedenen Zeiten und Orten geschrieben und von P. an seine Freunde im Manuscripte verschenkt worden wären. Als später der Verleger, Hr. Ricordi, P. zu einer Herausgabe der Sammlung aufgefordert, habe dieser sie eilig aus dem Gedächtniß aufgeschrieben etc. Vieles anders stellen, ganz weglasfen oder hinzuthun mußte, versteht sich ebenso, wie daß es stets mit der Vorsicht geschah, die ein so mächtiger verehrter Geist gebietet. Es raubte zu viel Raum, alle Veränderungen und die Gründe anzuführen, warum ich sie gemacht, und überlasse ich, ob es immer wohlgethan, der Entscheidung theilnehmender Kunstfreunde durch eine Vergleichung des Originals mit dem Pianoforte, was jedenfalls nicht uninteressant sein kann. –
Mit dem Beisatz » de concert« wollte ich die Etuden einmal von den erwähnten früher erschienenen unterscheiden; dann aber schicken sie sich ihrer Brillanz wegen allerdings auch zum öffentlichen Vortrag. Da sie aber, was ein gemischtes Concertpublicum nicht gewöhnt ist, meistens sehr frisch auf die Hauptsache losgehen, so würden sie am besten durch ein freies, kurzes angemessenes Vorspiel eingeleitet.
Von einzelnen Bemerkungen wünschte ich noch diese beachtet.
In Nr. 2 wählte ich ein anderes Accompagnement, weil das tremulirende des Originals Spieler wie Zuhörer zu sehr ermüden würde. Die Nummer halte ich übrigens für besonders schön und zart und sie allein für hinreichend, Paganini eine, erste Stelle unter den neueren italienischen Componisten zu sichern. Florestan nennt ihn hier einen italienischen Strom, der sich auf deutschen Boden mündet.
Nr. 3 scheint für ihre Schwierigkeit nicht dankbar genug; wer sie indeß überwunden, hat vieles Andere mit ihr. –
Bei der Ausführung von Nr. 4 schwebte mir der Todtenmarsch aus der heroischen Symphonie von Beethoven vor. Man würde es vielleicht selbst finden. – Der ganze Satz ist voll Romantik. –
In Nr. 5 ließ ich geflissentlich alle Vortragsbezeichnungen aus, damit der Studirende Höhen und Tiefen sich selbst suche. Die Auffassungskraft des Schülers zu prüfen, möchte dies Verfahren sehr geeignet scheinen. –
Ob die 6te von Einem, der die Violincapricen gespielt, im Augenblick wird erkannt werden, zweifle ich. Als Clavierstück ohne Fehl vorgetragen, erscheint sie reizend in ihrem Harmoniestrom. Noch erwähne ich, daß die überschlagende linke Hand (bis auf den 24sten Tact) immer nur eine, die höchste nach oben zugekehrte Note zu greifen hat. Die Accorde klingen am vollsten, wenn der überschlagende Finger der linken Hand scharf mit dem fünften der rechten zusammentrifft. Das folgende Allegro war schwierig zu harmonisiren. Den harten und etwas platten Rückgang nach E dur (S. 20 zu 21) vermochte ich wenig zu mildern, oder man hätte gänzlich umcomponiren müssen. –
Die Etuden sind durchweg von höchster Schwierigkeit und jede von eigener. Die sie zum erstenmal in die Hand nehmen, werden wohlthun, sie erst zu überlesen, da selbst blitzes-schnellste Augen und Finger, beim Versuch eines Prima-vista-spiels, der Stimme zu folgen kaum im Stande sein würden.
Steht daher auch nicht zu erwarten, daß die Zahl derer, die diese Sätze meisterlich zu bewältigen vermöchten, sich in das Große belaufen werde, so enthalten sie doch in der That zu viel Genialisches, als daß ihrer von denen, die sie einmal vollendet gehört, nicht öfters mit Gunst gedacht werden sollte.
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