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Am unteren Ende des Talgrundes, gegenüber dem Zauberfelsen, vereint sich der Marias mit dem größeren Strom. Im Frühjahr ist es ein reißender, schmutziger Wasserlauf, aber den größeren Teil des Jahres ist derselbe fast ganz trocken. Nur in tieferen Löchern, oder wo es durch die fleißigen Biber aufgestaut ist, steht das Wasser. Warum schreibe ich das? ach, als ob es dort noch Biber gäbe! aber ich will erzählen. Den Tag, nachdem wir am Fluß unser Lager bezogen hatten, fand eine Büffeljagd in der Gegend des Zauberfelsens statt. Dort hielten sich größere Herden auf. Wieselschwanz und ich wollten den ausgetrockneten Fluß hinaufreiten und einen Erkundungsritt machen. Sommerfelle von Büffeln brauchten wir nicht, und frisches Fleisch konnten wir jederzeit haben, so viel wir wollten, und getrocknetes hatten wir genug in den Zelten. Wir ritten also flußaufwärts, kamen an einer Menge Biberdämme vorbei und sahen mehrere Tiere in ihren Löchern herumschwimmen. Hie und da zogen sich schmale Weidengebüsche am Ufer entlang, aus denen gelegentlich ein Hirsch bei unserer Annäherung bergaufwärts entschlüpfte. An einsamen, z. T. abgestorbenen Pappelwäldern kamen wir vorbei, deren Stümpfe von den durch sie hinziehenden Büffelherden ganz abgeschliffen waren. Alle Augenblicke wurden wir durch eine Klapperschlange aufgeschreckt, die plötzlich in der Nähe unseres Weges ihr warnendes Rasseln ertönen ließ. Wir schlugen alle, deren wir habhaft werden konnten, tot. Beim Abstieg ins Tal trafen wir zahlreiche Antilopen. Die Ebene, die sich zwischen dem ausgetrockneten Flußlauf und dem nächsten Wasser in südlicher Richtung hinzieht, war einer ihrer Lieblingsweideplätze. War es irgend möglich, so umgingen wir derartige Büffel- oder Antilopenherden, denn wir liebten es nicht, das Wild vor uns herflüchten zu lassen und auf diese Weise irgendwelchen Feinden, die vielleicht in der Nähe waren, unseren Weg zu verraten.
Es war etwa 8 oder 9 Uhr, als wir das Lager verließen, lange nach dem Aufbruch der Büffeljäger, und wir befanden uns am Nachmittag weit oben im ausgetrockneten Bach, etwa 10-12 Kilometer von unserem Lager entfernt. Wir ritten auf einen Grat zu, der sich rechts von uns, von Osten nach Westen erstreckte. Am Fuß desselben saßen wir ab, banden unsere Pferde an und kletterten auf die Höhe, um die Aussicht zu genießen. Ich hatte ein paar gekochte Antilopenrippen bei mir und legte sie auf einen Felsblock. »Nimm,« sagte ich zu Wieselschwanz.
»Es wäre unklug, zu essen,« erwiderte er, »wenn man auf Jagd oder Reisen oder sonst irgendwie weitab vom Lager ist. Morgens, nach dem Aufstehen, darfst du so viel wie möglich essen. Dann sattle und reite fort. Du fühlst dich kräftig und reitest, reitest, reitest. Vielleicht jagst du, hast kein Glück dabei, bist aber nicht entmutigt und reitest weiter in der Hoffnung, bald auf eine Antilopen- oder Büffelherde zu stoßen. Die Sonne steigt höher und höher, es wird Mittag, und sie neigt sich wieder und wandert in ihr Zelt, am Ende der Welt. Du hast etwas zu essen bei dir am Sattel hängen und sagst dir, ich bin hungrig, ich will absitzen und essen.
Auf der Kuppe eines Berggrats oder irgend einem Hügel steigst du ab, und, halb hingestreckt auf dem Erdboden, fängst du an zu essen, während die klaren starken Augen die Ebene, das Tal oder die Waldungen nach lebenden Wesen absuchen. Du bist natürlich sehr hungrig. Das Essen schmeckt gut, und du ruhst nicht, bis du deinen Vorrat bis auf den letzten Bissen verzehrt hast. Dann, oha! wie anders fühlst du dich! Du schaust nicht länger suchend und spähend ins Weite, leise sinken die müden Augenlider zu. Du liegst so gut und bequem, du wirst schläfrig und kannst dich nur mit Anstrengung wachhalten. So liegst du da, und die Sonne wandert weiter und weiter hinunter zu ihrem Zelt. Du weißt sehr gut, daß du aufstehen müßtest, reiten und schauen, wie es hinter jenem hohen Grat aussieht, aber das Essen hat seine Wirkung getan, und du belügst dich und sagst: O, ich glaube nicht, daß ich noch Wild antreffe, ich bleibe noch eine Weile hier und reite dann heim. Auf dem Rückweg findet sich sicher noch etwas. So bleibst du liegen, so faul und voll wie ein gesättigter Bär und stehst erst gegen Abend auf und findest auch auf dem Heimweg kein Wild. Wenn du an dein Zelt kommst, sehen die Leute, daß du weder Fleisch noch Felle mitbringst, still sattelt dein Weib ab, und du gehst ins Zelt, setzt dich nieder auf das Ruhebett, schämst dich und fängst an zu lügen, erzählst, wie weit du geritten bist, wie tot das Land ist, und fragst, wo wohl all das Wild sein mag.«
Wieselschwanz sprach die Wahrheit. Hatte ich nicht auch schon die Müdigkeit und Schlaffheit, die eine Mittagsmahlzeit verursacht, oft genug verspürt? ich beschloß, nie wieder Eßvorrat für einen Tagesritt mitzunehmen, aber diesmal aß ich doch reichlich von meinem Fleisch, rauchte dann mit meinem Freund zusammen und schlief ein.
Wieselschwanz stieß mich einigemale an, ehe er mich energisch aus dem Schlaf aufrüttelte. Ich richtete mich auf und rieb mir die Augen. Meine Kehle war ausgedörrt, und ich fühlte einen schlechten Geschmack im Munde vom unzeitgemäßen Essen und Schlafen. Die Sonne stand tief über den weiten, blauen Gipfeln des Felsengebirges, ich hatte lange geschlafen. Mein Freund schaute unentwegt durch mein Fernglas gen Westen und murmelte dazu vor sich hin. »Was siehst du,« fragte ich, faul gähnend, und griff nach seiner Pfeife und dem Tabaksbeutel.
»Was ich sehe, erscheint mir nicht möglich,« erwiderte er, »und doch sehe ich es. Weder meine Augen, noch dieses Glas trügen. Ich sehe ein Weib, ein einsames Weib, das auf dem langen Bergrücken dort wandert und gerade auf uns zukommt.«
»Laß sehen,« rief ich, ließ die Pfeife sinken und nahm das Glas. »Bist du sicher, daß du nicht träumst?«
»Sieh selbst,« erwiderte er. »Sie ist jetzt auf der dritten Bergkuppe von hier aus.«
Ich richtete das Glas auf die bezeichnete Stelle, und wirklich, da schritt ein Weib leicht hin über den grasigen Abhang. Jetzt stand sie still, drehte sich um, legte die Hand über die Augen, schaute gen Süden, dann nach Norden und schließlich zurück in der Richtung, in der sie gekommen war. Ich erkannte, daß sie ein kleines Bündel auf dem Rücken trug, sehr gerade stand und schlank war. Zweifellos war sie noch jung. Aber warum, warum war sie dort und wanderte zu Fuß über die große, einsame Ebene, deren Oede und Schweigen auf jemand, der so hilflos war, beängstigend wirken mußte.
»Was hältst du davon?« fragte ich den Freund.
»Ich denke nichts darüber,« antwortete Wieselschwanz. »Es ist zwecklos, über solch seltsames Ereignis Betrachtungen anzustellen. Sie kommt hierher, wir werden sie sehen, und sie wird uns erzählen, warum sie unterwegs ist.«
Das Weib schritt weiter, bergauf, bergab. Als sie uns bemerkte, zögerte sie einen Augenblick, kam aber dann leicht und anmutig auf uns zu. Ich fürchte, wir beiden starrten sie etwas unverschämt an, aber sie schien sich nicht zu fürchten. Sie hatte wundervolle Augen, klare, gütige, große Augen und angenehme Gesichtszüge, wohlgepflegtes, langes, glänzendes Haar und einen schönen Wuchs. So kam sie heran und sagte:
»Hau!«
»Hau,« antworteten wir.
Dann legte sie ihr Bündel ab, setzte sich nieder und fing an, in einer uns unverständlichen Sprache zu erzählen. Wir unterbrachen sie durch Zeichen und teilten ihr mit, daß wir sie nicht verstünden. »Sie ist ein Schlangenweib,« sagte Wieselschwanz. »Am Schnitt und Muster ihrer Mokassins erkenne ich das.«
Wer war der Mann, welchem Stamm, welchem Zeitalter gehörte er an, der die Zeichensprache erdachte, durch die alle Stämme der Ebenen vom Saskatschewan bis Mexiko sich verständigen können und fähig sind, alles das mitzuteilen, was ihre Sprachen auszudrücken vermögen? Wir waren unfähig, auch nur eine Silbe von dem, was diese Frau uns erzählte, zu verstehen, aber durch diese merkwürdige Erfindung irgend eines geistreichen Indianers der alten Zeiten störte uns das nicht im geringsten.
»Wer bist du?« fragte Wieselschwanz, »und woher kommst du?«
»Ich bin vom Stamme der Schlangen,« gab uns die Frau durch Zeichen zu verstehen, »und komme aus dem heimatlichen Lager, weit drunten im Süden.« Sie machte eine Pause, und wir erwiderten ihr durch Zeichen, daß wir sie verstanden hatten. Einen Augenblick saß sie still da, dann fuhr sie fort:
»Vor drei Jahren wurde ich Zwei Bärens Weib. Er war sehr tapfer, gütig, schön und männlich. Ich liebte ihn, er liebte mich, und wir waren glücklich miteinander.« Wieder hielt sie inne, und Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie wischte sie mehrmals ab und setzte mit großer Anstrengung ihren Bericht fort: »Wir waren sehr, sehr glücklich zusammen; denn er war niemals eifersüchtig, und böse Worte waren in unserem Zelt unbekannt. Lachen, Singen und Gastlichkeit war bei uns daheim. Täglich beteten wir zur Sonne, sie möge uns beschützen und uns langes Leben schenken.
Vor drei Monaten, der Winter war zu Ende, und das frühe Grün sprießte aus der Erde, da erwachte ich eines Morgens und befand mich allein im Zelt. Mein Häuptling war früh aufgestanden, hatte sein Gewehr, Sattel und Seil mitgenommen, und so wußte ich, daß er auf Jagd war. »Er bringt Fleisch heim, fettes Fleisch, und wir werden ein Festmahl richten,« sagte ich mir. Ich sammelte Holz, holte Wasser und setzte mich hin, um ihn zu erwarten. Den ganzen Tag saß ich im Zelt und wartete auf ihn, stickte derweilen Mokassins und horchte auf den Hufschlag seines Pferdes. Die Sonne sank, und ich machte Feuer an. »Bald kommt er!« so dachte ich.
Aber nein, er kam nicht, und ich war unglücklich. Bis tief in die Nacht hinein blieb ich auf und wartete, und die Angst schnürte mir das Herz zusammen. Die Leute im Dorf gingen schlafen, ich stand auf und ging in meines Vaters Zelt. Schlafen konnte ich nicht.
Am anderen Morgen ritten die Männer aus, um meinen Häuptling zu suchen. Den ganzen Tag jagten sie durch die Prärie, die Wälder, den Fluß entlang, aber sie fanden nicht die geringste Spur, weder von ihm, noch von seinem Pferd. Drei Tage ritten sie so in allen Richtungen durch das Land, dann gaben sie es auf. »Er ist tot,« sagten sie. »Er ist ertrunken, oder ein Bär oder ein Feind hat ihn getötet. Wahrscheinlich ist's ein Feind gewesen; denn sonst wäre doch sein Pferd zurückgekommen.«
Ich aber glaubte, daß er lebe; ich konnte es ja nicht glauben, daß er tot sei, meine Mutter sagte mir, ich solle mein Haar abschneiden, ich aber wollte das nicht. Ich sagte ihr: er lebt. Kommt er heim und findet mein langes Haar, das er so gern hat, nicht mehr, dann ist er verstimmt. Wie oft hat er es selbst gekämmt.
So vergingen die Tage, und ich wartete und wartete auf ihn. Schließlich glaubte ich auch, daß er tot sei, aber eines Tages fachte ein Traum meine Hoffnung von neuem an. Die nächste und übernächste Nacht träumte ich das gleiche, und dann, als der Traum in der vierten Nacht wiederkam, wußte ich, daß er lebe. »Weit fort im Norden«, so sagte mein Traum, »an einem Fluß in der Prärie, liegt dein Häuptling verwundet und krank in einem Lager bei einem Präriestamm. Geh, suche ihn und hilf ihm, daß er wieder gesund wird. Er ist traurig und einsam und sehnt sich nach dir.«
So machte ich mich bereit und begab mich eines Abends, als alles schlief, auf die Wanderschaft. Hätte man um mein Vorhaben gewußt, Vater und Mutter würden mich sicher nicht haben ziehen lassen. Ich hatte etwas zu essen, meine Ahle, Sehnen und reichlich Leder zu Mokassins eingepackt. Als mein Vorrat aufgezehrt war, fing ich mir mittelst Schlingen Erdeichhörnchen und Kaninchen oder grub mir Wurzeln aus. So litt ich keinen Hunger. Mir geschah nichts Böses. Aber der Weg war lang, endlos lang, und ich fürchtete mich vor den Bären, die des Nachts brummten und herumschnüffelten. Sie taten mir kein Leid, mein Schutzgeist muß mich vor ihnen behütet haben. Das Lager, so berichtete mein Traum, lag angesichts der Berge. Nach vielen Tagereisen erreichte ich den großen Fluß und folgte ihm tagelang abwärts, bis ich die Wohnstätten der Weißen erreichte, aber ich fand kein Lager, wie ich es suchte. So wandte ich mich wieder nordwärts, und als ich an den nächsten Fluß kam, folgte ich ihm in nördlicher Richtung bergauf, fand aber wieder kein Lager mit dem, den ich suchte. Von neuem ging ich gen Norden und kam nun an diesen kleinen Bach und treffe euch. Sagt, ist mein Häuptling in eurem Lager?«
Wir mußten diese Frage natürlich verneinen. Wieselschwanz sagte ihr, daß bei uns einige Nördliche und Blutindianer auf Besuch seien, und riet ihr, mit uns zu kommen und die zu fragen. Sie ging bereitwillig darauf ein, und wir brachen zusammen auf. Mein Freund ritt eine kleine, unruhige Mähre, die zwei Personen nicht tragen konnte, so mußte ich das Weib hinter mir aufsitzen lassen, und wir erregten ein wohlberechtigtes Aufsehen, als wir bei Sonnenuntergang im Lager einritten. Wieselschwanz wollte sie in seinem Zelt beherbergen, und ich hatte gehofft, sie unbemerkt dort absetzen zu können. Aber das glückte nicht. Ich erspähte Nat-ah'-ki von weitem, wie sie uns anschaute und sah, wie das hübsche, junge Weib hinter mir saß und mich fest mit den Armen umschlungen hielt. Als ich dann an mein Zelt heranritt, fand ich niemand, der mich begrüßte, und mußte zum erstenmal mein Pferd allein absatteln. Ich ging ins Zelt und setzte mich nieder. Nat-ah'-ki briet etwas Fleisch, sprach nicht und schaute sich auch nicht nach mir um. Schweigend brachte sie mir Wasser, Handtuch und Kamm. Nachdem ich mich gewaschen hatte, setzte sie mir Suppe und etwas Fleisch vor und schaute mich mit traurigen, vorwurfsvollen Blicken an. Ich grinste verlegen und gedankenlos ins Leere, und obwohl ich ja ganz unschuldig war, konnte ich ihren Blick doch nicht erwidern und beschäftigte mich gründlich mit meiner Mahlzeit. Das kleine Weib lief auf die andere Seite des Zelts, zog ihr Tuch über den Kopf, und fing bitterlich an zu weinen. Ich hatte Hunger, aber das Essen schmeckte mir nicht, so schluckte ich nur schnell ein paar Bissen hinunter und ging hinüber zu Wieselschwanz.
»Schicke doch deine Mutter hinüber zu Nat-ah'-ki und laß sie ihr erzählen, wie alles kam,« bat ich.
»A, hah!« lachte er, »habt ihr euch gezankt? Die Kleine ist eifersüchtig? Das wollen wir schon in Ordnung bringen,« und er bat seine Mutter, hinüber zu gehen.
Ein oder zwei Stunden später, als ich heimkam, war Nat-ah'-ki in bester Laune, bewillkommnete mich herzlichst und bestand darauf, daß ich nochmals zu Abend essen sollte, und schenkte mir ein Paar prachtvolle Mokassins.
»O, die arme, arme Schlangenfrau,« sagte sie, als wir einschlafen wollten, »wie leid tut sie mir. Morgen schenke ich ihr ein Pferd.«
Nat-ah'-ki war die stolze Besitzerin einer kleinen Pferdeherde, die sie von Verwandten geschenkt bekommen, und die sich gut vermehrt hatte. Sie sprach gern von ihren Tieren und schilderte gern ihre Farbe, Alter und Anlagen. Ein Schwarzfuß, der kein Pferd sein eigen nannte, wurde bemitleidet und über die Achsel angesehen. Pferde galten als wertvoller Besitz, und der Eigentümer einer großen Herde war in seiner Stellung nur mit einem unserer Millionäre zu vergleichen. Es gab Leute, die drei- bis vierhundert Pferde ihr eigen nannten. Hatte der Besitzer keinen Sohn, so nahm er einen Waisenknaben an, der die Herde hütete und sie zwei- bis dreimal am Tag zur Tränke trieb. Aber auch der Herr selbst saß tagsüber stundenlang auf einer Anhöhe und schaute zu, wie seine Tiere das reiche Gras abweideten. Starb ein Mann, so wurde sein Besitz unter seine männliche Verwandtschaft geteilt, die stets so zahlreich war, daß selten einer eine erhebliche Anzahl von Pferden ererbte. Wer seine Tiere nach Hunderten zählen konnte, hatte sie in anstrengender Arbeit erworben, durch manchen kühnen Ritt gegen herumziehende Stämme, durch nächtliches Stehlen in feindlichen Lagern und im Zweikampf. Kein Wunder, daß er stolz darauf war und sich wichtig fühlte und von den Stammesgenossen darob geehrt wurde.
Nat-ah'-ki's Pferde wurden von ihrem Onkel, der selbst eine große Herde besaß, mitbesorgt. Als dieselbe am Morgen nach unserer Bekanntschaft mit der Schlangenfrau ausgetrieben wurde, wählte Nat-ah'-ki eine fette Mähre aus, erbat sich von einer Tante einen Frauensattel, zäumte das Tier auf und ging damit hinüber zu Wieselschwanz' Zelt. Sie legte den Zügel in die Hand der Schlangenfrau, die zuerst nicht wußte, was sie damit tun sollte. Als Nat-ah'-ki ihr dann aber durch Zeichen zu verstehen gab, daß sie das Tier geschenkt haben solle, war die Freude groß. Die beiden Frauen freundeten sich auf das herzlichste an, und die Fremde wohnte eine Zeitlang bei uns. »Ich ruhe aus«, sagte sie, »und frage ankommende Reisende der umliegenden Stämme aus. Wenn ich nicht bald etwas von meinem Häuptling höre, muß ich meine Wanderung fortsetzen.«
Das sollte aber nicht sein. Eines Tages, als sie mit Nat-ah'-ki Holz sammelte, ritt ein Trupp Blutindianer, die zu uns ins Lager wollten, an ihnen vorbei, und die Frau rannte so schnell hinter ihnen her, daß Nat-ah'-ki glaubte, sie habe den Verstand verloren. Die Besucher saßen ab und gingen in unseres Häuptlings Zelt. Die Schlangenfrau zitterte und bebte und wies auf ein Pferd, ein schwarz-weißes Pony, und sagte: »Das Tier kenne ich, es ist meines Häuptlings Pferd, frage den Mann, wo er es her hat.«
Nat-ah'-ki ging ins Zelt und gab die Frage an eine der Frauen weiter, die sich damit, sobald eine Pause in der Unterhaltung eintrat, an Großer See wandte.
Alles hörte natürlich zu, und einer der Besucher antwortete: »Das scheckige Pony gehört mir, es ist meine Beute.«
»Bringt die Frau herein,« befahl Großer See, und er berichtete den Gästen, wie wir sie allein auf der Prärie gefunden hätten, und erzählte von ihrem Traum und ihrem Suchen.
Sie kam eilends herein und hatte, wie es schien, alle anerzogene Zurückhaltung gegenüber dem Häuptling und seinen Gästen vergessen. »Wer, wer«, fragte sie schnell durch Zeichen, »ist der Reiter des scheckigen Pony?«
»Ich bin's,« erwiderte der Blutindianer mit einem Zeichen. »Was soll's damit?«
»Es ist mein Pferd, meines Mannes Pferd, auf dem er vor drei Monaten fortritt. Was ist mit meinem Mann? sahst du ihn? wie kommst du zu seinem Pferd?«
Der Blutindianer zögerte einen Augenblick und erwiderte dann: »Wir waren auf einem Kriegszug. Weit südlich vom Reichen Grund Der »Reiche Grund« dehnt sich um die heutige Stadt Helena in Montana. Das Land war überreich an Wild und Beeren, daher gaben ihm die Schwarzfüße diesen Namen: »Ah-kwo' to-kwü-si sak-öm. überraschte uns eines Morgens bei Tagesgrauen ein Mann auf dem scheckigen Pony. Ich erschlug ihn und nahm das Tier als Beute.«
Als er seine Antwort gestikulierte, bemerkte die Frau plötzlich ein Bärenklauen-Halsband, das er trug, und darauf hinweisend, brach sie in ein herzzerreißendes Schluchzen aus und rannte aus dem Zelt. Sie lief weinend durch das Lager, setzte sich am Waldrand nieder, zog ihr Kleid über den Kopf und fing an, über den Toten zu wehklagen.
Lieber Leser, hast du jemals ein Weib der Prärie um den Tod eines Geliebten klagen hören? hörtest du, wie sie seinen, ihren Namen rief, verzweifelnd, herzbrechend, stunden- und stundenlang? Nichts in der Welt ist so traurig und drückt so die trostlosen Gefühle und Empfindungen eines Menschen aus, dem der Tod das Liebste nahm, den Gatten, das Kind oder sonst einen teuren Anverwandten. Ich kann dem nur eines vergleichen, den Ruf der Turteltaube. Es drückt alle Gefühle schmerzlichster, trostlosester Verlassenheit und Einsamkeit aus. Man sagt, die Indianer vergäßen ihre Toten von heute auf morgen. Das trifft sicherlich bei den Schwarzfüßen und Mandanen nicht zu. Ich habe nur zu oft gehört, wie die Schwarzfüße jahrelang um geliebte Anverwandte trauern.
Die Schwarzfüße verurteilen die Weißen oft hart und bezeichnen sie als herzlos, weil sie ihre Eltern und Heimat verlassen und im fremden Land Abenteuer suchen. Familienbande waren den Indianern heilig. Sie können es einfach nicht verstehen, wie jemand, der seine gesunden Sinne hat, Vater und Mutter für Monate und Jahre verlassen kann.
»Harte Herzen, Steinherzen,« nennen sie uns nicht mit Unrecht.
Dies Schlangenweib trauerte und verbrachte den größten Teil der Zeit mit Klagen, oben auf dem Hügel oder am Waldesrand. Sie schnitt ihr Haar ab, brachte sich Wunden bei, aß wenig und wurde mager und teilnahmlos. Endlich kam der Tag, an dem sie auf ihrem Bett liegen blieb und nicht mehr aufstehen konnte. »Ich will sterben,« gab sie durch Zeichen zu verstehen. »Ich freue mich darüber. Ich habe meinen Traum nicht verstanden; denn ich glaubte, ich solle meinen Häuptling in diesem Leben suchen. Mein Schatten soll den seinen suchen, das war der Sinn. Ich sehe es jetzt ganz klar, und ich werde bald gehen und bin gewiß, daß ich ihn finden werde.«
Sie ging wirklich. Vier Tage nach Ausbruch ihrer Krankheit starb sie, und die Frauen bargen ihren Körper schonend, feierlich in einem nahe gelegenen Baum.