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Es ist unstatthaft, ein ganzes Leben nach einer einzelnen That messen zu wollen, da der Augenblick, der ein System umzustoßen droht, oft im Ganzen erklärt und entschuldigt liegen kann. Zerschneidet eine Beethoven'sche Symphonie, die ihr nicht kennt, und seht zu, ob ein schönster herausgerissener Gedanke an sich etwas wirkt. Mehr als in den Werken der bildenden Künste, wo der einzelne Torso einen Meister beweisen kann, ist in der Musik alles der Zusammenhang, das Ganze – im Kleinen wie im Großen, im einzelnen Kunstwerk wie in einem ganzen Künstlerleben. Man hört oft – so falsch und unmöglich es ist –, Mozart hätte den einzigen Don Juan zu schreiben brauchen, und er wäre der große Mozart. Allerdings bliebe er der Componist des Don Juan, wäre aber noch lange kein Mozart. –
Mit einiger Scheu spreche ich mich daher über Werke aus, deren Vorläufer mir unbekannt sind. Ich möchte gern etwas wissen von der Schule des Componisten, seinen Jugendansichten, Vorbildern, ja selbst von seinem Treiben, seinen Lebensverhältnissen, – mit einem Wort vom ganzen Menschen und Künstler, wie er sich bis dahin gegeben hat. Dies ist mir in Hinsicht des Componisten, von dem die Rede ist, leider nicht vergönnt. Wer aber ohne solche Kenntniß an das Beurtheilen des Einzelnen geht, wird leicht lieblos oder beschränkt reden. Gern nehme ich diesmal den letzten Vorwurf auf mich; von Lieblosigkeit hat der Componist nichts zu fürchten, da er durch die vier Werke, Sie sind: eine Phantasie, Werk 23. – Impromptus, Werk 24. – Bagatellen, Werk 30. – 24 Präludien, Werk 31; sämmtlich zweihändig für das Pianoforte. die ich von ihm kenne, nur Achtung einflößen kann.
Ungern gestehe ich, daß die zwei früheren Werke den späteren vorzuziehen sind, nicht etwa ihres Gedankengehalts, oder einer vollendetern Form wegen, die er gar nicht geben wollte, sondern in wirklicher Erfindung, in ungekünstelterm Fluß der Empfindung. Es wäre bedenklich, sollten den Künstler gewisse Vorbilder verleiten, einen Weg zu verlassen, den er, wenn auch nicht eigen gebahnt, eigen fortgeführt hat. Ich weiß, wie man jungen Geistern gegenüber, im Erinnern, daß sie ihre Eigenthümlichkeit bewahren möchten, Vorsicht gebrauchen muß, weil sie sonst auf mannichfache Weise versuchen, dem Vorbild auszuweichen, es ganz zu vermeiden, wodurch die natürliche Entfaltung der schöpferischen Kraft nur noch mehr aufgehalten würde; doch zeigt sich hier andrerseits ein so kräftiges Dichtergemüth, daß es die Kette, welche nun einmal Geister an Geister bindet, ohne äußere Hilfe von selbst abstreifen muß.
So sind denn die vorliegenden Sätze, wie Kraftäußerungen eines noch gefesselten Geistes, Ausbrüche des Stolzes zugleich wie des Zorns, dazu von einem Jüngling ausgesprochen, der ganz in Verehrung versunken scheint gegen seine Obern: Beethoven und Franz Schubert. Wird er weicher, schwärmerischer, so merkt man, wie er sich gegen Uebermannung sträubt. Rafft er sich nun empor, so geht es ihm wie starken Jünglingen, die sich für hart halten, wenn sie nur ernst waren. –
Ich sagte vorher, daß die zwei späteren Werke den früheren in Erfindung nachständen, – ich meine, die letzten enthalten mehr Entdecktes. Jenes, das Erfinden, ist das Enthüllen einer nie dagewesenen Schöpfung, dieses das Auffinden einer schon vorhandenen, – jenes Sache des Genies, das (wie die Natur) tausendfachen Samen ausstreut, jenes das Kennzeichen des Talents, das (wie die einzelne Scholle Landes) den Samen aufnimmt und in Einzelgebilde verarbeitet. Wenn ich dann in den erstern die Empfindung ungekünstelter fand, so nannte ich sie deshalb noch nicht durchaus natürlich und entwickelt. Denn obwohl seine Gedanken welche sind, obschon er stets weiß, was er will, so sucht er ihnen doch hier und da durch einen sonderbaren Schlußfall, Rhythmus etc. etwas Mystisches beizumischen, hinter dem der Laie vielleicht Tiefsinn, der Gebildete die Sucht erkennen wird, das Gewöhnliche, was in gewissen Fällen (als in Schlüssen etc.) nicht zu vermeiden, durch irgend etwas zustutzen, heben zu wollen. Man muß sich sehr hüten, dem Zuhörer nach dem Ende hin, wo der Gedanke ruhig ausströmen soll, noch irgend Neues fühlen oder überlegen zu geben. Freilich liegt es in der Form, vielmehr Nichtform der angezeigten Werke, daß die Empfindung sich nicht in jenen allmäligen Schwingungen, die das längere Kunstwerk in uns beschreibt, ausdehnen kann, – und in der Sache, daß wir uns hüten müssen, bei so momentan Entstandenem für unser Urtheil den Augenblick zu wählen, der der erforderlichen Stimmung ungünstig ist (eine entgegengesetzte könnte auch das richtige treffen), aber immer hängt es dort von der Hand des Meisters ab, die auch im Kleinsten Abgeschlossenes, Befriedigendes schaffen kann, hier vom Gedanken, ob er im Augenblick einnimmt, sich als Beherrscher den unsrigen aufdrängt.
Das Resultat wäre, daß der werthe Kunstgenosse seine Kräfte klar prüfen, die Bahn, die er zurückzulegen hat, deutlich erkennen lerne, endlich sich weniger in der kleinsten, obwohl witzigsten Kunstform, in der rhapsodischen, verflüchtige. Nach Steinen, die der Aetna zeitweise auswirft, kann man seine Gewalt nicht messen: wohl aber schauen die Menschen mit Staunen zur Höhe, wenn er in großen Flammensäulen zu den Wolken auflodert. Hierin liegt ein Vorwurf für ihn, daß er (in diesem Bild) Steine gab: für mich, daß ich sie aufhob und den größern Ausbruch nicht abwartete. Ich weiß, daß dies so voreilig ist, als wenn man nach einzelnen Umrissen die glückliche Vollendung des ganzen Bilds vorausbestimmen wollte, – ich weiß aber auch, daß in einer durch Berühmtgewordene verflachten Zeit von denen gesprochen werden muß, die, wie er, ein kräftiges Streben zur Kunst heranbringen.
Raro.
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