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Eines Abends, als wir den Winter am Fuß des Felsengebirges verbrachten, besuchten wir ein Lager von etwa 30 Zelten, in dem der Alte Schläfer der führende Mann war. Er besaß eine Zauberpfeife und ein paar andere »heilige« Gegenstände und beschäftigte sich mit Heilkunde. Nebst allerhand zusammengebrauten Kräutern, die den Kranken nach Bedarf innerlich und äußerlich verabfolgt wurden, bildete eine Berglöwenhaut und die Anbetung dieses Tieres einen wichtigen Bestandteil dieser Kuren. Als wir sein Zelt betraten, wurde ich höflich bewillkommnet und auf einen Sitz zu seiner Linken genötigt, während Nat-ah'-ki sich, der Sitte gemäß, bei den Weibern am Eingang niederließ. Ueber dem Alten, an den Zeltpfählen gut festgebunden und mit den verschiedensten Tierfellen sorglich umhüllt, hing seine Zauberpfeife. Das »heilige« Löwenfell war rechts über die Rückenlehne seines Lagers gebreitet. Vor ihm lag die gewöhnliche schwarze Steinpfeife auf einem Haufen trockenen Büffelmistes. Ich wußte schon lange, daß er seine Pfeife nie anders hinlegen durfte. In einem Traum war es ihm so befohlen worden. Wie es in den Zelten der Medizinmänner allgemein Brauch war, durfte auch hier niemand ganz um das Feuer herumgehen. Der Durchgang zwischen letzterem und den heiligen Gegenständen war verboten. Es war gleichfalls nicht erlaubt, Feuer aus dem Zelt zu holen, da sonst die Macht des Zaubers gebrochen wäre.
Der Alte Schläfer mischte Tabak und Kraut, zerrieb es fein, füllte seine Pfeife, hieß mich sie anzünden, und dann rauchten wir abwechselnd miteinander. Ich nahm die Pfeife von ihm mit einer Hand entgegen. Gab ich sie ihm zurück, so ergriff er den Stiel mit beiden Händen, hielt die Handflächen nach unten, spreizte und krallte die Finger auseinander und wieder zusammen, einen Bären nachahmend. So machten es alle Medizinmänner, es gehörte zu ihrem Zauber. Wir unterhielten uns über das Wetter, Wild und allerlei Leute. Die Weiber setzten uns Essen vor, und ich langte pflichtschuldigst zu. Ich hatte diesen Besuch aus bestimmten Gründen unternommen und steuerte nun auf mein Ziel los. So erzählte ich, daß ich zu allen Zeiten und in den verschiedensten Gegenden Berglöwen zur Strecke gebracht hätte. »Ich sehe, du hast da ein Fell,« schloß ich. »Hast du das Tier selbst erlegt, oder hat es dir jemand geschenkt?«
»Die Sonne wollte mir wohl,« erwiderte er. »Ich habe das Tier selbst getötet. Es war ein übernatürlicher Zauber, ik-ut'-wa-pi.
Ich war bereits erwachsen, besaß ein Zelt und drei Weiber, die du hier siehst. Meine Gesundheit war vorzüglich, ich hatte überall Erfolg und war glücklich. Dann wurde plötzlich alles anders. Zog ich in den Krieg, so wurde ich verwundet. Hatte ich Pferde erbeutet, so verlor ich sie wieder. Entweder wurden sie gestohlen, oder sie starben. Obwohl ich fleißig auf Jagd war, kam ich oft genug ohne Fleisch heim. Dann aber kam das schlimmste von allem: Krankheit. Irgend ein böser Geist nahm von mir Besitz und griff zeitweise nach meinem Herzen, so daß ich entsetzliche Schmerzen litt. Er nahm keine Rücksicht auf das, was ich gerade tat, und kümmerte sich nicht darum, wo ich gerade war. Griff er zu, so war der Schmerz so heftig, daß ich ganz unsicher wurde und mehreremale sogar umfiel und eine Zeitlang ganz tot war. So fing ich an, die Zauberer zu fragen, gab diesem und jenem ein Pferd, damit er für mich beten solle. Es wurde jedoch nicht besser, und mir war recht jämmerlich zumute. Zuletzt hatten wir gerade nur noch so viel Pferde, daß wir bei unserem Wanderleben das Gepäck befördern konnten. Man nahm mich nicht mehr mit in den Krieg, denn man fürchtete, ich würde einmal plötzlich so hinsterben, und das könnte Unglück bringen. Da hörte ich von einem Manne, einem Arapaho, der an derselben Krankheit gelitten hatte. Er hatte sich eine wunderbare Zauberpfeife gekauft und war durch ihren Gebrauch gesund geworden. Diese Pfeife wollte er nun verkaufen. Ich konnte sie nicht kaufen. Es war mir unmöglich, 15 oder 20 Pferde für sie zu zahlen, nicht einmal eins; denn lieber wäre ich gestorben, als daß ich meine Weiber hätte zu Fuß gehen lassen. Wir hatten auch keine Verwandte, die mir hätten helfen können. O, wie arm war ich! Dennoch hielt ich mich aufrecht und ließ den Mut nicht sinken und suchte, so gut es ging, für mich und die Meinen zu sorgen. Die bösen Anfälle wurden aber schlimmer und schlimmer, so daß mich meine Weiber nicht mehr allein auf Jagd gehen ließen, sondern immer eine von ihnen mich begleitete.
Die dort, mein jüngstes Weib, ging eines Tages mit mir, wir lagerten damals an dem Pi-is-tum-is-i-sak-ta, den Quellen in den Tannenwäldern des Gürtelgebirges, und stiegen bergan, auf der Suche nach Fleisch. Ueber einen Monat waren wir schon in der Gegend, und das Wild war in die oberen Berge oder Hügel hinüber gewechselt. Weit mußten wir wandern, bis wir auf frische Fährten stießen. Endlich, hoch am Bergrand, tauchte ein Rudel Hirsche auf einer Waldblöße auf, verschwand aber sofort wieder im Dickicht. Der Wind stand günstig, so daß wir ihnen folgen konnten. Sie zogen hinab in die Schlucht, setzten über das Wasser, und stiegen jenseits wieder an. Als wir an den Fluß kamen, stutzten wir; denn dort, in der frischen Spur der Hirsche, waren ganz deutlich die Tatzenabdrücke eines mächtigen Bären sichtbar. Der war also auch auf Jagd und hatte Vorsprung vor mir! So überließ ich ihm die Beute und kehrte um; denn ich wünschte durchaus keine Begegnung mit ihm in dem dichten Tannenwald. Wieder kamen wir auf die Lichtung und stiegen dann im jenseitigen Wald zum Gipfel auf. Dort fanden wir wieder frische Hirschspuren, folgten ihnen vorsichtig, Schritt vor Schritt, und hielten Umschau nach den Tieren. Endlich kamen wir an eine hohe Felswand. Talwärts streckte sich eine Halde mit Geröll und Gestrüpp. Gerade vor uns lag ein etwa zweijähriger Hirschbock, den Kopf zur Seite geneigt, als ob er schliefe. Ich hatte nur Bogen und Pfeile. Um sicher zu Schuß zu kommen, mußte ich mich näher an das Tier heranpirschen; denn es lag gleichlaufend mit der Felswand, und ich stand hinter ihm. Es wäre nutzlos gewesen, es in die Schenkel zu schießen, ich mußte es im Rücken oder von der Seite treffen. So kletterte ich an der Felswand entlang und wollte von oben schießen. Nie in meinem Leben bin ich vorsichtiger und langsamer vorangekommen.
Ich mußte diesen Hirsch haben, koste es, was es wolle. Wir halten kein Fleisch und bereits tagelang von der Güte erfolgreicherer Jäger gelebt. Mein Weib hatte sich still hingesetzt; denn allein kam ich leiser vorwärts. Ich schaute zu ihr zurück, und sie machte mir Zeichen, daß ich vorsichtig sein solle. So kletterte ich noch behutsamer voran und fand endlich einen guten Platz, legte an und schoß. Ich sah, wie sich der Pfeil in des Tieres Flanke bohrte, wie es aufbäumte und versuchte, hochzukommen. Das Blut strömte ihm aus den Nüstern. Da packte mich der entsetzliche Schmerz, und ich fiel tot um.
Ich war lange tot; denn als ich wieder zum Leben erwachte, war die Sonne bereits untergegangen, und ihre letzten, scheidenden Strahlen leuchteten am Horizont. Mein treues Weib hatte mich in einer Höhle sorglich gebettet. Die Schwäche war so groß, daß ich mich nicht aufrichten konnte. Mein Weib schleppte Holz herbei und machte Feuer. Dann brachte sie mir in einem Stück Hirschfell Wasser und etwas Fleisch. Ich trank, und sie fütterte mich mit etwas gebratener Leber, Niere und dem Mark aus einem Knochen, aber ich hatte keinen Hunger und konnte nur ein paar Bissen hinunterschlucken. Sie konnte auch nicht essen. So hockte sie neben mir, streichelte mir den Kopf und sprach mir Mut zu. Darüber schlief ich ein. Mein Schatten verließ den elenden Körper, und mir war frei und leicht zumut, so leicht, wie einer Luftblase im Wasser, und ich konnte reisen und wandern, wohin ich wollte, und verstand und wußte alles. So kam ich, als wenn ich geführt würde, in ein prächtiges, neues Zelt, das in einem herrlichen Tal, durch das ein breiter Strom floß, hart am Waldrand stand. Ohne Scheu und Zögern hob ich die Türklappe auf und ging hinein. Der Besitzer war ein uralter Mann, der mich willkommen hieß und seinem Weibe befahl, mir zu essen zu geben. Wir rauchten zusammen, und er fragte viel. Ich erzählte ihm alles, meine ganze Lebens- und Leidensgeschichte. »Ja,« erwiderte er darauf, »ja,« und nochmals »ja, ich weiß und verstehe alles.«
»Hör zu!« sagte er dann, als wir rauchten, »hör zu. Ich habe in früheren Jahren genau dasselbe Leiden gehabt, da suchte ich allerorten nach Hilfe und endlich fand ich sie. Ich bekam meine Gesundheit wieder. Mein Haar ist weiß geworden, mein Gesicht ist mit Runzeln bedeckt, ich bin sehr, sehr alt; trotzdem ist mein Leib kräftig und gesund, und ich versorge mein Zelt ganz allein mit Fleisch. Ich fand einen mächtigen Helfer in der Not. Mit dir habe ich Mitleid. Was mir geraten und befohlen wurde, das will ich dir jetzt mitteilen. Merk auf meine Worte, folge dem Rat, und du wirst auch wieder gesund werden und ein hohes Alter erreichen.
Zuerst zu deiner Krankheit. Irgend ein Geist, vielleicht der eines von dir erschlagenen Feindes, hat sich in deinen Körper eingeschlichen und ein böses Gewächs in deinen Magen gepflanzt. Das muß fort, denn es wird immer größer und drückt gegen das Herz, und wenn das so weitergeht, wird es dasselbe bald so heftig pressen, daß es nicht mehr arbeiten kann, und dann bist du tot. Du mußt einen Berglöwen töten, das Fell gerben und die Klauen daran sitzen lassen. Dies Fell mußt du sorgsam hüten und es des Nachts am Kopfende deines Lagers aufhängen. Wenn du dich zum Schlafen niederlegst, dann sagst du: »Hai-yu! Du, der du die scharfen, schneidenden Klauen erschaffen, ich bitte dich, hilf mir. Schaffe dies böse Ding fort, das mein Leben bedroht und mich ohne deine Hilfe sicher töten wird.«
So mußt du zum Schöpfer der Klauen, zum Schatten des getöteten Löwen, beten. Dann mußt du Lieder lernen. Er lehrte mich drei heilige Gesänge. (Alter Schläfer sang mir dieselben mit tiefer, aufrichtiger Andacht vor.) Dann sagte er auch noch, daß ich meine Pfeife immer auf ein Häufchen Büffelmist legen solle; denn der Büffel sei ein heiliges Tier. Wenn ich rauche, so müsse ich den Rauch stets nach den vier Windrichtungen blasen, zu jenen aufwärts, und abwärts zur Mutter Erde, dann würden meine Gebete an Kraft gewinnen.«
Die Reise, die ich zu dem guten Alten zurückgelegt hatte, muß weit gewesen sein; denn mein Geist kehrte erst nach Sonnenaufgang in den Körper zurück. Ich wachte auf und sah die Sonne hell und strahlend in die Höhle scheinen. Mein Weib hatte das Feuer wieder angefacht und kochte. »Laß das jetzt,« sagte ich, »komm und setze dich neben mich.« Ich erzählte ihr alles, wo ich gewesen war, und was mir der Alte gesagt hatte. Wie froh wurde sie bei dieser guten Kunde. Wir hängten die Hälfte meiner Pfeile und die Zunge des erlegten Hirsches als Opfer auf und gingen dann heim. Mein Weib lud sich so viel Fleisch, wie sie irgend tragen konnte, auf. Ich konnte leider nur eine sehr geringe Last fortbringen.
Ich besaß ein Gewehr von der Hudsonbaigesellschaft, aber weder Pulver noch Patronen. Ein Freund borgte mir eine Falle, mit der ich in kurzer Zeit sechs Biber fing. Ein anderer Freund nahm die Felle derselben mit nach Feste Benton und erhandelte mir dafür Pulver und Blei. So hatte ich das, was ich brauchte, und ging auf Jagd nach Berglöwen. Die hatten weder ich noch unsre Leute je zuvor gejagt. Ab und zu hatte dieser oder jener mal einen getötet. Der war dann ein glücklicher Mann; denn das Fell dieser Tiere enthält eine mächtige Zauberkraft. Man macht davon Köcher für Pfeile und Bogen oder brauchte es als Satteldecke. Wie man es auch benutzt, es verleiht Erfolg auf der Jagd oder im Krieg. Es galt nun also, diesen Tieren nachzuspüren, und ich wanderte mit meinem Weib in die Berge, ausgerüstet mit meinem Gewehr, Pfeilen und Bogen, letztere, um Fleisch zu bekommen. Der geräuschlose Pfeil stört nichts, während der Knall des Gewehrs jedes lebende Wesen aufschreckt. Alles horcht, spitzt die Ohren, bekommt Wind und wird vorsichtig.
Wir wanderten am Bachufer entlang. Hier, dort, deutlich im Schlamm sichtbar, waren Spuren. So betraten wir den dichten Wald. Dort mochten viele umhergestreift sein, aber in dem dürren Laub war auch nicht die geringste Spur wahrzunehmen. Höher und höher stiegen wir, hinauf in die kahlen Felsen, wo die Bäume kleiner und krüppeliger werden und nicht mehr wachsen können. Dort saßen wir den ganzen langen Tag und durchbohrten das dichte Gestrüpp mit unsern Blicken. Einmal kam ein kleiner schwarzer Bär, dann ein kanadischer Marder, sonst sahen wir nur kleine Vögel und Adler, die langsam über uns kreisten. Gegen Sonnenuntergang trabte, langsam äsend, eine kleine Bergschafherde, dem Winde folgend, auf uns zu. Ich spannte meinen Bogen und schoß ein kleines Junges ab. Es blutete und brach zusammen. Die übrigen rannten davon, kehrten dann mit der Mutter zurück und schauten das Kleine neugierig an, blickten umher und versuchten zu begreifen, was geschehen war. Dann schoß ich die Mutter ab. Wir ließen sie liegen, in der Hoffnung, bei ihr am nächsten Tag einen Berglöwen zu finden, nahmen das Junge und stiegen abwärts und lagerten die Nacht an einem Bach.
So verbrachten wir viele, viele Tage. Wurde es Nacht, so lagerten wir und gingen nur heim, um die Unsrigen im Zelt mit Fleisch zu versorgen, oder wenn das Lager abgebrochen wurde. Der Sommer verging, und in all der Zeit sichteten wir keinen einzigen Löwen. Zweimal starb ich während dieser Zeit, und jedesmal dauerte mein Tod länger als je zuvor. Ich war sehr entmutigt. An meinem Traum zweifelte ich keinen Augenblick, nein, ich war sicher, daß der Alte die volle Wahrheit geredet hatte, aber ich fürchtete, daß ich sterben würde, bevor ich alles getan, wozu er mich verpflichtet hatte. Von dem Gürtelgebirge zogen wir zum Gelben Fluß und weiter zu den Schneebergen. Dann kam der Winter, und der Schnee fiel auf die hohen Berggipfel und tiefer und tiefer, bis alles verschneit war. Jetzt lag alles, was sonst im Dunkel verborgen war, klar vor unseren Augen. Der Schnee plauderte alles aus, was er gesehen und erlebt hatte. Hier lagerten, spielten und liefen Hirsche. Dort hatte ein Bär sein Wesen getrieben und war über Baumstämme und Felsblöcke geklettert.
Wir fanden Wolf-, Fuchs- und Rotluchsspuren. Jedes Tier jagte für sich und suchte den hungrigen Magen zu füllen. Ja, und hier, was bedeutet dieser Blätterhaufe, dies Wirrsal von Zweigen, Erde und Schnee? – Ein Hirschgeweih ragt daraus hervor. Da sind Blutspuren. Es ist irgend etwas durch den Schnee gezerrt. Ah! da, das sind breite, runde Fußabdrücke. Hier sprang in der Nacht ein Berglöwe ein Wild an, tötete es und fraß sich satt, zerrte die Ueberbleibsel auf einen Haufen und bedeckte sie mit allem, was er zusammenscharren konnte. So erklärte ich es meinem Weibe, und, fuhr ich fort, er ist nicht weit entfernt, er ist gesättigt und liegt nun hier irgendwo in der Nähe und schläft.
Was tun? mich verstecken und warten, bis er wiederkommt? Vielleicht kommt er in der Nacht, wo ich ihn nicht sehen kann. Oder er bekommt Witterung von mir und bleibt dann ganz aus. Nein, ich muß sofort seine Spur suchen. Ich kann ebenso vorsichtig schleichen wie er, wenn er ein Wild anspringen will. Ich will ihn sehen, bevor er erwacht und meiner gewahr wird, und will ihn auf seinem Lager töten. So plante ich, teilte mein Vorhaben meinem Weibe mit und befahl ihr, mir in beträchtlicher Entfernung zu folgen. Sie war einverstanden. »Er ist dir diesmal sicher,« meinte sie. Ich war froh und aufgeregt. Nach all den Monaten vergeblichen Wartens und Suchens hatte ich wenigstens eine Spur, der ich folgen konnte, und noch dazu im Schnee, das war so, als sähe man das Tier bereits in der Ferne vor sich. Und nun denke dir, Freund, male dir meine Verzweiflung aus! Plötzlich sehe ich ganz nahe vor mir auf einem dicken Baumstumpf den Löwen beinahe in Sicht des verendeten Wildes. Er konnte uns auch gut von da aus wahrnehmen. Und dann mußte ich sehen, wie er mit langen Sätzen ins Dickicht entkam! Das war zu viel. Wieder wurde ich unsicher und starb, noch ehe ich im Schnee umsank.
Diesmal eilte mein Weib heim und holte ein Pferd für mich. Ich lag tagelang im Zelt, krank an Leib und Seele und völlig entmutigt. Aber da kamen die Freunde, um mich aufzuheitern. Ihre Weiber brachten die leckersten Speisen, das zarteste Fleisch, Zungen, getrocknete Beeren und alles erdenkliche Gute. So wurden wir verwöhnt, und nach und nach kehrten meine Kräfte wieder. Endlich, eines Abends, stürzte ein Freund, von der Jagd kommend, zu uns herein. »Kyi!« rief er, »ich bringe dir gute Botschaft. Oben, in einer Schlucht, in der ich ein Wild verfolgte, kam ich an ein Loch im Felsen, von dem aus eine Spur, die sich nach und nach in viele andere teilt, an das Wasser führt. Dort haust eine Berglöwin mit ihren Jungen. Ich habe sie nicht gestört, habe nicht einmal mein wundes Wild zur Strecke gebracht, sondern bin zu dir geeilt, um dir die frohe Kunde zu bringen.« –
Noch einmal schöpfte ich Mut, und sobald der Morgen graute, machte ich mich mit meinem Weibe und dem Freund auf den Weg.
Wir ritten gen Süden, dann am Bach entlang aufwärts, banden unsre Pferde an und betraten dann die Schlucht. Nun war es nicht mehr weit bis zur Höhle, zu der die frischesten Spuren führten; denn über Nacht war Schnee gefallen. Da drinnen war die Mutter mit ihren drei schon ziemlich erwachsenen Jungen und beobachtete uns vielleicht.
Ich hatte Angst. Wie konnte es anders sein? Diese Tiere haben Männer getötet, wenn sie sich in ihre Höhlen wagten. Und diese Löwin hatte Junge! wie würde sie kämpfen! ja, ich hatte Angst, aber ich mußte trotzdem vorwärts. Konnte ich nicht gerade so gut jetzt sterben als sonst, an den Folgen meiner Krankheit, unter der ich so litt? So bereitete ich mich zum Gang in die Höhle vor. Mein Weib weinte und wollte mich zurückhalten. Der Freund meinte, wir sollten uns hinsetzen und warten, bis das Tier herauskäme. Doch ich nahm mein Messer zwischen die Zähne und kroch auf allen vieren vorwärts. Es war nur ein schmales, niedriges Loch in der Felswand, und mein Körper nahm das Licht fort, aber ich konnte noch genug sehen und entdeckte bald über mir zwei grünrote Augen – weit offene, große, feurige Augen. Damit mehr Licht einströmte, bückte ich mich tiefer und konnte nun den Körper der Alten erkennen. Sie hatte die Ohren zurückgelegt und peitschte mit dem Schweife den Erdboden. Leise knurrte sie mich an. Sie lag auf dem Bauch und tastete mit der einen Vorderpranke hin und her, einen sicheren Halt suchend; denn sie war zum Sprunge bereit. Undeutlich sah ich die Kleinen hinter ihr. Sie kamen nicht in Betracht. Ich hob langsam mein Gewehr, aber bevor ich zielen konnte, sprang sie. Ich feuerte. Die Kugel traf sie in der Luft. Schwer schlug ihr Körper auf mir nieder. Der Atem ging mir aus, und ich starb.
Sie zogen mich aus der Höhle heraus, und während mein Weib sich um mich mühte, kroch mein Freund herein, schoß die drei Jungen mit Pfeilen ab und zog sie mitsamt der Mutter ans Tageslicht. Mein Schuß hatte das Tier mitten in die Brust getroffen. So, nun hatte ich die Befehle meines Traumes erfüllt. Ich betete und sang die vorgeschriebenen Lieder. Ein paar Abende später saß ich auf meinem Lager, betete und sang das erste Lied. Als ich eben damit fertig war, fühlte ich, daß sich in mir etwas löste, und Blut und übles Beiwerk quoll aus dem Munde. Schmerzen fühlte ich nicht. Nach einer Weile hörte das Bluten auf. Ich wusch mich, stand auf und ging umher. Der Druck, den ich immer in der Seite empfunden hatte, war verschwunden. Ich fühlte mich so frei und leicht, als ob ich laufen und springen könne, und verspürte großen Hunger. Was geschehen war, das wußte ich ja. Der Alte hatte es ja vorhergesagt. Das Gewächs in mir war geplatzt. Ich fühlte mich so wohl, so erleichtert. Am nächsten Tage veranstalteten wir ein großes Opferfest, Seitdem bin ich vollständig gesund, und nicht ich allein, sondern mein Zauber hat schon unendlich vielen Kranken geholfen. Kyi!