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»Ist das das neue Heim?« – Wie Juan Schüsseln, Teller und Messer verschafft. – Kathrine bringt kein Feuer zustande. – Was Mapucha zu »Grüß Gott« sagt. – Peterle unter den kleinen Indianern, und wie der Sonntagsstaat der Familie Werner wirkt.
Und nun wurden die Angekommenen in ihr neues Heim geführt, in ein kleines, hinter den Ställen angebautes Haus, – oder war es mehr eine Scheune, oder eine Hütte oder was sonst? Das fragte sich Kathrine mit bangem Herzen, als sie des auf ebener Erde aufgestellten, mangelhaft zusammengefügten Gebäudes ansichtig wurde, das so gar, ach so gar keine Ähnlichkeit auch nur mit der einfachsten Behausung in der Heimat hatte.
Onkel Joseph sagte: »Es wird euch so gehen wie mir einstens, daß ihr euch an diese Art von Wohnung gewöhnen müßt. Aber ihr seid noch tausendmal besser daran als ich einst, der monatelang unter freiem Himmel wohnte und schlief, bis ich mir selber vier Wände und ein Dach gezimmert hatte. Aller Anfang ist schwer; mit der Zeit könnt ihr es euch dann schon behaglicher und heimischer machen. – Jetzt packt aus und schaut euch ein bißchen um, und dann kommt um sieben Uhr zum Nachtessen herüber. Heute und morgen seid ihr noch unsere Gäste, und dann wird Base Kathrine ja wohl selber kochen.«
Der Onkel war gegangen, und Kathrine hatte sich inzwischen in den zwei Räumen, einem großen und einem kleinen, ängstlich umgesehen. Infolge der Wände aus braun gebeiztem Holz war's in den beiden Zimmern ziemlich dunkel. Ein Fenster mit Glasscheiben gab es nur in der größeren Stube, die kleinere hatte bloß ein paar Luftlöcher oben unter dem Dach. Ein Tisch, eine rohgezimmerte Bank und ein paar Regale an der Wand nebst etlichen Nägeln, wohl zum Aufhängen der Kleider, waren vorhanden. Vergeblich suchte Kathrine nach irgend etwas, was einer Bettstatt ähnlich sah, und nach Stühlen. Und was noch ärger war, vergeblich sah sie sich nach einer Küche um. Ihr Erstes war, daß sie mit gepreßter Stimme zu Philipp sagte: »Ja um des Himmels willen, wo soll ich denn da kochen?«
Juan, der ihnen nun schon wie ein alter Freund vorkam, ging eben vorbei, und Philipp, der in der Zeichensprache es jetzt auch schon weiter gebracht hatte, versuchte, ihm Kathrinens Frage mitzuteilen.
Der Halbindianer – denn ein solcher war er – verstand sofort und zeigte den beiden den herdartigen Ofen in der größeren Stube. Er machte die Zeichen des Rührens und des Backens und zeigte auch auf einen kleinen Vorrat Holz, der in einer Ecke lag. Als aber Philipp sich vergebens nach einem Kamin umsah, da lachte er und deutete nach den vielen Ritzen und Löchern, die sich in der Wand und an der Decke befanden, und durch ein deutliches Blasen mit dem Mund machte er klar, wo der Rauch hinauszuziehen habe. Ganz trostlos erschien Kathrine nicht nur dies, sondern das ganze düstere, trübe Unwirtliche ihrer zukünftigen Behausung. Als Philipp dem Juan auch noch endlich die Frage verdeutlichen konnte, wie und wo sie schlafen könnten, da machte dieser flink die Riemen der mitgebrachten Bündel, Kisten und Koffer auf, entnahm mit scharfem Auge dem größten davon die mitgebrachten Wollteppiche und legte diese auf den Boden in der kleinen Stube. »Hier,« sagte er triumphierend und blickte stolz auf sein Werk hernieder.
»Hier auf dem bloßen Boden, auf dem Lehmboden, der nicht einmal so fest ist, wie unsere Tenne daheim, auf dem sollen wir schlafen?« sagte Kathrine entsetzt. Aber nun verstand sie auch, warum die Wirtin in Hamburg ihr so dringend geraten hatte, recht viele wollene Teppiche zu kaufen. Da brauchte man freilich mehr als einen für jede Person.
Philipp griffen diese kleinen Nebensächlichkeiten aber weniger an. »Das haben wir doch gewußt, daß man ganz klein anfangen muß, und sei du nur getrost, in kurzem zimmere ich ein paar Bettladen, Stühle und einen Schrank, und nach und nach soll's schon nett bei uns werden. Die drüben haben's ja furchtbar fein und haben auch nicht anders angefangen. So ist's eben einmal in Amerika!«
Ja freilich, die drüben hatten es fein, und in der Stille grollend sagte Kathrine: »An deren Stelle hätte ich den Verwandten ihr neues Heim auch ein bißchen eingerichtet!« Aber die Tante war eben keine Deutsche und dachte wohl an so etwas nicht.
Mariele war inzwischen auf ihrem Arm eingeschlafen. Was sollte sie nun machen? – Sie legte es eben auf einen der Teppiche auf den Boden und wickelte es gut ein. Peter war mit dem Vater hinausgegangen, sie wollten sich einmal die Ställe ansehen, und Kathrine, deren Füße nun wieder mehr gehorchten und fester standen, fing an auszupacken. Aber wo mit den Sachen hin? Ihre Sachen, die sie doch so gut und sauber und teilweise neu von drüben mit herübergebracht hatte? Da waren wohl die Nägel, und sie hängte seufzend ihre guten Kleider hier auf. Aber wo mit der Wäsche und sonst noch manch Liebem und Nützlichem, das sie mitgebracht hatte, hin? Sie sah bald ein, daß das einfach alles im Koffer und in den Kisten bleiben mußte. Nur die mitgebrachten Bilder ihrer Lieben von daheim, – ach, wie war es ihr zumute, als sie diese auspackte! – die stellte sie auf das Brett über dem Tisch und legte daneben ihre Bibel und ihr Gesangbuch. Wo aber kriegte sie um alles in der Welt nur das allernötigste Geschirr zum Kochen her? Da wußte Juan, der gutmütig immer wieder von Zeit zu Zeit den Kopf hereinsteckte, auch Rat. Er lief einfach hinüber in die Küche von drüben und sagte Donna Elvira, die eben dort am Herde stand, – jetzt wieder in der gelben Jacke, die noch ein paar Spritzer mehr hatte als vorher – und die Früchte einkochte: »Die Señora braucht ein paar Töpfe, Teller und Messer!«
Wenn auch sichtlich nicht gerne, gab die Dame dann doch aus einem Geschirrvorrat, den sie nebenan hatte, das Nötigste heraus. Schlimm war sie ja nicht, die Donna Elvira, und eigentlich hätte sie selber an so etwas denken können. Aber das Denken gerade war nicht ihre Sache.
Gleich darauf schleppte Juan einen Korb mit dem Nötigsten hinüber und grinste mit dem ganzen Gesicht, als er die Freude der jungen Frau sah. Freilich an ihre nett eingerichtete Küche in Wiesental durfte sie nicht annähernd denken, ohne daß es ihr heiß aufstieg. Aber nun war doch das Allernötigste vorhanden, denn sehr oft drüben bei den Verwandten zu Gast zu sein, das hatte sie sich schon vorgenommen, das wollte sie nicht. Erfinderisch drehte sie eine der leeren Kisten nach vorne, rückte sie neben den Ofen, und so hatte sie einen Tisch und einen Raum, wo sie das Geschirr den Tag über wenigstens hineinschieben konnte. Als Philipp mit Peter zurückkam, sah es verhältnismäßig schon viel wohnlicher aus, und er und der Kleine konnten gar nicht genug erzählen von den vielen Pferden und dem vielen Vieh, das sie gesehen.
Dann wurde drüben gegessen. Jetzt stellte sich bei den Angekommenen doch auch ein tüchtiger Hunger ein, was die Tante freute, denn sie tat sich etwas zu gut auf ihre Kochkunst. Peter, der neben Isabella saß, erregte deren Mißfallen, weil er mit den großen Messern und Gabeln nicht zurechtkommen konnte und schließlich einfach ohne dieselben mit den Fingerlein sich behalf. Bei Jocko, ihrem Affen, genierte sie ja so etwas nicht, aber bei diesem Jungen da war es ihr unangenehm. Sie rückte ängstlich von ihm weg, aus Besorgnis, ihr weißes Kleid könnte irgend einen Fleck bekommen. Christina, die neben Kathrine saß, taxierte in Gedanken beständig deren einfaches, von der Reise höchst mitgenommenes Kleid, und der Gedanke, diese unelegante Frau allen Verwandten präsentieren zu müssen, wenn an den Sonntagen sie und die Nachbarn aus den am nächsten gelegenen Estancien kamen, oder gar an Festtagen die Gäste von der entfernter gelegenen Stadt, so war ihr das im höchsten Grade unangenehm. Wohl hatte Vater erst vorhin gesagt, sie dürften nie vergessen, daß auch er und Mutter genau so angefangen hatten, wie es jetzt die Verwandten aus Deutschland müßten. Aber das war nun schon lange anders, Vater war reich geworden, und Mutter und sie konnten etwas vom Leben erwarten.
Nach dem Essen bat Kathrine, gleich hinübergehen zu dürfen. Es war ihr bange, daß Mariele in dem ihr fremden Raum aufwachen könne, und auch Philipp verabschiedete sich für heute. Sie waren beide doch todmüde. Kurz darauf, nachdem sie noch in einem von Juan geliehenen Kübel am nahegelegenen Brunnen Wasser geholt und sich gründlich vom Staub der Reise gereinigt hatten, wickelten sie sich in Gottes Namen in ihre Teppiche, und bald darauf schliefen sie, auf dem harten Boden liegend, trotzdem fest ein, – Kathrine mit noch gefalteten Händen und den Worten auf den Lippen: »Wir haben Gott zu danken, Philipp, daß er uns gesund bis hierher geführt hat.« Dann aber waren ihr darüber die Augen zugefallen.
Des Morgens in aller Frühe wachte Philipp auf an Pferdegetrappel und lauten, fremden Rufen. Das war ja gerade wie einstens in der Kaserne, wenn die Schwadron ausrückte und die Pferde aus dem Stall kamen. Was wohl da draußen geschah? Was geschah überhaupt den Tag über? Was war wohl künftig seine Arbeit? Wie drückend war's, von all dem noch gar keinen Begriff zu haben! Jedenfalls galt's einmal aufstehen, und er weckte seine noch fest schlafende Frau. Erschreckt fuhr diese in die Höhe; sie hatte eben geträumt, daß die Bläß im Stall unruhig sei, und hatte der Mutter Stimme von oben herunter vernommen: »Geh hinaus, bind sie fest! Sie hat sich scheint's losgerissen.« Nun schaute sie mit ganz dummen, großen Augen um sich und in die fremde Umgebung, bis ihr plötzlich klar wurde, wo sie eigentlich war. Philipp sagte: »Was meinst, wir wollen aufstehen?«
Sie wickelten sich aus ihrem Teppich; ein eigentliches Aufstehen gab es ja nicht, denn man lag ja in keinem Bett. Ach, wie ärmlich und erbärmlich sah das bei Morgenlicht sich an!
Die Kinder schliefen noch weiter. Philipp war mit dem Eimer hinausgegangen und hatte Wasser geholt. Es sei ein Ziehbrunnen, kein laufender, und er gehe ziemlich schwer, hatte er berichtet. In dem Kübel wuschen sich die beiden, und dann sagte Philipp: »Ich will sehen, wo ich Milch herbekomme, und dann kochst du das Frühstück. Ich meine, 's ist besser, wir trinken's da, als wenn wir gleich morgens hinüber müßten zu den andern.«
Bald darauf kam er mit einem Topf Milch zurück, den ihm Juan verschafft hatte, und Kathrine wollte Feuer machen, was ihr aber lange nicht gelang. Der Herd war so ganz anders als daheim, und ein beißender Rauch verbreitete sich im ganzen Raum und fand schließlich seinen Ausgang durch die Ritzen. »Wenn es nur etwas heller wäre!« seufzte Kathrine vor sich hin. Die Kinder waren inzwischen aufgewacht, und nachdem auch sie so gut als möglich gewaschen und gekämmt worden waren, saß nun die Familie um den Tisch und trank die Milch. Brot hatten sie für heute noch nicht.
Peter sagte: »Reiten wir heut wieder weiter, Vaterle, immer, immer fort, bis dahin, wo die Welt aufhört?« …
Der Bub hatte ganz den Maßstab eines seßhaften Lebens verloren. Mariele saß auf Mutters Schoß und trank ihre Flasche.
»Noch das einzige Geschirr von daheim,« sagte Kathrine und fuhr mit der Hand wie liebkosend darüber. Dazwischen hinein rieb sich die Kleine ihre Äuglein mit den Fäustchen und sagte: »Weh, weh!« Der Rauch schmerzte sie. Doch was nun?
Da ging die Tür auf, und Onkel Joseph trat herein. Auch er hielt sich unter der Türe einen Augenblick die Hand vor die Augen und sagte pustend: »Caramba! … Donnerwetter! … Was habt ihr für einen häßlichen Rauch?«
Dann aber, mit einem herzlichen »Guten Morgen! Gut geschlafen?« hatte er den Neuangekommenen die Land entgegengestreckt, und nun schaute er sich vergebens nach einem Stuhl um. Kathrine stand schnell auf und wollte ihm auf der Bank Platz machen, aber der Onkel winkte ab, und eine Kiste herschiebend, setzte er sich darauf.
»Werdet manches noch entbehren, aber das schafft sich alles mit der Zeit! Bist ja nicht umsonst ein Schreiner, Philipp,« fügte er freundlich hinzu. Und indem er dem Peterle unter das Kinn griff und dem Mariele einen Augenblick wohlwollend zusah, wie es sich's schmecken ließ, sagte er: »Erstens müßt ihr lernen Feuer zu machen, ohne daß es raucht. Man kann's, – man muß nur einige Vorteile loshaben. Und dann zweitens wollen wir, wenn's euch recht ist, nun einmal miteinander besprechen, weswegen ich euch habe herüberkommen lassen.«
Philipp stimmte dem lebhaft bei, – endlich sollte er das Wichtigste erfahren.
Nun begann Onkel Joseph den beiden die hiesigen Verhältnisse zu schildern. »Wir brauchen hier vor allem Menschen, die nicht nur eine Sache können, sondern die sich von Anfang an sagen: Hier gibt's keine Handwerker, darum muß ich mir in allem selber zu helfen wissen!«
Philipp nickte freudig mit dem Kopf. Das hatte für ihn nichts Abschreckendes, das behagte ihm im Gegenteil, denn er war von Haus aus ein richtiger Boßler und hätte recht gern oft auch etwas anderes geschafft als nur das, was in sein Handwerk gehörte.
Der Onkel sagte weiter: »Damit ihr euch von Anfang an behelfen lernt, hab' ich's euch nicht bequem gemacht, und ihr sollt euch auch so zurechtfinden und eure Sachen euch selber zurechtmachen, wie ich's einstens getan. Wenn ihr seht, daß wir's jetzt anders haben, so soll es euch ein Sporn sein, daß ihr auch danach trachtet, es einmal besser zu bekommen. Ein jeder muß hier selber für sich sorgen. Ich werde euch, wie ich schon geschrieben habe, für den Anfang einen bestimmten Lohn aussetzen, dafür habt ihr uns zu helfen, Philipp auf dem Kamp und bei dem Vieh, Kathrine meiner Frau im Hause. Für Nahrungsmittel werdet ihr hier nicht viel auszugeben haben. Fleisch gibt's immer in Hülle und Fülle und Gemüse desgleichen im Garten. Kathrine soll auch dort helfen lernen und ihn womöglich nach und nach ganz übernehmen. Ich möchte meine Frau erleichtern. Daß ihr das Mädel nicht mitgebracht habt, ist mir unangenehm wegen meiner Töchter. So was Frisches, Deutsches hätte den faulen Mädels gutgetan.«
Kathrine, der diese Enttäuschung der Verwandten von neuem leid tat, sagte: »Es ist mir schrecklich, daß wir's nicht mehr geschrieben haben. Ich seh's jetzt ein, daß wir das noch hätten tun sollen!«
Philipp aber fügte, immerhin etwas zaghaft bei: »Wenn's dem Onkel recht ist, so können wir das Mädle ja in einiger Zeit nachkommen lassen, wir haben's ihr so halb und halb versprochen, nur wollten wir der Großmutter nicht alles auf einmal nehmen. So nach und nach wird sie sich dann schon auch ans Alleinsein gewöhnen!«
Der Gedanke hieran gab Kathrine immer einen Stich ins Herz. Denn gerade das letztere konnte sie sich nie ausdenken, schon deshalb nicht, weil die Großmutter immer älter wurde. Sie erschrak darum fast, als der Onkel erfreut sagte: »Nun, das ist recht, und je bälder, desto lieber!«
In diesem Augenblick streckte Isabella den Kopf zur Tür herein, und Peter drückte sich ganz erschrocken in der Mutter Rockfalten ob des Tieres, das, so unheimlich die Zähne fletschend, auf Isabellas Schulter saß.
Der Vater rief: »Bleib lieber draußen! Ich komme sofort, und wir können dann dem Vetter gleich die Ställe zeigen.«
Indem erschien auch Christina und richtete aus, daß Base Kathrine mit den Kindern zur Mutter kommen möchte.
Frau Elvira saß in ihrem Küchenvorraum und enthülste kleine grüne Erbsen. Sie nahm es nicht übel auf, als Kathrine sofort fragte: »Darf ich vielleicht helfen? Das kann ich gut!«
Kopfnickend schob Frau Elvira ihr einen Stuhl hin, und Kathrine mit dem Mariele auf dem Arm machte sich sofort mit flinken Händen an die Arbeit. Ihr war ganz wohl, daß sie etwas tun konnte. Nur war's ihr unbehaglich, daß Peter nicht bei ihr sitzen blieb, sondern sofort herumlief und mit neugierigen Augen all die fremden Dinge musterte. Sie hatte Angst, er könnte irgend etwas anrühren und zerbrechen. Dies schien auch Donna Elvira zu befürchten, denn sie sagte Christina ein paar Worte auf Spanisch, und diese, die gleich der Schwester ziemlich ordentlich Deutsch sprechen konnte, verdeutschte Kathrine: »Die Mutter sagt, man könnte den Kleinen zu den andern Kindern auf den Kamp tun, er würde sich wohl bald an sie gewöhnen.«
Etwas ängstlich sah Kathrine drein, denn sie wußte doch gar nicht, wer und wo diese Kinder seien. Aber Christina nahm einfach das Büblein bei der Hand und sagte, nicht eben unfreundlich: »Komm mit, ich zeig dir etwas!« – Das war für Peter verlockend, und willig ließ er sich fortführen.
Frau Elvira aber, die sich mit ihrem schlechten Deutsch stets etwas vor ihren Töchtern genierte, sprach nun in einer Flut von spanischen und deutschen Wörtern auf die möglichst fleißig arbeitende Kathrine ein, die alle darin gipfelten, daß sie furchtbar im Leben geschafft habe, daß alle Menschen schaffen müßten, daß sie sich jetzt aber einfach nicht mehr so plagen wolle, wo José Glück gehabt und viel Geld verdient habe, und daß sie der Base Kathrine nun alles zeigen wolle, was zu tun sei für sie und ihre Töchter.
Als die begonnene Arbeit vollendet war, führte Frau Elvira Kathrine durchs ganze Haus und in die Küche. Dort kauerte in einer Ecke auf einem Schemel ein braunes Weib mit breiter Nase und faltigem Gesicht, das aus einer kurzen Pfeife rauchte.
»Das ist die Mapucha, die mir schon lange Jahre in der Küche hilft. Ihre ganze Familie, Kinder und Enkel, sind auf der Estancia beschäftigt. Diese Indianer sind zu mancherlei zu gebrauchen, aber nie zuverlässig.«
Mit großem Interesse betrachtete Kathrine die alte Frau, die erste Indianerin, die sie sah, und ihr fielen allerlei Geschichten ein von Indianerlagern und Häuptlingen, die in den Büchern vorkamen, die der Großvater ihr einst aus seiner Schulbibliothek geliehen.
Mapucha erhob sich ein klein wenig von ihrem Sitz und schielte mit schiefem Blick die Eingetretene an; war's doch die neu angekommene Weiße, für die Juan gestern abend nur so ohne weiteres ihre Geschirrkammer geplündert, und hatte ihr doch Donna Elvira schon gesagt, daß eine Deutsche kommen und künftig helfen werde, und mit großem Mißtrauen sah sie dieser Hilfe entgegen.
Treuherzig streckte Kathrine ihr die Hand hin und sagte: »Grüß Gott!«, ein Gruß, der aber nur mit einem kurzen Murren erwidert wurde und mit einem umso tieferen Zug aus der Pfeife.
Nach dem Hause ging es in den Garten, der Kathrine einen Ruf des Erstaunens um den andern entlockte. Wie war der doch so ganz anders als ihr Gärtle daheim! Da waren ja lauter Pflanzen, die total anders aussahen, und die man gar nicht kannte. Ganz angst wurde ihr bei dem Gedanken, das alles kennen lernen zu müssen. Wie vielerlei Namen welschte die fremde Frau neben ihr hier durcheinander, so daß es Kathrine ordentlich wirr im Kopf wurde. Eine wahre Erlösung war es für sie, als sie weiter unten eine Reihe Apfelbäume entdeckte und auf der andern Seite eine Reihe großer Erdbeerpflanzen, deren Früchte, o Wunder, jetzt im Spätherbst, beinahe reif waren. Kathrine vergaß immer wieder von neuem, daß die Jahreszeiten hier ja gerade umgekehrt als in Europa waren, und daß man nun gegen Weihnachten dem Sommer entgegenging.
An einer Bretterwand hinauf, am Schluß des Gartens wuchsen auch viele Tomaten, die bereits anfingen sich rötlich zu färben. Donna Elvira belustigte sich sichtlich über Kathrinens Freude an den ihr bekannten Gewächsen, und um einen guten Teil freundlicher als vorher ging sie mit ihr wieder zurück.
Nun warf auch sie einen kurzen Blick in die Behausung der Verwandten ihres Mannes. »Hier haben wir selber angefangen, als wir waren noch jung, – puh! Möchte nicht mehr zurück. Aber wenn man ist jung, man muß sich nicht verwöhnen!« fügte sie mit einer hoheitsvollen Miene hinzu und ging dann ihrem Hause zu, Kathrine noch sagend, daß sie zum Mittagessen drüben erwartet würden.
Hoch erfreut war diese aber, als kurz darauf Juan mit zwei hockerartigen Holzstühlen und etlichen keilförmigen, mit Baumwolle gefüllten Kopfpolstern herüberkam, die er mit Hilfe von Donna Elviras Jungfer, gleichfalls einer Eingeborenen, in einer Fremdenkammer aufgestöbert hatte. Nun war doch dem allerdringendsten Bedürfnis abgeholfen.
Mariele war die ganze Zeit über vergnügt und lieb auf Mutters Arm geblieben. Es war ihr sichtlich so wohl, nicht mehr in der schlimmen Ledertasche eingebunden zu sein und seine Beinchen wieder nach Herzenslust bewegen zu dürfen. Leid, fast weh tat es Kathrine, daß die Frau des Onkels allem Anscheine nach gar keine Freude an Kindern hatte. Sie sah ja ordentlich über das Mariele hinweg, und noch kein freundliches Wörtchen hatte sie ihm gegeben, wo's doch mit seinen hellen Löckchen und den roten Bäcklein wirklich herzig aussah.
Wo war nun aber der Peter? Kathrine war's doch recht unbehaglich zumute, das nicht zu wissen, und sie machte sich auf den Weg, ihn zu suchen. Überhaupt wollte sie nun auch einmal wissen, wo sie war, und die nächste Umgebung kennen lernen.
Schön und anmutend sah es da draußen, abgesehen vom Garten, nicht aus. Hinten und vorn an den Ställen und Gebäuden waren große, wohl von den Hufen der Pferde festgestampfte Plätze, hinter denen dann gleich wieder die ihr nun schon zur Genüge bekannte Pampa anfing. Nirgends ein Zaun, nirgends außer in dem Garten ein Baum, hier und da ein Strauch mit kleinen roten Beeren. Das war das einzige Freundliche, was sich dem Auge bot. Kathrine durfte nicht anfangen, mit deutschen oder gar schwäbischen Dörfern zu vergleichen, wo alles so farbig bunt und freundlich im Grünen und in der Sonne dalag. Die Sonne schien ja wohl hier auch vom Himmel, recht warm sogar, aber man hatte nirgends einen Schutz vor ihr. Unwillkürlich trat sie unter die geöffnete Tür einer etwas größeren Hütte, als die ihrige war, aus der Kindergeschrei ertönte. Und nun erkannte sie auch Peterles Stimme. Was der nur treiben mochte? Sie trat ein und mußte nun erst ihre Augen wieder an das Dämmerlicht in dem Raume gewöhnen. Dann aber sah sie ein ganzes Rudel von Kindern in jedem Alter, lauter braune, zigeunerartige Wesen, und mitten unter ihnen den Peter, der sich gleich ihnen am Boden wälzte und mit den kleinen Schweinen spielte, die zwischen drinn herumkugelten. Die Kinder waren halb nackt, hatten alle verwirrtes Haar, und als sie Kathrine erblickten, flogen ängstliche Blicke zu ihr herüber. Hierauf fingen sie plötzlich an laut zu schreien und flüchteten sich in das Innere der Behausung. Ein paar weibliche Wesen, jüngere und ältere, kamen dann hervor und betrachteten die Eintretende neugierig. Kathrine begrüßte sie freundlich, und die Frauen erwiderten den Gruß nicht unfreundlich, aber mit gehaltenen Gebärden und sagten etwas in ihrer Sprache, Kathrine aber dankte, was auch wieder nicht verstanden wurde, und nahm den widerstrebenden Peter mit sich. Wie sollte das nur künftig werden? In dieser rothäutigen, schmutzigen Gesellschaft konnte sie doch ihr Kind nicht aufwachsen lassen.
Zum Mittagessen machte Kathrine sich und die Kinder schön, daß die Verwandten doch sehen sollten, daß sie auch was Rechtes bei sich hätten. Sie selber zog ihr schwarzes Sonntagskleid an und steckte die Brosche mit der Photographie vom seligen Vater vor. Der Peter bekam eine frische, weiß und blaue Bluse mit steif gestärktem Kragen, und das Mariele war wirklich ganz herzig in einem himmelblau wollenen Kleidchen, dem Abschiedsgeschenk der Frau Lehrer. Auch Philipp hatte ein frisches Hemd, eine bunte Kravatte und seinen Sonntagsanzug angelegt, und so zogen sie fertig, als der Gong drüben angeschlagen ward, hinüber.
Donna Elvira und ihre Töchter blickten sichtlich erstaunt, bei näherer Prüfung fast ein wenig spöttisch auf die Eintretenden. Sie selber waren heute in großem Staat. Donna Elvira hatte ein rotseidenes Kleid an, und die beiden Mädchen waren in Weiß mit bunten Schärpen. Es war Besuch angesagt von einer ferner gelegenen Estancia, darum war auch der Tisch größer als gestern. Etwas verschüchtert stand Kathrine neben den nobeln Verwandten, als draußen Pferdegetrappel ertönte und Onkel Joseph mit seiner Familie hinauseilte zum Empfang der Gäste. Kathrine hatte vorher gerade noch gehört, wie Isabella zu Christina sagte: »Wenn wir sie nur nicht als unsere Verwandten vorstellen müßten!«
Also schämen taten sie sich ihrer! Und Onkel Joseph war doch auch einmal als ganz einfacher, armer Mensch aus Deutschland herübergekommen, und seine Frau war auch nichts anderes als die Tochter eines Einwanderers. Nur daß sie spanisch war, und jetzt Geld und schöne Kleider hatte! …
Mit recht bitteren Gefühlen stand Kathrine mit ihren Kindern da, und auch Philipp war's nicht behaglich zumute, als eine ganze Gesellschaft lachender, schwatzender und hoch aufgeputzter Gäste hereintrat. Onkel Joseph wollte seine Verwandten noch vorstellen, aber Juan und Carmen, das Mädchen, trugen schon das Essen herein, und man setzte sich, ohne bekannt geworden zu sein.
Philipp und die Seinen saßen unten am Tisch beisammen neben den Hausleuten, und am andern Ende saßen die Gäste, die sich in der fremden Sprache außerordentlich lebhaft und lustig unterhielten. So war's Kathrine ganz recht; sie mußte ja auch das Mariele füttern und auf den Buben achten, der noch gar keine feinen Manieren bei Tisch hatte. Nach dem Essen beabsichtigte sie auch, Philipp zu bitten, gleich mit ihnen wieder hinüber zu gehen, was diesem gewiß recht war, denn auch er fühlte, daß sie da nicht herein paßten. Aber Onkel Joseph wollte das nicht und stellte seine Verwandten beim Kaffee regelrecht als Vetter und Base aus Schwaben vor. Etliche ältere Herren und Damen versuchten, mit den ihnen Fremden ein Gespräch anzufangen. Einige von ihnen konnten auch ein bißchen Deutsch. Aber ein paar junge Herren und Fräulein machten ihre Glossen über sie, das fühlte Kathrine ganz gut. Auch wenn sie die Worte nicht verstand, so entging ihr doch nicht der Sinn, daß sie über ihr schwarzes Kleid, das doch ganz neu und sogar modern von dem Sophiele gemacht worden war, spotteten. Freilich wußte sie nicht, daß man in südlichen Ländern eigentlich nie dunkel und in Wolle geht, ja daß dies sogar für unappetitlich gilt.
So bald wie möglich zupfte sie Philipp am Rock: »Wir wollen fort!« Und auch dieser ging gern. Er stach gar so sehr ab von den Herren in den teilweise weißen Anzügen und feinen Röcken.
Daheim zog Kathrine sich und den Kindern wieder die Werktagskleider an – zum Schaffen waren sie doch gekommen, sagte sie sich in stillem Ingrimm. Wenn ihnen nur auch irgend jemand jetzt gesagt hätte, was sie tun sollten! Auch Philipp lief an diesem Nachmittag wie verloren herum. Nicht einmal Holz oder Bretter gab's, um ein paar Bänke oder ein Schränkchen zu machen. Solche Langeweile wie heute hatte er noch nie in seinem ganzen Leben gehabt. Gegen Abend aber, da war es ein merkwürdiges buntes und hübsches Bild, als die Gäste wieder wegritten, Damen und Herren, Kinder und Diener, eine große, bunte Gesellschaft, die da aufstieg unter Lachen und Scherzen, die ihre Pferde Kunststücke ausführen ließ und dann so mutig und furchtlos einen stundenlangen Ritt in die dunkle Heide hinaus antrat.